Interview mit Kris Brynn
Literatopia: Hallo, Kris! Im November ist Dein neuer SF-Roman „A.R.T. - Coup zwischen den Sternen“ erschienen. Was erwartet die Leser*innen in der zukünftigen Kunstwelt?
Kris Brynn: Zu Künstlern aus Fleisch und Blut kommt Space Art (also Kunst in der Schwerelosigkeit) und objektschaffende KI hinzu. Ich spreche jetzt absichtlich in dieser Hinsicht von „Objekten“, denn ob es sich nun um Kunst handelt oder nicht – das ist eine Frage, die im Roman heftig diskutiert wird. Weitere Themen sind die Zukunft unserer medizinischen Versorgung und die Weiterentwicklung und Bemühungen der Museumspädagogik. Alles Dinge, die uns heute schon sehr beschäftigen.
Dass jetzt die Diskussionen über Software wie Midjourney oder Dall-E durch die Decke gehen, ahnte ich aber natürlich noch nicht, als ich das Manuskript abgab.
Literatopia: Erzähl uns mehr über Dein Worldbuilding in „A.R.T.“. Wie passen Luxusraumschiffe und Near Future zusammen? Wie weit ist die Menschheit ins All vorgedrungen? Und sind wir allein oder bieten auch Aliens auf irdische Kunst?
Kris Brynn: Wir befinden uns in meinem Roman circa 100 Jahre in der Zukunft. Luxusyachten schwimmen nicht nur auf den Ozeanen, sondern kreisen auch um die Erde. Die Gesellschaftsschere ist noch um ein großes Stück weiter aufgegangen, der obersten Schicht muss Neues und unverschämt Exklusives geboten werden. Die Eroberung des Weltalls wird jedoch nicht weiter thematisiert, für den Roman ist das dramaturgisch nicht wichtig. Aber in meinem Hintergrund-Worldbuilding, also dem Setting, das ich im Kopf festgelegt, aber im Roman nicht schriftlich fixiert habe, hat die Menschheit daran kein Interesse mehr. Außerirdische Zivilisationen spielen in meinen Romanen grundsätzlich keine Rolle. Savoy ist indigener Herkunft, die Frage, wie sich Reservate in Nordamerika in 100 Jahren entwickelt haben könnten, hat mich mehr interessiert.
Aber wer weiß wie Kunst auf fremden Planeten aussieht? Auch ne spannende Sache.
Literatopia: Wie kam Deine Protagonistin Savoy Midthunder dazu, bei ArtSecure zu arbeiten und Kunst zu beschützen? Und welche Gefahren drohen der Kunst in der Zukunft?
Kris Brynn: Zur ersten Frage kann ich nichts sagen, ohne zu spoilern. Und zu deiner zweiten: Momentan erleben wir Attacken auf Kunst in Museen, es gibt immer wieder spektakuläre Kunstdiebstähle. Die Sicherheitsaspekte einiger Museen sind überraschend lax. In dieser Hinsicht verändert sich in meiner Zukunft nicht viel, vor allem auch deswegen, weil man der unverschämt reichen Klientel der Luxusraumer vertraut.
Verschiedene Parteien wollen ein spektakuläres Werk mit dem Namen „Noli me tangere“ (das übrigens nicht existiert, sondern von mir erfunden wurde wie einige andere im Roman erwähnten Kunstobjekte auch) entweder zerstören oder stehlen. Dahinter stecken sowohl politische und spirituelle Motive als auch das aufgeblasene Ego eines Kunstsammlers.
Literatopia: Zu Savoys Gegenspieler*innen gehört ausgerechnet ihre Exfreundin – wie kommt Savoy damit zurecht?
Kris Brynn: Auch hier würde ich mit meiner Antwort spoilern, aber lass mich wenigstens sagen: Savoy macht im Lauf des Romans eine große Wandlung durch und durchläuft etliche innere Konflikte.
Literatopia: Ähnlich wie in unserer Gegenwart ist Kunst in Deiner Zukunftsvision ein Spielzeug der Reichen, die unvorstellbare Summen für die Objekte ihrer Begierde zahlen. Wie aber ergeht es den Kunstschaffenden in „A.R.T.“? Werden sie noch beachtet? Oder wurden sie längst durch KI ersetzt?
Kris Brynn: Die zeitgenössische, manuell geschaffene Kunst von Menschen ist im Begriff, ihre Bedeutung zu verlieren. Im AI-Markt dominieren Inszenierungen, in denen die Betrachtenden zu Mitspielenden, also zu einem Teil der von der KI hervorgebrachten Objekten werden. Kunstateliers sterben, Kunstschaffende werden nicht mehr wahrgenommen und konzentrieren sich zum Großteil auf die Herstellung von Kopien und Fälschungen. Savoy fragt sich an einer Stelle, warum überhaupt noch jemand auf die Idee kommt, bildende Kunst mit der Hand am Arm, mit dem Pinsel in der Hand etc. zu erschaffen, wenn die Rahmenbedingungen für Erfolg und Verkauf derart katastrophal, wenn nicht gar aussichtslos sind.
Literatopia: Welche Art von Kunst gefällt Dir persönlich? Bei lovelybooks hast Du gefragt, welches Gemälde Deine Leser*innen am liebsten stehlen würden – welches würdest Du denn stehlen?
Kris Brynn: Die Antworten auf Lovelybooks waren wirklich sehr spannend; ich weiß, die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Zumindest für mich nicht. Aber ich habe mich im Lauf der Recherche in Roxana Halls’ „Laughing while leaving“-Reihe verknallt und besonders in genau das Gemälde, das in Lizzys Suite auf der „Horta“ hängt. Ja, das würde ich schon gern von der Wand reißen und bei mir daheim aufhängen. Aber auch „The Death of Chatterton“ von Henry Wallis hatte es mir bei meinem ersten Besuch in der Tate Britain schon unglaublich angetan. Ich habe meine Abschlussprüfung in Kunstgeschichte an der Uni über die Präraffaeliten absolviert, insofern kommt die Erwähnung dieses Gemäldes, des Hogarth Clubs und der Präraffaelitischen Bruderschaft im Roman nicht von ungefähr.
Literatopia: Du hast zwanzig Jahre als Medienlektorin gearbeitet und 2014 mit dem Schreiben eigener Geschichten begonnen. Was war damals der Auslöser?
Kris Brynn: Die Firma ging von einer Hand in die andere, wurde immer wieder weiterverkauft. Bis sie schließlich bei einem Investor landete, der sie geplant an die Wand gefahren hat. Ich bin bis zum Schluss geblieben, habe mit Kolleg:innen und dem Insolvenzverwalter „aufgeräumt“, u.a. seltsame Zahlungen ins Ausland entdeckt. Der Betriebsrat hat zig uns bis dato unbekannte Tochterfirmen ans Licht geholt. Wir waren alle stinksauer, tief betroffen und einige Kolleg:innen buchstäblich traumatisiert. Nicht wenige Ärzte rieten ihnen »Schreiben Sie doch alles auf«, wie man mir damals erzählte. Die Idee fand ich gut, autobiografisch schreiben war aber noch nie meins, ich führe auch kein Tagebuch. Also habe ich einfach meine allererste Kurzgeschichte geschrieben, merkte, dass mir das irgendwie guttut. Ich konnte sie auch gleich veröffentlichen und habe dann Blut geleckt.
Literatopia: Beim Schreiben holst Du Dir Feedback von Testleser*innen – sind das immer die gleichen oder je nach Buch andere Personen? Wer durfte z.B. „A.R.T.“ zuerst in seiner Rohform lesen?
Kris Brynn: Bei meinen SF-Romanen ist das in der Tat immer der gleiche Personenkreis. »A.R.T« wurde von einigen der sehr belesenen SF-Aficionados des SF-Stammtisches in Stuttgart durchforstet, die immer ehrliches Feedback geben.
Literatopia: Wenn Du die Erstfassungen Deiner Romane mit den veröffentlichten Versionen vergleichst – wie viel ändert sich während dem Überarbeiten?
Kris Brynn: Normalerweise nur Kleinigkeiten, aber bei „A.R.T“ hat mir meine pfiffige Knaur-Lektorin in der Schlussphase des Schreibens eine wirklich wunderbare Idee vorgeschlagen, die ich dann gerne umgesetzt habe.
Literatopia: Findest Du neben dem Schreiben noch Zeit zum Lesen? Welche Bücher haben Dich nachhaltig beeindruckt?
Kris Brynn: Ich versuche, so viel Belletristik wie möglich zu lesen. Der Umfang hat aber, seit ich noch in einem anderen Genre regelmäßig veröffentliche und viel Sekundärliteratur lese, leider abgenommen. Ich fange aus diesem Grund auch selten Reihen an und bevorzuge Stand-Alone-Romane, aber „A Memory called Empire“ von Arkady Martine fand ich dermaßen gut, dass ich diese Reihe auf alle Fälle weiterlesen will. Ansonsten lese ich mich quer durch beinahe fast alle Genres, E und U abwechselnd und immer mehrere Romane parallel, sodass ich nach innerem Bedürfnis wechseln kann.
Literatopia: Würdest Du uns abschließend einen Ausblick auf kommende Veröffentlichungen geben? Woran arbeitest Du gerade?
Kris Brynn: Momentan arbeite ich am dritten Band der „Fräulein vom Amt“- Reihe, die ich gemeinsam mit Dorothea Böhme unter Charlotte Blum veröffentliche. Aber es ist auch ein weiterer SF-Roman in Planung, in dem es wieder ins All gehen soll, der ebenfalls wie meine anderen Romane in Deutschland in einer nahen Zukunft spielt, in dem die Hauptperson über siebzig ist und in dem das „geschriebene Wort“ sehr wichtig wird. Mal sehen, was daraus wird. Darüber hinaus wird meine „Out-of-Balance“-Reihe als Print erscheinen – der genaue ET ist aber noch offen.
Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!
Kris Brynn: Thanks for having me!
Autorinnenfotos: Copyright by Kris Brynn
Website: https://www.schreibkosmos.de/
Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.