Gard Spirlin (20.04.2023)

Interview mit Gard Spirlin

gard spirlinLiteratopia: Hallo, Gard! In Deinem SF-Roman „Scott V.P.I. - Mörderjagd im Cyberspace“ wird Schriftsteller Frank Dekker nach einem One-Night-Stand zum Hauptverdächtigen in einem Mordfall – und ermittelt selbst, um seine Unschuld zu beweisen. Wie geht er dabei vor?

Gard Spirlin: Zunächst vielen Dank für das Interview! Das Thema Künstliche Intelligenz hat ja in letzter Zeit enorm an Fahrt aufgenommen und ich bin sehr froh und eigentlich erstaunt, einen fast prophetischen Plot dazu geliefert zu haben, noch bevor der Hype um ChatGPT losbrach!

Frank hat ursprünglich gar nicht vor, selbst zu ermitteln, er wird quasi von seiner Assistenz-KI dazu überredet. Er ahnt zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht, dass diese noch viel mehr kann, als ihn nur bei seiner Autorentätigkeit zu unterstützen. Und so stolpert er mehr schlecht als recht durch ein Abenteuer, dem er eigentlich nicht gewachsen ist.

Literatopia: Was ist Frank für ein Typ? Wo liegen seine Stärken und Schwächen? Und welche Art von Büchern schreibt er eigentlich?

Gard Spirlin: Frank ist eher ein Antiheld. Er ist klein und übergewichtig, noch dazu ein nur durchschnittlicher Schriftsteller von schmalzigen Liebesromanen, die er aber dank seiner Assistenz-KI ganz gut hinbekommt. Aber er ist gewitzt und ein Lebenskünstler, der Instinkt besitzt und auch Charme bei den Frauen hat. Und um gleich die Frage nach Ähnlichkeiten zu meiner Person auszuschließen: Ich selbst bin 1,90 groß und schüchtern (grinst).

In seiner Vergangenheit hatte Dekker auch einmal Probleme mit dem Gesetz, die Vorgeschichte dazu, „RoboWrite“, ist vor Jahren einmal in der Computerzeitschrift c’t erschienen und kann auch von meiner Website heruntergeladen werden. Zu dieser Zeit waren Chatbots noch rein textbasiert, die Assistenz-KI aus dem Roman ist da natürlich schon fortgeschrittener.

scott vpiLiteratopia: Erzähl uns mehr über die Assistenz-KI „Scott“. Was kann Scott – und was nicht? Und wie kann eine Autorensoftware bei einer Mordermittlung helfen?

Gard Spirlin: Zunächst stellt sich Scott – so nennt Dekker sein digitales Helferlein – als zwar eigenwillige und launige, aber dennoch auf seinen Einsatzzweck begrenzte Schreibhilfe dar. Er kann in allen frei zugänglichen Datenquellen selbstständig recherchieren und formuliert die Ideen und Handlungsgerüste, die ihm Dekker vorgibt, zu kompletten Romanen aus. Ich hätte nie gedacht, dass mit ChatGPT nun ein Werkzeug vorliegt, das genau das bereits heute kann! Aber genau diese Recherchefähigkeiten prädestinieren Scott natürlich auch dazu, Ermittlungen anzustellen, zum Beispiel in sozialen Netzwerken, die er viel schneller scannen und analysieren kann als ein Mensch. Das führt auch zu ersten Erfolgen bei der Mördersuche, die allerdings seinen menschlichen Partner in eine ernste Zwickmühle bringen. Im Lauf der Geschichte beginnt Dekker allerdings zu ahnen, dass Scott weit mehr kann, als er den Schriftsteller glauben lässt.

Literatopia: Welchen Stellenwert haben Künstliche Intelligenzen und Roboter in Deiner Zukunftsvision?

Gard Spirlin: Wie schon gesagt, die Art von KI, die imstande ist, einen Text nach Vorgaben selbst zu erstellen, gibt es heute bereits. Man stelle sich vor, solch ein Tool ist mit Sprachein- und ausgabe gekoppelt, dann hat man eigentlich fast schon Scott. Abgesehen natürlich von seinen darüber hinausgehenden speziellen Fähigkeiten, aber die möchte ich nicht spoilern. Verpflanzt man eine KI, die auf Sprache antworten und reagieren kann in einen autonomen Rechner, der klein genug dazu ist, in einen humanoiden Roboter eingebaut zu werden, und verbindet das noch mit dem fast lebensechten Körper heutiger Sexdolls, dann ist man bei autonomen Sexrobotern angelangt, die im Roman auch eine Rolle spielen. Ich bin überzeugt davon, dass solche Entwicklungen kommen werden – und das in absehbarer Zeit. Das kann man gut oder schlecht finden, es wird genauso Realität werden wie ChatGPT heute. Daher ist es legitim, sich darüber Gedanken zu machen, auch schriftstellerisch. Und das mache ich mit einem zwinkernden Auge.

Literatopia: In seiner Rezension im Computermagazin c’t schreibt Peter Schmitz: „Die fiktive Technik des nahzukünftigen Settings bewegt sich stets im Bereich des Plausiblen“ – was hast Du alles recherchiert, um realitätsnah zu bleiben?

Gard Spirlin: Ich bin in meinem Brotberuf Elektroniker, aber kein Computerfachmann. Daher habe ich zwar gewisse Grundkenntnisse in Computertechnik und Programmierung, bin aber selbst kein Experte. Ich habe mich daher auch selbst bei Kollegen und im Netz schlaumachen müssen. Das hat zusätzlich auch den Vorteil, dass ich nicht allzu viel Fachchinesisch im Roman verwende, sondern so schreibe, dass es auch Menschen verstehen, die nicht computeraffin sind.

Literatopia: Seit der Veröffentlichung von „Scott V.P.I. - Mörderjagd im Cyberspace“ hat sich im Bereich Künstliche Intelligenz einiges getan – auch wenn man bei KI-Kunst von Midjourney und Co. oder Texten von ChatGTP noch nicht von richtiger KI sprechen kann. Wie beobachtest Du die aktuellen Entwicklungen?

Gard Spirlin: Ich beobachte das sehr genau, da es einen gewaltigen Einfluss auf unsere Gesellschaft nehmen wird. Ich persönlich halte es für das „nächste große Ding“, ähnlich der Einführung des Internets. Wie schon erwähnt, es ist egal, ob wir es gut oder schlecht finden – es wird kommen, bzw. ist schon da. Der Geist ist aus der Flasche. Es wird eine Menge Arbeitsplätze kosten, und zwar auch höher qualifizierte. Man denke nur an Übersetzer, Illustratoren und ja, auch Autoren. Aber auch Ärzte und Rechtsanwälte. Vieles aus deren Tätigkeitsbereich kann man auch heute schon mit KIs ersetzen. Und die Anwendungen werden immer mehr. Darüber muss sich die Gesellschaft und auch die Politik zeitnah Gedanken machen!

ebu gogoLiteratopia: In Deinem Roman „Ebu Gogo“ widmest Du Dich der Biologie und schreibst über eine fiktive Menschenart namens Homo floresiensis – wie kommt Anthropologe Dr. Alex van Houten auf die Spur der „Zwergenrasse“? Und was erwartet ihn auf seiner Expedition?

Gard Spirlin: Der Homo floresiensis war definitiv nicht fiktiv, sondern sehr wohl real. Seine Überreste wurden am Beginn des neuen Jahrtausends tatsächlich in Indonesien ausgegraben. Mich hat eine Doku auf Arte darüber derartig fasziniert, dass ich über diese kleinen Vertreter der Gattung Homo zu recherchieren begann. Und als Nächstes fiel mir nichts Besseres ein, als darüber einen Roman zu schreiben! Es gibt nämlich tatsächlich Leute, die davon überzeugt sind, dass sich die Nachfahren der Ebu Gogo, wie die Einheimischen sie nennen, nach wie vor in Indonesien verbergen. Der Roman schildert also eine fiktive Expedition dorthin, um der Sache auf den Grund zu gehen. Natürlich geht dabei so einiges schief und die Mitglieder der Expedition wachsen durch die Widrigkeiten erst richtig zusammen. Aber mehr wird nicht verraten …

Literatopia: Was fasziniert Dich persönlich an Science Fiction? Und wann und wie hast Du Dein Interesse für SF entdeckt?

Gard Spirlin: Nun ja, Zukunft passiert, ganz ohne unser Zutun. Was heute noch Science-Fiction ist, kann schon morgen Realität werden. Es gibt viele Beispiele von Erfindungen, die zuerst als Idee in der SF eingeführt wurden, wie eben zum Beispiel Künstliche Intelligenz. Aber fast noch interessanter finde ich SF, in der zukünftige soziologische und gesellschaftliche Entwicklungen ausgelotet werden, seien sie dystopisch oder utopisch. Daraus lässt sich viel über die Menschheit lernen, finde ich – quasi im Trockentraining. Meine eigene Affinität zur SF begann jedenfalls schon in frühen Jugendjahren, als ich leidenschaftlich die entsprechenden Regalmeter in meiner nächstgelegenen öffentlichen Bibliothek abgraste.

Literatopia: Auf Deiner Website schreibst Du, Dein Hobby – Schreiben – sei zu einer Leidenschaft „mutiert“. Wann war für Dich klar, dass Du nicht mehr nur für Dich schreiben, sondern auch etwas veröffentlichen willst? Und wie sahen Deine ersten Schritte auf dem Weg zu Veröffentlichung aus?

Gard Spirlin: Als ich zu schreiben begann, war für mich klar, dass ich es auch veröffentlichen möchte. Dass dies ein steiniger Weg sein kann, wurde mir erst im weiteren Verlauf bewusst, ich hatte ja bis dato überhaupt nichts mit dem Verlagswesen zu tun gehabt. Ich hatte das Glück, dass eine meiner ersten Kurzgeschichten in der Computerzeitschrift c’t publiziert und dann auch gleich für den KLP vorgeschlagen wurde. Dennoch veröffentlichte ich den ersten Roman im Eigenverlag, wie viele andere zunächst unbekannte Autoren. Ich blieb dann eine ganze Weile bei Kurzgeschichten, die in verschiedenen Anthologien abgedruckt wurden. Beim Verlag p.machinery durfte ich auch zweimal als Herausgeber tätig werden und lernte dabei enorm viel.

Literatopia: Deine Kurzgeschichte „RoboWrite“ wurde 2016 für den Kurd Laßwitz Preis nominiert, „Dann singe ich ein Lied für dich“ wurde 2019 mit dem Vincent Preis ausgezeichnet – was macht für Dich eine rundum gelungene Kurzgeschichte aus?

Gard Spirlin: Eine Kurzgeschichte muss mich vom ersten Absatz an fesseln und zum Schluss eine unerwartete Pointe haben. Ich liebe Short Stories sehr, nicht nur in der SF, sondern auch als Horror oder ganz allgemein im Genre Fantastik. Sie lassen sich viel leichter in Bus oder Bahn konsumieren und bieten in Form von Anthologien oft eine gute Auswahl an unbekannten Autorinnen und Autoren, die einen vielleicht dann auf den Geschmack bringen, mehr von ihnen zu lesen.

biomechanomiconLiteratopia: Du warst auf einem College für Nachrichtentechnik – inwiefern hilft Dir, was Du dort gelernt hast, beim Schreiben, insbesondere von Science Fiction?

Gard Spirlin: Eigentlich nicht so sehr, wenn man von einer leichten Technikaffinität absieht. Viel mehr hat mir da schon geholfen, eine umfassende Allgemeinbildung in einem Gymnasium erhalten zu haben. Meine Neugier auf alles Menschliche rührt wohl eher daher und hilft mir auch beim Schreiben.

Literatopia: Würdest Du uns abschließend einen kleinen Ausblick auf zukünftige Veröffentlichungen geben?

Gard Spirlin: Grundsätzlich hätte ich natürlich mehrere Ideen, das Ermittlerduo Dekker/Scott wieder auf die Menschheit loszulassen, es gab auch schon einige Anfragen dazu vom Lesepublikum. Ich bin aber auch mit einer Romanidee schwanger, die mal zur Abwechslung in einer ferneren Zukunft der Menschheit angesiedelt ist, eher episch und in Richtung Hard-SF. Mal sehen, wohin es mich treibt, ich bin selbst gespannt darauf!

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Gard Spirlin: Sehr gerne, vielen Dank!


Autorenfoto: Copyright by Gard Spirlin

Website: https://www.gard-spirlin.com/


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.