Verlag: Carlsen; (Juli 2022)
Gebundene Ausgabe: 288 Seiten; 36 €
ISBN-13: 978-3-551-76097-5
Genre: Drama/ Historik
Klappentext
Die Zwanzigerjahre waren auch in der kanadischen Provinz eine Zeit des Aufbruchs. Marie, die nach dem Tod ihres Mannes den einzigen Dorfladen führt, löst einige Skandale aus und eine Welle der Emanzipation.
Eine Geschichte, wie sie damals wohl in vielen Orten der Welt vorgekommen ist, und eine Aufforderung zu Toleranz und Offenheit.
Die Serie wird als Gesamtausgabe in drei Bänden neu aufgelegt und es wird deutlich, was sie schon immer war:
eine großartige Graphic Novel.
Rezension
Marie ist aus Montreal zurück. Und nicht nur hat sie sich selbst verändert, sie hat auch Veränderungen mit sich gebracht. Die Frauen des kleinen Dorfes entdecken die Mode der Stadt und mehr oder weniger die gesamte Bevölkerung den Charleston. Und auch ansonsten überschlagen sich für das verschlafenen Nest die Ereignisse. Marie wird schwanger und Noel beendet den Bau seines Schiffes. Und selbst der Pfarrer macht eine Entwicklung durch, an die zuvor nicht zu denken war.
Ein letztes Mal kehren Leser und Autoren in das kleine verschlafene Nest Notre-Dame-des-Lacs zurück, das gar nicht mehr so verschlafen ist. Maries Reise in die Stadt, ihre Erfahrungen und die gesammelten Eindrücke haben sie verändert und damit verändert sie auch die Dorfbewohner, die den städtischen Einfluss klar sehen können. Und die Veränderungen die Marie durchgemacht hat, gefallen den meisten Frauen des Dorfes und schon bald beginnt sich auch das Leben im Dorf unumkehrbar zu verändern. Nicht zuletzt dadurch, dass Pfarrer Réjean an seiner Berufung und seiner Rolle in der Dorfgemeinschaft zweifelt. Aber ein Gespräch mit Noel hilft ihm, wieder zu sich zu finden.
Es passiert viel in den drei Bänden dieser Gesamtausgabe und dennoch verändert sich der Erzählrhythmus der Erzählung nicht. Ruhig und gelassen erzählen Régis Loisel und Jean-Louis Tripp von den Umwälzungen im Dorf. Sie porträtieren es und seine Bewohner weiterhin auf unvergleichliche Art und Weise, die einen sofort für sie einnimmt, egal welche Schrullen sie vielleicht besitzen mögen. Die Liebe zur Geschichte und den Charakteren ist spürbar und so kann sich auch der Leser wieder in die Geschichten hineinfallen lassen.
Dabei wiederholen sich Tripp und Loisel nicht, sondern lassen die Charaktere sich weiterentwickeln und neue Erfahrungen sammeln, so dass sie am Ende der ganzen Erzählungen einen sehr weiten Weg zurückgelegt haben, den man gerne mit ihnen gegangen ist. Selbst der Umstand, dass Marie unverheiratet ein Kind bekommt, was in den Zwanziger Jahren definitiv kontrovers war, wird von ihnen wunderbar eingearbeitet, womit die Reaktionen der Bewohner nicht außergewöhnlich, sondern natürlich wirken. Die beiden Autoren sind einfach großartige Erzähler und mit Das Nest haben sie ihre Erzählkunst vollendet. Hier stimmt einfach alles. Die Charaktere, die Handlung, der Humor und das Drama. Ein absolut brillanter Einfall sind die „Photographien“ nach der letzten Seite des Comics, die einen einen letzten Blick auf all die liebgewonnen Charaktere werfen lassen und die Geschichte noch etwas weitererzählen. Dies rundet Das Nest perfekt ab.
Die Zeichnungen waren immer ein großer Teil der Erzählung und das sind sie weiterhin. Was Tripp und Loisel hier präsentieren, ist wunderschön anzusehen und zugleich ganz große Erzählkunst. Teilweise wird die Handlung nur über die Gesichter der Charaktere erzählt und nicht jede Seite braucht Dialoge. Dennoch haben Geschichte und Charaktere eine unglaubliche Tiefe. Vielleicht aber auch genau deswegen, weil eben nicht alles totgeredet wird. Loisel und Tripp wissen genau, wann ein Bild mehr sagt als tausend Worte. Und auch Francois Lapierre muss ein weiteres Mal erwähnt werden, der die Zeichnungen mit seiner brillanten Farbgebung veredelt.
Fazit
Das Nest ist ein Paradebeispiel dafür, wie eine Geschichte ohne Action und ohne künstliche Spannung fesselnd erzählt werden kann. Als Leser findet man sich immer wieder von den Charakteren und den vielen kleinen Geschichten gebannt wieder. Das Nest ist eine absolute Kaufempfehlung für alle, die einfach eine gute Geschichte in Ruhe genießen wollen.
Pro & Contra
+ schon jetzt ein Klassiker, der in keinem Buchregal fehlen darf
+ stimmige Charaktere und wunderbare Atmosphäre
+ Geschichten über das Leben und seine Veränderungen
Bewertung:
Handlung: 5/5
Charaktere: 4,5/5
Zeichnungen: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5
Literatopia-Links zu weiteren Titeln von Régis Loisel:
Rezension zu Das Nest Gesamtausgabe Bd.1
Rezension zu Das Nest Gesamtausgabe Bd.2
Rezension zu Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit
Rezension zu Der Schweinehund Bd.1
Rezension zu Der Schweinehund Bd.2