Der Pfad der Adlerkrieger (Jin Yong)

Jin Yong Pfad Adlerkrieger

Heyne, September 2022
Originaltitel: Shediao yingxiong zhuan 3 (1959, 1976, 2003)
Übersetzung von Karin Betz
Gebunden, 446 Seiten
€ 17,00
ISBN 978-3-453-32165-6

Genre: Fantasy, Historik


Rezension

Der Pfad der Adlerkrieger verzichtet auf eine Exposition, setzt die Handlung unmittelbar fort und zieht die Leser*innen mit dem ersten Satz in die dramatischen Geschehnisse hinein. Huang Rongs Vater will Guo Jing töten und lockt ihn in eine Falle. Mit dem Schiff des Ketzers des Ostens erleidet Guo Jing Schiffbruch, wird aber von Ouyang Feng (Das Gift des Westens) und dessen Neffen Ouyang Ke (Meister vom Weißen Kamelhügel) gerettet. Ouyang Feng hat besonderes Interesse an Guo Jing, weil dieser der einzige Mensch ist, der das Buch „Der Wahre Weg der Neun Yin“ mit seinen darin angeblich enthaltenen Versprechen von Unsterblichkeit und Unbesiegbarkeit auswendig gelernt hat. Er soll dieses Wissen für Ouyang Feng aufschreiben, der ihn anschließend töten will. Allerdings ist Huang Rong ihrem Geliebten nachgefahren und eilt zu seiner Rettung herbei.

Während all dies geschieht, steht auf dem Festland ein Krieg zwischen den Jin und den Song bevor. Die Suche nach den Schriften des berühmten (historischen) Generals Yue Fei, der als Heerführer des südlichen Song-Reichs nach der Teilung des Reichs im Jahr 1127 in die chinesische Geschichte einging, rückt in diesem Band in den Fokus, sollen die Aufzeichnungen doch helfen, Wanyan Honglie (der Sechste Prinz von Jin) und seine Armee zu besiegen.

Jin Yongs Die Legende der Adlerkrieger, der erste Teil des Epos‘ von den Adlerkriegern, ist in deutscher Erstausgabe seit November 2020 bei Heyne erhältlich, der zweite Teil, Der Schwur der Adlerkrieger seit 2021. Im September 2022 ist der dritte Band, Der Pfad der Adlerkrieger, veröffentlicht worden, ebenfalls aus dem Chinesischen übersetzt von der Sinologin Karin Betz. Die Übersetzerin hat dem Text ein fünfseitiges Personenverzeichnis und einundzwanzig Seiten Glossar beigefügt.

Die Heyne-Ausgabe der Adlerkrieger-Romane zitiert die Irish Times („Der chinesische Herr der Ringe!“) und den britischen Guardian („Jin Yong hat in der chinesischen Literatur die Bedeutung wie J.R.R. Tolkien und George R.R. Martin in der westlichen.“). Das erste Zitat erzeugt einen direkten Vergleich mit Tolkien. Beide Autoren erzählen eine durchgehende Geschichte auf sprachlich hohem Niveau. Aber während Tolkiens Werk konsequent High Fantasy ist, liest sich Jin Yong mehr wie ein historisches Werk mit echten Menschen, opulenter Fantasie und auch Phantastik angereichert.

Das Zitat aus dem Guardian legt den Gedanken nahe, Jin Yong sei in ähnlicher Qualität eine bestimmende oder gar definierende Größe für die chinesische Kung-Fu-Literatur, die zumindest für westliche Leser*innen immer auch etwas von Fantasy hat, wie Tolkien die westliche High Fantasy definiert und sie Martin mit seinen Vorlagen für Game of Thrones re-definiert hat. Zumindest eine Zeitlang. Aus einem kritischen Tolkien-Diskurs heraus entwickelt sich, wie es scheint, derzeit eine Neudefinition der westlichen Fantasy.

Der Pfad der Adlerkrieger bietet naturgemäß mehr von dem, was wir aus den beiden vorhergehenden Bänden der Reihe kennen, wenngleich die Handlung nicht durchgehend explosiv ist. Nach einem atemberaubenden Anfang wird das Erzähltempo etwas heruntergefahren. Guo Jing und Huang Rong sind hier in Momenten eher Zuschauende als Handelnde, besonders in der Phase, in der sie sich verstecken müssen. Aber die Kohärenz der Erzählung bleibt erhalten, die beiden verlieren nie ihren Stellenwert in Jin Yongs sehr großem Personalbestand.

Die Dialoge und die Kampfszenen sind nach wie vor vom Feinsten, ebenso die Handlungsentwicklung. Die Beziehung zwischen Guo Jing und Huang Rong ist liebevoll entwickelt. Bei allem, was das Paar erlebt, handelt es sich doch immer noch um sehr junge Menschen, deren Zustand der Unschuld Jin Yong glaubwürdig erhält. Dies ist faszinierend, denken wir daran, was die beiden Liebenden alles erleben und mitmachen müssen.

Jin Yongs Figuren müssen, um den Weg der Selbst-Vervollkommnung konsequent gehen zu können, frei sein, ihren Idealen und ihren Überzeugungen treu. Sie befinden sich immer wieder in Situationen, in denen sie Menschen helfen wollen, ihrem Land dienen wollen. Das verwechseln sie jedoch nicht damit, sich politischen Machthabern anzudienen oder sich von diesen benutzen zu lassen. Allein ihre Ausbildung im Kung Fu hat ihnen Werte vermittelt, die sie leben. Sie sind Individuen, die im sozialen Kontext sich in Beziehung zu anderen Menschen setzen, wie dies auch während der Kung-Fu-Ausbildung zwischen Lehrer und Schüler beziehungsweise Schülerin der Fall war.


Fazit

Der Pfad der Adlerkrieger setzt die spannende und tiefschichtige Erzählung inhaltlich unmittelbar fort. Ein Klassiker der chinesischen Literatur, dem eine vollständige Übersetzung zu wünschen ist, einschließlich einer Übersicht über das Gesamtwerk.


Pro und Kontra

+ eine Fortsetzung, die erzählerisch nicht abfällt
+ zwei liebenswerte Hauptfiguren, schön in die Tiefe entwickelt
+ hervorragende Verbindung aus individueller und gesellschaftspolitischer Geschichte
+ hilfreiche Anhänge und Personenverzeichnis

Wertung:sterne5

Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5


Rezension zu Die Legende der Adlerkrieger

Rezension zu Der Schwur der Adlerkrieger

Tags: historische Fantasy, Asien, China, Kung Fu