Interview mit Andrew J. Raven
Literatopia: Hallo, Andrew! Im November hast Du Deinen Debütroman „Die Magie der Tausend Lande – Der Herr der Toten“ veröffentlicht. Was erwartet die Leser*innen in den Tausend Landen?
Andrew J. Raven: Hallo Judith!
Der Roman spielt sich auf zwei Ebenen ab. Die eine ist eine Abenteuergeschichte um den Jungen Finn, der zu den Friedenswächtern berufen wird, deren Aufgabe es ist, den Frieden zu sichern und die Einheit der Tausend Lande zu erhalten.
Jedes arkan begabte Wesen hat die Wahl entweder den Friedenswächtern beizutreten oder seine Magie blockieren zu lassen.
Es ist klar, dass Finn eine magische Begabung haben muss, denn nur solche Kinder werden von den Friedenswächtern ausgesucht, aber anders als alle anderen, kann er weder Wasser, Erde, Feuer noch Luft manipulieren. Es stellt sich heraus, dass er ein Nekromant ist, das heißt, seine Kraft greift auf den Tod selbst zu und entreißt anderen Wesen den Lebensfunken. Mit dieser Kraft kann Finn Leichname erwecken und für sich kämpfen lassen.
Die Friedenswächter sehen ihn als Gefahr an, denn er kann seine Kraft nicht kontrollieren. Eine Untergrundorganisation, die Jünger des Todes, sehen in Finn hingegen die Wiedergeburt ihres Anführers, des Herrn der Toten. Sie versuchen seiner habhaft zu werden, damit er sie gegen die Tausend Lande in den Krieg führt, von deren Herrschern sie sich unterdrückt fühlen.
Die zweite Ebene ist eher philosophischer Natur. Der Junge muss damit zurechtkommen, diese sehr mächtige zerstörerische Fähigkeit zu haben. Wie geht man damit verantwortungsvoll um und geht das überhaupt?
Aber noch wichtiger war mir den Zusammenhang und die Widersprüche von gesellschaftlicher und familiärer Einheit auf der einen Seite sowie Freiheit sowohl von Gruppen als auch von Einzelpersonen auf der anderen Seite zu explorieren. In Zeiten von Brexit, EU- und NATO-Erweiterungen, Ukrainekrise, Taiwan-Frage und den Aufständen im Iran ist offensichtlich, dass das auf großer Skala eine wichtige Thematik ist. Aber auch jeder Einzelne lebt im Spannungsfeld zwischen Einheit und Freiheit. Bei einigen ist das die Abnabelung von den Eltern, bei anderen vielleicht die Abgrenzung von der Elternrolle, von einem Partner oder einer Peer-Group. Und so existiert dieser Konflikt in meiner Geschichte zum einen zwischen den Friedenswächtern und den Jüngern, aber auch nahezu jede Figur erlebt diesen Zwiespalt auf persönlicher Ebene im Kleinen.
Literatopia: Erzähl uns mehr über Deine Fantasywelt. Ist sie wie oftmals in der High Fantasy ans Mittelalter angelehnt? Welche Völker leben dort – und wie stehen sie zueinander?
Andrew J. Raven: Sie ist insofern ans Mittelalter angelehnt, als dass keine Technologie existiert, ein „Mittelalter-Feeling“ im geschichtlichen Sinne sollte man aber nicht erwarten. Die Tausend Lande sind sehr vielgestaltig, denn sie sind durch nahezu unpassierbare Ödlande voneinander getrennt. In den meisten Landen lebt jeweils ein sogenanntes Folken, darunter Menschen, Minotauri, Trolle, Incubi, aber auch Schwingungen (Voci), Steinwesen (Batu Hantu) und Bäume mit Bewusstsein (Senlin). Sie alle haben kulturelle und gesellschaftliche Eigenheiten; die Trolle leben zum Beispiel in matri¬archisch geführten, jagenden Stämmen zusammen in Höhlen. Die Hauptfigur Finn hingegen ist in einem Landen aufgewachsen, das eher einer vereinfachten, friedlicheren Version des Wilden Westen gleicht und in dem Menschen in gleichberechtigten Paarbeziehungen und vom Ackerbau leben. Dennoch bilden die Lande einen einzigen Vielvölkerstaat. Reisen ist nahezu ausschließlich mit Hilfe von Magie möglich. Da jedoch nur die Friedenswächter über Magie verfügen, kontrollieren sie so den Austausch zwischen den Landen und verhindern jede Art des Konfliktes. So sichern sie den Frieden und die Einheit der Lande.
Literatopia: „Frieden und Einheit“ klingt erst einmal gut, doch nicht alle sind zufrieden in den Tausend Landen. Du hast vorhin die Jünger des Todes erwähnt – wer sind sie und welche Ziele verfolgen sie?
Andrew J. Raven: Die Regeln der Friedenswächter sind ja recht rigide: Niemand außer ihnen darf Magie besitzen, außerdem kontrollieren sie jeglichen Austausch zwischen den Landen. Damit halten sie alle Folken in einer Abhängigkeit. Und wie das in streng hierarchischen Systemen so ist, lösen sie das Versprechen, dass es allen gut gehen soll, nicht so recht ein. Entsprechend gibt es immer wieder Personen, die das Glück in die eigenen Hände nehmen und so mit dem geltenden Recht in Konflikt geraten.
Die Jünger des Todes sind sowohl Geächtete, die sich der Gerichtsbarkeit der Tausend Lande entziehen konnten, indem sie sich in den öden Regionen verstecken, als auch deren Nachkommen. Sie kämpfen für das Recht, für sich selbst zu sorgen und sich frei bewegen zu können, also für ihre eigene Freiheit und die der Lande.
Man könnte auch sagen, sie kämpfen für das Recht des Starken seine Stärke nach eigenem Ermessen einsetzen zu dürfen. Entsprechend besitzt Finn mit der Nekromantie in ihren Augen eine Stärke, der sie folgen wollen, und von der sie sich den Sieg über die Friedenswächter erhoffen.
Sie sind also auf gewisse Weise der genaue Gegenentwurf zu den Friedenswächtern in dem Konflikt von Frieden und Einheit versus Freiheit.
Literatopia: Wie geht Dein Protagonist Finn damit um, als er erfährt, dass er ein Nekromant ist und anderen den Lebensfunken entreißen kann?
Andrew J. Raven: Finn ist ein totaler Idealist mit einer zunächst naiven, dichotomen Sichtweise von Gut und Böse. Entsprechend ist es für ihn schwierig seine zerstörerische Fähigkeit zu akzeptieren und er kämpft ständig dagegen an. Wie die meisten jungen Leute wünscht er sich Berühmtheit und Bewunderung, aber dass ihn die Jünger des Todes ausgerechnet für seine Nekromantie verehren, beeinflusst ihn natürlich. Letztlich muss er sich die Frage stellen, welchen seiner Ideale er folgen will und was das für ihn und für andere bedeutet. Dabei muss er ein neues Verständnis von richtig und falsch entwickeln und seine Vorsätze und Glaubenssätze hinterfragen.
Literatopia: Würdest Du uns die wichtigsten Nebenfiguren kurz vorstellen? Wer steht Finn zur Seite? Und wer sind seine Widersacher?
Andrew J. Raven: Seine Gefährten sind sehr unterschiedlich.
Da wäre Darna, die großteils aus Stein besteht. Angehörige ihres Volkes sind zwar sehr groß, stark und schwer, aber auch sehr ängstlich, was oft zu Spott führt. Darum ist sie sehr darauf bedacht, mutig und selbstbewusst zu erscheinen. Caera ist ein nur handgroßer, geflügelter Junge, der ebenfalls zu den Friedenswächtern berufen wird, obwohl er ein begeisterter Kämpfer ist. Außerdem wäre da noch das Vogelwesen Adi, die sehr lebensfroh und übermütig ist, wohingegen die lebende Schwingung Sempra eher zurückhaltend und nachdenklich erscheint. Es sind also Wesen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, was sie zu einer starken Unterstützung für Finn macht.
Auf der anderen Seite gibt es eine ganze Reihe von Personen, deren Motive und Absichten unklar sind. Unter den Friedenswächtern ist das allen voran der undurchsichtige Tirnan, der Finn von Anfang an im Auge behält, ebenso wie die Norne Ssi, denn beide sind offensichtlich mehr, als sie zu sein vorgeben. Bei den Jüngern des Todes sind es der Troll Bronkh und der Halb-Elb Fa-illir, ein Kämpfer und ein Magier, von denen Finn sich erst ein Bild machen muss. Beiden ist jedes Mittel recht, um die Friedenswächter zu besiegen, aber ihre Motive unterscheiden sich grundlegend. Und zuletzt ist da noch ein Mädchen, in das Finn sich verliebt, von der aber unklar ist, auf wessen Seite sie steht.
Literatopia: „Die Magie der „Tausend Lande“ ist im Selfpublishing erschienen. Warum hast Du Dich entschieden, den Roman selbst zu veröffentlichen?
Andrew J. Raven: Es war wohl noch nie einfach für einen Einsteiger einen Verlag zu finden, der zu einem passt und der dann auch noch an dem, was man schreibt, Interesse hat. Im Moment ist es aber besonders schwierig, da viele kleine Verlage ums Überleben kämpfen und einige auch schon die Segel gestrichen haben. Nach ein paar Fehlversuchen habe ich mich deshalb dazu entschieden meine Energie lieber in die Qualität und die Vermarktung des Buches zu stecken, als weiter nach einem Verlag zu suchen. Und bisher kann ich sagen, dass das eine gute Entscheidung war. Es ist sicher nicht jedermanns Sache sich mit Aspekten wie Textsatz, Covergestaltung und Werbung selbst auseinanderzusetzen, aber mir hat es großen Spaß gemacht und das tut es noch. Alles in allem habe ich mir so den Gesamtprozess der Veröffentlichung stückweise erarbeitet, was zwar herausfordernd, aber auch sehr abwechslungsreich war. Es war allerdings auch viel Glück dabei. Zum Beispiel bin ich mit zwei tollen Künstlerinnen in Kontakt gekommen, mit denen der Gestaltungsprozess viel Freude gemacht hat.
Literatopia: Welche Rolle haben Social Media auf Deinem Weg zur Veröffentlichung gespielt?
Andrew J. Raven: Soziale Medien haben auf vielfältige Weise eine Rolle gespielt. Sicher der wichtigste Punkt ist, dass ich auf diesem Weg mehrere Personen kennengelernt habe, die sich in der Branche gut auskennen und mir wichtige Tipps gegeben haben. Das reichte von allgemeinen Hinweisen bis hin zu sehr konkreten Hilfestellungen. Ich kann nur jedem empfehlen gut zuzuhören, wenn sich ihm oder ihr eine solche Gelegenheit erschließt. Insbesondere habe ich jede sich bietende Möglichkeit genutzt, Feedback zur Story und dem konkreten Text zu bekommen. Da bin ich allen, die mir hier ein wenig ihrer Zeit geschenkt haben, unglaublich dankbar.
Auch zum Thema Textsatz bzw. Buchgestaltung im weiteren Sinne habe ich viel aufgeschnappt, worauf ich im „Elfenbeinturm“ nicht gekommen wäre, bzw. was ich mir hart hätte erarbeiten müssen. Mit Sumire, der Innenillustratorin meines Debut-Romans, bin ich ebenfalls durch Social Media in Kontakt gekommen.
Und nicht zuletzt haben mir die Sozialen Medien die Gelegenheit gegeben, mein Buch schon früh zu promoten.
Man muss allerdings sagen, dass der Suchtfaktor dieser Art der Kommunikation extrem hoch ist und ich ständig gefährdet bin, das Schreiben zu ihren Gunsten zu vernachlässigen - einfach weil es unglaublichen Spaß macht, mit so vielen unterschiedlichen, interessanten Menschen und Themen in Kontakt zu sein. Dennoch waren auch realweltliche Kontakte wertvoll und wichtig. Insbesondere ohne die Unterstützung meiner Familie und meiner Freunde aus dem Real-Life wäre das Projekt niemals möglich gewesen.
Literatopia: Du hast Dich schon als Kind für Geschichten wie „Die unendliche Geschichte“ begeistert. Was fasziniert Dich an der Phantastik?
Andrew J. Raven: Das hat ganz klar zwei Aspekte. Zum einen ist es für mich umso entspannender, je weiter eine gedankliche Reise von der Wirklichkeit wegführt. Darum habe ich mir auch schon als Kind fantastische Geschichten ausgedacht, um „runterzukommen“.
Auf der anderen Seite haben mich schon immer ethische und moralische Fragestellungen umgetrieben. In realistischen Settings sind diese aber in der Regel unter einem Haufen von komplexen Zusammenhängen, Vorprägungen und bisweilen auch Geschichtsfakten vergraben. Durch den Wechsel in eine erfundene Welt entfällt dieser Ballast.
Magie macht es leichter ein moralisches Dilemma zu erzeugen oder eine ethische Fragestellung herauszuarbeiten. Auf diese Weise wirken fantastische Elemente wie eine Art Messer, mit dem man alles Unwesentliche oder Störende wegschneiden kann.
Literatopia: Wann war für Dich klar, dass Du selbst phantastische Geschichten schreiben willst? Und ist „Die Magie der Tausend Lande“ Dein erster Roman oder sind andere zuvor in der Schublade verschwunden?
Andrew J. Raven: Geschrieben habe ich eigentlich schon so lange, wie ich mich erinnern kann, als Kind und Jugendlicher kurze Geschichten, Gedichte, die meist im Mülleimer gelandet sind, und später Liedtexte. Ich war ja lange in der Forschung tätig und habe auch eine Reihe wissenschaftlicher Publikationen gemacht. Das ist zwar ein ganz anderes Genre, aber hat die Lust zu schreiben ebenfalls befriedigt. Neben dieser Tätigkeit habe ich bereits einmal versucht einen phantastischen Roman zu verfassen, dessen Geschichte war aber zu verwoben und komplex, so dass ich das Projekt auf halbem Weg aufgegeben habe. Im Rahmen eines Übersetzungsprojektes für einen Fantasy-Roman habe ich meine Frau kennengelernt. Dann war ich lange zu sehr mit meiner Forscherkarriere beschäftigt, um zu schreiben. Aber in meinem Kopf ist die Idee für „Die Magie der Tausend Lande“ entstanden und über Jahre gereift. Als ich dann aus der Wissenschaft ausgeschieden bin, habe ich mich dem zugewandt. Da der Plot im Prinzip stand, konnte ich mich ganz auf die anderen Aspekte des Schreibens konzentrieren.
Literatopia: Lass uns abschließend einen Blick in Dein Bücherregal werfen: Welche Bücher haben Dich nachhaltig beeindruckt – und vielleicht auch Dein Schreiben geprägt?
Andrew J. Raven: Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll, Fantasy-Literatur hat mich durch mein Leben begleitet. Besonders beeindruckt haben mich sicher die absurderen Spielarten, wie die „Scheibenwelt"-Romane von Terry Pratchett, aber auch „Die Saga vom magischen Land Xanth“ von Piers Anthony, die aber auf mein Schreiben eher weniger Einfluss hatten. Da müsste man mehr die Askir-Saga von Richard Schwarz oder den Zyklus „Das Schwert der Wahrheit“ von Terry Goodkind nennen. Bei Neil Gaimann bewundere ich die Vielfältigkeit und Tiefe seiner Geschichten und bei Stephen King, wie unglaublich fesselnd er schreibt. Mein Geschmack ist also eher dem Mainstream zuzuordnen und bei den genannten Autoren bewundere ich besonders, dass es ihnen gelingt mit ihren Geschichten so viele Menschen in der Realität abzuholen und in andere Welten zu entführen. Letztlich steht für mich also die Unterhaltung des Lesers im Vordergrund.
Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!
Autorenfoto: Copyright by Andrew J. Raven
Website: https://www.ajraven.de/
Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.