Splitter, 23.08.2023
Originaltitel: Cycle of the Werewolf (1983)
Übersetzung von Helmut W. Pesch
Illustriert von Bernie Wrightson
Gebunden, 136 Seiten
€ 25,00 [D] | € 25,70 [A] | CHF 37,90
ISBN 978-3-98721-184-3
Genre: Horror
Rezension
In der Kleinstadt Tarker Mills im US-Bundesstaat Maine scheint ein Serienmörder, beginnend im Januar, jeden Monat bei Vollmond einen Menschen zu töten und grausam zuzurichten. Es dauert nicht lange, da glauben viele Menschen, der Mörder sei ein Werwolf. Als die Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag abgesagt werden, ist der elfjährige querschnittsgelähmte Marty Coslaw enttäuscht. Er will dennoch ein Feuerwerk zünden, allerdings ein leises und heimlich in der Nacht. Im Garten hat Marty die erste und folgenreiche Begegnung mit dem Werwolf.
Auf der World Fantasy Convention im Jahr 1979 schlug der junge Verleger Christopher Zavisa dem bereits berühmten Stephen King vor, eine Story in zwölf monatlichen Folgen in Vignettenlänge zu schreiben. Das Werk sollte mit Illustrationen von Bernie Wrightson als Kalender erscheinen. King sagte zu, machte dann jedoch ein Buch davon, sehr zur Freude von Zavisa. Die Entstehungsgeschichte gibt King in seinem sechs Seiten langen Vorwort wieder. King veröffentlichte Cycle of the Werewolf im Jahr 1983 als limitierte Ausgabe. Die deutsche Übersetzung gibt es seit 1985 in verschiedenen Ausgaben bei Bastei-Lübbe als Das Jahr des Werwolfs und Der Werwolf von Tarker Mills; nach dem deutschen Kinostart der Verfilmung als Der Werwolf von Tarker Mills (Originaltitel: Silver Bullet, Regie: Daniel Attias, Drehbuch: Stephen King) erweitert um Filmfotos und die Übersetzung des Drehbuchs.
King bezeichnet Der Werwolf von Tarker Mills als Kalendergeschichten, was sie aufgrund ihrer Kürze und in derartigen Geschichten verwendeten Pointen auch sind. Allerdings handelt es sich insgesamt um eine durchgehende Kalendergeschichte, die organisiert ist in zwölf Abschnitten (oder Kapiteln), einen für jeden Monat des Jahres. Jeder Abschnitt beginnt mit der Monatsangabe, gefolgt von einer doppelseitigen schwarzweißen Abbildung. Der Monatstext enthält je eine ganzseitige matte Farbillustration, die eine Schlüsselszene wiedergibt. Am Ende eines Monats findet sich jeweils eine weitere Abbildung in schwarzweiß. Jeder Abschnitt gibt ein Ereignis wieder. So wird in acht Monaten je ein Mensch vom Werwolf getötet, in zwei Monaten Schweine und Hirsche.
Über jedes Opfer wird etwas erzählt. Es geht um alltägliches Leben in der Kleinstadt, das sich langsam entfaltet. In den ersten Monaten bringt King uns Menschen nahe, darunter den alleinlebenden Arnie Westrum, der als Bremser für die Eisenbahngesellschaft arbeitet, und die ebenfalls einsame Stella Randolph, die einen Handarbeitsladen betreibt und zum Valentinstag Grußkarten von Kulturprominenz erhält – von sich selbst an sich selbst geschrieben. Sie träumt von der Liebe. „Liebe ist wie Sterben“. Im März lernen wir ein Ehepaar kennen, Milt Sturmfuller und seine Frau Donna Lee, der Milt seit zwölf Jahren das Leben zur Hölle macht. Es folgen der elfjährige Brady Kincaid und Reverend Lester Lowe von der Gnadenkirche der Baptisten. Der Reverend hat furchtbare Alpträume.
Die einsamen Menschen in Tarker Mills, die Opfer des Werwolfs werden, spielen nur in ihrem eigenen Kapitel eine Rolle. Die anderen sind wiederkehrende Figuren. Die Miniaturen werden inhaltlich miteinander verknüpft, wodurch eine Kleinstadtgeschichte entsteht. Manche sehen, wer der Werwolf ist, bevor die Leser*innen es erfahren. Im Mai erkennt ein Mensch sich als Werwolf. Im Juli führt King seinen Widersacher Marty Coslaw ein. Marty erhält Unterstützung durch seinen Onkel Al.
Natürlich spielt in einer Morderzählung über eine Kleinstadt auch die Kleinstadtpolizei eine Rolle. Constable Neary will den Fall lösen. Er ist frustriert, dass die State Police ihn wie einen Kleinstadtpolizisten behandelt. Deshalb legt er sich so richtig ins Zeug, mit guter alter Polizeiarbeit. Er ist überzeugt davon, dass der Mörder ein Mensch mit gespaltener Persönlichkeit ist, der sich als Wolf verkleidet. Sein Abschnitt endet mit der Pointe: „So weit die Psychologie. So weit die Polizeiarbeit“. Das Klischee von der Kleinstadt, in der alle Menschen einander kennen und füreinander da sind, gibt es in Der Werwolf von Tarker Mills nicht. Niemand weiß, was in den eigenen vier Wänden der anderen Menschen vor sich geht.
Der Mond ist ein seltsamer Himmelskörper, kosmischer Führer und magischer Taktgeber mit festem Zyklus, der die Monate bestimmt. Beginnend mit dem Neumond gibt es acht Mondphasen, deren fünfte der Vollmond ist. Stephen King gestaltet in Der Werwolf von Tarker Mills den Mondzyklus so, dass der Vollmond in seinem Jahr des Werwolfs mit bestimmten Tagen zusammenfällt, so dem Neujahrstag, dem Valentinstag, dem Pfingstwochenende und dem Unabhängigkeitstag. Hierzu äußert er sich amüsiert in seinem Buch. Seine Frau Tabby sagte, „dass ein Jahr, in dem alle Vollmonde auf einen Feiertag fielen, ein wirklich ziemlich verrücktes Jahr wäre.“
Fazit
Das Gesamtkonzept funktioniert gut. King erzählt mit wenigen Worten eine Kleinstadtgeschichte über Menschen, die sich einer zu Beginn unklaren Bedrohung gegenübersehen. Grusel kommt während der Lektüre nicht auf, aber es handelt sich auch nicht wirklich um Horror, eher um schwarzen Humor. Einiges ist traurig, anderes komisch, und King ist ironisch, nicht nur in der Behandlung des Werwolf-Sujets.
Pro und Kontra
+ großformatiger Hardcoverband (ca. 28 x 20 cm)
+ Produktionswert
+ Konzept
+ Illustrationen
Wertung:
Handlung: 3,5/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4/5
Buchpräsentation: 5/5
Preis/Leistung: 5/5
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