Stalker (Arkadi und Boris Strugatzki)

strugatzki stalker

Heyne, 13.12.2021
Originaltitel: Пикник на обочине/Piknik na obočine (1972)
Übersetzung von David Drevs
Klappenbroschur, 400 Seiten
€ 15,00 [D] | € 15,50 [A]
ISBN 978-3-453-32101-4

Genre: Science Fiction


Rezension

Was ist, wenn der Erstkontakt mit Aliens nur als Picknick am Wegesrand stattfindet? Außerirdische landen an sechs Orten auf der Erde, halten sich dort kurz auf, fliegen weiter und hinterlassen Spuren ihres Besuchs. Die Menschheit erfährt davon erst später, ohne dass es einen echten Kontakt gegeben hätte. Die Handlung des Romans, der erst Picknick am Wegesrand hieß und nun neu übersetzt als Stalker vorliegt, setzt 13 Jahre nach dem Alien-Besuch ein, Regierungen, Geheimdienste, Medien, Wissenschaftler*innen haben die Landeorte untersucht. Diese sind mysteriöse „Besuchszonen“, gefüllt mit fremdartigen technologischen Artefakten.

Der Zugang für Menschen ist lebensgefährlich, weil Zonen physikalische Anomalien und jede Menge Fallen enthalten. So existieren dort Areale mit extremer Gravitation, in denen alles im Wortsinn am Boden zerstört wird. Einigermaßen sicher bewegen sich in der Zone nur erfahrene Leute, Stalker genannt. Die wertvollen Technologien der Aliens sind sehr gefragt, es werden auf dem Schwarzmarkt hohe Preise bezahlt, weshalb Stalker Artefakte aus den Zonen zu schaffen versuchen. Dies ist streng verboten und wird mit Gefängnis bestraft. Die Zonen stehen unter Aufsicht der Vereinten Nationen. Stalker führen mitunter andere Menschen in die Zonen.

Einer der Landeorte ist Harmont. Dort lebt der Stalker Redrick Shewhart, ein aufmüpfiger junger Mann, der 23 Jahre alt ist, als wir ihn kennenlernen. Es ist seine Entwicklungsgeschichte, besser vielleicht: seine persönliche Reise, die handlungsbestimmend ist. Zu Beginn ist Red, wie er meist genannt wird, Single, später heiratet er seine Liebe Guta, sie gründen eine Familie. Red hat eine Neigung zur Gewalt, nie aber gegen Frau und Kind, und er trinkt gelegentlich mehr als er verträgt.

Red lebt für Frau und Tochter „Äffchen“, die wegen einer Besonderheit im Zusammenhang mit seinen Aktivitäten als Stalker so genannt wird. Wenn dieser Zusammenhang stimmt, ist „Äffchen“ nicht nur eine Mutantin, sondern vielleicht auch das Produkt einer auf genetischem Weg erfolgenden indirekten Kolonisierung der Menschheit durch die Aliens. Im Verlauf ihrer Entwicklung entkoppelt sich die Tochter zunehmend ihrer Umgebung, darin ihrem Vater nicht unähnlich.

„Ich bin ein Tier, du siehst doch, ich bin ein Tier. Ich habe keine Worte, man hat mir keine Worte beigebracht, ich kann nicht denken, diese Schweine haben nicht zugelassen, dass man mir das Denken beibringt.“

Stalker besteht aus vier Kapiteln, darunter drei Momentaufnahmen aus Redricks Leben, mit 23, 28 und 31 Jahren. Vorangestellt ist ein Auszug aus einem Interview mit Dr. Valentin Pillman, der gerade den Physik-Nobelpreis erhalten hat.

 „Ihre erste bedeutende Entdeckung, Dr. Pillman, war wohl der sogenannte Pillman-Radiant?

Das glaube ich nicht. Der Pillman-Radiant war weder die erste noch eine bedeutende, ja eigentlich überhaupt keine Entdeckung. Und auch nicht wirklich von mir.“

Die Brüder Arkadi und Boris Strugatzki arbeiteten seit 1971 an ihrem Roman. Teile daraus wurden ab 1972 veröffentlicht. Es dauerte jedoch acht Jahre und viele Auseinandersetzungen mit der sowjetischen Zensur, bis er endlich in Buchform veröffentlicht werden konnte. Der politische Kontext (Sowjetbürokratie, Kommunismus,…), in dem der Roman oft verortet wird, die Bedingungen, unter denen das Buch entstanden ist, all dies ist zumindest während der Lektüre nicht sichtbar.

Besuchsorte der Aliens verteilen sich über die Erde. Der Handlungsort Harmont verweist allein auf die Zone, nicht hingegen auf einen realen Ort. Er lässt ebensowenig eine eindeutige Identifizierung von Zeit, Ort und gesellschaftlichen bzw. politischen Rahmenbedingungen zu, wie die Namen der Figuren. Redrick, Guta, Captain Willie Herzog, Kirill Panow, Alois Macnaught, Rosalia, Dina Burbridge, Barmann Ernie in der Kneipe Borczch. Geld spielt eine große Rolle, hat aber keine Spezifikation; etwas kostet 750 Geld, wenngleich „grüne Scheinchen“ schnell an US-Dollar (greenback) erinnern. Vorsichtig lassen sich Marker erkennen, wie „zehn Jahre Straflager“, „Polizeikräfte der Vereinten Nationen“, Land Rover, „Irgendwer in Russland wird wohl um dich weinen“, „Was man in Europa für Habar so zahlt, weiß ich nicht“. Habar, wie die handelsfähige Beute aus der Zone genannt wird, ist ein Begriff, den es in Russland, Ungarn, Rumänien, Spanien und der Türkei gibt.

Die Artefakte tragen teilweise seltsame Namen, mit denen wir nichts anfangen können: Leerteile, schwarze Spritzer, Sprudellehm. Wissenschaftler versuchen seit 13 Jahren erfolglos herauszufinden, worum es sich bei den Artefakten handelt – für Science Fiction speziell. Manche Artefakte haben mysteriöse Eigenschaften. Ein Ring dreht sich ohne Unterbrechung, wenn er auf einem Finger getragen wird. Für viele Menschen sind die Zonen spirituell aufgeladen. Besonders begehrt ist die Goldene Kugel, eine Art Maschine, die Wünsche erfüllen können soll. Ob es sie gibt? Und wenn es sie gibt, ob sie Wünsche erfüllen kann?

Die erste Übersetzung des Romans durch Aljonna Möckel erschien 1976 im Verlag Das Neue Berlin (DDR), als Lizenzausgabe 1981 in zwei Verlagen: bei Suhrkamp, mit einem Nachwort von Stanisław Lem, und beim Verlag Volk und Welt (DDR). In allen Fällen ist der Titel Picknick am Wegesrand. Die Neuübersetzung bei Heyne enthält ein Vorwort von Wladimir Kaminer, einen Kommentar von Boris Strugatzki, Auszüge aus dem Arbeitstagebuch der Brüder Strugatzki, ein Nachwort von Elisabeth Bösl und David Drevs. Außerdem ist eine Erzählung der Strugatzkis beigefügt, Die Wunschmaschine, Umfang knapp 70 Seiten. Diese Erzählung ist der Ausgangspunkt für das Drehbuch zu Stalker, der Verfilmung des Romans durch Andrei Tarkowski. Insgesamt scheint eine bessere Ausgabe dieses Werkes nicht vorstellbar.


Fazit

Stalker ist ein Klassiker der Science Fiction, ein philosophischer Text über Sehnsucht und Verzweiflung, der abrupt endet. Heynes Neuübersetzung lässt mit ihren instruktiven Anhängen im Grunde keinen Wunsch offen.


Pro und Kontra

+ Science Ficton als unauffälliger politischer Metatext
+ liest sich äußerst unterhaltsam

Wertung:sterne5

Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5


Rezension zu Die Ohnmächtigen

Tags: SF-Klassiker, Science-Fiction, Erstkontakt, Arkadi Strugatzki, Boris Strugatzki