Certain Dark Things (Silvia Moreno-Garcia)

certain dark things

Jo Fletcher Books, 2021
Gebunden, 272 Seiten
~ £ 9 / ~ € 11
ISBN: 978-1-52941-560-5

Genre: Horror, Urban Fantasy, Krimi


Rezension

Certain Dark Things ist Silvia Moreno-Garcias zweiter Roman und hat eine interessante Publikationsgeschichte, die die Autorin in ihrer Vorbemerkung schildert. Erstmals veröffentlicht in 2016, kurz darauf wieder aus dem Handel genommen und 2021 erneut publiziert, sieht sie das Buch als einen Wiedergänger. Als Genrecrossover ist es Urban Fantasy, Horror und Kriminalgeschichte.

Der 17-jährige Domingo, der ein wenig Geld mit Abfall verdient, trifft auf die junge Atl, die ihn als Handlanger beschäftigt. Atl ist auf der Flucht vor Nick, dem Sohn eines Clanbosses. Nick möchte sie qualvoll töten, weil sie ihn öffentlich gedemütigt hat. Mit Rodrigo, der rechten Hand seines Vaters, und ein paar Gangmitgliedern sucht er Atl. Rodrigo soll auf Nick aufpassen, den rücksichtslosen Problemgenerator und Papas Liebling.

Ana Aguirre ist eine Polizistin (Detective) um die 50, die bei ihrem Chef und in ihrem Department einen schlechten Stand hat. Sie würde lieber heute als morgen ihren Job in der korrupten Behörde aufgeben. Aber sie ist alleinerziehende Mutter und bekommt gerade so das Schulgeld für ihre Tochter zusammen. Es gibt also gute Gründe, warum Ana ein Kartell bei der Suche nach Atl unterstützt. Soweit haben wir es mit einer Art standardisiertem Szenario aus der Krimiwelt zu tun. Und nun zu Urban Fantasy und Horror. Die Menschheit lebt mit vampirischen Wesen zusammen, ähnlich wie in der Serie True Blood. Allerdings haben aufgrund von zunehmenden Spannungen manche Länder sie ausgewiesen, andere deportiert, zumeist nach Lateinamerika. Und so kommt es, dass Vampire und Vampirinnen aus verschiedenen Ländern und Kulturen sich in Mexiko angesiedelt haben. Nicht alle sind friedlich, manche kriminell. Moreno-Garcia verortet in diesem Motivkomplex Diskurse über Kolonialismus, Rassismus und Sexismus.

Mexico City war für Vampire und Vampirinnen eine Zeitlang Sperrzone mit rücksichtslosen Maßnahmen zum Statuserhalt. Aber natürlich findet die Natur immer einen Weg, und bald kamen die ersten Vampire und Vampirinnen in die Stadt. Moreno-Garcia führt in ihrem Glossar ein ganzes Arsenal vampirischer Wesen auf, von denen drei für die Handlung von Interesse sind, während der Rest nur hier und da erwähnt wird.

Atl ist eine geflügelte mexikanische Vampirin aus alter aztekischer Blutlinie (Tlāhuihpochtli) mit matriarchaler Organisationsstruktur. Sie kann sich in Sonnenlicht aufhalten. Atl ist beizeiten sehr unangenehm. Sie reagiert ungehalten, wenn ihr Renfield Domingo sich als ihr Beschützer aufspielt. Der vampirische Clan, für den Rodrigo arbeitet, besteht aus Necros. Deren Herkunftsraum ist Mitteleuropa, sie sind dem klassischen Typus (Dracula) am ähnlichsten. Ihre Clanstruktur ist patriarchal, sie haben scharfe Fangzähne und mehrere Zahnreihen, blasse Haut, sind sonnenlichtempfindlich, können jede Art von Blut trinken, außerdem Alkohol, können Menschen manipulieren (Blutkontakt). Die Necros sind auf banale Weise böse, wollen einfach nur Macht und Reichtum. Als vampirische Spiegelung eines Drogenkartells ist der Clan Godoys angelegt. Die Necros haben Atls Familie abgeschlachtet und deren Territorium übernommen. Nun versuchen sie, das Kartell Deep Crimson in Mexico City aus dem Drogengeschäft zu verdrängen.

Der grausamste Vampir ist Nick Godoy, der, wenn er nicht gerade seinen erotisch besetzten Neigungen als Vergewaltiger und Serienmörder nachgeht, exzessiv Blutkonserven und Spirituosen säuft. Die einzigen Regeln, denen Nick gehorcht, sind von seinem Vater gesetzt. Ihm gefällt es auch, Frauen seinem Willen zu unterwerfen, sie unter Einsatz seiner vampirischen Fähigkeiten zu Puppen zu machen. Das Puppen-Motiv scheint sich durch Moreno-Garcias Werk zu ziehen. In Mexican Gothic werden von der Protagonistin Noemí und ihrer Cousine Catalina Paper Dolls ausgeschnitten und bekleidet. In The Daughter of Doctor Moreau liebt Protagonistin Carlota Puppen, zu denen sie eine recht enge Bindung hat.

Der Vampir Bernardino ist ein Revenant. Revenants führen eine zurückgezogene Existenz, absorbieren Lebensenergie, auch die anderer vampirischer Wesen, können Gedanken lesen und kommen ursprünglich möglicherweise aus Russland. Trotz seiner unheimlichen Erscheinung und seiner gruseligen Fähigkeiten ist Bernardino im Ensemble der einzige Vampir, dem sich Sympathiewerte zuweisen lassen.

Insoweit es ein Krimi ist, geht es um Drogenkartelle, Narcos, ihre vampirischen Konkurrenten, Necros, und einen brutalen Verdrängungswettbewerb, der das gesellschaftspolitische Klima in Mexiko bestimmt und im Roman auch ausgespielt wird. Eine wichtige Rolle wird dabei der Polizistin Ana Aguirre zugewiesen. Durch die alleinerziehende Mutter, deren Tochter einem Genreklischee folgend irgendwann zum Pfand wird, erhält die Story eine starke menschliche Komponente, die weit über das hinausreicht, was die Figur Domingo ermöglicht. Ana könnte eine Van Helsing sein, kennt sich mit vampirischen Wesen aus und hat auch bereits einige „getötet“. Sie versucht bei allen negativen Einflüssen in ihrem Job sauber zu bleiben. Ob ihr dies gelingt? Moreno-Garcia liefert viele Dinge, aber keine Zeichnungen in schwarz-weiß.

Certain Dark Things erzählt noch eine weitere Geschichte. Ein Teenager verliebt sich in eine Vampirin. Domingo hat schon viel einstecken müssen, als er Atl kennenlernt, besonders ständige Demütigungen durch den grausamen Anführer einer Gang, der ihm die Freundin weggenommen hat. Sein einziger Freund verrät ihn. Es geht hier um Desiderate und Konstruktionen. Den offensichtlichen Mangel, der zur Gestaltung von Zuneigung führt, das Begehren, das auf ein unerreichbares Objekt gerichtet ist, aber dennoch ein Stück weit ausgelebt wird. Nach drei Vierteln des Romans klärt Bernardino Domingo darüber auf, dass „Vampire ihr Hunger sind“, dass der Wille zum Überleben und der Bluthunger die einzigen definierenden Parameter einer vampirischen Existenz sind. In einem längeren Gespräch wischt Bernardino, der alte Revenant, den Raum der Vampir-Romanze kräftig durch.

Freundschaft wird in der Welt vampirischer Wesen definiert als eine Beziehung, die strikten Regeln folgt und zweckorientiert ist. Gefühle wie Liebe gibt es dort nicht. Andererseits hat zumindest Bernardino Erinnerungen an frühere Zeiten und hört gerne alte Schallplatten (Vinyl). Für Domingo ist dies alles äußerst interessant, hat er sein Wissen über vampirische Wesen doch nur aus Horrorfilmen, Comics und Romanen. Er erzeugt gelegentliche Abgleiche zwischen Realität und Fiktion, wird insbesondere von Atl oft darauf hingewiesen, was für dämliche Vorstellungen er von vampirischen Wesen hat. Silvia Moreno-Garcia hat ihr Buch dem mexikanischen Schauspieler Germán Robles gewidmet, der mit seiner Vampirfigur Karol de Lavud berühmt wurde.


Fazit

Certain Dark Things funktioniert wie ein Räderwerk, das aus einer Vielzahl von Actionfilmen und Horrorgeschichten bekannt ist. Die Bezüge zum Kolonialismus, Rassismus und Sexismus erreichen bei weitem nicht die Tiefe wie in ihren späteren Büchern. Interessant sind aber manche Figuren, vor allem Domingo und Ana, und die Geschichte liest sich unterhaltsam. Für das Gleichgewicht zwischen übernatürlicher und natürlicher Sphäre ist die Spiegelung von vampirischen und menschlichen Drogenkartellen essenziell.


Pro und Kontra

+ unterhaltsam geschriebener Neo-Noir mit vampirischen Wesen
+ einfallsreiches Vampiversum
+ gut ausgearbeitete Handlungsbühne

- durch viele aus Filmen bekannte Set Pieces ein Stück weit vorhersehbar

Wertungsterne3.5

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 4/5


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