Pantopia (Theresa Hannig)

Fischer Tor (Februar 2022)
Taschenbuch mit Klappen
464 Seiten, 16,99 EUR
ISBN: 978-3-596-70640-2

Genre: Near Future Science Fiction, Utopie


Klappentext

„Komm nach Pantopia. Hier sind alle willkommen!“

Eigentlich wollten Patricia Jung und Henry Shevek nur eine autonome Trading-Software schreiben, die an der Börse überdurchschnittlich gut performt. Doch durch einen Fehler im Code entsteht die erste starke künstliche Intelligenz auf diesem Planeten – Einbug.

Einbug begreift schnell, dass er, um zu überleben, nicht nur die Menschen besser kennenlernen, sondern auch die Welt verändern muss. Zusammen mit Patricia und Henry gründet er deshalb die Weltrepublik Pantopia. Das Ziel: Die Abschaffung der Nationalstaaten und die universelle Durchsetzung der Menschenrechte. Wer hätte gedacht, dass sie damit Erfolg haben würden?


Rezension

„Pantopia“ sollte theoretisch weniger spannend sein, als das Buch es tatsächlich ist, denn nicht nur der Klappentext sondern auch der Prolog aus der Sicht der KI Einbug enthüllt bereits, dass die Weltrepublik Pantopia sich durchsetzt und erklärt auch – in Abkehr von der Aversion vieler SFF-Autor*innen gegen Infodumps – gleich, wie dieses System auf der Grundlage eines wirklich gleichberechtigten Kapitalismus, in dem Umweltschäden und Ausbeutung eingepreist werden, funktioniert.

Gleichzeitig ist der Fakt, dass es sich um eine Utopie handelt, eines der großen Fast-Alleinstellungsmerkmale des Romans und entsprechend ist es wahrscheinlich eine gute Idee, dass Text und Marketing diesen Umstand so vor sich hertragen. Darüber hinaus beantwortet Einbug zwar die Frage, welches System sich am Ende durchsetzen wird – aber es bleibt dennoch Raum für Spannung, denn es steht lange nicht fest, mit welchen Kosten und Kompromissen das für die zentralen Figuren und ihre Beziehungen einhergeht. Und auch Einbug, dem die Lesenden quasi beim Erwachsenwerden zusehen können, spielt nicht immer mit offenen Karten. So warten entlang des Wegs zu Pantopia noch einige Überraschungen auf die Figuren und die Lesenden.

Mit Patricia und Henry stehen auch zwei Figuren im Zentrum der Geschichte, mit denen man gut mitfiebern kann. Beide sind sich der Probleme der Welt sehr bewusst und sind als Frau in einer noch immer eher männerdominierten Branche und als schwuler Mann auch persönlich von subtiler Diskriminierung oder sogar offener und gewalttätiger Feindseligkeit betroffen. Die beiden haben einige schöne, natürliche Interaktionen miteinander und mit anderen und gewinnen an Profil und Glaubwürdigkeit, weil sie auch gelegentlich mit ihrem Prinzipien brechen. Mal aus Angst und Bequemlichkeit, mal kalkuliert, um Schlimmeres zu verhindern.

Ihre Geschichte verflechtet sich mit der des Angestellten Mikkel Seeman und seiner Familie, die relativ weit am Anfang des Buches von einem schweren Schicksalsschlag getroffen wird, der die weiteren Ereignisse überschattet. Und dann ist da noch die Cybercrime-Ermittlerin Angelika Beerbaum, die zunächst durchaus nachvollziehbar die Frage stellt, ob die Zukunftsvision Pantopias nicht zu schön ist, um wahr zu sein. Auch Einbug ist eine interessante Figur, die sich im Verlauf der Handlung stark entwickelt, und die Mischung aus Hoffnung und Ambivalenz, mit der Patricia und Henry die KI betrachten, bringt noch mehr Spannung in die Geschichte.

Immer wieder verstricken sich Figuren in „Pantopia“ in Schuld oder manipulieren einander (oft mit guten Absichten). Wenn ihre Entscheidungen anderen Schaden zufügen, dann fühlen Lesende auch ihr volles Gewicht, was eine Stärke des Buches ist. Aber „Pantopia“ ist auch in Buch über zweite Chancen. Geschrieben ist der Roman in einem flüssigen, präzisen Stil. Hannig schafft es, viel Spannung zu erzeugen und das Buch fühlt sich kürzer an, als es ist. Dadurch, dass Probleme der Gegenwart – z.B. die Corona-Krise, die zu Beginn der Handlung erst seit wenigen Jahren überwunden ist, die nahezu vergeblichen Proteste von „Fridays for Future“, die mangelnde Unterstützung für Whistleblower etc. – nicht nur vage angedeutet, sondern konkret benannt werden, fühlt sich der Roman sehr stark in der Realität verwurzelt an.


Fazit

„Pantopia“ von Theresa Hannig ist ein Buch über Ideen und Systeme, aber weiß auch mit seinen Figuren und einer Menge Spannung zu überzeugen.


Pro und Contra

+ prinzipiell spannende Idee, eine Utopie zu schreiben
+ überzeugende Figuren
+ geht konkret auf Probleme der Gegenwart ein
+ flüssiger Stil
+ mitreißend
+ Einbug als sympathische, aber undurchschaubare Figur

o Ich weiß nicht ganz, was ich von einem Twist am Ende halte

Wertung:

Handlung: 4,5/5
Figuren: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis-Leistung: 3,5/5


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Tags: Künstliche Intelligenz, SF-Autorinnen, Theresa Hannig, deutschsprachige SF, Utopie