Alien Love (Corinna Griesbach)

alien love griesbach

p. machinery (März 2022)
Reihe: AndroSF 151

Taschenbuch, 108 Seiten, 11,90 EUR
ISBN: 978-3957652775

Genre: Science Fiction


Klappentext

In diesem Band sind Kurzgeschichten versammelt, in denen reale Bedrohungen und mögliche Chancen unserer Zeit Wirklichkeit werden: Raumfahrt, Begegnung mit anderen intelligenten Spezies, die Ausbeutung und das besenreine Verlassen unserer Welt werden zu denkbarer Fiktion. Maschinenwesen erfüllen ihren Auftrag, Familie bekommt eine neue Bedeutung und die Liebe bleibt vielleicht, was sie immer schon war: bedingungslos. Am Ende des Buches tritt ein Held auf, der aus einem Stapel von Endzeit-DVDs hervorgekrochen ist, der im Fernsehzimmer der Autorin hinter einer gefräßigen Monstera dahinstaubt. Nehmen Sie den Helden bitte nicht zu ernst!


Rezension

Einen passenden Titel für eine Kurzgeschichtensammlung zu finden, ist nicht leicht, soll er doch eine Vielzahl thematisch unterschiedlicher Werke repräsentieren. Gerne wird darauf ausgewichen, den Titel einer der enthaltenen Geschichten zu verwenden, in diesem Fall „Alien Love“. Wer nun erwartet, dass alle oder zumindest die meisten hier versammelten Kurzgeschichten von Außerirdischen und Liebe (und/oder Sex) handeln, wird enttäuscht sein. Ein paar Außerirdische trifft man hier durchaus, allerdings überwiegen unheilvolle Zukunftsszenarien für unseren Heimatplaneten und Liebe findet für die meisten Figuren nur in der Erinnerung statt. Dafür bietet „Alien Love“ dreizehn thematisch sehr unterschiedliche SF-Stories, die menschliche Emotionen und Reaktionen, Stärken und vor allem Schwächen in den Vordergrund stellen. Dabei überzeugen vor allem die etwas längeren Texte – auf die drei besten soll hier näher eingegangen werden:

„Das Ende der Welt“ besteht aus einer ungünstigen Kombination eines heftigen Sonnensturms und einer nuklearen Katastrophe. Für die Welt ist dies auch nicht das Ende, wohl aber für die Menschen, die versuchen, aus dem betroffenen Gebiet herauszukommen. Hier trifft die Protagonistin ausgerechnet auf ihre Jugendliebe J., mit dem (und einem weiteren Mann) sie sich fortan ein Hotelzimmer teilt. Dort scheinen sie vorerst sicher zu sein, zumindest solange die Vorräte noch reichen. Corinna Griesbach beschreibt eindrücklich, wie sich die Menschen im Angesicht der Katastrophe verhalten, wie sich Routine einstellt und das Unvorstellbare Normalität und Gewissheit wird. Verwoben mit der ganz persönlichen Tragödie der Protagonistin entsteht so eine leise, beklemmende und dennoch ungemein spannende Geschichte, die auch zeigt, wie schnell die nächste Reaktorkatastrophe da sein kann.

„Im Kelch“ ist die einzige Geschichte, die auf einem fremden Planeten spielt (davon hätte man sich nach diesem Highlight mehr gewünscht). Menschen wollen eine neue Welt besiedeln und erforschen die fremdartige Flora und Fauna, wobei letztere den Wissenschaftler*innen nicht viel bietet. Spannender ist eine Alien-Malve, die in ihren Früchten Insektenlarven einschließt, welche sie später zur Bestäubung braucht. Die Protagonistin ist fasziniert von der Malve und missachtet Regeln, die Menschen und Alienflora schützen sollen. Und sie ist nicht die einzige, die die Geduld verliert. Die Autorin erschafft hier auf wenigen Seiten eine ganze Welt – ein botanisches, tückisches Paradies. Die Siedler*innen halten sich zunächst an ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse, doch letztlich entscheiden Emotionen wie Neugier und die Sehnsucht, nicht weiter in einer künstlichen Umgebung zu leben, über den Verlauf der Besiedlung.

„Die Schönheit der Selene Stenophylla“ zeigt eine Zukunft, in der die Fridays-for-Future-Generation alt ist. Der Klimawandel hat die Welt verändert und Luise und Bertram weihen ihr Null-Energie-Haus ein. In dessen Keller lassen sich die Früchte von Bertrams wissenschaftlicher Arbeit bestaunen: Exemplare der Selene stenophylla, eine eigentlich ausgestorbene Nelkenart, die aus prähistorischen Samen gezogen wurde. Die Einweihungsparty wird von einem Brief der Firma Cryonics überschattet. Zunächst lachen Luise und Bertram noch über die Cryokonservierung, doch das Schreiben weckt einen Geist aus der Vergangenheit und die Fassade ihrer Beziehung bröckelt. Erstaunlich, was Corinna Griesbach in dieser Kurzgeschichte alles unterbringt: Eine eindrucksvolle Skizze der vom Klimawandel veränderten Welt, die Eiszeitblume Selene stenophylla, die es übrigens wirklich gibt, Cryotechnik und vor allem zwei ganze Leben samt gescheiterten Träumen und gescheiterter Liebe.

Neben diesen drei sehr gelungenen Texten finden sich weitere spannende Szenarien, die die Autorin mal mehr, mal weniger detailreich ausgestaltet. In der titelgebenden Geschichte „Alien Love“ wird das dystopische Setting nur knapp umrissen, auch von der Protagonistin, die auf der Anklagebank sitzt wegen doppeltem Mord (an ihrem ungeborenen Kind, das sie abgetrieben hat, und an ihrem außerirdischen Mann, den sie beim Sex getötet hat), erfährt man wenig. Die kurze Szene ist umso verstörender, da die Frau ohnehin vorverurteilt scheint. Neben „Alien Love“ handeln vier weitere Geschichten von weiblichen Schicksalen in SF-Szenarien: Eine alte Frau will ihr Wissen an ein junges Mädchen weitergeben, ein Androidendienstmädchen wird ausgebeutet und missbraucht und eine Frau scheitert an der Bürokratie, die darauf besteht, dass auch die Spenderin des Embroys, der sie einmal war, ihre Mutter sei. Um Mutterschaft geht es auch in „Maria II“, wo die Protagonistin, nachdem sie vier Kinder für die Gesellschaft geboren hat, ein fünftes KI-Kind bekommt, das sie behalten darf. Frauenschicksale und insbesondere Mutterschaft werden in der SF oft stiefmütterlich behandelt, umso eindrücklicher sind die skizzenhaften Szenen, in denen Frauen Diskriminierung und Ausbeutung erfahren. Schade, dass auch die Zukunft von Misogynie geprägt ist. Zwar hält Corinna Griesbach ihren Leser*innen einen Spiegel der Gegenwart vor, dennoch wären ein oder zwei Utopien schön gewesen (ähnlich wie „Im Kelch“).

Die restlichen fünf Geschichten sind thematisch höchst unterschiedlich: In „Am Anfang war der Dampf“ trifft die katholische Kirche auf Steampunk – eine Kombination, die in der Kürze wenig überzeugt. In „Emergency Alert“ lernen sich Nachbarn durch einen Bombenalarm besser kennen, wobei Generationen aufeinanderprallen und deutlich wird, wie schnell die Welt aus den Fugen gerissen werden kann. In „Sarkophag“ räumt die Menschheit in ferner Zukunft die Erde auf, während in „Yosemite“ der Kapitalismus selbst vor Wasser und Luft nicht Halt macht. Hier erleben wir zwei unsympathische, irrsinnig reiche Konzernmenschen, Vater und Tochter, die in einer völlig anderen, ganz auf Gewinnmaximierung und Perfektionierung ausgerichteten Welt existieren. In „Simons letzte Losung“ dampft die Scheiße sprichwörtlich, als gigantische stinkende Haufen überall in Deutschland auftauchen. Am Ende wartet ein Cliffhanger – mal sehen, ob wirklich eine Fortsetzung erscheint. Wie im Klappentext angekündigt, sollte man den Helden dieser Geschichte sowie den Text selbst nicht allzu ernst nehmen. Ob man hier lacht oder mit den Augen rollt, hängt vom persönlichen Geschmack ab.


Fazit

In „Alien Love“ bietet Corinna Griesbach dreizehn thematisch sehr unterschiedliche, überwiegend gute bis sehr gute SF-Geschichten mit einem Schwerpunkt auf dystopischen Szenarien und weiblichen Figuren. Gekonnt verwebt sie SF-Elemente mit individuellen Schicksalen, entwirft faszinierende Skizzen aus der Zukunft und schafft Raum für eigene Gedanken und Gesellschaftskritik.


Pro und Contra

+ thematisch sehr abwechslungsreich
+ überwiegend gute und sehr gute Geschichten
+ bewegende Frauenschicksale in SF-Szenarien
+ „Das Ende der Welt“, „Im Kelch“ und „Die Schönheit der Selene Stenophylla“
+ facettenreiche, menschliche Figuren
+ viele Geschichten laden zum mehrmaligen Lesen ein

- in den kürzeren Geschichten oft zu wenig Hintergrund
- das eine oder andere Klischee

Wertungsterne4

Geschichten: 4/5
Auswahl: 4/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5

Tags: SF-Autorinnen, AndroSF, deutschsprachige SF, Corinna Griesbach, Aliens , Kurzgeschichten