At Night All Blood Is Black (David Diop)

Pushkin Press (Mai 2021)
Originaltitel: Frère d'âme
Übersetzerin: Anna Moschovakis
Paperback
145 Seiten, ca. 10,62 EUR
ISBN: 978-1782277538

Genre: Historischer Roman, Literary Fiction


Klappentext

Alfa and Mademba are two of the many Senegalese soldiers fighting in the Great War. Together they climb dutifully out of their trenches to attack France's German enemies whenever the whistle blows, until Mademba is wounded, and dies in a shell hole with his belly torn open.

Without his more-than-brother, Alfa is alone and lost amidst the savagery of the conflict. He devotes himself to the war, to violence and death, but soon begins to frighten even his own comrades in arms. How far will Alfa go to make amends to his dead friend?

At Night All Blood is Black is a hypnotic, heartbreaking rendering of a mind hurtling towards madness.


Rezension

David Diops Roman „At Night All Blood Is Black” wurde aus dem Französischen übersetzt und hat 2021 den International Booker Price gewonnen. Auf Deutsch ist das Buch als „Nachts ist unser Blut schwarz“ in einer Übersetzung von Andreas Jandl erschienen.

„At Night All Blood Is Black” ist in der ersten Person als der Bewusstseinsstrom des jungen senegalesischen Soldaten Alfa Ndiaye erzählt. Alfa kämpft als einer von vielen Schwarzen Soldaten aus französischen Kolonien im ersten Weltkrieg, von seinen Offizieren angehalten, den Gegnern die „Wildheit“ vorzuspielen, die sie von ihm erwarten. Als sein bester Freund, Mademba, tödlich verletzt wird, aber erst Stunden später stirbt, macht sich Alfa Vorwürfe, ihn zu riskantem Verhalten angestachelt und es dann nicht über sich gebracht zu haben, ihn zu töten und ihm damit mehr Leid zu ersparen. Fortan schleicht er sich immer wieder ins Niemandsland und kommt mit dem Gewehr und der abgetrennten Hand eines gegnerischen Soldaten zurück, spielt wieder und wieder den Tod seines Freundes nach.

Wiederholungen durchziehen nicht nur Alfas Handlungen, sondern auch seine Erzählweise – bestimmte Redensarten, aber auch Ereignisse, auf die er immer wieder zurückverweist, tauchen wieder und wieder auf. Allerdings kommt mit jeder Schleife, die Alfas Erzählung zieht, etwas Neues hinzu – ein Einblick darin, was er in der Gegenwart tut oder eine Information über seine Vergangenheit vor dem Krieg. Viele Formulierungen sind sehr einprägsam und die Erzählung webt eine eindringliche, spannungsvolle Atmosphäre.

Während Alfa zunächst für seine tollkühnen Handlungen bewundert wird, kippt die Stimmung ziemlich genau mit der vierten abgetrennten Hand, die er mitbringt. Die Soldaten mit einem ähnlichen kulturellen Hintergrund wie seinem halten ihn für einen bösen Zauberer, sein Offizier wirft ihm vor, die Illusion eines „zivilisierten Krieges“ zu zerstören.

Alfa wird nach Frankreich gebracht, wo er psychologisch behandelt wird, aber die Realität entgleitet ihm hier noch mehr. Was bis zum Ende nicht ganz klar wird, ist die Erzählsituation, und je weiter des Buch fortschreitet, desto desorientierender wird es. Schließlich zerfasert der kurze Roman in mehrere verwirrende, mehrdeutige Szenen, die mehrere Interpretationen zulassen und auch den einen oder anderen metafiktionalen Hinweis darüber enthalten, was einem die Geschichte verraten oder auch nicht verraten könnte. Ich habe eine Interpretation des Endes, aber kann mir vorstellen, dass andere Lesende es anders gedeutet haben. Tatsächlich denke ich, dass es durchaus möglich gewesen wäre, bestimmte Aspekte des Endes ein wenig klarer zu gestalten, ohne Interpretationsspielräume allzu sehr einzuschränken.

Alfa ist ein unzuverlässiger Erzähler mit einer einprägsamen Stimme, der stolz darauf ist, die Mauern, die Traditionen und Regeln um seine Gedanken erbaut haben, eingerissen haben, aber sich dann wiederum in seinen eigenen Illusionen verliert. Dass er oft sehr wohlwollend und sogar mitfühlend über andere Figuren nachdenkt, steht in markantem Kontrast zu seinen Handlungen. Mit seinen etwa 140 Seiten in großer Schrift ist „At Night All Blood Is Black“ ein sehr kurzer Roman, der einerseits viel wiederholt, aber andererseits auch bewusst sehr viele Lücken lässt, die Lesende mit ihren eigenen Interpretationen füllen müssen. Ein kurzer Blick in andere Rezensionen zeigt, dass der Stil recht polarisierend ist. In jedem Fall ist der Roman auch deshalb lesenswert, weil er den Blick auf die in Literatur und Filmen über den Ersten Weltkrieg vergleichsweise selten repräsentierte Beteiligung Schwarzer Soldaten lenkt und bei aller Kürze eine Vielzahl von Themen wie Traumata, Kolonialismus, die Wirkung von Fiktion und Übersetzungen und viele mehr berührt.


Fazit

„At Night All Blood Is Black” ist ein kurzer, aber sehr einprägsamer Roman über einen jungen senegalesischen Soldaten im Ersten Weltkrieg, rückt also die Erfahrung eines der Menschen in den Mittelpunkt, die in vielen medialen Repräsentationen des Krieges nicht auftauchen. Gerade zum Ende hin wird die oft verstörende, in der ersten Person erzählte Geschichte sehr verwirrend und mehrdeutig. Insgesamt handelt es sich um ein nicht immer einfach zu lesendes, aber sehr lesenswertes Buch, das sich nicht einfach passiv konsumieren lässt, sondern stark zum Nachdenken und Interpretieren einlädt.


Pro und Contra

+ Lenkt Blick auf seltener beachtete Geschichte Schwarzer Soldaten im Ersten Weltkrieg
+ Starke, einprägsame Erzählstimme
+ Regt zum Interpretieren und Nachdenken an

o (wenig überraschend) sehr brutal
o polarisierender Erzählstil (viele Wiederholungen, keine klassische Struktur mit Konflikten und Lösungen)

- das Ende liest sich etwas zu desorientierend

Wertung: 

Handlung: 3,5/5
Figuren: 4,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis-Leistung: 3/5

Tags: Schwarze Autor*innen, David Diop