Tell Me I’m Worthless (Alison Rumfitt)

Rumfitt Tell Me

Cipher Press, 2021
Taschenbuch, 268 Seiten
£ 9,99 / € 11,95
ISBN 978-1-8383900-2-0

Genre: Horror


Rezension

Tell Me I’m Worthless, so Alison Rumfitt in der einleitenden Inhaltswarnung, ist in erster Linie ein Buch über zwei Dinge: Trauma und Faschismus. In der Behandlung dieser Themen deckt der Roman, so Rumfitt weiter, Rassismus, Antisemitismus, Transphobie, Vergewaltigung, Selbstverletzung und Suizid ab. Für ihr Vorhaben konstruiert die Autorin ein Beziehungsviereck, bestehend aus drei Frauen und einem Haus.

Vor drei Jahren in England: Trans Frau Alice, PoC Ila und die sich als drittes Rad am Wagen fühlende Hannah gehen in ein verwunschenes Haus. Nur Alice und Ila verlassen es wieder, traumatisiert, mit bruchstückhaften und widersprüchlichen Erinnerungen an die Geschehnisse.

Gegenwart: Alice nimmt Medikamente, trinkt viel Alkohol, verdient ein wenig Geld durch Selbstpräsentation (z.B. beim Putzen) im Internet. Im Alltag fühlt sie sich häufig bedroht. Ila arbeitet als Aktivistin in einer TERF-Gruppe mit und verbreitet transphobe Ansichten.

Die Frage, was sich im verwunschenen Haus tatsächlich ereignet hat, bestimmt die Handlung. Die Welt der Erzählung ist düster, voller Demütigungen, Einsamkeit und Sex, der nichts mit Liebe oder Zuneigung zu tun hat, gelegentlich sogar direkt bezeichnet wird als „hate sex“. Einen positiven Zugang zu den Figuren, vielleicht gar die Möglichkeit zur Identifikation, gibt es nicht, oder er wird enorm erschwert. Die Beziehung zwischen Ila und Alice ist die zweier früherer Freundinnen, die sich durch den gegenseitigen Vorwurf der Vergewaltigung in ihr Gegenteil verkehrt hat. Als sie nach langer Zeit wieder zusammenkommen, verstehen sie noch immer nicht, was die Ursache für ihre Beschädigung war.

Im letzten Teil des Romans befinden sie sich im Haus, von dem sie sich nie haben lösen können. Die beiden widersprüchlichen Perspektiven auf die Geschehnisse, die zu ihrer Entfremdung oder Feindschaft geführt haben, werden in einer zweispaltigen Synopse präsentiert. Dies macht sie mit Blick auf die Übereinstimmungen und Abweichungen unmittelbar miteinander vergleichbar. Wir bekommen Antworten auf die Fragen, wer was getan hat, worin die Ursache liegt.

Das verwunschene Haus ist eine Trope aus dem Gothic Horror. Bei Rumfitt steht es metonymisch für England. Zentraler Bezeichner für das Haus ist Albion, der antike Name für Großbritannien, der heute nur noch für England benutzt wird.

„Albion, not compassionate, not sane, stood ringed by a tangled forest, holding inside, however messily, its overpowering ideology“. (S.143)

Albion leitet sich ab von albus, weiß. Damit haben wir auch schon Rumfitts politisch-gesellschaftlichen Bezug. Wer im Haus lebt, entwickelt sich hin zum Faschismus, Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, hin zur Transphobie und Homophobie. Das Haus verabscheut, was nicht als weiß, reinrassig und überlegen etikettierbar ist. Es ist stolz auf seine Arbeit.

Im Horrorgenre hat der Raum eine große Bedeutung. Bei Rumfitt erscheint er fragmentiert. Es gibt den Raum der Reichen, in dem Zimmer schon mal obszön geräumig sind, wie Ila bei einer Party feststellt. Es gibt den Raum der Armen, in dem Alice lebt. Sie wohnt oben in einem Mehrfamilienhaus, in dem die Heizung so eingestellt ist, dass es in Alices Wohnung nicht warm wird. Beide Räume sind Sphären, in denen Investmentgesellschaften bestimmend sind. Das verwunschene Haus beschreibt den dritten Raum. Investoren versuchen immer wieder, es in einen Apartmentkomplex zu transformieren.

England ist in Tell Me I’m Worthless am Rand des Zusammenbruchs, an dem schon lange gearbeitet wird, spätestens seit Margaret Thatcher, die namentlich genannt wird. Die Hauptfiguren erleben ein England als Höllenloch, das von einer ausbeuterischen Gruppe aus der Oberschicht über Umverteilung neugestaltet wird. Die Leitung dieses Unternehmens hat in der Gegenwart des Romans der ebenfalls namentlich genannte Boris Johnson. Als sozialkritischer Text ist Tell Me I’m Worthless radikal, kompromisslos und durchaus diskussionswürdig. Und je nachdem, wo die Teilnehmer*innen in dieser Diskussion sitzen, belegt die Empirie Rumfitt, oder eben nicht.

Das Buch ist somit keine leichte Lektüre. Die Handlung beginnt mit einem Prolog („The Face in the Wall“) und dem Satz „Long after the House is gone, it’s there“. Das liest sich erst einmal seltsam, wird aber zum Buchende hin klar. Ein Junge, 12 Jahre alt, zieht mit seinen Eltern in eine neue Apartmentwohnung. Der Vater ist arbeitslos, gibt daran den „fucking immigrants“ (S. 2) die Schuld, schaut den ganzen Tag TV und füllt seinen Jungen mit faschistoidem Müll. Der Junge kommt irgendwann auf die Idee, das Gerede des Vaters im Internet zu überprüfen. Und er stellt dabei fest, dass sein Vater noch untertreibt. Wir erleben den Beginn einer Radikalisierung. Das Romanende kommt hierauf in schrecklicher Weise zurück.


Fazit

Manchmal gibt es fiktionale Texte, die die Geschichte eines verwunschenen Hauses erzählen, wie sie noch nicht erzählt wurde. Die Queerness und alltäglichen Faschismus auf radikale und politische Weise gegeneinandersetzen und aufeinander wirken lassen. Die so sehr dem ursprünglichen Begriff des Punk entsprechen, dass vielleicht die Frage aufkommt, warum so viele Texte heute als Punk bezeichnet werden, die jenseits des Markettagging etwas ganz anderes sind. Tell Me I’m Worthless ist ein solcher Text, ein Horrorroman, der Mängel aufweist und lesenswert ist, dessen Inhaltswarnung durchaus ernst genommen werden sollte. Trans Frau Alison Rumfitt präsentiert interessante Figuren und einiges an Transpolitik, darunter Gedanken und Positionen zu TERF. Sie setzt Tell Me I‘m Worthless (2021) gegen die mit der Diskursintensität wachsende Transphobie in England.


Pro und Kontra

+ ein hartes sozialkritisches Drama
+ viszeraler Horror

- teils didaktisch recht hart aufs Auge gedrückte Aussagen

Wertung: sterne3.5

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 4/5

Tags: queere Figuren