Antananarivo (Sylvain Vallée, Mark Eacersall)

Verlag: Splitter; (Juni 2022)
Gebundene Ausgabe: 136 Seiten; 29,80 €
ISBN-13: 978-3-96792-286-8

Genre: Drama/ Humor/ Roadtrip


Klappentext

Zahllose Expeditionen in alle vier Himmelsrichtungen und über die sieben Weltmeere, Kämpfe, Intrigen, Affären – das Leben des alten Jo ist das eines echten Abenteurers. Und der nicht weniger betagte Amédée ist seinen Geschichten heillos verfallen und träumt sich während ihrer rumseligen Treffen in exotische Länder. Darum wirft Jos plötzlicher Tod den Notar im Ruhestand, der seine Heimatprovinz nie verlassen hat, in eine schwere Sinnkrise. Bis er erfährt, dass der Nachlass seines weitgereisten Freundes ungeklärt ist. Kurzentschlossen setzt Amédée sich ans Steuer seines altersschwachen Coupés und begibt sich auf die Suche nach einem möglichen Erben. Denn es ist nie zu spät, die Welt zu entdecken …
    … und sich selbst.


Rezension

Der alte pensionierte Notar Amédée hat wenig im Leben gesehen. Die Arbeit hat ihn immer bestimmt. Nun im Ruhestand kann er durch die Erzählungen und die Lebensgeschichte seines Freundes Jo Abenteuer erleben und die ganze Welt sehen. Daher ist es für ihn ein schwerer Schlag als Jo plötzlich verstirbt. Gefangen in der Routine der Ehe mit seiner Frau, scheint Amédée sich zunächst in sich zurückzuziehen. Als er jedoch erfährt, dass Jos Nachlass nicht geregelt ist, macht sich Amédée an die Arbeit. Er will Jos Sohn finden und ihm das Wichtigste Erbe seines Vaters übergeben: die Abenteuerlust, in Form der Comics, die Jo einst inspirierten in die Welt hinauszuziehen.

Mit Antananarivo ist wieder eine kleine Perle der Comic- und Erzählkunst gehoben, die so selten zu finden ist. Warmherzig, humorvoll, melancholisch, abenteuerlustig und mit unheimlich viel Tiefe erzählt Mark Eacersal in Antananarivo eine Geschichte über das Leben, das Abenteuer, das Alter und die Phantasie. Und dies in Form eines einzigartigen Roadtrips, der besser nicht inszeniert sein könnte. Amédée mag sich im Comic nur innerhalb der Grenzen Frankreichs bewegen, aber Antananarivo erzählt von der großen, weiten Welt und der Abenteuerlust, die in jedem von uns steckt und von der Möglichkeit sie wenigstens einmal auszuleben. Sei es in der Phantasie oder der Realität.
Mark Eacersall schickt seinen Helden Amédée in der Geschichte auf eine Reise zu sich selbst und den Dinge, die er Zeit seines Lebens vermisst hat. Und da das Hauptthema Abenteuer sind, ist es nur logisch, dass der wichtigste Teil des Nachlasses seines Freundes Jo für Amédée dessen alten Comics über Pinpin sind, welche natürlich eine eindeutige Anspielung auf Tim und Struppi darstellen. Aus ihnen schöpft der alte Mann Kraft, da er mit ihnen von phantastischen Reisen träumen kann und so einen Ersatz für seinen toten Freund findet. Aber der Comic handelt nicht allein von Träumen, sondern auch von Freundschaft über den Tod hinaus, von Vergebung und den Lügen, die wir uns selbst erzählen. Dies tut Eacersall mit einer ungeheuren Feinfühligkeit. Er zeichnet seine Figuren liebevoll, hin und wieder mit etwas Humor, aber er nimmt sie immer ernst. Eine leichte Melancholie durchzieht den Comic, der zu jeder Zeit dennoch Hoffnung macht, dass es auch im Alter die Möglichkeit gibt, spannendes zu erleben und Abenteuer zu bestehen. Wichtig für die hervorragende Charakterisierung Amédées, der im Verlauf der Handlung viel über sich lernt, ist der Umstand, dass dieser seinen verstorbenen Freund in seiner Vorstellung sieht und mit ihm reden kann. Ebenso wichtig ist, dass er eben nicht nur durch das triste Frankreich fährt, sondern es für ihn einen weit entfernten Ort, eben einen Ort für Abenteuer darstellt, was durch die Gestaltung der Bilder, in denen wilde Tiere auftauchen, die es in Frankreich nicht gibt, repräsentiert wird.
Antananarivo ist einfach ein perfekter Wohlfühlcomic mit Tiefgang, einem Hauch Tragik und ganz viel Phantasie. Besser kann eine solche Geschichte nicht erzählt werden, die noch dazu das Fernweh weckt. Und da leider nicht genug Menschen Comics lesen, bleibt Antananarivo nur zu wünschen, dass der Comic mal verfilmt wird, damit möglichst viele diese Geschichte genießen können.

Mit dem ersten Bild macht Sylvain Vallée klar, wer der Abenteurer ist und wer der Notar, der Zeit seines Lebens in der Sicherheit seines Jobs, seiner Ehe und seines Zuhauses verbracht hat. Ausdrucksstark bringt er die Figuren aufs Papier und mit feinen, runden Linien illustriert er ebenso den Rest. Hier ist kein Strich zu viel gesetzt und dennoch so detailreich wie nötig. Amédées Mienenspiel ist wunderbar, seine Emotionen sind deutlich daran abzulesen, was bei mehreren Sequenzen, die ohne Worte auskommen, enorm wichtig ist. Und mit dem Hineinwachsen in seine Ermittlertätigkeit ändert sich sogar etwas seine Körperhaltung und am Ende hat er etwas von Columbo. Das Eindringen der Phantasie in die Realität gestaltet Vallée grandios. Es fühlt sich völlig natürlich an, wenn Amédée in Frankreich von tropischen Tieren begleitet wird.
Sylvain Vallée hat ein hervorragendes Gespür für die Erzählung und die Charaktere. Antananarivo ist nicht nur inhaltlich sondern auch optisch ein Genuss.


Fazit

Es ist nie zu spät sein eigenes Abenteuer zu finden und zu erleben. Mark Eacersall und Sylvain Vallée erzählen von dem alten Amédée mit Feingefühl, Humor und etwas Melancholie. Eine wunderbare Geschichte über das Abenteuer in jedem Alter und die Macht von Träumen.


Pro & Contra

+ abwechslungsreich, überraschend, melancholisch und hoffnungsvoll
+ wunderbare Atmosphäre
+ ideale Zeichnungen

Bewertung:

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 4,5/5
Zeichnungen: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5