Amalia Zeichnerin (13.01.2023)

Interview mit Amalia Zeichnerin

amalia zeichnerin portraitfotoLiteratopia: Hallo, Amalia! Kürzlich ist mit „Verflucht“ der erste Band Deiner Reihe „Hexen in Hamburg“ erschienen. Was erwartet die Leser*innen in der Hansestadt?

Amalia Zeichnerin: Um es ganz kurz zu fassen: Moderne, pagane (heidnische) Hexen kämpfen im Hamburg der Gegenwart gegen eine Gruppe völkischer Nazis – mit Magie und mit weltlichen Mitteln.

Literatopia: „Hexen im Hamburg“ soll moderne und reale Hexen repräsentieren – würdest Du uns das näher erläutern?

Amalia Zeichnerin: Ich kenne viel Phantastik mit Hexen, aber oft ist diese natürlich voller phantastischer Magie – z.B. spektakuläre Magier-Duelle, Telekinese, Teleportation, Telepathie und noch vieles mehr. Nun gibt es aber auch reale, moderne Hexen, die ebenfalls Magie wirken. Diese reale Magie ist nicht so »spektakulär«, wie man sie z.B. aus High-Fantasy-Epen kennt. Aber solche Hexen werden in der Literatur kaum repräsentiert, oder wenn, dann immer in Verbindung mit vielen weiteren phantastischen Elementen oder übernatürlichen Kreaturen.

Ich bin pagane Polytheistin und befasse mich seit mehreren Jahren mit Hexenkunst. Da lag für mich der Gedanke nah, reale Hexen zu repräsentieren, mit Magie, wie sie solche Menschen tatsächlich erleben könnten, aber nicht mit viel Phantastik drumherum. Deshalb spreche ich auch gern von einem Genre-Mix bei den »Hexen in Hamburg«: Urban Fantasy, Cosy Mystery und magischem Realismus.

Die Ausgangsidee stammt übrigens nicht von mir: Die aus meiner Sicht sehr empfehlenswerte amerikanische Buchreihe »The Witches of Portland« von T. Thorn Coyle hat mich sehr inspiriert, denn auch dort geht es um reale moderne Hexen, die sich mit Magie und weltlichen Mitteln aktivistisch betätigen. Ich habe T. Thorn Coyle angeschrieben, ob they etwas dagegen hätte, wenn ich auch eine Buchreihe über moderne Hexen schreibe und they war damit einverstanden.

Literatopia: Wie sieht reale Magie denn aus? Und inwiefern nutzt sie Deine Protagonistin Henny?

hexen in hamburg taschenbuchAmalia Zeichnerin: Es gibt verschiedene Arten von Zaubern. Dazu finden sich mehrere Beispiele im Roman, die möchte ich hier nicht spoilern : ) (also mit anderen Worten: das kann man im Roman nachlesen). Bzw. um doch auf die Frage einzugehen, es gibt verschiedene Arten, Magie zu wirken, je nach Tradition oder Methode, der die jeweilige moderne Hexe folgt.

Die Beispiele im Roman stehen entsprechend nicht stellvertretend für sämtliche Arten, real Magie zu wirken und ich kann nicht für jede magische Tradition sprechen.

Literatopia: Werwölfe und Vampire gibt es bei den „Hexen in Hamburg“ nicht, dafür verschiedene Astralwesen. Welche zum Beispiel?

Amalia Zeichnerin: Es sind Wesen, die nicht im Alltag, sondern während einer Astralreise für die Hexen sichtbar und hörbar werden: eine pagane Gottheit und eine Fylgja – das ist eine Art Schutzgeist aus dem nordischen Heidentum, der mit seinem Menschen eng verbunden ist. Außerdem eine Art Krafttier, wie es sie unter anderem im Schamanismus gibt. In weiteren Bänden der Buchreihe werden noch andere Gottheiten auftauchen, außerdem Geister (damit meine ich die Seelen von Verstorbenen, oder das, was noch von ihnen übrig ist.)

Literatopia: Erzähl uns mehr über Deine Protagonistin Henny. Was für eine Hexe ist sie? Und wo liegen ihre Stärken und Schwächen?

Amalia Zeichnerin: Ihre Stärken: Sie hat jahrelange Erfahrung mit Magie und dem Heidentum, entsprechend hat sie einiges an Wissen, das sie auch in ihrem Hexenladen für die Kundschaft einbringen kann. Sie ist ein verständnisvoller und rücksichtsvoller Mensch. Ihre polyamore Beziehung lebt sie ebenfalls rücksichtsvoll aus, in dem Sinne, dass sie darauf achtet, dass es allen Beteiligten gut geht mit dieser Beziehungsform.

Ihre Schwächen: Henny ist ein bisschen naiv an ihren Hexen-Stammtisch herangegangen und auch in einem anderen Punkt etwas gutgläubig. Aber im Verlauf der Handlung wird sie vorsichtiger und ergreift einige Sicherheitsmaßnahmen.

Literatopia: Im Klappentext werden fünf weitere Hexen erwähnt, die an Hennys Seite stehen. Würdest Du uns diese kurz vorstellen?

gruppenportrait mit schriftzugAmalia Zeichnerin: Jede dieser Hexen wird in einem späteren Band zur Hauptfigur, während die anderen dann jeweils zu Nebenfiguren werden.

Der Student Fabian hat gerade (in Band 1 der Reihe) die psychiatrische Diagnose bipolare Störung bekommen und kümmert sich nun um eine Therapie.

Alannah arbeitet als Physiotherapeutin, ist auf dem asexuellen Spektrum und hat eine Beziehung mit einer Frau, die ebenfalls auf diesem Spektrum ist.

Dani arbeitet in Teilzeit in Hennys Hexenladen, sowie als Künstlerin und Illustratorin. Sie ist Single und hat soziale Ängste.

Jannis ist ein Gothic und hat Verbindungen zur Antifa. Er ist gender-nonconforming und hat eine Behinderung.

Cedric ist ebenfalls queer und sehr naturverbunden. Er arbeitet in einer gemeinnützigen Organisation für Umweltschutz, das wird aber erst später in seinem Band näher thematisiert.

Alle sechs freunden sich miteinander an und bilden den »harten Kern« vom Hamburger Stammtisch für Hexen und Heid*innen.

Literatopia: Du setzt Dich für queere Repräsentation in der Phantastik ein. In den letzten Jahren wurde viel über Problematisches gesprochen, aber es gibt auch positive Entwicklungen. Was hat sich aus Deiner persönlichen Sicht zum Positiven verändert?

Amalia Zeichnerin: Ich bin intersektional und mir ging es bisher nicht allein um queere Repräsentation, sondern auch andere Marginalisierungsthemen. Ich denke, es ist gut, dass mittlerweile so viel darüber im deutschsprachigen Raum gesprochen wird und dass auch in größeren Verlagen mittlerweile mehr Diversität in den Büchern zu finden ist. Es ist auf jeden Fall eine positive Entwicklung, dass es mittlerweile Projekte wie das queerfeministische Magazin »Queer*Welten« gibt, oder auch unabhängige queere Zeitschriften oder »Die Neue Norm«, ein Magazin für Vielfalt, Gleichberechtigung und Disability Mainstreaming. Und natürlich auch zunehmend Podcasts und YouTuber, die sich diesen Themen widmen.

portrait amalia hexenhutIch sehe manche problematischen Tropes nun seltener, die früher sehr stark verbreitet waren, z.B. »Bury your gays/queers«. Bzw. wenn diese Tropes irgendwo doch auftauchen, machen Leute deutlich und kritisch darauf aufmerksam, mehr als früher, zumindest ist das mein Eindruck. Das ist ein guter Schritt in die richtige Richtung, würde ich sagen.

Was oft immer noch fehlt aus meiner Sicht, ist eine positive Repräsentation von dicken Menschen und von Menschen mit Behinderung. (Ich selbst habe ein, zwei Figuren geschrieben, die dick sind, z.B. bei den »Hexen in Hamburg« Henny, oder die eine Behinderung haben, z.B. Jannis). Was dicke Figuren angeht, freue ich mich schon sehr auf die Anthologie »Urban Fantasy going fat«, die bald im Verlag Ohneohren von Aşkın-Hayat Doğan und Elea Brandt herausgegeben wird.

Ich selbst bin mittlerweile nicht mehr aktivistisch tätig in Sachen Diversität. Dafür habe ich zu wenig Löffel/Energie, aufgrund meiner chronischen psychischen Erkrankung/Neurodivergenz und weil ich mich auch noch mit anderen Dingen befassen möchte. Ich werde weiterhin mit Diversität schreiben, soweit es mir möglich ist und ich liebäugele auch mit einigen Sachbüchern, z.B. über Queerfeminismus, um mich weiterzubilden. Aber ich beteilige mich nicht mehr aktiv an Diskussionen über Diversität und Repräsentation.

Literatopia: Du zeichnest auch, unter anderem Fantasylandkarten. Was macht denn eine schöne und übersichtliche Fantasylandkarte aus? Und womit fängst Du beim Zeichnen an?

Amalia Zeichnerin: Ich liebe es, frei erfundene Phantastikwelten für Taschenbücher und E-Books anschaulich zu machen und damit Leser*innen auch eine visuelle Orientierung in der jeweiligen Fantasywelt bieten. Zu kleinteilig sollte sie aus meiner Sicht nicht sein, dann wird es unübersichtlich. Das gilt auch dann, wenn sehr viele Details untergebracht werden müssen.

Ich mag für Fantasy (z.B. High Fantasy) am liebsten von Hand gezeichnete Karten, wie sie auch Figuren in der jeweiligen Welt selbst anfertigen oder vielleicht in einer Bibliothek finden könnten. Das wirkt auf mich immersiver als eine rein digital angefertigte Karte, ist aber natürlich Geschmackssache.

Karten zeichne ich zunächst in schwarz-weiß, ganz klassisch von Hand, mit Bleistift oder schwarzem Fineliner, letzteres sieht dann aus wie mit Feder und Tinte gezeichnet. Schriftzüge und eventuell weitere kleine Elemente füge ich digital ein.

Mein Ausgangspunkt ist immer eine Skizze, die nicht schön aussehen muss, aber so genau wie möglich ist und zeigt, wo sich Landschaften, Flüsse, Städte, Berge, Inseln usw. befinden. Wenn nötig, brauche ich auch Beschreibungen von Dingen, die etwas größer hervorgehoben werden sollten, z.B. Gebäude oder besondere Stätten.

 

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Literatopia: Du hast Dich bereits als Jugendliche für Phantastik und Historik interessiert. Was fasziniert Dich daran? Und welche Bücher haben Dich damals begeistert?

Amalia Zeichnerin: Magie hat mich immer schon fasziniert. Die reale, aber auch die ganz phantastische und da war der Schritt zur Phantastik für mich naheliegend – zumal darin oft auch Motive aus der Folklore und Mythologie aufgegriffen werden, was ich ebenfalls interessant finde. Ich habe mich als Jugendliche sehr für Geschichte interessiert und hatte insbesondere ein Faible für das England im 19. Jahrhundert, was mich später auch für mehrere Jahre zum Steampunk gebracht hat. Als junge Erwachsene habe ich mich queer durch die englischen Klassiker des 19. Jahrhunderts gelesen, z.B. die Brontë-Schwestern, Charles Dickens, Jane Austen, Oscar Wilde ... Ich war auch ein Fan der amerikanischen Autorin Edith Wharton (Die für »Die Zeit der Unschuld« den Pulitzerpreis gewonnen hat) und von William Somerset Maugham (1874 bis 1965).

Literatopia: Wie bist Du zum Schreiben gekommen? Und wovon handelte Deine erste Geschichte?

orangen und schokoladeAmalia Zeichnerin: Ich habe mir schon als Vierjährige am laufenden Band Geschichten ausgedacht. Erst mit 17 habe ich angefangen, eine Geschichte nicht nur im Geiste durchzugehen, sondern auch aufzuschreiben. Daraus ist ein Vampirroman geworden, den ich nie veröffentlicht habe, sondern bis heute als ausgedehnte Schreibübung betrachte. ;)

Literatopia: Würdest Du uns abschließend noch verraten, wie es mit den „Hexen im Hamburg“ weitergeht?

Amalia Zeichnerin: In Band 2, an dem ich in diesem Jahr arbeiten möchte, wird Hennys Kollegin Dani die Hauptfigur. Sie ist Single und möchte wieder auf Dates gehen. Als sie sich dafür in einem Datingportal anmeldet, passieren allerdings seltsame Dinge … und mehr möchte ich noch nicht verraten. ;)

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Amalia Zeichnerin: Vielen Dank auch von mir. :)


Fotos und Zeichnungen: Copyright by Amalia Zeichnerin

Website: https://amalia-zeichnerin.net/


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.