Elea Brandt (15.03.2023)

Interview mit Elea Brandt

Profilfoto von Elea Brandt: junge, lächelnde Frau mit gemustertem Undercut und kinnlangem rotpinken HaarLiteratopia: Hallo, Elea! Im März erscheinen endlich Deine „Outlaws in Space“ bei Plan 9. Was erwartet die Leser*innen in „Kalubs End“?

Elea Brandt: Hallo Judith. „Kalubs End“ ist ein queerer Space-Western irgendwo zwischen Firefly, Cowboy Bebop und Solo. Es geht um moralisch flexible Held*innen, politische Intrigen, Klimawandel, Solidarität und die Bedeutung von Familie.

Literatopia: Dein Protagonist Leyo arbeitet als Barmann und träumt von der „guten alten Zeit“ – was war denn damals besser? Und wie plant Leyo, seine Situation zu verbessern?

Elea Brandt: Leyo ist ein Adrenalinjunkie. Nachdem er unter anderem wegen seines ADHS unehrenhaft aus dem Militär ausgeschieden war, verdingte er sich über viele Jahre als Schmuggler – und er war gut in seinem Job. Nur lassen sich Familienpläne und illegale Jobs nur schwer vereinbaren, deswegen hat Leyo seiner Familie versprochen, sesshaft zu werden. Leider ist er mit seiner Arbeit als Barmann alles andere als zufrieden – und als ihm dann ein mysteriöser Fremder ein verlockendes Angebot unterbreitet, kann er nicht widerstehen … Ob das seine Situation wirklich verbessert, nun ja, das werden wohl die Leser*innen entscheiden müssen. ;)

Literatopia: Familie spielt in „Kalubs End“ eine wichtige Rolle, insbesondere die „Found Family“. Wer gehört denn zu Leyos Wahlfamilie? Und was macht ihnen das Leben schwer?

Elea Brandt: Leyos Wahlfamilie besteht aus seiner Frau Liska und seiner nicht binären Partnerperson Amjan. Die drei sind miteinander verheiratet und haben sich im heruntergekommenen Kaff Kalubs End eine gemeinsame Existenz aufgebaut. Aktuell erwarten sie ihr erstes gemeinsames Kind.

Was ihnen das Leben schwer macht … Tja, darauf gibt es sehr viele Antworten, unter anderem Leyos Übereifer, ein skrupelloser Verbrecherboss, der Klimawandel, der Turbokapitalismus und einige Facetten dazwischen. :)

Literatopia: Das Buchcover erinnert mit seinen Rottönen an den Mars – sieht es auf Ranun so ähnlich aus? Wie leben die Menschen dort, nachdem der Rohstoff-Hype vorbei ist?

Elea Brandt: Ja, ich denke, man kann sich Ranun ein bisschen vorstellen wie eine bewohnbare Version des Mars oder – um im fiktionalen Bereich zu bleiben – wie eine Mischung aus Dune, Tatooine und Naboo. Es ist ein Planet, der vor allem von Steppen und Wüsten durchzogen ist, also insgesamt wenig freundlich für die menschliche Spezies.

Wie du schon angedeutet hast, war der Planet über viele Jahrzehnte geprägt von einem Rohstoff-Hype. Der Rohstoff Vicarium ist für den Raumschiffantrieb unerlässlich, gleichzeitig führt sein Abbau aber zu erheblichen Schäden am Planeten. Nachdem die Rohstoffreserven irgendwann aufgebraucht waren, wurde Ranun sich selbst überlassen, ungeachtet der Perspektivlosigkeit, der hohen Arbeitslosenquote und des drohenden Klimawandels. Wer heute noch auf Ranun Geld verdienen will, verbündet sich entweder mit skrupellosen Unternehmen – oder mit Gesetzlosen. Gleichzeitig gibt es aber auch Communities, die solidarisch zusammenhalten und gemeinsam versuchen, dem Elend zu trotzen. Dazu gehört auch der namensgebende Ort Kalubs End.

Literatopia: Wie viele Planeten werden in Deinem Space Western von Menschen bewohnt? Wie reisen sie durchs All? Und gibt es Aliens in „Kalubs End“?

Elea Brandt: O je, wie viele bewohnte Planeten existieren, kann ich gar nicht beantworten. Es spielt aber auch keine große Rolle, denn das Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit ist in diesem Teil des Universums schon lange etabliert. Man kommt also mit dem richtigen Raumschiff ohne Probleme von einer Galaxis in die nächste.

Tatsächlich gibt es auch nicht-menschliche Spezies, aber ich muss darauf hinweisen, dass das Wort „Alien“ politisch nicht korrekt ist. Also sprechen wir lieber von Para-Humanoiden. ;)

Literatopia: Vor „Kalubs End“ hast Du mehrere, teils düstere Fantasyromane veröffentlicht. Wie bist Du dann zur Science Fiction gekommen?

Elea Brandt: Um ehrlich zu sein, in der ersten sehr groben Idee zu „Kalubs End“ war der Roman noch als Fantasy konzipiert. Eine gute Freundin von mir, mit der ich gemeinsam am Plot gefeilt habe, hat dann die Idee aufgebracht, das ganze als Science-Fiction-Projekt umzusetzen. Anfangs war ich skeptisch, weil ich in dem Genre noch gar keine Erfahrung hatte, aber mittlerweile bin ich sehr zufrieden mit dem Genrewechsel. Es hat mir noch mal ganz neue Möglichkeiten eröffnet und ich hatte echt Spaß daran, moderne Elemente wie Social Media, Unterhaltungsmedien oder Popkultur einzubauen.

Literatopia: Bei den Tags & Tropes zu „Kalubs End“ findet man unter anderem den Begriff „Frenemies“ – was reizt Dich persönlich daran?

Elea Brandt: „Frenemies“ steht ja für einen speziellen Trope, bei dem Feinde zu Freunden werden oder zumindest auf freundschaftlicher Ebene zusammen arbeiten müssen. Ich finde, darin liegt eine sehr spannende Dynamik: Gegnerische Parteien müssen sich ihrer Gemeinsamkeiten bewusst werden, ihre Motive hinterfragen und Vorurteile überwinden – zugunsten eines gemeinsamen Ziels.

Natürlich hat dieser Trope auch seine Grenzen. Es gibt Feindseligkeiten, die sind zu tief, um sie zu überbrücken. Insofern ist auch hier ein bisschen Fingerspitzengefühl nötig. Ich hoffe, mir ist ein sensibler Umgang damit gelungen.

Literatopia: Du liebst komplexe Charaktere und verfügst als Psychologin über viel Wissen, um diese auch umzusetzen. Was zeichnet für Dich persönlich gelungene Romanfiguren aus? Und wie gehst Du bei der Gestaltung Deiner eigenen Charaktere vor?

Elea Brandt: Ich mag komplexe Figuren mit Ecken und Kanten, die ihre Stärken ausspielen und ihre Schwächen akzeptieren – oder auch mit ihren Aufgaben hadern. Selbst Klischees können mich in gewissen Dosen unterhalten. Ich kann aber oft gar nicht voraussagen, welche Figuren mein Herz erobern und wo es nicht funkt. Das ist oft individuell verschieden.

Was meine eigenen Figuren angeht … Ich weiß, das klingt klischeehaft, aber ich brauche ein Gefühl für ihre Denk- und Verhaltensweisen. Wirklich glücklich bin ich mit meinen Figuren, wenn sie eine eigene Dynamik entwickeln und wenn ich beim Schreiben intuitiv spüre, was in ihnen vorgeht. Ich glaube, da habe ich mir viel aus dem Rollenspielbereich abgeschaut. Da können auf einem Charakterbogen alle möglichen Zahlenwerte stehen, am Ende zählt, ob man ein Gefühl für den Charakter entwickelt.

Trotzdem überlasse ich natürlich nicht alles dem Zufall, sondern überlege mir auch gezielt, wie ich gute und vielfältige Repräsentation schaffen kann. In „Kalubs End“ habe ich Protagonist*innen, die neurodivers, behindert, Schwarz, queer, nicht binär und/oder dick sind – und ich fand es großartig, Raum für so viele Facetten zu haben.

Literatopia: Bereits im Kindergarten hast Du Dir eigene Geschichten ausgedacht und aufs Papier gebracht und in Deiner Jugend das geschrieben, was Du selbst gerne gelesen hast. Wann kam der Moment, als für Dich klar wurde, dass Du nicht nur schreiben, sondern auch veröffentlichen willst? Und wie ist es Dir dann gelungen?

Elea Brandt: Das war ein längerer Prozess. Vor rund 10 Jahren habe ich beschlossen, mein Schreiben zu professionalisieren, und habe mich beim Tintenzirkel Fantasyautorenkreis angemeldet. Beim Tintenzirkel habe ich viel gelernt, handwerklich, aber auch über das Verlagsgeschäft. In diesem Rahmen ist dann auch im National Novel Writing Month, dem Nanowrimo, mein Debütroman „Opfermond“ entstanden. Im Jahr darauf bin ich zum ersten Mal auf dem BuCon gewesen und habe dort Kontakte zu einigen Kleinverlagen geknüpft. Dadurch habe ich genug Mut gefasst, um mein erstes Manuskript einzureichen – und zu meiner Freude hatte ich damit Erfolg.

Literatopia: In den letzten Jahren ging es in der Phantastik-Szene teils sehr turbulent zu, vieles ist im Umbruch und die Phantastik hat es auf dem Buchmarkt nach wie vor schwer. Wir reden oft über die Probleme, aber was hat sich aus Deiner Sicht zum Positiven verändert?

Elea Brandt: Ich denke, der Blick für wichtige Themen wie Diversität, sensible Repräsentation, Sensitivity Reading oder Content Notes ist definitiv geschärft worden. Mit der progressiven Phantastik ist durch James A. Sullivan und Judith C. Vogt eine ganze Bewegung entstanden, die sich daran versucht, verstaubte Traditionen aufzubrechen und neue Wege zu beschreiten. Dadurch sind tolle Kooperationen und Projekte entstanden – und entstehen noch immer. Einen Roman wie „Kalubs End“ hätte ich ohne diese vielfältigen Einflüsse und Stimmen nie schreiben können.

Literatopia: Inwiefern eignet sich insbesondere die Phantastik für gesellschaftspolitische Themen? Und warum wird sie dennoch oft nicht ernst genommen?

Elea Brandt: Die Phantastik funktioniert hervorragend als Spiegel – oder Zerrbild – gesellschaftspolitischer Themen. Ich muss ja zugeben, „Kalubs End“ war ursprünglich als locker-leichtes Popcorn-Kino ohne politischen Überbau geplant, aber am Ende ist es eines meines politischsten Bücher geworden, und das ist gut so.

Für mich hat das Schreiben auch immer etwas Befreiendes. Wir leben in so intensiven Zeiten, da fällt es schwer, das auszublenden. In „Mutterschoß“ habe ich wütend gegen Ungerechtigkeiten angeschrieben, „Kalubs End“ ist vor allem eine Vision davon, wie Menschen in Krisenzeiten ihre Hoffnung bewahren können. Hopepunk, gewissermaßen. Ich glaube, das ist eine Idee, die uns allen guttut.

Dass die Phantastik oft nicht ernst genommen wird, liegt, denke ich, daran, dass wir in Deutschland immer noch diese willkürliche Trennung zwischen „ernster“ und „Unterhaltungsliteratur“ habe. Das suggeriert, dass Unterhaltung keinen Wert hätte und nicht in der Lage wäre, wichtige Botschaften zu kommunizieren. Zum einen halte ich das für unfair, weil wir Unterhaltung und Eskapismus gerade in schwierigen Zeiten mit Pandemie, Krieg und Klimakatastrophen dringend brauchen. Daran ist nichts Verwerfliches. Und zum anderen kann die Phantastik ganz großartige, bedeutsame und intensive Botschaften vermitteln. Wer das negiert, hat einfach keine Ahnung vom Sujet.

Literatopia: Auf Deiner Website findet man bereits den Titel des zweiten Bandes Deiner „Outlaws in Space“: „Phönix“. Kannst Du uns schon ein wenig darüber verraten?

Elea Brandt: Zu viel kann ich noch nicht verraten, sonst würde ich spoilern. Tatsächlich sind die „Outlaws in Space“ als Trilogie angelegt und ich verspreche, es geht spannend weiter. Der erste Teil ist aber in sich abgeschlossen und es gibt keinen harten Cliffhanger am Ende.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Elea Brandt: Sehr gerne!


Foto: Copyright by Elea Brandt

Website: https://eleabrandt.de

Interview mit Elea Brandt in PHANTAST #22 "Wüsten"

Rezension zu "Mutterschoß"

Rezension zu „Opfermond"

Rezension zu "Sand und Wind"


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.