Das Erz der Engel (Hrsg. Detlef Klewer)

das erz der engel

p. machinery (Oktober 2021)
Reihe: AndroSF 133
Taschenbuch, 144 Seiten, 13,90 EUR

ISBN: 978 3 95765 258 4

Genre: Science Fantasy / Mystery


Klappentext

Engel, vor allem die Erzengel, werden in der Literatur – wie auch im Film – gerne auf eine bestimmte Art und Weise dargestellt. Groß, mächtig, von Gott gesandt und ihm ohne Frage dienend, manchmal zweifelnd, nicht immer als die Guten, manchmal auch als die … nicht wirklich Bösen, eher … die Grauen, manchmal … nein, eigentlich immer ambivalent.
Die Erzengel in diesem Story Center sind anders. Hier sind die Erzengel Michael, Gabriel, Raphael und Uriel eine von Gott gesandte und göttlichen Gesetzen gehorchende Truppe, Superhelden nicht unähnlich, die in einem galaktischen Imperium der Menschen an den unterschiedlichsten Orten die verschiedensten Aufgaben im Kampf gegen das Böse übernehmen und lösen.
Die Erzengel sind eine überragende, aber nicht allmächtige Macht. Und das Böse ist nicht unbezwingbar – und es kehrt immer wieder.
Und dann sind da noch Fragen zu beantworten: Warum sind die Erzengel, wie sie sind? Und was ist das Erz der Engel?


Rezension

Engel findet man in der Science Fiction relativ selten und oftmals wird es bei dieser Kombination seltsam. So auch in der Anthologie „Das Erz der Engel“, die acht sehr unterschiedliche Geschichten mit den vier Erzengeln in den Hauptrollen bietet:

„Nur ein Schritt nach links“ ist Mystery mit SF-Elementen und schickt mit Uriel den „Engel fürs Grobe“ auf eine Mission zu Erde, wo Engel Pharzuph Rebellen um sich scharen soll. Uriel platzt in eine Orgie, worin er noch keinen Anlass zur Sorge sieht, allerdings begeht Pharzuph tatsächlich eine der schwersten Sünden. Gard Spirlin hat sich zwar ein intergalaktisches Engelsreich erdacht, zeigt jedoch kaum etwas davon. Stattdessen erzählt Uriel die Geschichte im jovialen und anzüglichen Ton einer Kneipenkonversation zwischen alten Männern.

Celin Aden sendet in „Aizong 3“ die Erzengelspezialeinheit zur Rettung von Siedlern aus. Ausgestattet mit geflügelten Kampfanzügen erkunden die Engel ein Höhlensystem auf Aizong 3 und machen eine schaurige Entdeckung. Gabriel, genannt Gabby, macht sich dabei mehr Sorgen um die psychische Gesundheit ihrer Kollegen, vor allem Uriel scheint ein ungesundes Verhältnis zu Sprengstoffen zu haben. Die Erzengel in „Aizong 3“ erinnern an durchgeknallte Animehelden, die zunächst oberflächlich erscheinen, sich im Verlauf der Handlung jedoch selbst hinterfragen. Das Ende bietet Anknüpfungspunkte an weitere SF-Abenteuer.

In „Der größte Feind“ liegt das Jüngste Gericht bereits Jahrtausende zurück. Erzengel Michael hat den Drachen erschlagen und Menschen und Engel leben nun einem intergalaktischen Himmelsreich. Uriel wird mit der Raumkathedrale „Licht Gottes“ entsandt, um Ketzer auf einem höllischen Planeten aufzuspüren. Ausgerechnet ein anderer Erzengel stellt sich seiner Mission entgegen und es kommt zu einer Raumschlacht, in der sich der größte Feind offenbart. Michael Edelbrock inszeniert seine Geschichte mit viel Pathos und die Schlacht im All mag wie reine Effekthascherei anmuten, doch darüber hinaus hat der Autor auch etwas über die Natur des Menschen zu sagen.

„Helden“ zeigt einen drogensüchtigen Uriel, der sich auf der Erde in der Mitte des 20. Jahrhunderts gehen lässt. Einst rette er mit den anderen Erzengeln intergalaktische Flüchtlinge, doch sie wurden überall abgewiesen und Uriel hat seinen Glauben an das Gute verloren. Nun verkriecht er sich auf der Erde, wo Raphael ihn aufspürt und zur Besinnung bringen will. Doch Uriel überrascht ihn mit einer Erkenntnis. C. M. Dyrnberg greift die Dramen unserer Gegenwart auf und zeigt, dass man auch im Kleinen viel bewirken kann. „Helden“ hat eine Botschaft, die berührt und nachdenklich stimmt.

Erzengel Michael besucht in „Die Berufung“ eine Kolonie, um herauszufinden, ob ein monströser Wurm ein Fehler im göttlichen Plan ist oder ein Teil der Schöpfung, der geschützt werden muss. Sollte letzteres eintreffen, wären die Siedler gezwungen, sich einen neuen Planeten zu suchen. Protektorin Anca bangt um ihre Kolonie, aber auch um Michael, der seltsam geschwächt wirkt. Esther Geißlinger zeigt hier einen verletzlichen und gebrechlichen Erzengel, der Protagonistin Anca eine große Offenbarung macht.

„Das Schrödinger-Protokoll“ beschäftigt sich mit der Frage, ob auch künstliche Intelligenzen ein Himmelreich besitzen. Christoph Fischer entwirft eine zukünftige Gesellschaft, die Androiden unterdrückt. Fanatiker trachten ihnen nach dem Leben, das sie nicht als solches anerkennen. Um ihnen Einhalt zu gebieten, werden die Erzengel zu Rate gezogen, die allerdings selbst noch über den Wert eines Maschinenlebens diskutieren. Trotz vieler Klischees eine interessante Geschichte, die die Themen Religion und KI verbindet.

„Flügel und Flammen“ setzt die Erzengel als dunkle Reiter in einem Wild-West-Setting in Szene. Geschaffen, um zu rächen, räumen sie in einer vom Bösen verdorbenen Stadt auf. Marina Heidrich ist es als einzige gelungen, das titelgebende „Erz der Engel“ zu einem wichtigen Handlungselement zu machen. Eine kurze, aber sehr atmosphärische Geschichte.

In „Der dritte Exodus“ steht der Menschheit die Übersiedlung in eine ferne Galaxie bevor. Erzengel Gabriel findet in Mira die zukünftige Gottesmutter, doch diese ist gar nicht begeistert davon, dass sie ein Kind kriegen soll. Noch dazu vom Heiligen Geist, während ihr Partner Jeff auf einem anderen Planeten zu tun hat. Und dann mischt sich auch noch Luzifer persönlich ein. Eine chaotische Story, die futuristische Technologien mit biblischen Mythen durch den Mixer jagt. In der fernen Zukunft, in der Menschen mittels Dimensionstoren zwischen Planeten umherreisen, wirken die Erzengel und der Höllenfürst seltsam deplatziert.

So sehr sich die Geschichten thematisch unterscheiden, so ähnlich sind sie sich darin, dass biblische Figuren und Science-Fiction-Elemente eine mindestens ungewohnte, oft auch unpassende Kombination ergeben. Auch weil die Kurzgeschichten zu wenig Raum für ein tiefergehendes Worldbuilding bieten. Dabei würde sich beispielsweise das Setting von „Der größte Feind“ wunderbar für eine schräge Space Opera im Romanformat eignen. Trotzdem finden sich hier auf oft wenigen Seiten viele skurrile, spannende Ideen, die Fans ungewöhnlicher Genremixe erfreuen dürften.

Auch „Das Erz der Engel“ wartet wie andere Anthologien von Detlef Klewer mit farbigen Illustrationen auf, die den Inhalt der jeweiligen Geschichten spiegeln. Die meisten gefallen mit einem dunklen und zugleich intensiven Farbenspiel, das im Druck schön zur Geltung kommt. Als schicker Bonus findet sich im Innenteil ein buntes Exlibris von Lothar Bauer.


Fazit

„Das Erz der Engel“ bietet acht sehr unterschiedliche Geschichten samt farbigen Illustrationen, die die vier Erzengel mal als Superhelden, Drogensüchtige, dunkle Reiter oder auch müde Kranke inszenieren. Die Kombination mit SF-Elementen wirkt oft unpassend, aber durchaus originell.


Pro und Contra

+ ungewöhnlicher, origineller Genremix
+ thematisch sehr unterschiedliche Beiträge
+ viele skurrile Ideen wie Funkpriester und das Schrödinger-Protokoll
+ „Helden“ mit tieferer Botschaft
+ die düstere Westernatmosphäre in „Flügel und Flammen“
+ thematisch passende Illustrationen von Detlef Klewer
+ die Farben kommen im Druck schön zur Geltung

- Kombination von biblischen Figuren und SF-Elementen wirkt seltsam
- die Erzengel wirken oft überzeichnet
- „Nur ein Schritt nach links“ als platter, anzüglicher Einstieg

Wertungsterne3.5

Geschichten: 3/5
Auswahl: 3,5/5
Gestaltung: 4/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5


Rezension zu "Necrosteam"

Tags: AndroSF, deutschsprachige SF, Detlef Klewer, Kurzgeschichten