Tristan Lánstad (05.05.2023)

Interview mit Tristan Lánstad

Literatopia: Hallo, Tristan! Kürzlich ist Dein Roman „Plastikefeu hält sich gut“ erschienen, eine „humorvolle queere Romanze“. Wer sind Deine Protagonisten und wie lernen sie sich kennen? Und was hat es mit dem Plastikefeu auf sich?

tristan lanstad20231Tristan Lánstad: Die Perspektivfigur ist Kay Holzmann, ein etwas verpeilter und nerdiger, aber in seinem Job kompetenter Personenschützer. Zu Beginn der Handlung wird er von dem Virologen Marian Engel angeheuert, da dieser seit einer Weile Drohbriefe erhält und sich deswegen nicht mehr sicher fühlt. Der Ausgangspunkt des Romans ist Kays Bewerbungsgespräch, bei dem er Marian kennenlernt und prompt angestellt wird.

Der Plastikefeu kommt während der Handlung ins Spiel und was es mit ihm auf sich hat, muss man beim Lesen herausfinden. Nur so viel: Die Art, wie er ins Spiel kommt, ist typisch für Kay.

Literatopia: Marian wird von einem Stalker verfolgt. Wie viel Crime/Thriller steckt in „Plastikefeu hält sich gut“?

Tristan Lánstad: Eher eine Prise als das volle Programm. Mein Ziel war einen soliden, aber nicht zu komplexen Krimiplot als Hintergrund für die Romanze zu liefern. Für hartgesottene Thrillerfans wird das wohl sehr zahm wirken, aber ich denke, der Handlungsstrang gibt allem Struktur und Spannung.

Literatopia: Würdest Du uns die anderen handlungsrelevanten Figuren kurz vorstellen?

Tristan Lánstad: Neben Kay und Marian spielen vor allem ihre jeweiligen Freunde eine große Rolle. Ben ist Kays sarkastischer bester Freund, passionierter Hipster, Fotograf und für jeden Unfug zu haben. Jenny ist Kays Ex-Freundin, Programmiererin und allzu oft die Stimme der Vernunft im Trio. Beide haben immer ein offenes Ohr für Kay und helfen ihm außerdem bei seinen inoffiziellen Ermittlungen. Auf Marians Seite gibt es sowohl seinen Freund Jeremy, der ihm zur Seite steht, als auch Marians Mentor Professor Unheim und seine Frau, die sich trotz der Arbeitsbeziehung familiär mit ihm verbunden fühlen.

Literatopia: Inwiefern gibt es im Roman Bezüge zur Corona-Pandemie – abgesehen davon, dass Marian Virologe ist?

Tristan Lánstad: Einerseits spielt der Roman mit dem Hype um Virolog*innen als ‚Stars‘ – wer die Medienberichte verfolgt hat, ist sich sicher bewusst, dass bei manchen Virolog*innen die Attraktivität im Vordergrund stand. Andererseits geht es um Long COVID und eher hintergründig auch darum, wer warum aus einer Krise profitiert. Masken und Desinfektion sind überall präsent.

Literatopia: Du hast „Plastikefeu hält sich gut“ im Selfpublishing veröffentlicht und über ein Crowdfunding finanziert. Was waren für Dich die heiklen Phasen in diesem Veröffentlichungsprozess? Und bist Du mit dem Ergebnis zufrieden?

plastikefeu haelt sich gutTristan Lánstad: Tatsächlich habe ich den Roman ja vorher auch Verlagen angeboten, was für mich schon sehr nervenaufreibend war. Leider führte das zu nichts, und die Uhr tickte quasi: Da es ein Roman mit sehr starkem Zeitbezug ist, war mir klar, dass das Ding 2030 niemand mehr hinter dem Ofen hervorlockt. Die Vorbereitung war deshalb für mich sehr stressig: Ich durfte mir nicht zu viel Zeit lassen. Und dann habe ich den Werbeaufwand unterschätzt. Als die Fundingsumme nach einem Monat komplett stillstand, hatte ich eine kleine Krise. Ich hab dann aber jede Menge Hilfe und gute Tipps bekommen, wie ich wieder Aufmerksamkeit wecke.

Mit dem Ergebnis bin ich inzwischen sehr zufrieden. Sicher muss ich weiterhin in allen Belangen dazulernen, beim Schreiben, beim Plotten, beim Buchsatz usw. Immerhin ist das mein erster veröffentlichter Roman. Ich würde auch wirklich gern mal einen ganzen Roman mit einem Verlag veröffentlichen. Aber für’s erste Mal ist das doch erstaunlich gut gelaufen, und alle Crowdfunder*innen waren super verständnisvoll, geduldig und haben selbst mitgeworben. Die Resonanz ist bisher sehr positiv.

Literatopia: Im Roman gibt es explizite BDSM-Sexszenen. Für alle, die mit dieser Abkürzung wenig anfangen können: Was genau ist BDSM? Und wie bist Du an das Schreiben dieser Szenen herangegangen?

Tristan Lánstad: BDSM steht für „Bondage, Dominanz, Sadismus, Masochismus“ und ist im Grunde eine Zusammenfassung mehrerer sexueller und/oder sensueller Spielarten. Es geht darum, Vergnügen aus u.a. Schmerz, Rollenspielen, Dominanz, Unterwerfung zu ziehen. Manche sehen das als kompletten Lifestyle, anderer einfach als Facette ihres Lebens. Manche betreiben das als Ergänzung oder Hauptbestandteil ihrer Sexualität, andere empfinden das als komplett nicht-sexuell. Im Grunde bin ich an diese Szenen nicht anders herangegangen als an alle anderen Szenen: Ich plane in etwa den Ablauf und konzentriere mich dann darauf, das Geschehen, die Emotionen der Charaktere und die Wirkung auf die Lesenden herauszuarbeiten. Dabei achte ich darauf, dass die Dialoge flüssig laufen und man ihnen folgen kann. Aber ich lasse natürlich auch meine eigenen Erfahrungen mit BDSM einfließen.

Literatopia: Seit 2016 trägst Du unter dem Namen „Desasterotik“ witzige Zitate aus der Erotikliteratur zusammen – hast Du ein paar Beispiele für uns? Und wie bist Du auf die Idee gekommen?

Tristan Lánstad: Im Grunde wollte ich gar keinen Scherzaccount anlegen, sondern nur recherchieren, wie man am besten Erotik schreibt. Ich war entschlossen, Sexszenen zu schreiben, aber deutlich gehemmt und unsicher, ob ich es richtig mache. Was lag da näher, als sich das Handwerkszeug bei denen abzuschauen, die nichts anderes schreiben?

Ich stellte dann allerdings schnell fest, dass die das, na ja, auch nicht viel besser können. Da liest man dann so Sachen wie „Es fühlt sich an, als ob meine Eier durch meinen Körper hindurch aus meinem Hals rausgezogen werden würden.“ und man denkt nur: Hä? Oder auch „Der metallische Geschmack ihrer Östrogene blieb auf meinen Lippen hängen.“ Und dann lacht man, aus Verwirrung, oder weil man sich das bildlich vorstellt. Und diesen Spaß wollte ich anderen nicht vorenthalten, vor allem meinen Freund*innen auf Twitter, und habe da immer mal getweetet. Das ist dann irgendwie eskaliert zu einem Account mit über 4000 Follower*innen, und inzwischen kennen mich einige nur noch als „der Typ, der Desasterotik macht“.

tristan lanstad20232Literatopia: Du schreibst auch Kurzgeschichten und hast schon mehrere veröffentlicht. Was zeichnet für Dich eine rundum gelungene Kurzgeschichte aus?

Tristan Lánstad: Kurzgeschichten sind für mich immer eine Herausforderung an Lesende und Schreibende: Innerhalb einer ganz kurzen Zeitspanne muss man in ein Universum finden, sich dort einrichten und darf dann nicht das Gefühl haben, dass man mit einem Tritt rausgeworfen wurde. Die besten Kurzgeschichten sind für mich die, die tatsächlich befriedigend enden, aber trotzdem Fragen offen lassen. Romane lösen oft alle Unklarheiten auf. Gute Kurzgeschichten fragen: Was meinst du, was kommt dann?

Literatopia: Kurzgeschichten werden gerne geschrieben, aber gefühlt selten gelesen – ist das so? Liest Du selbst gerne Kurzgeschichten?

Tristan Lánstad: Das Schlimme ist: Ich lese inzwischen kaum noch abseits von Sachtexten und Recherche für Desasterotik. Entweder schreibe ich selbst, oder ich wechsle das Genre oder Medium. Ich schaue aber Serien, und auch da sind Episoden ja oft Kurzgeschichten, nur mit bekannten Figuren und Orten. Auch Märchen sind strukturell Kurzgeschichten und sehr beliebt. Ich glaube schon, dass Leute Kurzgeschichten prinzipiell mögen. Ich bin nur nicht sicher, was das ideale Format dafür ist. Anthologien jedenfalls scheinen aktuell nicht so beliebt zu sein. Auf eine Kurzgeschichte in einem Magazin habe ich gute Resonanz bekommen. Ich veröffentliche erotische Kurzgeschichten aber auch gern mal kostenlos online, und in diesem Kontext finden sie auch Anklang. Ich muss aber auch widersprechen, dass Kurzgeschichten gern geschrieben werden. Ich hasse sie ein bisschen, weil ich so ausschweifend schreibe und immer kürzen und kürzen muss, bis ich meine Handlung in eine akzeptable Länge geprügelt habe. Es ist immer wieder ein kleiner Kampf, welche zustande zu bringen. Romane und Novellen fallen mir wirklich leichter.

Literatopia: Du schreibst seit 2015 Romane und Kurzgeschichten – wie bist Du damals dazu gekommen?

Tristan Lánstad: Ich schreibe eigentlich schon deutlich länger, allerdings nur für mich oder einen sehr kleinen Leserkreis. Ich wusste nicht, dass man Kurzgeschichten auf verschiedenen Wegen veröffentlichen kann. Außerdem dachte ich, man schreibt einen Roman von A bis Z durch und dann muss er perfekt sein. Das gelang mir aber bei meinen Versuchen nie, ich blieb dann immer komplett stecken und gab frustriert auf. Irgendwo las ich dann, dass ein Roman tatsächlich mehrmals überarbeitet wird und der Rohentwurf schlecht sein darf. Das hat irgendwie einen Schalter umgelegt und ich fasste den Plan, zumindest einen Rohentwurf fertigzustellen. Ich begann mit einem Spaßprojekt, das aktuell unvollständig ist, „Verloren im Feuer“. Seitdem habe ich Plastikefeu geschrieben und Nirgendwo als Rohentwurf abgeschlossen. Insofern: Danke unbekannterweise an die Schreibcommunity, die solches Wissen verbreitet. Sonst hätte ich wohl immer noch nichts fertig.

queer welten4Literatopia: Du bietest unter anderem auch Sensitivity Reading an. Für welche Themen? Und wie läuft so ein Sensitivity Reading ab?

Tristan Lánstad: Ich decke ein ziemlich breites Spektrum an Erfahrungen ab, für die ich SR anbiete. Eine komplette Liste sollte man am besten auf meiner Website einsehen. Bekannt und am häufigsten beauftragt werde ich für die Themen Transidentität und Nicht-Binarität sowie Erfahrungen und sensible Darstellung von Dick_Fett-Sein.

Ein SR läuft im Grunde wie ein sehr spezifisches Lektorat ab: Bezahlt wird meist ein Festpreis pro bearbeitete Normseite, und der Text wird überprüft und mit Kommentaren und Verbesserungsvor-schlägen versehen. Das reicht von Vorschlägen zur besseren Formulierung bis zur fachlichen Richtigstellung, falls Fakten nicht bekannt waren oder falsch verstanden wurden. So wie ein Lektor eine Anmerkung schreibt, wenn eine Waffe im Krimi vom Täter zweimal hintereinander entsorgt wird, so schreibe ich eine Anmerkung, wenn ein trans Mann mit 19 komplett durch alle geschlechtsangleichenden OPs durch ist.

Literatopia: Dein queerer Fantasyroman „Nirgendwo“ ist bereits fertig geschrieben und in Überarbeitung – wird dieser Deine nächste Veröffentlichung? Und würdest Du unseren Leser*innen schon ein wenig vom Inhalt verraten?

Tristan Lánstad: Vermutlich nicht. „Nirgendwo“ ist das Prequel zu meiner Trilogie von Romanen, „Verloren im Feuer“, und behandelt einige sehr schwere Themen wie Menschenhandel, Sexarbeit, Alkoholismus, toxische Beziehungen und Missbrauch in der Familie. Außerdem ist der Text etwas älter. Die Arbeit daran ist sehr herausfordernd. Ich arbeite trotzdem kontinuierlich daran und bin sicher, dass ich ihn herausbringen werde, aber ich habe in weiser Voraussicht kein Enddatum dafür gesetzt.

Als nächstes wird wohl erst einmal eine weitere BDSM-Erotikgeschichte mit dem Titel „Whiskey Sour“ erscheinen, ein kleines Spaßprojekt, um den Kopf freizuräumen, das mit den typischen Tropes in Milliardärsromanen spielt. Nebenbei bin ich in der Anthologie „Urban Fantasy – Going Fat“ vertreten und arbeite auch an einem anderen Anthologiebeitrag. Und dann warten da noch weitere Romanideen darauf, dass ich mich ihnen widme. Was dann wie und wo erscheint, kommuniziere ich aber immer auf Twitter, Mastodon und Instagram.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

 

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Autorenfotos: Copyright by Tristan Lánstad

Website: https://tristanlanstad.de/ 


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.