Die Stadt aus Messing (S. A. Chakraborty)

Panini Phantastik (Oktober 2021)
Paperback, 608 Seiten, 17,00 EUR
ISBN: 9783833240997

Genre: historische Fantasy


Klappentext

Die junge Nahri verdient ihren Lebensunterhalt damit, osmanische Adlige mit medizinischen Taschenspielertricks zu betrügen, in der Hoffnung auf ein sorgenfreies Leben. Doch als sie bei einem ihrer Rituale versehentlich Dara herbeiruft, einen ebenso gerissenen wie mysteriösen Dschinn-Krieger, gerät ihr Leben aus allen Fugen. Zusammen mit ihrem unfreiwilligen Verbündeten flüchtet Nahri über heiße windgepeitschte Sande und Flüsse voller mythischer Kreaturen nach Daevabad – der Heimstätte der Dschinn-Clans.

Es ist eine Stadt voller Magie und Feuer, in der die eigene Abstammung so gefährlich sein kann wie jeder bösartige Zauber; eine Stadt, in der alte Ressentiments tief sitzen und der königliche Hof mit eiserner Hand regiert; eine Stadt, an die Nahri nun unwiderruflich gebunden ist – und in der ihre bloße Anwesenheit einen Krieg zu entfachen droht, der schon seit Jahrhunderten brodelt …


Rezension

Nahri lebt im Kairo des späten 18. Jahrhunderts und verfügt über zwei besondere Fähigkeiten: sie kann jede fremde Sprache auf Anhieb verstehen und sie kann Menschen auf magische Weise heilen. Allerdings nutzt sie ihre Fähigkeiten vor allem dafür, reiche Osmanen zu betrügen, um ihren großen Traum zu verwirklichen: Sie möchte an einer Universität Medizin studieren, was als Frau eigentlich unmöglich ist. Doch sie hofft, sich mit genug Geld das Studium erkaufen zu können. Mit ihrer Trickserei kann sie sich allerdings gerade so über Wasser halten. Als sie bei einem ihrer Rituale eine alte Sprache verwendet, die sie seit ihrer Kindheit spricht und die sie nie bei jemand anderem gehört hat, ruft sie versehentlich den Dschinn-Krieger Dara herbei. Und plötzlich sind ein Ifrit und Ghule hinter ihr her – und es bleibt Nahri nichts anderes übrig, als mit Dara nach Daevabad, der Heimat der Dschinn-Clans, zu fliehen …

In Daevabad unterstützt Prinz Alizayd die Shafit – Kinder von Dschinn und Menschen, die von den Reinblütigen und insbesondere dem Daeva-Clan unterdrückt werden. Als er erfährt, dass die Shafit von seinem Geld Waffen kaufen, will er ihnen die Unterstützung entziehen. Letztlich lässt er sich auf einen gefährlichen Ausflug ein, um sich zeigen zu lassen, wie sehr die Shafit unter der Unterdrückung leiden und seine Hilfe benötigen. Alizayd wird beinahe enttarnt und erpressbar. Sein Doppelleben wird noch komplizierter, als er in den Palast zurückgerufen wird, um fortan die Stadtwache zu befehligen. Sein Vater, der König, gibt ihm zu verstehen, dass er beobachtet wird und seine Loyalität beweisen muss. Als Nahri und Dara in Daevabad auftauchen, steht Alizayd den beiden zunächst ablehnend gegenüber, doch sein Vater wünscht, dass er sich mit Nahri anfreundet. Der König will ein Bündnis zwischen seiner Familie und den legendären Nahid, dessen letzte Nachfahrin Nahri ist …

„Die Stadt aus Messing“ greift verschiedene Motive aus den Märchen aus „1001 Nacht“ auf und setzt sie als komplexen Fantasyroman um, in dem Protagonistin Nahri zum Mittelpunkt eines uralten Konfliktes wird. Einst nannten sich alle Dschinn Daeva, doch mit der Zeit übernahmen die meisten die Bezeichnung der Menschen sowie auch deren Religion, während die Daeva an den alten Traditionen festhielten. Einst waren sie bzw. die Nahid Herrscher über Daevabad, doch nach einer Rebellion übernahmen die al Qahtanis die Macht und versuchen nun, mit Gewalt den Frieden in der Stadt zu erhalten. Die Daeva verabscheuen die Shafit, die gezwungen sind, in der Stadt zu leben, da sie wie die Dschinn über magische Kräfte verfügen. Sie werden unterdrückt und misshandelt und der Hass auf die Daeva und viele Dschinn wächst stetig. Ebenso sind die Dschinn-Clans mit den Daeva zerstritten und vergangene Gräueltaten beschwören immer wieder neue herauf, sodass eine echte Versöhnung und Frieden unmöglich scheint.

Als Nahri in Daevabad erscheint, wird sie von den Daeva gefeiert und der König, ein al Qahtani, erweist ihr seine Gunst. Er hatte eine starke Bindung zu Nahris Mutter, zudem will er den porösen, mit Blut erkauften Frieden in der Stadt nicht gefährden – und er hat seine ganz eigenen Pläne mit Nahri, die sich in ihrer neuen Rolle als Nahid-Heilerin unwohl fühlt. Zwar hat sie immer davon geträumt, Ärztin zu werden, und konnte mit ihrer Magie Menschen heilen, doch den Dschinn mit ihren magischen Krankheiten kann sie kaum helfen. Sie verzweifelt daran, alles neu lernen zu müssen. Viel belastender sind die undurchsichtigen, vielschichtigen Machtverhältnisse am Hof, es werden Intrigen gesponnen, Verbündete erweisen sich als Feinde und umgekehrt. Dara ist der einzige, dem Nahri wirklich vertraut, doch auch er hat Geheimnisse, die einen Keil zwischen sie treiben.

Alizayd erscheint zunächst selbstgerecht und religiös verblendet. Er erkennt das Leid der Shafit und will ihnen unbedingt helfen, doch dabei verkennt er die explosive Lage in der Stadt und die vielen familiären Verwicklungen und alten Fehden. Die Shafit sind für ihn die Opfer und alle Daeva brutale Täter, doch die Wahrheit ist komplizierter. In seinem religiösen Eifer verachtet Alizayd zudem die Traditionen seiner Ahnen und gießt oftmals unnötig Öl ins Feuer. Im Verlauf der Handlung macht er eine enorme Entwicklung durch, erkennt, dass die Dinge komplexer sind, als sie erscheinen und dass er Freund und Feind nicht einfach nach Stammeszugehörigkeit einteilen kann. Er muss einige Rückschläge verkraften, reift jedoch an seinen Fehlern und entwickelt sich zu einem mutigen jungen Mann, der sein magisches Erbe entdeckt.

In „Die Stadt aus Messing“ gibt es jede Menge phantastischer Wesen aus „1001 Nacht“ und so kommt man unter anderem in den Genuss spektakulärer Kämpfe gegen bösartige Ifrit und wütende Marid. Nahri und Dschinn-Krieger Dara reisen auf einem verzauberten Teppich, rasten in Oasen und Wüstenruinen und bilden in Daevabad eine kleine, verschworene Gemeinschaft, auch wenn sie sich dort selten sehen können. Dara selbst hat eine wahrhaft phantastische Geschichte und wurde einst von den Ifrit versklavt. Er musste verschiedenen Meistern dienen und wurde in deren Kriegern zur tödlichen Waffe. Seine Vergangenheit ist blutig und grausam und dabei erfährt man im ersten Band noch nicht alles. Es ist dennoch erschreckend, dass Daeva und Dschinn gegen ihren Willen versklavt und zu unfassbaren Gräueltaten gezwungen werden können.

Panini verwendet für „Die Stadt aus Messing“ das stimmungsvolle Originalcover. Leider bilden sich bei dem dicken Paperback schnell Risse im Buchrücken. Im Anhang findet sich neben einer Leseprobe aus Band 2 ein Glossar mit den wichtigsten arabischen Begriffen, was durchaus nützlich ist. Allerdings erschließen sich die meisten Begriffe ebenso aus dem Kontext.


Fazit

„Die Stadt aus Messing“ vereint die Magie aus „1001 Nacht“ mit komplexer, historischer Fantasy, in der sich alte Konflikte neu entzünden. Diebin Nahri findet sich in Daevabad in einem Pulverfass wider, das bereits brennt und kurz vor der Explosion steht. S. A. Chakraborty gelingt es, immer wieder zu überraschen und trotz kleiner Längen im Mittelteil gut zu unterhalten und nachdenklich zu stimmen.


Pro und Contra

+ Nahri ist eigensinnig, abgebrüht und klug
+ Daras geheimnisvolle, dunkle Vergangenheit
+ Alizayd entwickelt sich enorm weiter
+ magische Wesen aus „1001 Nacht“
+ Nebenfiguren überraschen in der zweiten Hälfte mit neuen Facetten
+ vielschichtige und komplexe historische Fantasy
+ zeigt eindrucksvoll die unheilvolle Dynamik tief sitzender Ressentiments
+ stimmungsvolles, tolles Cover

o die vielen Ungerechtigkeiten sind teils schwer zu ertragen

- im Mittelteil etwas langatmig

Wertungsterne4.5

Handlung: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5

Tags: orientalische Fantasy, 1001 Nacht, S. A. Chakraborty