Stefanie Schuhen (29.07.2023)

Interview mit Stefanie Schuhen

stefanie schuhenLiteratopia: Hallo, Stefanie! Kürzlich ist Dein phantastischer Debütroman „Die rastlosen Geister des Salon Nocturne“ bei Piper erschienen. Was erwartet die Leser*innen in Paris?

Stefanie Schuhen: Zum einen eine Mischung aus real existierenden und magischen Orten im Verborgenen – eine Version von Paris also, die auf den ersten Blick vielleicht ganz „normal“ und bekannt erscheint, die aber versteckte Ecken voller Magie hat. Hier erwarten die Leser*innen magische Rituale, eine Geheimorganisation, Geister und eine verborgene magische Gemeinschaft.

Literatopia: Deine Protagonistin, die magiebegabte Bäckerin Jackie, ist durch einen Zauber an ihr Haus gefesselt. Wie hat sie sich damit arrangiert? Und wie gelingt es ihr, das Haus trotzdem manchmal zu verlassen?

Stefanie Schuhen: Seit der frühen Jugend ist Jackie an ihr Haus gebunden. Entfernt sie sich zu weit, dann könnte das für sie fatale Folgen haben. Sie versucht, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind. Das heißt nicht, dass sie nie gehofft oder gewünscht hat, ihre Situation ändern zu können. Allerdings ist diese Hoffnung in der Vergangenheit schon enttäuscht worden und alles deutet darauf hin, dass der Zauber nicht gebrochen werden kann – also hat Jackie sich entschieden, das Beste aus der Situation zu machen.

Dazu gehört auch die eine Möglichkeit, die es ihr erlaubt, sich doch mal draußen zu bewegen. Ihr Körper kann den Salon Nocturne nicht verlassen, ihr Geist aber schon, zumindest für kurze Zeitspannen. Sie hat einen Deal mit den streunenden Katzen von Montmartre: Gegen regelmäßiges Futter darf Jackie sich vorübergehend die Körper der Katzen „ausleihen“ und kann sich auf diese Weise außerhalb des Hauses bewegen.

Literatopia: Was ist Jackie für ein Mensch? Wo liegen ihre Stärken und Schwächen?

Stefanie Schuhen: Jackie ist selbstbewusst und pragmatisch, sie managt ihr Café und führt nebenbei die Tradition des Salon Nocturne fort, indem sie Mitgliedern der magischen Gemeinschaft hilft. Innerhalb Letzterer ist sie gut vernetzt. Als Bäckerin probiert sie gern neue Zutaten und Zusammensetzungen aus, insbesondere die magischer Art. Ein Mitglied der magischen Gemeinschaft wird im Salon Nocturne stets Hilfe finden, aber Jackie arbeitet da außerhalb der offiziellen Wege und bewegt sich gerne mal in Grauzonen, weswegen es zu Konflikten mit ASRAM kommen kann. Jackie macht ihr Ding, und das auf ihre Weise. Sie kann dabei stur und eigensinnig sein, was ihr durchaus auch mal zum Verhängnis werden kann.

Literatopia: Erzähl uns mehr über Gabriel Rivera. Wer ist er? Und welche Verbindung hat er zu Jackie?

Stefanie Schuhen: Gabriels Geschichte beginnt am gleichen Ort wie Jackies, in einem Dorf in der Normandie. Dort arbeitete Gabriels Vater in der Pension von Jackies Eltern und als Kinder freundeten sie sich an. Bis sich ihre Wege in der frühen Jugend wieder trennten.

Gabriel landet irgendwann als Agent bei ASRAM. Er will Dinge verstehen, die sich nicht so einfach erklären lassen. Dinge wie Magie. Gegenüber ASRAM ist er loyal – nicht nur aus Prinzip, sondern aus Überzeugung. Seine Sicht auf die magische Gemeinschaft ist zum allergrößten Teil durch ASRAM geprägt und erst durch ein Wiedersehen mit Jackie lernt er eine Perspektive von innerhalb der magischen Gemeinschaft kennen.

Literatopia: Wie arbeitet ASRAM, die Agentur zur Kontrolle der Magie? Und welche übernatürlichen Wesen bevölkern Dein Paris?

Stefanie Schuhen: Seit seiner Gründung im 19. Jahrhundert hat sich ASRAM dem Ziel verschrieben, die magische wie die nichtmagische Gemeinschaft zu schützen, indem Magie geheim gehalten wird. Um diese Geheimhaltung zu gewährleisten, hat ASRAM Regeln und Gesetze erlassen, die für alle magischen Wesen gelten, die innerhalb der nichtmagischen Gesellschaft Frankreichs leben. Es ist eine Regierungsorganisation, die in den höheren Positionen von nichtmagischen Menschen geführt wird, wobei unter den Agenten auch magische Wesen sind.

ASRAM führt Listen über verdächtige Aktivitäten und Personen, die im Zusammenhang mit Magie stehen, beobachtet entsprechende Vorkommnisse und greift bei Bedarf ein, um zu verhindern, dass nichtsahnende Menschen etwas von Magie mitbekommen – oder betreibt Schadensbegrenzung.

Übernatürliche Wesen gibt es einige, wobei unter den offen in Paris lebenden eher menschenähnliche Wesen oder solche sind, die sich gut als Menschen tarnen können. Alles, was auch für Außenstehende zu offensichtlich nach übernatürlichem Wesen aussieht, würde ASRAM auf offener Straße nicht dulden. Solche Wesen gibt es auch, aber sie leben in ihren eigenen kleinen Reichen im Verborgenen. In „Die rastlosen Geister von Salon Nocturne“ spielen neben den magisch begabten Menschen vor allem Geister eine wichtige Rolle, denn Jackie hat eine besondere Bindung zur Geisterwelt.

Literatopia: Katzen spielen in „Die rastlosen Geister des Salon Nocturne“ eine besondere Rolle – und auch Deine erste Geschichte in der Grundschule handelte von einer Katze. Was fasziniert Dich an den Tieren? Und werden sie weiterhin in Deinen Geschichten umherstreifen?

Stefanie Schuhen: Katzen mochte ich einfach immer schon und ich habe auch zwei samtpfötige Musen zuhause. In „Salon Nocturne“ spielen die Katzen aber nicht (nur) deswegen eine wichtige Rolle, sondern weil es einfach in die Geschichte gepasst hat. Bei meinem ersten Besuch auf dem Cimetière Montmartre haben mich gleich die Katzen fasziniert, die dort herumstreunen. Das Bild einer Katze, die sich auf einem Grabstein gesonnt hat, ist mir dann besonders in Erinnerung geblieben und ich wollte das gern in die Geschichte einbauen. In Katzengestalt fällt Jackie dort nicht auf, und genau danach sucht sie. Ob es in anderen meiner Geschichten auch Katzen geben wird, hängt davon ab, ob sie hineinpassen.

Literatopia: Der Veröffentlichung von „Die rastlosen Geister des Salon Nocturne“ gingen mehrere verworfene Romananfänge voraus. Woran scheiterten Deine früheren Projekte? Und gibt es darunter welche, die Du vielleicht noch einmal neu angehst?

Stefanie Schuhen: Gescheitert sind meine früheren Projekte an unterschiedlichen Faktoren, wobei ein Hauptgrund mangelnde Planung war. Gerade bei den ersten Romanversuchen habe ich einfach drauflosgeschrieben, ehe ich gemerkt habe, dass das für mich nicht funktioniert. Ich muss vorher wissen, worauf das Ganze hinausläuft, was die Schlüsselszenen sind, was welche Figur wann zu tun hat (ob dann alle Figuren da mitmachen ist eine andere Frage). Ich habe dann beim Schreiben irgendwann gemerkt, dass ich nicht weiterkomme oder dass die Geschichte plötzlich doch keinen Sinn mehr ergibt. Ein paar dieser Romanideen finde ich aber nach wie vor spannend und würde nicht ausschließen, dass ich ihnen eine zweite Chance gebe.

Literatopia: Welche Momente während des Schreibprozesses sind für Dich die schönsten?

Stefanie Schuhen: Ich liebe den Teil, der dem eigentlichen Schreiben vorausgeht – das Planen eines Romans. Und hier ganz besonders die Momente, wenn alles anfängt, sich zusammenzufügen und ich so langsam die Form erahnen kann, die der Roman einmal haben wird. World Building gehört auch zu meinen Favoriten. Beim Schreiben der Rohfassung sind es dann die Momente, wenn ich mal nicht alle zehn Minuten auf den Wordcount schaue, weil es einfach läuft und ich mittendrin bin.

SalonNocturne SignieraktionLiteratopia: In der Anthologie „Exotische Welten“ wurde Deine Kurzgeschichte „Schwarze Federn, rote Stadt“ veröffentlicht, ein Mix aus Science Fiction und Fantasy. Wovon handelt sie?

Stefanie Schuhen: Diese Kurzgeschichte war tatsächlich ein erster Meilenstein in meiner bisherigen Schriftstellerlaufbahn. Etwa ein Jahr bevor diese Geschichte angenommen wurde, hatte ich angefangen an Anthologieausschreibungen teilzunehmen und „Schwarze Federn, rote Stadt“ wurde dann meine erste Veröffentlichung bei einem Verlag.

Darin geht es um einen Jungen, Tarlyn, der in einer von der Außenwelt komplett abgeschnittenen Stadt lebt. Außerhalb hat wilde Magie alles verwüstet und eigentlich sollte dort nichts mehr sein. Aber dann entdeckt Tarlyn ein Loch in der Stadtmauer und dahinter etwas, das alles in Frage stellt, was er bisher geglaubt hat.

Literatopia: Planst Du Kurzgeschichten ähnlich ausführlich wie Deine Romane? Was zeichnet für Dich persönlich eine gelungene Kurzgeschichte aus?

Stefanie Schuhen: Bei einer Kurzgeschichte plane ich zwar auch vorher das Gerüst und die Hauptfiguren, aber die Planung wird schon allein dadurch weniger umfangreich, dass etwa weniger Nebenfiguren vorkommen. Spielt die Geschichte in einer anderen Welt, plane ich auch diese nicht ganz so ausführlich und konzentriere mich mehr auf einzelne Details – so wie sich dann auch die Kurzgeschichte auf einzelne Details fokussiert ist.

Eine gelungene Kurzgeschichte ist für mich eine solche, die mich von Anfang an packt, die einen überzeugenden Konflikt im Mittelpunkt hat und interessante Figuren – also Aspekte, die ich auch in einem guten Roman suchen würde. Der Unterschied wäre hier, dass der Roman ausführlicher sein kann, während die Kurzgeschichte sich oft auf Details konzentrieren muss.

Literatopia: Als Leserin magst Du Bücher, „die voller Magie und seltsamer Kreaturen sind“. Welche phantastischen Werke haben Dich besonders begeistert?

Stefanie Schuhen: Das sind zu viele, um sie alle zu nennen, zumal die Liste sich ständig verändert und vor allem weiter wächst ... Ein Buch, das mich vor vielen Jahren überhaupt erst zur Fantasy-Literatur gebracht hat, war „Die unendliche Geschichte“. Dann sind da die Bücher von Neil Gaiman, Sarah J. Maas oder Marissa Meyer, die alle auf ihre eigene Weise großartige neue Welten erschaffen. Ein Buch, das mich erst kürzlich begeistert hat, ist „Das Mädchen, das in den Wellen verschwand“ von Axie Oh.

Literatopia: Würdest Du uns abschließend noch etwas über die neue Romanidee, die Dich gepackt hat, verraten?

Stefanie Schuhen: Tatsächlich arbeite ich gerade an zwei Projekten – zum einen ist das eine mögliche Fortsetzung zu „Salon Nocturne“, zu der sich erste Ideen schon während des Schreibens von „Die rastlosen Geister des Salon Nocturne“ ergeben haben. Ich habe hier einfach noch viel mehr zu erzählen, als dass es alles in ein Buch gepasst hätte … Momentan steht dieses Projekt bei mir im Vordergrund.

Zum anderen entwerfe ich gerade eine neue Welt für einen Fantasyroman, der bis jetzt aber noch ganz am Anfang ist, weswegen ich hier noch nicht so viel verraten kann – außer, dass es eine junge Protagonistin geben wird, die es mit weltverändernden Kräften und uralten Göttern aufnehmen muss.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!


Fotos: Copyright by Nicole Kempf (oben, Porträtfoto) und Stefanie Schuhen (unten, Signieraktion)

Website: https://www.stefanieschuhen.de/


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.