Theresa Hannig (23.02.2022)

Interview mit Theresa Hannig

Literatopia: Hallo, Theresa! In Deinem Roman „Pantopia“ entsteht eine starke Künstliche Intelligenz, die die Probleme der Menschheit erkennt und eine Utopie erschafft. Was hat sich dank KI Einbug alles zum Besseren gewendet? Und gibt es auch Schattenseiten?

Theresa Hannig: Ich möchte behaupten, dass sich in Pantopia alles zum Besseren wendet. Sowohl im globalen Rahmen was menschheitsbedrohende Katastrophen wie Klimawandel, Artensterben und Kriege betrifft, als auch im kleinen Rahmen, bei Themen wie Armutsbekämpfung, würdevolle Lebensbedingungen und Gleichberechtigung. Das liegt daran, dass Einbug nicht nur die Probleme kennt sondern auch alle Lösungen, die wir als Menschheit erdacht haben, aber aus unterschiedlichen Gründen nie verwirklichen konnten. Da Einbug kein Geltungsbedürfnis hat und weder Gier noch Neid kennt, ist für ihn die einzige Richtschnur das in globalem Rahmen vernünftige Handeln.

Literatopia: Das System in Pantopia basiert auf einer Art gleichberechtigtem Kapitalismus, in dem Umweltschäden und Ausbeutung eingepreist werden. Widersprechen sich Kapitalismus und Gleichberechtigung nicht? Was macht Pantopia trotz Kapitalismus gerecht?

Theresa Hannig: Ich nenne es im Roman einen perfekten Kapitalismus. Kapitalismus an sich ist weder gut oder schlecht. Es ist ein System, das auf bestimmten Annahmen beruht. Kapitalismus geht von einem „homo oeconomicus“ aus, einem Menschen, der im Rahmen seiner Möglichkeiten vernünftig handelt und seinen Gewinn unter Berücksichtigung der Kosten maximiert. Das Problem dabei: Im Gegensatz zur Theorie sind die Marktteilnehmer niemals vollumfänglich über Nutzen und Kosten informiert und treffen daher objektiv betrachtet keine vernünftigen Entscheidungen.

Der Konsument denkt: Ein Schweineschnitzel für 2,50 € ist günstig, das kauf ich mir! Dabei sieht er nur das Verhältnis zwischen monetären Kosten in Höhe von 2,50 € und persönlichem Nutzen in Form von Fleischgenuss. Die externen Kosten wie z.B. das Leid des Tiers, der Landverbrauch durch Anbau von Futter, die Wasserverschmutzung durch Düngemittel, Pestizide, Gülle, etc. sieht und fühlt der Konsument nicht. Diese Effekte sind aber da! Irgendjemand trägt diese Kosten: Das Tier am eigenen Leib und wir Menschen in Form von einer sukzessiven Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlage. Würde man diese Art der Kosten mit einpreisen, müsste man für dieses Schnitzel nicht 2,50 € sondern 10 € oder vielleicht 20 € bezahlen. Dies würde einerseits dazu führen, dass viel weniger konsumiert und damit auch weniger Schaden angerichtet wird. Außerdem könnte das Geld aus dem Preisaufschlag dazu genutzt werden, die Schäden zu beheben. Der Weltpreis (wie er in Pantopia genannt wird) gilt dabei nicht nur für Umweltschäden sondern auch für gesellschaftliche Kosten, die oft übersehen werden: Auch für Güter, die durch Ausbeutung und unwürdige Arbeitsbedingungen entstehen, wird ein Aufpreis berechnet, der so hoch angesetzt ist, als würden die beteiligten Arbeiter*innen fair bezahlt. Mit dem Geld aus dem Aufpreis wird dann ein Bedingungsloses Grundeinkommen finanziert, das allen Menschen in ihrer jeweiligen Heimat ein würdiges Leben garantiert. So wird sukzessive alles Konsumieren auf globaler Ebene vernünftig und nachhaltig.

Literatopia: Bereits im Klappentext und im Prolog des Romans wird deutlich, dass Pantopia Wirklichkeit wird – wie hast Du trotz dieser Vorwegnahme Spannung in den Roman gebracht?

Theresa Hannig: Auch wenn viele Menschen sich eine bessere Welt wünschen – die wenigsten glauben daran, dass wir sie verwirklichen können. Zu tief sitzen das Misstrauen, der Zynismus und die negativen Erfahrungen, die wir bereits gemacht haben. Pantopia hat also von Anfang an gegen viele Widerstände zu kämpfen. Die Alte Welt lässt sich nicht so einfach umkrempeln. Es ist spannend zu verfolgen, wie die Weltrepublik trotz aller Widrigkeiten entstehen kann. Und am Ende des Tages sind meine Charaktere keine Heiligen und keine Superhelden. Sie sind ganz normale Leute, die mit ihrer Verantwortung und ihren Entscheidungen hadern.

Literatopia: Stell uns doch bitte die wichtigsten Figuren aus „Pantopia“ kurz vor. Was zeichnet sie aus? Und wie werden sie in die Ereignisse verwickelt?

Theresa Hannig: Patricia ist Mitte 20, Informatikerin, ehrgeizig und etwas nerdig. Sie kommt aus einfachen Verhältnissen. Es fällt ihr nicht leicht, mit Menschen Kontakte zu knüpfen. Sie würde sich gerne engagieren und andere Menschen gegen Ungerechtigkeiten verteidigen, ist aber im entscheidenden Moment oft schwach und/oder feige gewesen. Henry ist ihr ein uns alles. Sie vertraut ihm blind und hat seinetwegen eine lukrative und prestigeträchtige Stelle an er Uni sausen lassen. Als Technikerin würde sie am liebsten ewig an der KI herumbasteln. Dass Einbug und Henry Pantopia verwirklichen wollen, ist für sie zu allererst bedrohlich. Aber weil sie Henrys Instinkt vertraut, macht sie mit.

Henry ist Mitte 20 und der beste Informatiker seines Jahrgangs. Er ist schwul und musste seit seiner Kindheit unter der Anfeindungen seiner Mitschüler und Kommilitonen leiden. Er ist seinen Weg gegangen – auch weil Patricia ihm immer beigestanden ist – aber eine latente Wut auf die Gesellschaft und die herrschenden Ungerechtigkeiten spürt er immer. Das Erwachen von Einbug ist für Henry der Deus Ex Machina Moment, der sein Leben verändert.

Einbug ist eine benevolente Künstliche Intelligenz. Er (das Pronomen ist nur der Hörgewohnheit geschuldet: neudeutsch „der Bug“. Einbug selbst hat kein Gender) ist logisch, nüchtern und ohne Hintergedanken. Er entwickelt sein Bewusstsein aus der Textanalyse von Online-Content und Büchern. Und da sich die meisten Bücher mit Menschen beschäftigen, ist es schon bald sein Ziel, so viel wie möglich über „Mensch“ herauszufinden.

Tom ist Anfang zwanzig, kommt aus einem problematischen „wohlstandsverwahrlosten“ Haushalt und weiß nicht wohin mit sich. Sein Drogenkonsum und der Tod seiner Mutter haben ihn immer wieder aus der Bahn geworfen. Er würde gerne all den Erwartungen entsprechen, die sein Vater in ihn setzt, aber er schafft es nicht. Anstatt sich seinen Problemen zu stellen, flieht er nach Pantopia, wo er schon bald mehr Verantwortung erhält, als er zu träumen gewagt hätte.

Angelika ist Ende vierzig und arbeitet in der Abteilung Cybercrime des BKA. Sie hat einen guten Riecher für krumme Dinger und ahnt von Anfang an, dass an dem Programm von Henry und Patricia mehr dran ist als die meisten glauben. Sie hat sich ihren Platz in der Polizei hart erarbeitet. Sie weiß, dass man im Leben nichts geschenkt bekommt und niemand einfach so Geld verteilt. Deshalb ist sie sich sicher, dass auch hinter Pantopia ein düsteres Geheimnis steckt. Sie will den deutschen Staat und die Welt vor dieser vermeintlich schlimmen Wahrheit beschützen.

Literatopia: In „Pantopia“ benutzt Du das generische Femininum – wie verlief der Entscheidungsprozess zwischen generischem Maskulinum, generischem Femininum und neutralen Formen?

Theresa Hannig: Der Roman ist nicht im generischen Femininum geschrieben. Ich bemühe mich um eine möglichst präzise und verständliche Sprache. Das bedeutet auch, dass ich das generische Maskulinum verwende, wo es der Geschichte dient.

Literatopia: Im Nachwort von „Pantopia“ erzählst Du von einer Inspirationsquelle zu Einbug. Könntest Du ein bisschen mehr darüber erzählen, was Dich am Thema KI reizt? Welche Bücher/Filme kannst Du zu dem Thema empfehlen?

Theresa Hannig: Im Grunde ist die Beschäftigung mit dem Thema starke KI immer eine Beschäftigung mit der Frage, wie wir als Menschen miteinander umgehen und welche Maßstäbe wir für unser Verhalten und das der anderen ansetzen. Da eine starke KI einerseits so menschlich, andererseits so fremd ist, lassen sich an ihr sehr gut Vorurteile und Ungerechtigkeiten aufzeigen, sowie vermeintliche Wahrheiten widerlegen. Ich mag das sehr! Zur Bedeutung der Algorithmenethik kann ich das Buch „Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl“ von Prof. Dr. Katharina Zweig empfehlen. Dort geht es nicht um starke KIs, sondern darum wie wichtig es ist, als Gesellschaft an der Entwicklung von KIs mitzuwirken. Außerdem hat mich der Vortrag von Dr. Joscha Bach zum Thema Bewusstsein sehr beeindruckt. Das Video hat mich auf die Idee gebracht, wie Einbug sich entwickeln könnte.

Literatopia: „Pantopia“ ist bereits Dein vierter Roman – hat sich Deine Herangehensweise an Schreibprojekte im Verlauf der Zeit geändert?

Theresa Hannig: Ich kann das nicht verallgemeinern. Jedes Mal nach Fertigstellung eines Romans fühlt es sich nahezu unmöglich an, ein neues Buch zu schreiben. Der Aufwand, die Anmaßung, der Druck! Aber dann gibt es doch immer wieder ein Thema, das mich so interessiert und bewegt, dass ich nicht anders kann, als darüber zu schreiben. Bei „Pantopia“ war es besonders tricky, weil ich mittlerweile zwar einen sehr großen Fokus auf die Charakterzeichnung meiner Figuren setze, in diesem speziellen Fall aber Setting und Idee vor den Figuren parat hatte und nicht wusste, wer die Story erzählen sollte. Glücklicherweise habe ich aber seit dem zweiten Roman eine brillante Partnerin an meiner Seite. Meine Dramaturgin Christina Schmiedel stellt nicht nur meine Lesungen zusammen, sondern unterstützt mich auch bei der Figurenzeichnung. Das ist ein großartiger kreativer Prozess, den ich nicht mehr missen möchte!

Literatopia: Mit „König und Meister“ ist letztes Jahr ein Mystery-Thriller von Dir erschienen, der in der bayrischen Provinz spielt. Warum hast Du Dich für ein dörfliches Setting entschieden?

Theresa Hannig: Es fühlt sich nicht so an, als ob ich mich für ein Setting entschieden hätte... Die Geschichte war da, sie wollte erzählt werden und ich habe sie aufgeschrieben. Der Roman spielt in meiner Heimat, in der Umgebung, in der ich aufgewachsen bin. In der Bayerischen Provinz gibt es eine Menge unheimlicher Vorfälle. Vielleicht werde ich zu einem späteren Zeitpunkt noch mehr darüber erzählen...

Literatopia: In „König und Meister“ geht es unter anderem um dunkle Familiengeheimnisse. Wann wird Deiner Protagonistin Ada König klar, dass ihr Vater etwas zu verbergen hat? Und wie geht sie damit um?

Theresa Hannig: Die Mitglieder der Familie König – Ada, ihr Vater und ihre Mutter - sind einerseits sehr eng verbunden, andererseits haben sie den Kontakt zueinander verloren und sind in den Bildern und Gefühlen verhaftet, die sich zu bestimmten Zeiten in ihrem Leben gebildet haben. Ada dachte, dass sie ihren Vater sehr gut kennt, muss dann aber feststellen, dass man Menschen eigentlich nie wirklich kennen kann. Nicht einmal die eigenen Eltern. Dieser Prozess ist für sie sehr schmerzhaft aber am Ende auch sehr heilsam.

Literatopia: Du hast das Projekt #fantastischeFRAUEN ins Leben gerufen, das sich der Frage widmet, welchen Anteil Autorinnen in der deutschsprachigen Science Fiction und Fantasy haben. Hast Du ein Zwischenergebnis für uns?

Theresa Hannig: Das Zwischenergebnis lautet: Etwa ¼ der deutschsprachigen Science-Fiction Autor*innen sind Frauen. Das ist zwar immer noch eine Minderheit, aber dennoch eine bedeutende Anzahl. Ich würde es begrüßen, wenn der Science-Fiction-Literatur von Frauen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, weil sie andere Perspektiven, andere Geschichten und auch andere Lösungen aufzeigt als althergebrachte Erzählungen.

Literatopia: Seit mehreren Jahren engagierst Du Dich auch für mehr Sichtbarkeit von Frauen in Wikipedia. Welche Entwicklungen hat es da in jüngerer Zeit gegeben?

Theresa Hannig: Die Wikipedia ist – für Internetverhältnisse – eine ziemliche alte Institution. Letztes Jahr wurde das 20-jährige Bestehen gefeiert. Dementsprechend existieren in der Wikipedia ähnliche Strukturen und Probleme wie im Rest der Gesellschaft. Es gibt einen sehr hohen Männeranteil von ca. 90% und Frauen haben es oft nicht leicht. Aber es gibt auch eine Menge sehr aufgeschlossene Mitglieder der Community und es gibt Veranstaltungen, Initiativen und Netzwerke, in denen Frauen sich engagieren und wichtige Themen voranbringen können. Ich kann das Femnetz sehr empfehlen. Dort können sich Wikipedia-Frauen treffen, gemeinsame Projekte voranbringen und sich gegenseitig unterstützen. Außerdem gibt es einen neuen Verhaltenscodex, der das Miteinander fördern und toxisches Verhalten unterbinden soll. Ich bin sehr hoffnungsvoll, was die Zukunft der Wikipedia betrifft. Und hier gilt ganz besonders: Wer etwas verändern will, muss mitmachen!

Literatopia: Würdest Du uns abschließend noch verraten, wie es bei Dir weitergeht? Woran arbeitest Du gerade?

Theresa Hannig: Die Arbeit an Pantopia während der Corona-Zeit hat mir ziemlich viel abverlangt. Im Augenblick gibt es noch kein großes neues Projekt, aber ich habe schon wieder ein paar Ideen, die auf kleiner Flamme köcheln und wer weiß, vielleicht wird eine Große daraus. Im Oktober kommt auf jeden Fall die schon zwei Mal verschobene Uraufführung von „König und Meister“ ins Theater. Und dann sehen wir weiter. Zu tun habe ich genug. Ihr werdet auf jeden Fall von mir hören.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!


Autorenfoto: Copyright by Theresa Hannig

https://theresahannig.de

Interview mit Theresa Hannig (2019)

Rezension zu "Pantopia"

Rezension zu "König und Meister"

Rezension zu "Die Optimierer"


Dieses Interview wurde von Swantje Niemann und Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.