Titans Kinder - Eine Space-Utopie (Aiki Mira)

p. machinery (Juni 2022)
Taschenbuch, 196 Seiten, 14,90 EUR
ISBN 978 3 95765 294 2

Genre: Science Fiction / Space Opera


Klappentext

Ist nicht jede Reise ein kleiner Selbstmord? Egal wohin wir gehen, wir kommen nie als dieselbe Person zurück. (Titans Kinder)

Verbunden in Space-Symbiose bilden Marlon, Rain und Sunita das perfekte Team – im All und auf fremden Planeten. Was als gewöhnliche Marsmission beginnt, wird für die drei zur Reise ins Ungewisse. Eine geheime Forschungsstation sendete vor Jahren ein Notsignal. Niemand weiß, was passiert ist. Nur eins ist sicher: Der betroffene Planet gilt als No-Go-Area. Eine Forschungsstation hätte es dort nie geben dürfen. Statt zum Mars reist das perfekte Team in die No-Go-Area. Dort wartet das größte Abenteuer ihres Lebens, etwas, das nicht nur sie selbst, sondern die gesamte Menschheit verändern wird.


Rezension

ESA-Astronaut Marlon, Bioinformatikerin Rain und Ingenieurin Sunita brechen zu einer Marsmission auf, landen aber letztlich auf dem Saturnmond Titan, wo sie dem Notruf einer illegalen Forschungsstation nachgehen. Marlon ist von dieser Wendung nicht begeistert, fügt sich aber dem Auftrag seiner Begleiterinnen, die für den Konzern BionX arbeiten und mit denen er in Space-Symbiose lebt. Auf dem Titan treffen sie auf die Wissenschaftlerin Verve, die seit Jahren quasi allein ihren Forschungen nachgeht und einen gigantischen Methansee als Labor für biologische Experimente nutzt. So entsteht neuartiges Leben, das sich in rasendem Tempo weiterentwickelt. Marlon und Rain erkennen bald, dass auf dem Titan Phantastisches passiert, das ihre Leben für immer verändern wird …

„Titans Kinder“ basiert auf der Novelle „Wir werden andere sein“ (erschienen in „Eden im All“) und erzählt diese weiter, wobei verschiedene Szenen neu geschrieben oder umgestaltet wurden. So erfährt man in „Titans Kinder“ leider nicht viel über die Reise zum Titan, sondern befindet sich nach einem knappen Prolog bereits auf der unwirtlichen und zugleich seltsam schönen Oberfläche des Saturnmondes. Durch das hohe Erzähltempo fällt es zunächst schwer, sich in die Figuren hineinzuversetzen und ihre Space-Symbiose zu begreifen. Unter dem Begriff stellt man sich schnell etwas Außergewöhnliches vor, doch es steckt nicht mehr dahinter, als dass Programme Charaktereigenschaften verglichen und Marlon, Rain und Sunita in dieser Kombination ausgesucht haben, damit es auf der langen Reise möglichst wenig zwischenmenschliche Probleme gibt.

Zwischenmenschliche Konflikte gibt es aber doch, vor allem als die drei auf Verve treffen, die zunächst viele Geheimnisse hat. Insbesondere Sunita kommt mit der exzentrischen Wissenschaftlerin, die für ihre Forschung brennt und diese über alles stellt, nicht zurecht. Marlon hingegen fühlt sich stark zu Verve hingezogen, während Rain ihre wissenschaftliche Arbeit sehr schätzt. Auf dem Titan züchtet Verve neue Pflanzen, die zum Verzehr geeignet sind, und setzt eine neue Evolution in Gang, die Wesen hervorbringt, die an die Bedingungen auf dem Titan angepasst sind. Der unterschiedliche Blick auf das, was da passiert, führt zu Missverständnissen und Streitigkeiten, und als zwei weitere Menschen auf dem Titan landen, eskaliert die Situation und bald fließt Blut.

Aiki Mira beschreibt die stürmische, gelbliche Landschaft des Titan eindringlich und hat sich dabei an dem, was wir aktuell über den Mond wissen, orientiert. So gibt es auf dem Titan Methanseen, deren Oberfläche sich im Wind nicht kräuselt und die gespenstisch glatt erscheint. Einzig die Farbe dieser Seen deutet auf das Phantastische hin, das sich auf dem Titan entwickelt. Auch die Biologie des Romans baut auf der Realität auf und Aiki Mira spinnt sie zu einer phantastischen Vision neuer Lebensformen weiter, die die Protagonist*innen beeindrucken und verändern. Die Handlung erstreckt sich über Monate und Jahre und wer sich zwischenzeitlich fragt, warum der Roman den Untertitel „Eine Space-Utopie“ trägt, wird am Ende wahrhaft Utopisches sehen.

Doch auch zuvor hat der Roman utopische Elemente, so erscheint die Gesellschaft beispielsweise selbstverständlich divers. Entsprechend gibt es ein ausgewogenes Verhältnis von männlichen und weiblichen Figuren unterschiedlicher Sexualität und mit Rain gehört eine nichtbinäre, asexuelle Person zu den Protagonist*innen. Marlon ist ein recht redseliger, optimistischer Typ, der als Hilfsarbeiter an der Mission teilnimmt und sich von den Wissenschaftlerinnen unnötig einschüchtern lässt. Immerhin ist er ein Multitalent und hat den größten Anteil daran, dass die Space-Symbiose funktioniert. Rain dagegen ist schweigsam, tut sich mit Zwischenmenschlichem schwer und hat wenig Interesse an Nähe. Sie ist eine begnadete Gamerin, die es auch mit KIs aufnehmen kann, liebt Tee und kann sich richtig in ihre Arbeit als Bioinformatikerin versenken. Auch wenn Rain keine klassische Identifikationsfigur ist, wird sie schnell sympathisch, mit all ihren Eigenheiten.

„Titans Kinder“ steckt voller cooler Ideen, hat aber auch ein paar Macken. So ist der Einstieg recht holprig geraten und man merkt, dass hier ein vorhandener Text umgearbeitet wurde, vor allem nachdem der Lesefluss nach etwa einem Drittel deutlich besser wird. Auch wechselt die Perspektive häufiger, was manchmal verwirrt und nicht immer handwerklich sauber wirkt. Zudem gibt es kleine Widersprüche und Übertreibungen, zum Beispiel, dass Verve gleich zwei Nobelpreise abgelehnt hat. Oder auch Rains Drogenkonsum. Einerseits hat sie einen durchaus vernünftigen Umgang mit den Substanzen, andererseits erscheinen wilde Halluzinogenmischungen im Weltall brandgefährlich. Der Roman ist inhaltlich sehr dicht und bei vielen Szenen hätte man sich etwas mehr gewünscht - mehr Informationen, mehr Dialoge, mehr Beschreibungen. Vor allem über die KIs hätte man gerne etwas mehr erfahren. Und natürlich über das neue Leben auf dem Titan. 


Fazit

„Titans Kinder“ ist ein beachtenswertes Debüt mit einer phantastischen Vision neuen Lebens, das sich in der für Menschen unwirtlichen Umgebung des Titan entwickelt. Es verändert die Protagonist*innen und eröffnet ihnen eine utopische Zukunft – allerdings ist der Weg dorthin blutig.


Pro und Contra

+ faszinierendes Setting auf dem Titan
+ Marlon und Rain sind sehr gegensätzliche, spannende Figuren
+ coole Ideen bezüglich Raumfahrt und Biologie
+ reale Vorlagen für Phantastisches
+ überraschende Wendungen und Erkenntnisse in der zweiten Hälfte
+ Diversität der zukünftigen Gesellschaft

- holpriges erstes Drittel mit zu hohem Erzähltempo
- teils unsaubere Perspektivwechsel
- inhaltlich für unter 200 Seiten etwas überladen

Wertungsterne4

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5


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Tags: Space Opera, Hard SF, Raumfahrt, AndroSF, Diversity, queere Figuren, nicht-binäre Autor*innen, deutschsprachige SF, Aiki Mira