Mit mir die Nacht (Michaela Kastel)

kastel mitmirdienacht

Emons, 2021
Gebunden, 288 Seiten
€ 20,00 [D] | € 20,60 [A] | CHF 31,90
ISBN 978-3-7408-1255-3

Genre: Thriller


Rezension

Mit mir die Nacht ist die Fortsetzung und der Abschluss von Ich bin der Sturm. Anja (Madonna) will sich an ihrem Vater, der ihre Mutter ermordet hat und Direktor des „Instituts“/“Schlachthauses“ ist, in dem sie mit anderen Frauen und Mädchen jahrelang gefangen gehalten, missbraucht und gefoltert wurde, rächen. Sie wohnt zusammen mit Moonlight, die ihr die Schuld am Tod ihres Bruders gibt und sie hasst. Der Polizist auf der Suche nach seiner Schwester, die er aus den Fängen der Organisation befreien will, ist weiterhin Anjas Verbündeter.

Der Rumäne Viktor Juskowiak, ein Angestellter der Reinigungsfirma, die im Institut geputzt hat, liefert nach anfänglichem Zögern wichtige Hinweise. Das zweite Institut, in welches die Organisation umgezogen ist, liegt rund tausend Kilometer entfernt im Ausland, ein Schloss im Gebirge. Anjas Vater ist krank, die Leitung des Instituts obliegt einer Frau, die sich Mistress nennt und aus dem ersten Band bekannt ist. Ihr bester Mann, Profikiller Jaxx, soll Anja finden. Im Tausch darf er, so Mistress, mit der Gefangenen Fairy, die er liebt, die Organisation verlassen. Aber auch Beck, der Betreiber des Bordells Venushügel, ist auf der Suche nach Anja. Er will sie qualvoll töten, weil sie sein Gesicht entstellt hat.

In Ich bin der Sturm entkommt Anja nach Jahren der Gefangenschaft, der Misshandlungen, Folter, des sexuellen Missbrauchs ihren Peinigern mit Unterstützung eines der Täter, der sich in sie verliebt hat. Die Handlungsdynamik in Mit mir die Nacht wird einmal getrieben durch den Killer Jaxx, der sich in eines der Opfer verliebt hat und im Tausch für sie Anja herbeischaffen soll. Anja kommt dies auf ihrem Weg der Rache entgegen. Beide gegenläufigen Wege werden im Verlauf der Erzählung zusammengeführt, wodurch sich noch einmal dynamische Steigerungen ergeben.

Mit mir die Nacht ist wie Ich bin der Sturm in drei Akte strukturiert. Während die Überschriften des ersten Buchs eindeutige religiöse Bezüge aufweisen, geben in Mit mir die Nacht lateinische Begriffe - Ante Bellum, Dies Irae und Ad Astra – die Tendenz der drei Akte vor. Ich bin der Sturm zieht seine Spannung weitgehend daraus, dass wir Anjas Informationsstand nicht überschreiten, dass Perspektive und Einschätzungen durch die Protagonistin vorgegeben sind. Mit mir die Nacht dagegen arbeitet mit zwei Erzählperspektiven, drei Handlungsfeldern und ein paar Zeitsprüngen zwischen Minuten und Wochen. Der Roman beginnt mit der Vorwegnahme der Schlussszene, die wir mit signifikanten Änderungen am Ende noch einmal lesen. In diesen Änderungen wird ein unmittelbarer Zusammenhang hergestellt zum Titel des dritten Teils: Ad Astra.

Nachdem das erste Folterhaus für Mädchen nicht mehr existiert, erwartet uns im zweiten Buch ein weiteres, das leicht veränderten Regeln folgt und die perverse und zahlungskräftige männliche Kundschaft mit einigen speziellen Events „erfreut“. In diesem (zweiten) Institut können die Täter Vergewaltigungen und Folter als Instrument intensiver ausleben. Sie können länger bleiben, weil die Anlage zugleich ein Hotel ist, mit Übernachtungsmöglichkeiten, Vollverpflegung und Spa-Bereich. Es gibt auch eine Schauraum, in dem andere Kunden dem Grauen zusehen können.

Anjas Rachefeldzug folgt einer Uhrwerk-Mechanik. Gelegentliche Probleme erfordern hier Nachjustierungen. So geht Moonlight, eine wichtige Nebenfigur aus dem ersten Band, ihren eigenen zerstörerischen Weg und beeinflusst durch ihr Handeln die Pfade von Jaxx und Anja. Da sich während der Lektüre jede Menge Erinnerungen an den ersten Band einstellen, ist es schwer zu sagen, ob der zweite Band für sich gelesen werden kann. Aber warum sollte er auch? Die Autorin erzählt in kurzen Kapiteln und Sätzen, leicht lesbar, konsequent fokussiert, mit einem breiten Spektrum an Emotionen, die sich beim Lesen auf uns übertragen können. Die Handlung liefert einiges an Gewalt und Todesfällen, frei von spekulativen Momenten. Kastel lässt mit knappen Worten intensive Bilder entstehen. Wir tauchen tief in die Gefühlswelt von Anja, Moonlight und Jaxx ein, ohne dass sie ein echtes Gesicht bekämen. Jaxx ist der einzige Mann im Roman, der nicht nur im Anriss entwickelt ist.

Interessant ist an beiden Büchern, wie die Autorin die Beziehungen zwischen Tätern und Opfern adressiert, reine Missbrauchsbeziehungen, als Liebe ausgegebene Verbindungen, Beziehungen zwischen Vater und Tochter sowie Ersatztochter, der mit Gewalt über einen längeren Zeitraum der Name und die Individualität abtrainiert werden, mit schlussendlicher Transformation in eine andere Persona. Für das Opfer erweist sich das über einen langen Zeitraum angelegte Handeln des Täters als eine weitere Form der Ausübung von Macht und Kontrolle. Ihr Hass wächst, sie will Rache an ihrem Peiniger und Anja. Die Mädchen und Frauen im Institut interessieren sie nicht weiter.


Fazit

Mit mir die Nacht setzt Michaela Kastels Thriller Ich bin der Sturm fort bis zum konsequenten Ende. Eine Rachegeschichte, effektiv erzählt, in Momenten comichaft überzeichnet. Das Motiv vom Blick in den Abgrund und seinen Folgen wird besonders intensiv behandelt.


Pro und Kontra

+ kurze, gut rhythmisierte Erzählung
+ keine spekulativen Szenen

Wertung:sterne4

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5


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