Iva Moor (12.10.2022)

Interview mit Iva Moor

Porträt von Iva Moor mit Kaffeebecher in der HandLiteratopia: Hallo, Iva! Im Oktober erscheint bei Art Skript Phantastik Dein Romandebüt „Die Alchemie des Träumens“. Was erwartet die Leser*innen 1948 in New York?

Iva Moor: Hi Judith, erstmal vielen Dank für die Einladung zum Interview! Ich freue mich sehr, dass ich hier Rede und Antwort stehen darf.

In „Die Alchemie des Träumens“ erwartet die Leserschaft ein Dark Fantasy-Abenteuer in der magischen Parallelgesellschaft New Yorks. Hexenreporterin Moira Bran wurde aufgrund ihrer zweifelhaften Recherchemethoden von ihrer Zeitung gefeuert und sitzt in einem illegalen Bluthaus als Lebendfutter für Vampire fest.

Hilfe bekommt sie von Sova Skorpin, einer Dämonin, die Träume stiehlt und auf dem Schwarzmarkt verkauft. Allerdings rettet Sova Moira nicht aus Nächstenliebe, denn ihr Dämonenclan hat einen Job für Moira: Einige der besten Traumfangenden sind verschwunden, wurden vermutlich entführt, und Moira soll sie wiederfinden. Also sucht Moira bald in New Yorks magischer Unterwelt sowohl nach den verschwundenen Dämonen als auch nach einem Ausweg aus ihrem Pakt – denn ein Deal mit Dämonen kann für sie nur hässlich ausgehen.

Was Lesende während diesem Abenteuer erwarten dürfen, sind jede Menge graue Figuren, schwierige Entscheidungen, alberne Wortwitze, miese (und fruchtlose) Flirtversuche und eine eigenwillige Enemies-to-friends-Dynamik zwischen zwei queeren, marginialisierten Hauptfiguren.

Literatopia: Warum hast Du als Setting New York ausgewählt? Warum die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg? Und was hast Du alles für den Roman recherchiert?

Iva Moor: Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich aus der Ausgangsposition ergeben: Protagonistin Moira Bran hatte ihren ersten Auftritt in meiner Kurzgeschichte „Blutgold“ in der „Fantasy Noir“-Anthologie des Art-Skript-Phantastik-Verlags, da sind die 1940er ein recht gängiger Zeitraum. Auch das Setting New York wurzelt in dieser Kurzgeschichte, in der irische Mythologie eine große Rolle spielte. Da ich damals aber nicht exklusiv über irische Mythologie schreiben wollte, sondern mir eher ein magischer Melting Pot vorschwebte, war New York meine erste Wahl. Dort kommen einfach so viele Kulturen zusammen, das hat die Stadt als Setting für mich so attraktiv gemacht, und deshalb ist dieses Setting auch für den Roman bestehen geblieben.

Bei der Recherche ging es zum einen viel um den Schnittpunkt zwischen Geographie und Demographie: Welche Neigbourhoods wurden primär von wem bewohnt, wo waren welche kulturellen Einflüsse? Denn wir sprechen hier von einer Zeit, in der die Segregation noch dominant war, in der bestimmte Viertel z.B. sehr weiß waren und wo bestimmte Figuren of Color es schwerer haben würden. Und zum anderen lauern bei dem historischen Setting natürlich Anachronismen hinter jedem Satzzeichen, sodass ein großer Batzen der Recherche auf „Gab es das damals so schon?“-Fragen fiel.

Dass es explizit die Nachkriegszeit ist, ist für den Roman tatsächlich fast irrelevant, da die magische Community im Buch kaum in menschliche Konflikte verwickelt ist.

Literatopia: Wie leben Hexen und Dämonen unter den Menschen? Wissen diese von den phantastischen Wesen? Und welche weiteren Wesen bevölkern Dein New York?

Iva Moor: Ich rolle das Feld mal von hinten auf: In „meinem“ New York leben Wesen aus der ganzen Welt zusammen. Es ist ein großer Melting Pot, in dem Satyre, Walküren, Magier, Kitsune, Leprechauns, Djinn, Kobolde, Vampire, Sirenen, Werwölfe, Wichtel, Magier, Trolle, uvm. Tür an Tür leben. Also auch einige Wesen, die unter Menschen niemals unbemerkt leben könnten. Diese magische Parallelgesellschaft hält ihre Existenz weitgehend vor den Menschen geheim. Nur eine Spezialeinheit des NYPD weiß Bescheid und hat die undankbare Aufgabe, die übernatürlichen Vorkommnisse unter Verschluss zu halten – was weder einfach noch ungefährlich ist, wenn zur magischen Gesellschaft auch „Jäger“ wie Vampire gehören, die Menschen als Beute sehen. Große Teile der magischen Parallelgesellschaft (v.a. die, die optisch nicht verbergen können, dass sie keine Menschen sind) leben in der Sub Side, einem fiktiven Borough in Manhattan.

Die Dämonen sind noch mal ein eigenes Thema, denn offiziell gibt es zur Zeit des Romans an der Ostküste gar keine Dämonen mehr – sie gelten als vertrieben. Sovas Dämonenclan ist also eine Gruppe, die ihre Existenz vor einer anderen Gruppe geheim hält, die wiederum ihre Existenz vor Menschen geheim hält.

Literatopia: Erzähl uns etwas mehr über Deine Protagonistin Moira Bran. Was sind ihre Stärken und Schwächen? Und über welche übernatürlichen Fähigkeiten verfügt sie als Hexe?

Iva Moor: Moira Bran ist eine kaltschnäuzige Reporterin und schreibt für eine magische Zeitung. Ihren Berufsidealismus hat sie schon lange über Bord geworfen und wühlt im Dreck nach Storys, die Geld bringen. Dabei greift sie bisweilen zu sehr zweifelhaften Methoden, was sie am Anfang des Romans ihren Job kostet. Unter ihrer zynischen Art schlägt ein Herz für Underdogs, das sie nicht immer beiseiteschieben kann. Laut Ausweis ist sie eine Hexe, allerdings kann sie praktisch nichts. Statt Zauber zu wirken, ertastet sie meist bloß Magiespuren mit ihrem Pendel (ein Hilfsmittel, für das sie in ihrer Community belächelt wird) und erfüllt nicht die magischen Mindeststandards, die in ihrer Gesellschaft für die meisten Jobs vorausgesetzt werden. Zwar verfügt Moira über ein Talent für eine Art von Magie – allerdings eine, die in der Sub Side stark tabuisiert ist.

Literatopia: Deine zweite Perspektivfigur Sova Skorpin war einst eine mächtige Dämonin – wie ist aus ihr eine Traumdiebin geworden? Und ist Moira für sie nur ein Werkzeug oder entwickelt sich eine echte Beziehung zwischen den beiden?

Iva Moor: Zur ersten Frage kann ich leider gar nicht viel verraten, ohne zu spoilern :-) Sova, mit ihrer Begabung, Ambition und ihrem starken moralischen Kompass, hat früher als Soldatin in der dämonischen Elite-Militäreinheit gedient, um die Dämonen-Community zu schützen. Allerdings saß sie mehrere Jahre im Knast und kämpft mittlerweile mit gesundheitlichen Problemen, die ihre magischen Fähigkeiten (und sogar ihre Fertigkeiten als Traumdiebin) stark beeinträchtigen. Damit hadert sie stark.

Anfangs ist Schnüffelnase Moira für sie schlimmstenfalls ein Ärgernis, bestenfalls ein Werkzeug, das sie möglichst effizient nutzen will. Nach und nach entwickelt sich jedoch eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen den beiden.

Literatopia: In „Die Alchemie des Träumens“ gibt es sehr viele Figuren – würdest Du uns die wichtigsten neben Moira und Sova vorstellen?

Porträtfoto von Iva MoorIva Moor: Da wäre Algie, der vorlaute Emon. Er ist ein Gefühlsparasit, der aussieht wie eine Mischung aus Waschbär und Satan. Niemand, wirklich niemand will Emonen um sich haben, aber die kleine Kackbratze lässt sich nicht so leicht abschütteln, sodass sich Sova und Moira irgendwann zähneknirschend mit seiner Anwesenheit abfinden.

Theresa Lear, die Chefin des Traummarkts, ist eine ernste Person und sehr mächtige Dämonin, die alles tut, um ihre Leute zu schützen und zu verhindern, dass die Traumdroge Hypnos in falsche Hände gerät. Sie trägt eine Menge Verantwortung und ich würde ihr gern eine Dauerkarte fürs Spa schenken.

Greg McGowan ist ein untoter Vampirpolitiker, der seine Machtposition schamlos ausgenutzt hat und von Moira durch einen Enthüllungsartikel zu Fall gebracht wurde. Dafür rächt er sich gleich zu Beginn des Buchs sehr gründlich, was langfristige und weitreichende Folgen für Moira hat.

Literatopia: „Die Alchemie des Träumens“ ist im Verlauf vieler Jahre entstanden. Inwiefern hat sich der Roman im Vergleich zur ursprünglichen Geschichte, damals noch als Novelle geplant, verändert?

Iva Moor: Viel hat sich an der eigentlichen Geschichte gar nicht geändert. Aber das ursprüngliche Grundgerüst hat wesentlich mehr Tiefe und Komplexität gewonnen. Die damals geplante Novelle war ein nettes Ermittlungs-Abenteuer; mir waren die Figuren allerdings viel zu flach. Das hat für mich so einfach nicht funktioniert. Als ich dann die Figuren von Sova und Moira weiter erkundete, herausfand, mit welchen Päckchen und Traumata sie kämpfen und was das jeweils mit ihnen macht, wurde alles runder, tiefer. Das Ermittlungs-Abenteuer ist immer noch da, bringt jetzt aber auch viel interessantere Charaktere mit. Dadurch ist das Buch zwar deutlich in die Breite, aber auch in die Tiefe gewachsen.

Literatopia: Auf Deiner Website finden sich diverse Content Notes für „Die Alchemie des Träumens“, die auf einige düstere, heftige Szenen hindeuten. Wer hat das Sensitivity-Reading für „Die Alchemie des Träumens“ gemacht? Und was hast Du dabei für zukünftige Veröffentlichungen gelernt?

Iva Moor: Es gab zwei Sensitivity Readings für den Roman. Alexandra Boisen hat sich insbesondere die Darstellung von Theresa Lear angeschaut. Denn ich wollte auf jeden Fall unüberlesbar machen, dass Lear eine trans Frau ist (Repräsentation ist wichtig!), dabei aber auf keinen Fall problematische oder schmerzhafte Tropes reproduzieren. Neben Alexandra haben auch noch zwei weitere trans Frauen und Skalabyrinth als sehr aufmerksame, nichtbinäre Person extrem hilfreichen Input gegeben.

Und Nora Bendzko hat das Sensitivity Reading für die Darstellung nichtweißer Figuren gemacht, was unglaublich lehrreich war, denn trotz aller Recherche: Ich habe uncoole Tropes benutzt und es gibt v.a. in den Feinheiten Dinge, die man als weiße Person so leicht übersieht. Zudem hat Nora mich ermuntert, die kulturellen Hintergründe von Figuren explizit ins Manuskript aufzunehmen, was ich mich zuvor bei nichtweißen Figuren schlichtweg nicht getraut hatte. Dadurch ist die Vielfalt viel deutlicher und runder geworden. Ich hoffe, dass dem elendigen Per-Default-als-weiß-Lesen damit entgegengewirkt wird, und bin dankbar, dass ich so viel im SR lernen durfte.

Was ich für zukünftige Veröffentlichungen gelernt habe: 1) Definitiv immer SR ins Boot nehmen, wenn nötig und möglich. Es macht ein Buch einfach so viel besser, wenn man den Input annimmt. 2) Falls möglich, neben der SR-Person auch mit anderen Menschen aus der jeweiligen Personengruppe sprechen, denn Erfahrungen können so unterschiedlich sein, und es hilft, Einblick von mehreren Seiten zu bekommen.

Literatopia: Du bietest selbst auch Sensitivity-Reading an. Wo liegen Deine Schwerpunkte? Und wie gehst Du beim Sensitivity Reading vor?

Iva Moor: Ich biete Sensitivity Reading für die Darstellung von Queerness an, v.a. von wlw (women who love women, also lesbische, bi- und pansexuelle Beziehungen von Frauen) und das asexuelle Spektrum (mit Schwerpunkt Demisexualität), ferner auch generell Beratung zu Sexismus und Depressionen.

Je nach Umfang / Fall schaue ich mir entweder die betreffenden Stellen an oder lese das ganze Skript, um mehr Kontext für die Stellen zu haben. Dann weise ich auf problematische Stellen hin, erkläre (je nach Vorwissen der Autor*innen), warum der Inhalt problematisch ist, setze die Kritik in Kontext (gerade beim Thema Queerness gibt es da oft viel Erklärungsbedarf), gebe auch Hinweise zu Dingen, die z.B. für mich persönlich nicht schlimm sind, für andere aus der entsprechenden Gruppe aber schmerzhaft sein kann, und mache Alternativvorschläge. Die können z.T. auch expliziter ausfallen, wenn es z.B. um Sexszenen geht (wo sich gerne mal Heteronormativität einschleicht).

Literatopia: Du hast bereits in diversen Anthologien Kurzgeschichten veröffentlicht. Welche Geschichte/welches Thema gefällt Dir rückblickend am besten?

Iva Moor: Oh, das kann ich tatsächlich gar nicht sagen, weil gerade meine Kurzgeschichten so unterschiedlich sind. Kurzgeschichten sind für mich immer ein Spielplatz zum Austoben, Genre-Erkunden, Formen-Ausprobieren. Handwerklich gefällt mir glaube ich „Blutgold“ mit am besten, aber auch die Steampunk-Geschichte „Der Jungfernflug der Aurora“ aus der „Dampfbein“-Anthologie vom Verlag ohneohren und das Gorgonen-Lament „Medusas Lächeln“ aus der 7. Ausgabe der Queer*Welten mag ich extrem gern. Und „Das Lied der Tollpatsche“, das man als sehr lange Kurzgeschichte oder als sehr kurze Novelle bezeichnen kann, hat einen besonderen Platz in meinem Herzen, weil es meine erste Solo-Veröffentlichung war (und außerdem sehr queer und wholesome ist). Aber ich hab meine Kurzgeschichten tatsächlich fast alle gleich lieb.

Literatopia: Was macht für Dich eine rundum gelungene Kurzgeschichte aus?

Iva Moor: Eine rundum gelungene Kurzgeschichte schafft für mich die ausgewogene Balance zwischen einem interessanten Plot, mitreißenden Figuren, Worldbuilding (in der Phantastik) und schöner Sprache. Das alles ist auf wenig Raum extrem schwierig; insbesondere die Faktoren Worldbuilding und Figurenkomplexität sind sehr schwer unter einen Hut zu bringen. Umso mehr genieße ich es, wenn Geschichten genau diese Herausforderungen meistern.

Literatopia: Die beliebteste Standardfrage müssen wir natürlich auch Dir stellen: Wie bist Du zum Schreiben gekommen?

Iva Moor: Geschichten habe ich schon immer geliebt; sie wirklich aufgeschrieben habe ich aber erst in Form von Fanfiction. Damit habe ich, glaube ich, etwa mit 10 angefangen. Meine ersten eigenen Geschichten habe ich erst sehr spät geschrieben, so mit 20, und dann erstmal zwei Jahre an einem High-Fantasy-Epos getüftelt, bevor ich 2012 meine erste Kurzgeschichte veröffentlicht habe.

Literatopia: Hast Du abschließend noch ein paar Buchtipps für uns? Welche Bücher haben Dich zuletzt so richtig begeistert?

Iva Moor: Oh, viele. 2022 war ein super Lesejahr!

• „Frozen, Ghosted, Dead“ von Sameena Jehanzeb (und „Brïn“ und „Was Preema nicht weiß“ – lest einfach alles von Sameena)
• „Crimson Dawn“ von Tanya Hartgers (hat völlig zu Recht den Indie-Seraph gewonnen!)
• „Spinnenpiñata“ von Tino Falke (Stichwort richtig gute Kurzgeschichten)
• „Elektro Krause“ von Patricia Eckermann
• „Totenfluch“ von Jenny Wood (und die Fortsetzung „Path into Duat“, gemeinsam mit Melanie Vogltanz, erscheint zeitgleich mit „Alchemie des Träumens“ – ich freu mich drauf).
• Die „Urban Fantasy going…“-Anthologien-Reihe von Aşkın-Hayat Doğan und diversen Herausgebenden. Insbesondere Urban Fantasy going Intersectional (herausgegeben mit Patricia Eckermann) enthält ein paar richtige Kurzgeschichten-Juwelen.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Iva Moor: Ich habe zu danken!


Fotos: Copyright by Iva Moor

Website: https://silbenalchemie.wordpress.com/


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.