ohne ohren (Oktober 2022)
Taschenbuch, 517 Seiten, 15,99 EUR
ISBN 978-3-903296-43-5
Genre: Science Fiction
Klappentext
Eine Jägerin.
Ein Pfeil irrt ab.
Eine Reise auf neuen Pfaden beginnt.
Danyla schießt und trifft. Ein verwundeter Fremder liegt auf dem Waldboden Rusals. Der Staub einer toten Wüste erhebt sich, als das Geflecht allen Lebens auf dem Planeten erbebt. Und das Feuer alter Konflikte droht ganz Rusal zu versengen.
Was hält eine verflochtene Welt zusammen?
Wohin geht die Jägerin auf der Suche nach Frieden?
Ein einziger Schuss verändert alle Leben.
Rezension
Surai-Jägerin Danyla eckt in ihrem Dorf immer wieder an. Sie meditiert nicht so häufig, wie sie sollte, und ist zu eigensinnig, dennoch hat sie die Werte ihrer Gemeinschaft verinnerlicht und bemüht sich, ihrer Rolle gerecht zu werden. Als sie versehentlich einen Fremden mit ihrem Pfeil trifft, bringt sie den Verletzten mit ins Dorf. Von nun an ist sie durch ihre Schuld an ihn gebunden und muss sich um ihn kümmern - ausgerechnet sie! Danyla hadert mit ihrer Aufgabe, sie weiß nicht, wie sie mit dem Fremden umgehen soll. Andere wären viel besser dafür geeignet, mit einem Mann, der ihre Sprache nicht spricht und mit seiner hellen, haarlosen Haut ganz anders aussieht als ein Surai, zu interagieren. Doch Danyla nimmt ihre Schuld an und tut, was getan werden muss. Als es dem Fremden besser geht, begleitet sie ihn in den Wald, wo er in eine Maschine klettert und einen Kasten baut, mit dem er plötzlich ihre Sprache sprechen kann. So erfährt die Dorfgemeinschaft, dass noch mehr Fremde auf dem Planeten Rusal sind und dass der Mann zu ihnen zurückwill. Danyla soll ihn zu seinen Leuten bringen und mehr über diese herausfinden. Es fällt ihr schwer, ihr Dorf zu verlassen, noch dazu mit einem Mann, der sich im Wald überhaupt nicht zurechtfindet und furchtbar langsam läuft, aber sie will ihre Schuld begleichen. Dabei ahnen sie und die anderen Surai nicht, wie viel sich auf Rusal bereits verändert hat und dass die Menschen in der Wüste bereits eine Stadt gebaut haben und in der Erde nach Rohstoffen graben - was auf Rusal strengstens verboten ist ...
"Das Geflecht - An der Grenze" ist der Debütroman von Jol Rosenberg und handelt von einem fernen Planeten, den seine Bewohner*innen Rusal nennen und die Menschen Beta3. Auf Rusal ist alles durch das sogenannte Geflecht miteinander verbunden. Tiere, Pflanzen, die humanoiden Surai und Kalok - sie alle stehen mit dem Planeten und allem Leben auf ihm in Verbindung durch ihren Bandsinn. Die Surai leben in kleinen Gemeinschaften und beschränken sich auf das, was sie zum Leben brauchen. Nicht ganz freiwillig, denn einst gab es einen verheerenden Krieg, in dessen Folge den Surai verboten wurde, Technologie zu nutzen. Dennoch führen die Surai in Danylas Dorf überwiegend ein sehr zufriedenes Leben. Die felligen Kalok hingegen nutzen Technologie, die jedoch kaum als solche zu erkennen ist, da sie sich organisch in die Umgebung des Planeten einfügt. Die Kalok sind ruhige, friedliche Wesen, die darüber wachen, dass die Surai ihre Grenzen nicht überschreiten und die die Menschen seit ihrer Ankunft beobachten. Sie wollen die Menschen kennenlernen und arbeiten sogar für sie - und erkennen zu spät, dass die Menschen in ihnen Tiere sehen und davon ausgehen, dass es kein intelligentes Leben auf Beta3 gibt. Sie wollen es auch nicht sehen und vor allem dem Konzern, der die Bergbauarbeiten vorantreibt, ist daran gelegen, dass niemand erfährt, dass es auf Beta3 humanoide Lebensformen gibt, die Rechte haben.
Techniker Pako weiß entsprechend nicht, dass auf Beta3 gegen intergalaktisches Recht verstoßen wird. Zu Beginn der Handlung verliert er seine Arbeit, die ohnehin schlecht bezahlt war, und gerät an Herr Darwon, der ihm zwar eine neue, fordernde und sehr gut bezahlte Arbeit gibt, ihn aber mit verbotenen Implantaten ausstattet. Herr Darwon macht ein großes Geheimnis aus seinem Projekt auf Beta3 und Pako ist zu genügsam, um sich darum ernsthafte Gedanken zu machen. Er hat auch keine große Wahl, wenn er nicht weiter in die Sozialstation gehen will. Um wirklich sympathisch zu sein, ist Pako zu egozentrisch, seine Handlungen sind jedoch meist gut nachzuvollziehen. Er und Danyla sind die Protagonist*innen des Romans, wobei Danylas Kapitel die einzigen sind, die die Ich-Perspektive nutzen. Pakos Kapitel sowie die anderer Perspektivfiguren sind in der Dritten Person verfasst. Zu den Perspektivfiguren gehört auch Herr Darwon, der ein klischeehafter Antagonist mit Größenwahn ist und seine Mitarbeiter*innen ausbeutet. Er ist ein Sexist und machtgieriger Psychopath, der andere Menschen manipuliert und für seinen Profit über Leichen geht. Die Boganerin Kiral ist die einzige nicht-menschliche Fremde auf Beta3/Rusal (zumindest die einzige, die in der Geschichte eine Rolle spielt) und hat auf ein besseres Leben gehofft. Doch dann wird sie zu Unrecht eines Verbrechens beschuldigt und findet bei den Kalok Zuflucht. Kiral ist eine spannende Figur, über deren Lebensumstände man erst sehr spät mehr erfährt und die insgesamt in der Handlung zu kurz kommt.
Zu den Perspektivträgern gehört mit Raswin auch ein Kalok: ein zunächst ruhiger, freundlicher Charakter, der zu den Informationssammlern gehört. Er beobachtet die Menschen und wie die anderen seiner Art lässt er sich damit viel zu viel Zeit. Man könte die Kalok als naiv betrachten, allerdings hatten sie noch nie mit einer Spezies wie den Menschen Kontakt und deren Konzept von Macht und Geld ist ihnen völlig fremd. Auch Danyla tut sich mit diesen menschlichen Eigenschaften schwer, vor allem mit den Lügen. Durch den Bandsinn bemerken Surai und Kalok schnell, wenn jemand versucht, zu lügen - entsprechend versuchen es die meisten erst gar nicht und sind sehr offen mit ihren Emotionen, auch mit den negativen. Die Spezies auf Rusal haben ein komplexes Wertesystem, das auf Respekt und Freundlichkeit aufbaut, allerdings ist nicht alles so gerecht und friedlich, wie es auf den ersten Blick scheint. Rusal hat eine sehr dunkle Vergangenheit, über die man in diesem ersten Band nicht allzu viel erfährt, weil die handlungsrelevanten Figuren darüber wenig wissen. In der zweiten Romanhälfte hat Jol Rosenberg mehr Informationen eingestreut, die jedoch leicht übersehen werden können in der verschachtelten Handlung, die sich zunehmend auf Danyla, Pako und Raswin und die Durchkreuzung von Herr Darwons Plänen konzentriert.
Zu Beginn der Handlung beschreibt Jol Rosenberg das Dorfleben der Surai sehr eindrücklich, ebenso wie die selbstverständliche Nutzung ihres Bandsinns. Ein wenig erinnern die Surai an die Na'vi aus "Avatar", vor allem durch ihre tiefe Verbundenheit mit dem sie umgebenden Wald, doch je weiter man liest, desto deutlicher werden die Unterschiede. Das Trauma der Vergangenheit durchzieht die Surai-Kultur. So halten sie ihre destruktiven Emotionen durch Meditation in Schach und legen viel Wert auf die Überlieferung von Geschichten, die ihnen verdeutlichen sollen, dass das einfache Leben im Wald besser für sie ist. In jedem Dorf gibt es Personen, die sich um die Wahrung des Friedens kümmern und Austausch mit anderen Dörfern und den Kalok pflegen. Anfangs sieht es aus, als würden Surai und Kalok im Einklang miteinander leben, jeder hat seine Gebiete und es gibt einen respektvollen Austausch miteinander. Später stellt sich die Situation auf Rusal deutlicher komplexer dar und Danyla erkennt, dass nicht alle Surai mit ihrem Leben zufrieden sind und sich von den Kalok unterdrückt fühlen. Auch hier muss man aufmerksam lesen, denn auch wenn Surai und Kalok nicht lügen wie die Menschen, so verschweigen sie doch einiges und sind in ihrer Ausdrucksweise oft vorsichtig. Das titelgebenden Geflecht beschränkt sich leider zunehmend auf den Bandsinn, den Surai und Kalok auch einsetzen, um andere zu beeinflussen - wobei die Surai lediglich Emotionen übertragen können, um z. B. jemanden zu beruhigen, während die Kalok teilweise zu tiefgreifenden Manipulationen fähig sind. Die Tier- und Pflanzenwelt Rusals rückt dabei zu sehr in den Hintergrund.
Stark ist "Das Geflecht - An der Grenze" also vor allem in der Darstellung der Interaktion der verschiedenen humanoiden Spezies, wobei man von den Menschen oft ihre schlechtesten Eigenschaften sieht. Surai und Kalok werden anfangs zu positiv dargestellt, wobei ihre ähnlichen und doch sehr unterschiedlichen Lebensweisen im Verlauf der Handlung viele Facetten bekommen. Bei den Menschen gibt es ein gelegentliches Aufblitzen von Empathie und Solidarität, doch Rusal bekommt all die Schattenseiten des Kapitalismus zu spüren, inklusive Ausbeutung und Umweltzerstörung. All das ist in der Science Fiction nicht neu, doch die Kolonialisierung zwecks Ausbeutung natürlicher Ressourcen wird hier mit einer angenehmen Komplexität dargestellt. Hier gibt es nicht den einen Konflikt, der in einem dramatischen Kampf entschieden wird, sondern ein ganzes Geflecht von Konflikten und unterschiedlicher Interessen, ebenso wie unerwartete Bündnisse und das Nachwirken einer gewaltvollen Vergangenheit. Das Finale wird der Komplexität des Romans nicht ganz gerecht, verläuft jedoch trotz aller Dramatik erstaunlich unaufgeregt und lässt vieles offen für einen hoffentlich ebenso lesenswerten zweiten Band.
Fazit
"Das Geflecht - An der Grenze" stellt den Konflikt zwischen den beiden humanoiden Spezies eines fernen Planeten und den Menschen, die auf diesem zwecks Ausbeutung von Ressourcen siedeln, angenehm komplex dar. Im ersten Band gilt es für Surai und Kalok herauszufinden, wer die Menschen sind und was sie wollen - und sie dann davon abzuhalten, ihrem Planeten zu schaden. Jol Rosenberg nimmt sich viel Zeit, unterschiedliche Lebensweisen und Perspektiven zu zeigen, ehe sich die Handlungsstränge nach und nach miteinander verbinden und immer deutlicher wird, dass es für eine einfache Lösung längst zu spät ist.
Pro & Contra
+ spannendes Worldbuilding mit einer geheimnisvollen, traumatischen Vergangenheit
+ das Geflecht - die Verbundenheit allen Lebens auf Rusal
+ zunehmende Komplexität der Handlung
+ vielschichtige Protagonist*innen
+ die ähnlichen und doch sehr unterschiedlichen Kulturen der Surai und Kalok
+ berücksichtigt unterschiedlichste Interessen und Perspektiven
+ großartiges Cover
- Herr Darwon als klischeehafter und ekliger Antagonist
- anfangs irritierende Zeitsprünge
- die Tier- und Pflanzenwelt kommt zu kurz
Wertung:
Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5
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