Rho (E. S. Schmidt)

Plan 9 (März 2022)
Taschenbuch, 324 Seiten, 15,00 EUR
ISBN: 978-3948700393

Genre: Science Fiction


Klappentext

Ist unsere Zivilisation wirklich die überlegen?

Der Exoplanet Deuteragäa - zweite Erde. Hier haben die Menschen eine Zivilisation aufgebaut, die von mächtigen Konzernen geleitet wird und auf dem Prinzip des Wettbewerbs basiert.

Nach einem Angriff der Mantis, wolfsgroßer Rieseninsekten, strandet die Journalistin Moira mit dem Konzernsoldaten Rho in der Wüste. Zunächst ist ihr Ziel nur, zu Überleben, doch dann wirft das, was sie in der Wüste findet, viele Fragen auf. Wozu trainiert ein Konzern Soldaten? Wieso haben die Mantis begonnen, die Menschen anzugreifen? Und ist die Gemeinschaft der kollektiv agierenden Insekten wohlmöglich die Überlegene?


Rezension

Der Exoplanet Deuteragäa wird seit einhundert Jahren von Menschen besiedelt. Ein Überleben ist nur in der Dämmerungszone möglich, denn die zweite Erde rotiert nicht und während es auf der einen Seite dunkel und eiskalt ist, verbrennt man auf der anderen. Die einheimischen Mantis, riesige Insekten, leben weit draußen in der Wüste auf der Tagseite, und sind den Menschen lange aus dem Weg gegangen. Doch seit einigen Jahren greifen sie Siedlungen an. Wissenschaftsjournalistin Moira nimmt die Berichte über die Angriffe mit Sorge zu Kenntnis, konzentriert sich jedoch zunächst auf ihre eigene Story über Organtransplantationen. Die Lebensbedingungen auf Deuteragäa erlauben den Menschen zwar ein Überleben, doch es haben sich diverse Krankheiten eingeschlichen, denen man nur mit dem Tausch der betroffenen Organe Einhalt gebieten kann. Bisher waren frische Organe Mangelware, doch nun werden immer mehr Transplantationen durchgeführt. Moira ahnt nicht, dass ihre Story indirekt mit den Angriffen der Mantis zusammenhängt…

Esther S. Schmidt hat mit Deuteragäa eine zukünftige Welt zwischen Utopie und Dystopie geschaffen: Wie im Cyberpunk wird der Planet von großen Konzernen dominiert, die ihre Arbeiterschaft in mehr oder weniger luxuriösen Villages unterbringen, die viel Platz und Grün bieten und in denen für alles gesorgt ist. Die meisten anderen leben in überbevölkerten Stadtteilen und teilen sich nicht nur ihre Wohnungen, sondern auch ihre Betten, in denen abwechselnd geschlafen wird. Es gibt zwar keinen Tag-Nacht-Rhythmus auf Deuteragäa, doch die Menschen haben einen 24-Stunden-Rhythmus beibehalten, der in drei Phasen zu je acht Stunden eingeteilt ist. Auch wenn sich die Menschheit weiterhin im Kapitalismus aufreibt, ist die zukünftige Gesellschaft offen, tolerant und divers. Selbstbestimmung scheint selbstverständlich – allerdings nicht für alle.

Moira könnte eigentlich für MediCare arbeiten und die Annehmlichkeiten der Konzernwelt genießen, doch sie schlägt sich lieber selbstständig als Journalistin durch. Ihre Unabhängigkeit hat ihren Preis, doch diesen zahlt sie gern. Wegen Dreharbeiten für ihre Story ist sie zufällig vor Ort, als die Stadt von Mantis angegriffen wird. Moira wird von Soldaten gerettet, die es auf Deuteragäa eigentlich gar nicht geben sollte. Mit einem von ihnen strandet sie in der Wüste und überlebt dank dessen eiserner Disziplin. Rho ist wortkarg, doch er scheint genau zu wissen, was er tut und sichert ihr Überleben. Im Umgang mit Menschen tut er sich jedoch schwer und Moira erkennt, dass Rhos einziger Daseinszweck der Kampf gegen die Mantis ist. Zwischen den beiden entwickelt sich eine fragile Beziehung, in der es viele Missverständnisse gibt, da Rho nicht als freier Bürger aufgewachsen ist und sich in der Gesellschaft erst zurechtfinden muss. Doch auch Moira lernt so einiges von Rho.

Die Mantis sind als Rieseninsekten ähnlich wie Bienen oder Ameisen in Staaten organisiert. Früh wird deutlich, dass die Menschen die Angriffe provoziert haben bzw. ein Konzern dahintersteckt, der Ressourcen ausbeutet und für die Gewinnmaximierung über Leichen geht. Der CEO dieses Konzerns wird Moiras Gegenspieler und ist recht klischeehaft und eindimensional geraten: Kaputte Familie mit machtbesessenem Vater und eine größenwahnsinnige Vision der Zukunft Deuteragäas, in der individuelle Schicksale unbedeutend, gar lästig sind. Interessanter ist Draq Queen Judith, Moiras Agentin, die sie und Rho mit Wort und Tat unterstützt und ein wenig Glitzer und Glamour in die actionreiche Military SF bringt.

Leider erfährt man über die Mantis nur wenig, auch nicht, als es gelingt, sich mit einem gefangenen Tier zu verständigen. Esther S. Schmidt hat zwar einige spannende Ideen für die Rieseninsekten, führt sie aber nicht weiter aus. Die Wissenschaftler*innen erscheinen zudem erstaunlich inkompetent und reagieren überrascht auf das, was Moira und vor allem Rho über die Mantis herausfinden. Es ist schwer zu glauben, dass die Menschen in der Zukunft in der Lage sind, einen fernen Planeten zu besiedeln, aber in der Biologie im 20. Jahrhundert stecken geblieben sind. Selbst heute gesteht man Tieren mehr Fähigkeiten zu, als den Mantis zunächst zugestanden werden, und so irritiert die Ignoranz auf Deuteragäa.

Dass die Mantis insgesamt zu kurz kommen, liegt vor allem daran, dass die Handlung thematisch recht überladen ist. Auf wenigen Seiten wird eine komplexe zukünftige Gesellschaft skizziert, hinzu kommt eine intelligente Alienspezies und in der zweiten Romanhälfte das Thema Klonen inklusive ethischer Konflikte. Auch hier hätte man sich wie bei den Mantis mehr Hintergrund und Tiefe gewünscht, was in der Kürze des Buches nicht machbar war. Die Autorin konzentriert sich auf ihre Protagonist*innen und führt alle Handlungsfäden zu einem Finale zusammen, das wenig überrascht, aber durchaus zufrieden stimmt.


Fazit

„Rho“ ist unterhaltsame Military SF mit einem atmosphärischen Wüstensetting auf einem Exoplaneten, auf dem cyberpunkmäßig Konzerne regieren. Esther S. Schmidt reißt eine Vielzahl spannender Themen an, geht jedoch selten in die Tiefe, sondern konzentriert sich auf Protagonistin Moira und deren Entdeckungen. „Rho“ hat seine Schwächen, bietet insgesamt jedoch eine gute Mischung aus Action, Emotionen und moralischen Fragestellungen.


Pro und Contra

+ stimmungsvolle Military SF mit Wüstensetting
+ die physikalischen Besonderheiten Deuteragäas
+ originelle Ideen bezüglich der Mantis
+ Moira und Rho harmonieren in ihrer Unterschiedlichkeit gut
+ Drag Queen Judith
+ guter Mix aus Action, Emotionen und Moral
+ tolles Cover

- man erfährt zu wenig über die Mantis
- eindimensionaler Antagonist mit Größenwahn
- Wissenschaftler*innen erscheinen erstaunlich inkompetent

Wertungsterne4

Handlung: 3/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5


Interview mit Esther S. Schmidt (2021)

Tags: SF-Autorinnen, queere Figuren, Military-SF, deutschsprachige SF, Esther S. Schmidt, Aliens