Sonja Benatzky (04.06.2008)

Interview mit Sonja Benatzky
 
Literatopia: Hallo Sonja! Erzähl uns doch etwas von Dir. Wer bist Du, woher kommst Du und was machst Du?

Sonja Benatzky: Ich bin eine 32-Jährige Mutter von drei Kindern. Tochter Billie-Jo, 14 Jahre alt, Sohn Björn-Dorian, 11 Jahre alt, und Sohn Finn-Loris, 1 Jahr alt. Weiters leben bei uns zwei Katzen (die dritte starb vor wenigen Wochen) und zwei Sittiche. Ich bin verheiratet mit dem besten Mann der Welt, er ist 10 Jahre jünger aber 10 Jahre weiser als ich. Geboren bin ich in einem Bergdorf in Niederösterreich, in der Nähe von Waidhofen/ Ybbs. Vor zwei Jahren habe ich mich dazu entschlossen, ein zweites Mal zu heiraten, noch ein drittes Kind zu bekommen und ein Haus zu kaufen. Das alles haben wir verwirklicht. Nach der Geburt von Finn-Loris im Mai letzten Jahres hatte ich ein Nahtod-Erlebnis, ich wäre beinahe an Kindbettfieber gestorben. Als ich aus dem Krankenhaus kam, haben wir mittelalterlich geheiratet, auf der Burg Gallenstein in der Steiermark, mit einer Mittelalter-Band, mit Dudelsack, Tanz im Burghof und Ritterplatte. Es war gigantisch schön. Das war im Juni. Und im September haben wir ein Haus gekauft. Insgesamt haben wir jetzt 2200 Quadratmeter Grundfläche, die ich zu einem Urwald verwildern lassen möchte. Und hier leben wir nun und fühlen uns als wären wir stolze Burgbesitzer. Es ist schön mit so vielen Kindern und Tieren zu leben. So hört die Natur nicht an der Haustür auf, sondern sie kommt ins Haus herein und macht alles lebendig. Da spürt man das Leben.

Fragen zu Das Flüstern der Geister

Literatopia: „Das Flüstern der Geister“ erzählt unter anderem die Geschichte, wie Du zur Schamanin wurdest. Was hat Dich dazu bewegt, diese doch recht persönliche Geschichte anderen zugänglich zu machen?

Sonja Benatzky: Ganz einfach: Die bewegendsten Momente sind die, die mich am meisten inspirieren, zu schreiben. Das war sicher einer der bewegendsten Momente in meinem Leben, darum habe ich darüber geschrieben. Außerdem wollte ich aufräumen mit dem Klischee, dass nur eingeborene aus Amerika oder sibirische Nomaden Schamanen werden können. Und dann ist da noch das Vorurteil, dass Schamanen etwas ganz abgehobenes, höchst-spirituelles, wenn nicht sogar göttliches sind. Das ist auch Unsinn. Schamanen sind vor allem Menschen. Sie sehen nur ein wenig mehr als andere.

Literatopia: Zwischen den Gedichten finden sich immer wieder Haikus, die einen ganz eigenen Platz im Buch bekommen haben. Wie bist Du zum Haikuschreiben gekommen? Was bedeutet es für Dich? Hältst Du Dich dabei an die klassischen Regeln oder schreibst Du „frei“? Was ist deiner Meinung nach das Schwierige an dieser Dichtkunst?

Sonja Benatzky: Das Schwierigste daran ist wohl, den 5-7-5-Rhythmus aus dem Kopf zu bekommen, wenn man mal „infiziert“ ist. Ich rannte vor Begeisterung in der ersten Zeit nur auf der Suche nach „Momenten“ durch die Gegend, habe sogar tagelang Stift und Papier bei mir getragen, falls mir etwas begegnet, woraus ich ein Haiku machen könnte. Ich hielt mich in den Anfangszeiten sehr an die Regeln, aber je länger ich mich mit Haiku beschäftigte, desto freier wurden sie. Meist versuche ich sie, so kurz wie möglich zu halten, also wenn 3-5-4 oder 2-4-2 daraus wird, ist für mich auch gut. Das Haikuschreiben bedeutet mir sehr viel. Es ist für mich die Essenz von dem, was ich erlebe. Ich fasse oft einen Tag in einem Haiku zusammen. Das ist natürlich nicht einfach, weil man jeden Tag viel erleben kann. Aber ich versuche am Ende eines Tages den Tag in drei Zeilen zu packen. Die Essenz des Tages sozusagen. Das bringt mich auf den Punkt, bringt mein Leben auf den Punkt. Ordnet. Es macht Ruhe in mir. Bringt mir Stille. Ich muss zugeben, dass ich nicht mehr weiß, wie ich dazu gekommen bin. Aber ich weiß, durch wen. Markus Sulzberger aus dem Forum Luxarium hat mich angesteckt. Er ist einer, den ich immer als großes Vorbild sehe, wenn es um Haiku geht. Aber er ist sehr radikal. Von ihm habe ich die strengere Art der Haikus. Die freie Art zu schreiben haben mir andere nahe gebracht.

Literatopia: Der Titel „Das Flüstern der Geister“ lässt auf ein spirituelles Buch schließen. Leider werden Spiritualität und Esoterik in unserer Gesellschaft oft gleichgesetzt. Wie siehst Du das? Missfällt es Dir, in die Esoterik-Ecke geschoben zu werden? Oder bist Du ihr gegenüber sogar aufgeschlossen?

Sonja Benatzky: Ich mag den Begriff „Esoterik“ überhaupt nicht. Und ich hatte streng genommen auch nie etwas am Hut mit Esoterik, weil ich aus einer ganz anderen Ecke komme. Ich weiß nicht, wann der Begriff Esoterik entstand, jedenfalls gab es Schamanismus wohl schon tausende Jahre vorher. Ich komme aus einer anderen Richtung. Ich bin durch die Natives zum Schamanismus gekommen. Mein Interesse galt immer den Eingeborenen. Ich hatte drüben Brieffreunde. Und durch die bin ich zu deren Glauben gekommen. Ich habe mein Wissen nicht aus Büchern sondern aus dem Erleben. Darauf bin ich stolz. Aber es ist für mich natürlich schwer, für meine Art von Arbeit Werbung zu machen, denn wenn ich das Wort „Schamanismus“ in den Mund nehme, denken alle sofort an den esoterischen Teil. Ein anderes Wort dafür konnte ich aber leider immer noch nicht finden. Für mich ist das Leben mit den Geistern nichts Esoterisches eigentlich, sondern etwas Natürliches. Leben mit der Natur, in der Natur, aus der Natur. Menschen SIND ja Natur. Wir bestehen aus ihr. Und alles ist beseelt. Be-GEISTERT eben.

Allgemeine Fragen

Literatopia: Drehen sich all Deine Geschichten und Gedichte um Dich und deine Familie oder schreibst Du auch über Menschen, die Du vielleicht noch nie persönlich getroffen hast? Zum Beispiel, wenn Du etwas über jemanden gelesen hast?

Sonja Benatzky: Ich schreibe meistens schon das, was ich selber erlebt habe, was aus mir kommt. Darum sind auch die Gedichte total unterschiedlich, manche sind gut, manche sind grottenschlecht. So wie ich gute Tage und schlechte Tage habe. Das, was ich erlebe, verarbeite ich in Gedichten. Kann sein, dass mich manchmal auch eine schlechte Nachricht aus anderen Ländern inspiriert, so wie ein Krieg irgendwo oder ein Missbrauch-Fall. Das beschäftigt mich dann, und dann schreibe ich auch darüber. Aber ich schreibe nicht über Dinge, die mich nicht bewegen würden.

Literatopia: Wie bist Du zum Schreiben gekommen? Hast Du sozusagen schon immer geschrieben, angefangen als Kind, oder gab es irgendwann einen Punkt, an dem Du meintest: So, jetzt versuche ich es?

Sonja Benatzky: Meine Mutter hatte über 60 Brieffreundschaften in der ganzen Welt. Das Interesse für fremde Länder und fremde Kulturen habe ich wahrscheinlich von ihr geerbt. Sie hat auch das nötige Kleingeld, um die Länder dann zu besuchen, war schon überall, von den Seychellen über Jamaika bis Kanada. Sie legte auch immer Wert darauf, dass ich auch Brieffreunde habe, damit ich gut Englisch lerne. Mit zwölf Jahren hatte ich dann meine erste Brieffreundin aus Finnland, dann kurz danach die zweite Brieffreundin aus Malta, weitere folgten aus Deutschland, England, Cayman Islands, Ghana und so weiter. Ich schrieb oft bis zu fünf Briefe am Tag, sammelte die Briefmarken aus fremden Ländern und wir verschickten untereinander „Friendbooks“, das sind kleine zusammen geklammerte Heftchen, in denen jeder seine Adresse und Hobbys eintrug, und das dann weiter schickte an die nächste Brieffreundin. So sammelte man Adressen aus verschiedensten Ländern. Der, der so ein Heftchen los schickte, bekam es oft nach Jahren wieder zurück, gefüllt mit Adressen, und wir verschickten hunderte davon, sodass wir immer eine große Auswahl hatten. So kam ich dann auch zu meiner ersten Brieffreundin aus Kanada, damals wusste ich gar nicht, dass sie Indianerin ist, das hat sie mir erst nach vielen Briefen mitgeteilt. Und erst nach einem Jahr schriftlichem Austausches erfuhr ich, dass ihr Mann Schamane sei. Ich war immer begeistert von Amerika, von den Indianern, von Harley Davidsons und der Route 66. Das war immer mein Traum. Dadurch hab ich immer geschaut, dass ich Leute finde, die aus Amerika kommen, denen ich schreiben konnte. Ich habe dadurch viele indianische Brieffreunde gefunden, denen ich teilweise heute noch schreibe. In Reservaten, in Gefängnissen, und einigen wenigen die das Glück hatten in Freiheit leben zu drüfen. So entstand mein Interesse zum Schamanismus.

Literatopia: Was inspiriert Dich? Welche Orte suchst Du auf, wenn über das Schreiben nachdenken willst? Brauchst Du eine besondere Atmosphäre oder kannst Du überall und jederzeit schreiben?

Sonja Benatzky: Inspirierend sind bewegende Momente. Egal ob Trauer, Freude, Wut oder Liebe, Gefühle sind der beste Motor zum schreiben. Also kann ich überall schreiben. Weil wütend kann ich überall sein. Und freuen kann ich mich auch überall. Ich schreibe sowohl im Trubel als auch bei absoluter Stille. Das ist mir egal.

Literatopia: Planst Du ein weiteres Buch? Wenn ja, wird es ähnlich konzipiert sein wie "Das Flüstern der Geister" (also eine Mischung aus Geschichten und Gedichten)?

Sonja Benatzky: Ich hätte schon ein weiteres Buch fertig. Allerdings nehme ich es nicht so streng mit dem Veröffentlichen, ich schreibe gerne, viel - und vor allem überall. Das passt den Verlagen natürlich nicht. Die wollen ja alles selber haben, damit das Buch gekauft wird. Das darf man dann nirgends anders mehr lesen dürfen. Geschäftsleute eben. Mir ist das nicht so wichtig. Wenn ich ein Buch machen will, dann nur, damit ich das, was ich monatelang oder jahrelang erlebt habe, in der Hand halten kann, gebunden. Ich habe inzwischen auch aufgehört, nach Verlagen zu suchen. Es ist mir nicht wichtig, ein Buch zu schreiben. Ich schrieb auch mein erstes Buch nicht wirklich mit dem Hintergedanken, dass ein Buch daraus werden sollte. Nur, als ich dann zu viele Texte beisammen hatte, dachte ich, das wär doch klasse, die jetzt mal gebunden, mit Buchdeckel, in der Hand zu halten. So gesammelt. Deshalb war es für mich eine riesige Freude, dass Herr Rothacher vom Epikur Verlag gleich zugesagt hat, nachdem ich ihn damals im Literaturportal zufällig gelesen hatte und ihn gefragt habe, wie das wäre mit einem Buch.

Wenn ich jetzt noch mal bei ihm verlegen wollte, müsste ich aber auf jeden Fall was ganz Neues schreiben. Einen Roman vielleicht. Gedichte sind ja nicht so wirklich erwünscht. Aber über einen Roman hab ich mich noch nicht drüber getraut, auch wegen dem Zeitaufwand, und dann muss ja da alles zusammen passen. Eine Geschichte erfinden, das kann ich nicht so gut. Da würde ich sicher irgendetwas vergessen und dann stimmt das nicht mehr zusammen. Wenn, dann würde ich wahrscheinlich einen schamanischen Thriller schreiben.

Leserfragen

Leserfrage: Wie erklärst Du es dir, dass Lyrik heutzutage nicht gerade ein Verkaufsschlager ist?

Sonja Benatzky: Das ist wie mit dem Malen. Inzwischen malt jede Hausfrau. Man verkauft keine Bilder mehr, wenn man nicht stinkreiche Sponsoren hat. Ich habe Ausstellungen gehabt mit meinen Malereien, die sind drei Monate in einer belebten Behörde an der Wand gehangen, und kein einziges habe ich verkauft. Trotz Eröffnung mit Bürgermeister-Ansprache und Trommelgruppe und Fernseh-Interview und Nationalrats-Abgeordneter. Da ist der ganze Aufwand zu groß. (Vernissage, Interview mit Fernsehen, Eröffnung, die Bilder müssen ja auch gerade aufgehängt werden, hingebracht und wieder abgeholt werden, usw…) Mit den Gedichten ist das genauso. Jeder zweite Fritze schreibt. Und jeder glaubt, er kann was. Und jeder will berühmt werden damit und Geld verdienen. Die Verlage sind wahrscheinlich überfordert, weil die Hälfte davon Müll ist. Wirklich gute Gedichte, wenn ich so was lesen will, dann kaufe ich mir Rilke oder Hesse und bestimmt keine deutsche Hausfrau, die ich nicht kenne.

Leserfrage: Wann schreibst Du? Nimmst Du Dir Zeit dafür und setzt Dich bewusst hin, oder wird das von Deiner Laune bestimmt - wenn Du zum Beispiel etwas loswerden willst etc.?

Sonja Benatzky: Ich brauche keinen bestimmten Platz und keine bestimmte Zeit. Ich brauche nur bewegende Momente. Dann fließt es von selber.

Leserfrage: Du schreibst viel über das, was Du erlebst, was Du um Dich herum wahrnimmst, was Dich beschäftigt. Was bedeutet es für Dich, zu schreiben?

Sonja Benatzky: Schreiben bedeutet mir alles. Könnte ich nicht schreiben, müsste ich singen. Ich male ja auch und trommle auch. Also irgendwie muss man das erlebte ja raus lassen. Und da ich viel erlebe, muss ich wohl viel raus lassen. Ich kann das nicht alles bei mir behalten. Es gibt bestimmt Menschen die das alles schlucken würden und verdauen und dann auf irgendeiner Toilette lassen und wegspülen. Ich gehöre nicht zu denen. Ich kann das nicht. Schreiben ist verarbeiten von erlebtem. Könnte ich es nicht rauslassen, bekäme ich bestimmt Geschwüre.

Leserfrage: Für Dich ist Schamanismus mehr als ein „Wochenend-Hobby“. Inwiefern beeinflusst er Dein alltägliches Leben?

Sonja Benatzky: Es ist Alltag. Es durchdringt mich und meine Familie. Es ist so selbstverständlich geworden, dass ich es gar nicht bemerken würde, wenn da nicht die Kleinigkeit wäre, dass die Leute im Dorf mich meiden. Ich habe zum Beispiel einen Flohmarkt veranstaltet. Dazu habe ich Plakate verteilt im Ort und Werbung gemacht in Zeitungen. Es kamen Leute von auswärts, und es kamen Flüchtlinge, die hier im Ort leben. Ansonsten kam NIEMAND. Kein einziger Mensch von hier aus dem Dorf, nicht einmal die Nachbarn. Ich glaube, dass die Leute Angst haben vor dem was ich mache. Ich kann es aber auch nicht erklären, wenn niemand es hören will.
Ich wurde von der Direktorin der Schule im Ort aufgefordert, den Kindern nichts über Schamanismus zu erzählen, weil die „Eltern das nicht wollen.“ Ich durfte hier im Ort weder Naturerfahrungs- Seminare für Kindergartenkinder machen, noch Traumfängerweben in der Schule anbieten, weil das den Pädagogen zu spirituell war. Da wir ein erz-katholisches Dorf sind, werde ich eben mit Missachtung bestraft. Ich habe es auch mit der Kunst versucht, aber da wurde mir dann gesagt: „Wir haben hier schon eine Künstlerin, du brauchst nicht glauben, dass du hier Erfolg haben wirst!“ (wortwörtlich!) Auch das Jugendamt wurde mir nach Hause geschickt, aber die konnten nichts Auffälliges feststellen und sind wieder gefahren. Das ging so weit, dass der Pfarrer uns nicht erlaubte unseren Sohn taufen zu lassen. Mein Mann und ich wir sind beide aus der Kirche ausgetreten, hätten aber unserem Sohn die katholische Taufe ermöglicht. Die Taufpatin wäre in der Kirche gewesen, wir hatten schon einen Pfarrer in Oberösterreich gefunden, der unseren Sohn getauft hätte, er brauchte nur noch eine Erlaubnis des Pfarrers im Ort. Dieser verweigerte uns die Taufe. So bleibt mein Sohn eben auch ein Heidenkind, was mich nicht weiter stört. Um auf die Frage zurück zu kommen: Es ist kein leichtes Leben, aber ein erfülltes Leben. Die Kraft beziehe ich aus der Natur. Und den Menschen begegne ich mit viel Verständnis. Das Mittelalter ist ja noch nicht so lange her.

Dieses Interview wurde von Judith Gor für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.