Der mexikanische Fluch (Silvia Moreno-Garcia)

Moreno Garcia Der mexikanische Fluch

Limes, 21.10.2022
Originaltitel: Mexican Gothic (2020)
Übersetzung von Frauke Meier
Gebunden, 410 Seiten
€ 22,00 [D] | € 22,70 [A] | CHF 30,15
ISBN 978-3-8090-2747-8

Genre: Horror


Rezension

Noemí Taboada ist eine 22-jährige Studentin der Anthropologie und lebt mit ihrem Vater in Mexico City. Sie geht gerne auf Partys, raucht Gauloises und fährt Sportwagen. Es sind die 1950er Jahre. Wenig überraschend, ist Noemí eine selbstbestimmte und lebenshungrige junge Frau. Ihre Cousine Catalina ist seit kurzer Zeit mit dem Engländer Virgil Doyle verheiratet. Noemís Vater erhält einen seltsamen Brief von Catalina, die um Hilfe bittet, weil sie sich durch die Familie ihres Ehemannes bedroht fühlt. Noemís Vater schlägt vor, dass sie das abgelegene Anwesen High Place besucht, um sich ein Bild von Catalinas Situation zu machen.

High Place erweist sich als ein unheimlicher Ort, dunkel, kalt und mit starkem Schimmelbefall. Catalina macht einen kranken Eindruck, spricht von Geistern und hat Halluzinationen. Noemí möchte, dass ihre Cousine psychiatrisch untersucht wird. Catalinas Schwiegervater Howard Doyle ist ein ans Bett gefesselter grausamer und rassistischer Patriarch. Howards Nichte Florence verhält sich Noemí gegenüber feindselig. Während Noemí die Heilerin Marta Duval und den Arzt Julio Eusebio Camarillo als Verbündete im nahegelegenen Ort El Triunfo findet, zeigt sich nach und nach, wer die Doyles sind. Noemí deckt ein Geflecht aus moralischem Verfall und Verbrechen auf. Bald leidet auch sie unter Krankheitserscheinungen, die sie bei Catalina zuvor beobachtet hat.

Silvia Moreno-Garcia verwendet aus dem Gothic Horror bekannte Elemente. Wie in Daphne Du Mauriers Rebecca („Vergangene Nacht träumte ich, ich wäre wieder in Manderley.“), hat eine junge Frau einen ihr kaum bekannten Mann geheiratet. Als Noemí ihrer Cousine zu Hilfe kommt, wird sie am Bahnhof abgeholt von Francis, Florence‘ Sohn, und fährt mit ihm durch dichten Nebel auf die Anhöhe mit dem alten verfallenen Haus. Florence ist so kalt wie undurchsichtig, erzeugt aber einen bösartigen Eindruck. Catalina, einst eine lebensfrohe Frau, liegt wie eine Gefangene in ihrem Bett. Ihr Lebenswille scheint kaum mehr vorhanden.

Moreno-Garcia arbeitet sich an die Grenze der Gothic Novel vor und gleitet bemerkenswert sanft in Lovecraftsches Terrain hinüber. Dort geht es natürlich alles andere als sanft zu. Lovecrafts Erzählung Das gemiedene Haus, mit üblem Gestank, Schimmelflecken und Schwämmen, einer Kraft, die den Menschen Alpträume verursacht und ihnen die Lebensenergie nimmt, fällt hier sofort ein. Der mexikanische Fluch wird nicht nur vermarktet als post-kolonialer Gothic Horror, die Autorin thematisiert auch Rassismus, Kolonialismus, Klasse und soziale Ungleichheit. Die Doyles sind vor langer Zeit aus England nach Mexiko gekommen und haben wie Dracula Heimaterde mitgebracht. Sie haben ihren Reichtum erworben durch die Ausbeutung von Silbervorkommen und die indigene Bevölkerung. Als Noemí in den Ort El Triunfo fährt, um mit dem Arzt Camarillo über Catalina zu sprechen, bittet sie ihn, nach High Place zu kommen. Der Doktor verweist auf seine Herkunft und darauf, dass High Place einen importierten englischen Arzt hat, er also dort aus zwei Gründen nicht gerne gesehen ist.

Während Moreno-Garcia uns High Place plastisch näher bringt, bleibt das mexikanische Umfeld ein wenig unscharf. Dies lässt sich auf multiple Weise verstehen. Beispielsweise so, dass die mittlerweile scheintoten Engländer sich wahrnehmungstechnisch abgekoppelt haben, weil ihre „große Zeit“ in Mexiko vorbei ist. Aber bei Du Maurier spielt das Umfeld von Manderley ja auch kaum eine Rolle. In Der mexikanische Fluch erscheint das Haus zu Beginn als ein Marker für etwas anderes, vor allem eine Seelenlandschaft. Später dann zeigt es sich nicht nur als Ausgangspunkt für Körper-Horror.

Das alte finstere Haus ist Bestandteil eines Gewebes, in welches die Doyles nicht nur durch einen Pilz und Schimmel eingebunden sind. Als Noemí den Patriarchen Howard sieht, erblickt sie einen von übelriechenden Geschwüren entstellten Mann. Dies passt so gar nicht zu dessen eigenem Anspruch, seinem obsessiven Interesse an Eugenik. Nachts hat Noemí seltsame Träume, die mitunter zu Alpträumen werden, in denen sie schlafwandelt oder Virgil erotisch gesehen wird, obwohl sie ihn nicht ausstehen kann.


Fazit

Der mexikanische Fluch ist eine klassische Schauergeschichte, Catalina ist die klassische gefährdete Frau, zu deren Rettung aber nicht ein Mann kommt, sondern ihre Cousine Noemí Taboada. Die selbstbewusste Noemí gerät in ein böses post-koloniales Szenario des Grauens auf dem Anwesen High Place und bekommt es zu tun mit Beinahe-Untoten, Schimmel und einem unheimlichen Pilz. Silvia Moreno-Garcia inszeniert einen sich langsam entwickelnden Alptraum, der erzählt wird in der dritten Person Singular, allerdings aus der Wahrnehmung Noemís, und primär mit Elementen der Gothic Novel arbeitet.


Pro und Kontra

+ Familie mit dunklen Geheimnissen
+ altes finsteres Haus
+ unterhaltsam und spannend erzählt
+ das Grauen kommt auf leisen Sohlen
+ geschickter Einbau kolonialer Motive in die Schauergeschichte

Wertung:sterne4.5

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4,5/5


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Tags: Rassismus, Silvia Moreno-Garcia, Post-Kolonialismus, Eugenik, Gothic Horror