Maschinenmacht 1 - Cyan Zane Veil (E. V. Ring)

cyan zane veil maschinenmacht

tredition (November 2022)
Taschenbuch, 460 Seiten, 19,00 EUR
ISBN: 978-3347749955

Genre: Science Fiction / Science Fantasy / Mystery / Survival


Klappentext

„Sollte ich dich eines Tages wiedersehen, Cyan Zane Veil, bist du entweder tot … oder wünschst dir, es zu sein.“

Vor sechzehn Jahren gelang Zane die Flucht vor dem Mann mit der Aschestimme. Kein Tag vergeht, an dem der Wiener Musiker nicht an die monatelange Tortur in den Testzonen denkt – und an Jen, die er dort zurücklassen musste. Als sich unerwartet der Weg zur Rückkehr bietet, ist er zu jeder Konfrontation bereit. Doch Zanes alter Feind wurde durch eine Macht ersetzt, der kein Mensch etwas anhaben kann …

Der Auftakt einer Science-Fiction-Reihe, deren Welt sich um einen Maschinenkern dreht. Und eine KI mit einer Mission.


Rezension

Sechzehn Jahre sind vergangen, seit Chris entführt wurde - und seine beste Freundin und große Liebe Jen verloren hat. Er hat Unfassbares erlebt, das er nicht in Worte fassen konnte und das ihm niemand geglaubt hätte. Als Erwachsener glaubt er sich selbst kaum noch. Chris hat lange unter der traumatischen Erfahrung gelitten und sie nie ganz überwunden. In Gedanken redet er immer noch mit Jen, als wäre sie wirklich da. Trotz allem führt er ein halbwegs normales Leben, weil er Menschen kennengelernt hat, die ihm geholfen haben, ihn in seinen Krisen begleitet und gestützt. Und weil die Musik im Kraft gibt. Doch seine Welt gerät erneut aus den Fugen, als zwei Teenager bei ihm aufschlagen - seine Kinder. Plötzlich ist alles wieder da, der ganze Horror von vor 16 Jahren und die Hoffnung, Jen wiederzufinden. Ihm läuft jedoch die Zeit davon, denn eine KI wird seine Kinder holen, ebenso wie sie Jen damals geholt hat ...

Der Auftakt von "Maschinenmacht" widmet sich dem im Titel genannten Cyan Zane Veil. Das ist der Name, den Chris' Mutter ihm einst gegeben hat, auch wenn er offiziell Christopher heißt, weil sich ein englischer Name im österreichischen Baden schlecht macht. Der Roman gliedert sich grob in zwei Teile, wobei lange unklar ist, was genau Zane alias Chris widerfahren ist. Er ist als Jugendlicher verschwunden und Monate später verletzt und traumatisiert in den Weinbergen wieder aufgetaucht. Er konnte niemandem erklären, was er erlebt hat, hat es selbst kaum begriffen. Er wusste nur eines: Er musste einen Weg finden, zurückzukehren. In eine Maschinenwelt mit künstlichen, lebensfeindlichen Testzonen, in der ihn der Mann mit der Aschestimme gequält hat. Zane wurde Experimenten unterzogen, die unter anderem seine Wahrnehmung verändert beziehungsweise erweitert haben. Auch als Erwachsener lauert in ihm noch das weiße Rauschen, das sein Gehirn mit Daten flutet, seine Wahrnehmung verschlingt und ihn in einen komatösen Zustand stürzt. Er hat das Rauschen meistens im Griff, arrangiert sich damit. Bemerkenswert sind auch seine Sekundärwahrnehmung bzw. Synästhesien. Seine Sinne sind miteinandner verknüpft, vor allem akustische Reize lösen weitere Wahrnehmunge wie Farben, Formen und Strukturen aus, auch Geschmäcker. Die synästhetischen Wahrnehmungen beschreibt E. V. Ring anfangs sehr eindrücklich, was sich leider im Verlauf der Handlung immer mehr verliert und nicht immer stimmig wirkt.

Im zweiten Romanteil kehrt Zane in die Maschinenwelt zurück und durchlebt sein Trauma erneut. Er landet in einer sogenannten Außenzone, einem riesigen, abgeschlossenen Areal mit eigenen klimatischen Bedingungen. In diesem Fall: schrecklich heiß und feucht. Zane erfährt, dass hier Menschen leben, über Generationen bereits. Es handelt sich um Menschen, die von einer KI gezüchtet, getestet und aussortiert wurden, weil sie den Anforderungen ihrer Mission nicht entsprachen. Die Mission und auch die KI selbst bleiben ein großes Rätsel, ebenso wie der Mann mit der Aschestimme. Gemeinsam mit Zane erkunden die Leser*innen die verschiedenen Zonen, deren klimatische Bedingungen sich dramatisch unterscheiden. Die Menschen dort werden meistens nicht alt und sind auf ihre jeweiligen Zonen beschränkt. Zane allerdings kann die Grenzen durchdringen und wird so ungewollt zum Anführer eines Aufstands gegen die KI. Ihm zur Seite steht Ruben, ein Bewohner der schwül-heißen Zone, der alles zurücklässt, um der KI endlich Einhalt zu gebieten. Ruben ist für Zane eine große Stütze, er bereichert die Story mit seinen Ideen und erweist sich als loyaler und empathischer Mitstreiter.

"Maschinenmacht" beginnt als Mystery und wandelt sich zu Science Fiction beziehungsweise Science Fantasy. Auch wenn es keine Magie oder phantastische Wesen gibt, so entspricht die Erzählstruktur, die einer Heldenreise ähnelt, der Fantasy. Auch sind die SF-Elemente teils unrealistisch, weil sie unserem heutigen Wissensstand widersprechen, und so manche Erklärung erinnert an das Superheldengenre bzw. Animes. Als Setting haben wir eine Art Parallelwelt, eine gigantische, abgeschlossene Anlage mit einem Maschinenkern, die von der KI Maschinenmacht, auch MaMa genannt, kontrolliert wird. Der einzige, der direkt mit der KI kommunizieren kann, ist Aarin Cirrus - der Mann mit der Aschestimme, den man zunächst nur durch Zanes hassverfärbte Erinnerungen kennenlernt. Dabei wirkt er eindimensional böse, wie der verrückte Wissenschaftler, der grausame Experimente durchführt. Später relativiert sich dieses Bild und Aarin wird facettenreicher, wobei man insgesamt zu wenig über ihn erfährt (was sich im zweiten Band, der seinen Namen trägt, wohl ändern wird). Über Zanes große Liebe Jen erfährt man noch weniger, doch seine Gefühle zu ihr sind jederzeit spürbar und es ist spannend, sich auszumalen, wo sie wohl gerade ist, was sie macht und welche Rolle sie in dieser verschachtelten Geschichte spielt.

Positiv fällt die Diversity und casual queerness im Roman auf. Die Menschen in den Zonen müssen hart um ihr Überleben kämpfen und ihre Gesellschaften sind alles andere als perfekt, doch sie respektieren unterschiedlichste Identitäten und fragen ganz selbstverständlich nach den Pronomen beim Kennenlernen bzw. stellen sich mit diesen vor. So gibt es unter den Nebenfiguren auch einige nicht-binäre Personen. Leider bleibt meist wenig Zeit, die Nebenfiguren näher kennenzulernen, dennoch hinterlassen viele von ihnen einen bleibenden Eindruck. Durch die Struktur des Romans muss man weite Teile auf spannende Figuren aus dem ersten, kürzeren Handlungsteil verzichten. Da wären beispielsweise Zanes Psychologin und ihre Lebensgefährtin, die beide einfach supersympathisch sind, und der Kommissar, der Zanes Fall betreut und ebenfalls noch nicht damit abgeschlossen hat. Die Kinder spielen eine untergeordnete Rolle, auch wenn sie neben Jen Zanes Antrieb sind. Er würde alles tun, um seine Familie zu retten, und natürlich will er seine (fast auch schon erwachsenen) Kinder besser kennenlernen, was ihm im ersten Band noch verwehrt bleibt. So ist "Cyan Zane Veil" im Kern auch eine dramatische Familiengeschichte, in der Verwandtschaft nicht unbedingt Verbundenheit bedeutet.

Zur Gestaltung: Im Roman finden sich einige Zeichnungen von Robotern und Maschinen sowie von der Struktur des Maschinenkerns und der Zonen, die helfen, sich das Ganze besser vorzustellen. Dazu gibt es ein paar Farbseiten, die die Übergänge der Handlungsteile markieren. Vorne im Buch finden sich Content Notes sowie Hinweise zu den Kernthemen.


Fazit

Der Auftakt von "Maschinenmacht" fasziniert mit einem Mix aus Science Fiction, Mystery und Survival. Durch die rätselhaften Umstände von Zanes Trauma entfaltet "Cyan Zane Veil" im Mystery-Teil einen regelrechten Sog, ehe im Survival-Teil nach und nach die Vergangenheit aufgearbeitet wird, indem Zane sein Trauma erneut durchlebt und ums Überleben kämpft. Doch dieses Mal hat er Mitstreiter*innen, die ihn beim Kampf gegen die KI und seine inneren Dämonen unterstützen - und er hat ein Ziel: Die Rettung seiner Familie.


Pro & Contra

+ spannender Mix aus Science Fiction / Science Fantasy, Mystery und Survival
+ entfaltet vor allem am Anfang einen Sog, der die Seiten dahinfliegen lässt
+ viele Rätsel und Wendungen
+ actionlastiger Survival-Part mit immer neuen Gefahren
+ Zane ist ein faszinierender, komplexer Charakter
+ Zanes Sinnesverknüpfungen und Liebe zur Musik
+ Ruben ist der perfekte Support
+ Diversity und casual queerness
+ Zeichnungen von Maschinen und Strukturen

- SF-Elemente nicht immer stimmig / Zanes Überleben teils unglaubwürdig
- die permanente, oft extreme Gefahr im Mittelteil stumpft ab

Wertung: sterne4

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5

Tags: Künstliche Intelligenz, Mystery, Science Fantasy, queere Figuren, nicht-binäre Autor*innen, deutschsprachige SF, Survival