Bernhard Stäber, Swantje Niemann, Theresa Hannig, Vincent Voss, Fabienne Siegmund und Alessandra Reß (07.12.2023)

Interview zu "Königsgift"

Cover zu "Königsgift", zu sehen ist der Oberkörper einer blonden Frau im roten Kleid, die ein Fläschchen mit grünem Gift vor ihre Brust hältLiteratopia: Hallo zusammen! Im Oktober ist bei Edition Roter Drache Euer phantastisches Gemeinschaftsprojekt „Königsgift“ erschienen. Was erwartet die Leser*innen in einem Werk, an dem zehn Autor*innen gearbeitet haben?

Swantje Niemann: Ein kurzer Portal-Fantasy-Roman über eine Welt, in der Geschichten die Realität verändern. Es handelt sich nicht um eine Anthologie, sondern um einen Roman, der entstanden ist, indem zehn Autor*innen, auf der Arbeit der Leute vor ihnen aufbauend, jeweils ein Kapitel beigetragen haben.

Literatopia: Bernhard, Du hast auf dem BuCon erzählt, dass die Idee zu „Königsgift“ auf den Roman "Das Geheimnis der orangefarbenen Katze" zurückgeht. Würdest Du unseren Leser*innen nochmal den Zusammenhang schildern?

Bernhard Stäber: Ich entdeckte dieses Buch als Kind in der Bibliothek des Nachbarorts. Es war 1968 von zehn verschiedenen Kinderbuchautoren aus zehn verschiedenen Ländern verfasst worden. Ich gendere hier ganz bewusst nicht, denn es waren tatsächlich ausschließlich Männer - als hätte es nicht damals auch schon Kinderbuchautorinnen gegeben! Jeder von ihnen hatte ein Kapitel geschrieben und es an den jeweils nächsten Autoren weitergereicht - darunter Otfried Preußler. Die Idee eines Romans, der von zehn verschiedenen VerfasserInnen stammte, aber dennoch für mich als Leser wie aus einem Guß erschien, beeindruckte mich schon als Kind.

Literatopia: Wie habt Ihr Euch gefunden? Hat Bernhard die zehn Autor*innen allein ausgewählt? Und hat sich die Besetzung zwischenzeitlich nochmals verändert? 

Bernhard Stäber: Ich hatte schon länger Lust gehabt, diese ungewöhnliche Ausgangssituation einmal selbst mit AutorInnen, die ebenfalls Phantastik schreiben, nachzustellen - und zu sehen, ob wir ebenfalls einen zusammenhängenden Roman hinbekommen würden. Dabei war es mir wichtig, dass es diesmal fünf AutorInnen und fünf Autoren sein sollten, und keine reine Männerriege wie in dem Buch von 1968. Ich suchte ganz bewusst nach KollegInnen, von denen ich hoffte, dass sie nicht nur ihr eigenes Kapitel herunterschreiben, sondern auch mit den Figuren und Motiven ihrer MitstreiterInnen arbeiten und sie so vertiefen würden. Ein Kriterium war auch, wen sich die jeweilige VerfasserIn des aktuellen Kapitels als NachfolgerIn vorstellen konnte. Wir mussten die Besetzung zwischenzeitlich zweimal ändern, weil zwei KollegInnen aus Zeitgründen wieder absprangen. Insgesamt entwickelte sich der Pool von uns zehn AutorInnen über die zwei Jahre der Schreibphase sehr organisch.

Bernhard Stäber und Theresa Hannig auf dem BuCon 2023 bei der Vorstellung von "Königsgift"Literatopia: Wer von Euch hat das erste Kapitel geschrieben? Gab es irgendwelche Vorgaben dafür? Und wie hat sich die Story danach im Vergleich zu den eigenen Vorstellungen entwickelt?

Bernhard Stäber: Ich schrieb das erste Kapitel, betrieb etwas Worldbuilding und pflanzte ein paar Samen, damit meine NachfolgerInnen genügend Substanz hatten, um darauf aufzubauen. Dann ging ich damit zu Christian von Aster und sagte ihm: Wenn du daran weiter schreibst, dann ist dieser Text für die Dauer des zweiten Kapitels deiner. Du kannst mit den Figuren und der Handlung machen, was du willst - es gibt keine Vorgaben. 

Ich hatte keine Ahnung, wie sich die Geschichte weiterentwickeln würde, da ich mich ganz bewusst nur auf mein erstes Kapitel konzentriert hatte. Für mich war jeder weitere Twist in der Geschichte eine spannende Überraschung. Letztendlich war aber alles wunderbar in sich schlüssig.

Literatopia: Stellt uns Euren Protagonisten Anders van der Linden vor: Was ist er für ein Mensch? Wie erfährt er, dass er ein Talent für das Geschichtenerzählen besitzt?

Bernhard Stäber: Anders ist kein junger auserwählter Fantasyheld. sondern ein berenteter Bibliothekar, dessen Frau gestorben ist. Zu Beginn des Romans kommt er sich wie auf dem Abstellgleis zum Altersheim vor. Das magische Portal, das er durchquert, ist für ihn wie ein Versprechen, dass sein Leben immer noch Herausforderungen und Wunder bereithält. Dass er ein Talent fürs Geschichtenerzählen hat, findet er heraus, als er in der Welt Karran dazu gezwungen ist, es einzusetzen.

Literatopia: Wie findet sich Anders in der phantastischen Welt Karran zurecht? Wie sieht es in Karran aus? Und auf welche phantastischen Wesen trifft er dort?

Bernhard Stäber: Anders macht die Bekanntschaft einer jungen Geschichtenerzählerin namens Aëlis, die ab und zu die Welt der Menschen besucht, um dort neue Geschichten zu erfahren. Von ihr erfährt er einiges über die Welt von Karran, die einer klassischen mittelalterlichen High Fantasy-Welt ähnelt. Anders trifft auf alle möglichen phantastischen Wesen, eine Mantikorin, einen unheimlichen Schergen in Form eines Schattens, sogar den Tod selbst - aber lasst euch doch einfach überraschen!

Literatopia: „Königsgift“ hat zwei Antagonist*innen – wer sind sie? Und wie machen sie Anders das Leben schwer?

Vincent Voss: Ich würde da mal etwas zum Schatten erzählen. Dieser unterschätzt Anders gewaltig und nimmt ihn im Laufe der Geschichte mehr und mehr als ernstzunehmenden Gegner wahr. Das Böse wendet sich zuallererst oft an die Liebsten, mehr sei hier nicht verraten. Und speziell ist, dass auch der Schatten an seinen eigenen Handlungen leidet.

Fabienne Siegmund: Die zweite Antagonistin ist Jarika, die Herrscherin von Karran. Auch wenn ihre Figur nicht von mir stammt, so habe ich in meinem Kapitel die Gelegenheit genutzt, um ihr eine Geschichte zu geben. Sie hat mich seit ihrem ersten Auftauchen fasziniert - ich wollte wissen: Was lässt sie so handeln? Warum ist sie noch strenger und in Teilen grausamer als ihr Vater, wenn es um Geschichten geht? Und so habe ich versucht, ihr eine Geschichte zu geben - und den Schatten, den Vincent dann auf seine ganz eigene Weise großartig weitergeführt hat.

Fabienne Siegmund liest auf dem BuCon 2023 aus "Königsgift", neben ihr sitzt Bernhard StäberLiteratopia: Im Mittelteil gibt es ein düsteres Horrorkapitel. Wie fügt sich dieses in die Fantasygeschichte ein?

Vincent Voss: Ich hoffe, es ist mir gelungen, es gut in die Fantasygeschichte eingebettet zu haben. Halt, wie man einen Verstorbenen in einen Sarg bettet und diesen dann im November bei dichtem Nebel in sein Grab hinunter lässt. Ne, im Ernst, ich glaube, das passt schon.

Bernhard Stäber: In meinen Augen passte Vincents Kapitel wunderbar. Horror und Fantasy sind doch eng miteinander verwandt. Aber vor allem mochte ich, dass es zum Teil in der Menschenwelt spielte und damit wieder weg von einem reinen Fantasy-Setting und zurück zur Urban Fantasy des Anfangs führte. Dieser starke Kontrast kam genau an der richtigen Stelle.

Literatopia: Theresa, Du hattest die Ehre oder auch die schwere Aufgabe, das letzte Kapitel zu schreiben. Erst hast Du Dich etwas schwergetan, doch dann hat die "Magie des Schreibens" alles zusammengefügt - würdest Du uns das näher erläutern?

Theresa Hannig: Die Magie des Schreibens ist etwas, das alle Autor*innen (jedenfalls diejenigen, die ich gefragt habe) bestätigen können: die Geschichte schreibt sich ab einem bestimmten Punkt wie von selbst. Es ist ja nicht so, als hätten alle Autor*innen immer einen kompletten Masterplan im Kopf, wenn sie anfangen eine Geschichte zu schreiben. Oft startet man mit einer Idee und schaut, wohin sie einen führt. Und am Ende fügt sich die Geschichte dann auf scheinbar magische Weise zusammen, so als hätte das Universum - oder das Unterbewusstsein - von Anfang an genau diese eine Geschichte haben wollen. Das Erstaunliche war nun, dass diese Magie auch bei uns zehn gegriffen hat und sich am Ende alles gefügt und organisch angefühlt hat, als wäre die Geschichte von Anfang an dagewesen und wir hätten sie nur aufschreiben müssen.

Literatopia: Inwiefern habt Ihr Euch während dem Schreiben miteinander abgesprochen? Gab es viel Kontakt untereinander oder hat jeder für sich allein gearbeitet?

Swantje Niemann: Während des Schreibens hatten wir gar nicht so viel Kontakt - zumindest war das meine Wahrnehmung. Das Manuskript hat die Runde gemacht und zwischenzeitlich gab es nur kleine Kontinuitätspunkte, die Leuten beim Lesen von Kapiteln ihrer Vorgänger*innen aufgefallen sind, und zumindest bei mir nach dem ersten Entwurf meines Kapitels einen kleinen Vorschlag von Bernhard, was ich noch mehr ausbauen könnte. Wirklich intensiv wurde der Austausch erst, als das Manuskript fertig war, und wir entscheiden mussten, wo und wie wir es veröffentlichen und bewerben.

Bernhard Stäber: Es gab KollegInnen, die mit der Vorgabe: “keine Vorgabe, du kannst mit deinem Kapitel machen, was du willst” sehr gut zurechtkamen und gleich losschrieben. Und dann gab es diejenigen, die sich vermutlich wohlfühlen, wenn sie vorher plotten können. Die fragten dann auch mal, ob sie sich mit mir absprechen könnten, um ihr Kapitel etwas zu planen. Ich sagte in diesem Fall dann: Ich kann dir gerne Feedback geben, aber letztendlich entscheidest du für die gesamte Story, solange du das Steuer in der Hand hast. Das ist ja das Besondere an diesem Projekt, und das will ich dir nicht wegnehmen.

Literatopia: Nachdem alle ihre Kapitel geschrieben und abgegeben haben: wurde noch viel am Text verändert? 

Alessandra Reß und Fabienne Siegmund bei der Vorstellung von "Königsgift" auf dem BuCon 2023Swantje Niemann: Viel konnte eigentlich bleiben, wie es war. Ich habe einmal, nachdem alle ihre Kapitel eingereicht hatten, über den Text rübergelesen und ein paar kleine Punkte entdeckt, die wir anpassen mussten, damit alles stimmig wird. Es war teilweise gar nicht so einfach, zu entscheiden, was jetzt einen Sinn ergibt und was nicht, weil die Besonderheiten Karrans ja einige interessante Dinge mit der Vergangenheit und der Kausalität von Ereignissen anstellen.

Fabienne Siegmund: Tatsächlich war das etwas, was mich bereits beim ersten Lesen beeindruckt hat. Dass man zwar genau spüren konnte, dass die einzelnen Kapitel aus unterschiedlichen Federn stammen, aber das hat den Lesefluss nicht für einen Moment gestört. Die Geschichte war immer im Vordergrund.

Literatopia: Anfangs wusstet Ihr nicht, ob Eurer Projekt wirklich zu einer Veröffentlichung führt. Wann war klar, dass das Experiment funktioniert und unter dem Titel „Königsgift“ als Roman erscheinen wird?

Bernhard Stäber: Auf die Gefahr hin, dass ich mich jetzt furchtbar pompös anhöre: Mit neun professionellen KollegInnen habe ich nie daran gezweifelt, dass es mehr als nur ein Experiment sein würde. Alle gingen an ihre Kapitel mit dem Ernst von GeschichtenerzählerInnen, die am Ende auch eine Leserschaft für ihre Geschichte haben wollen. Wir beschlossen nur ganz bewusst, uns über das Thema Veröffentlichung erst Gedanken zu machen, wenn wir fertig sein würden. Es gab ja keine harte Deadline, und niemand von uns wusste, dass sich die Arbeit über zwei Jahre hinziehen würde, damit alle für ihr jeweiliges Kapitel genügend Zeit freischaufeln konnten.

Literatopia: Könnt Ihr Euch vorstellen, nochmals so ein Gemeinschaftsprojekt anzugehen? Vielleicht mit mehr oder weniger Autor*innen?

Alessandra Reß: Was mich angeht, auf jeden Fall. Ich arbeite gerne mit anderen an Geschichten, sei es in Shared Universes oder eben bei Experimenten wie diesem hier. Mir gefällt es, mich zwischen bestehenden Vorgaben und eigenen Ideen einzupendeln und zu schauen, wie Verknüpfungen entstehen. Außerdem ist es oft eine nette Abwechslung – mein Kapitel zum “Königsgift” erreichte mich z. B. in einer Phase, in der mich mein eigenes Projekt gerade nur frustriert hat. Für ein paar Tage in eine andere Welt abtauchen zu können, war bemerkenswert hilfreich für die Schreibmotivation.

Was die Anzahl der Personen angeht: Für ein solches Experiment war das denke ich genau richtig. Mit der Hälfte der Leute würde es einfacher (oder verlockender), sich stärker abzusprechen und vor dem Schreibprozess bereits gemeinsam an Weltenbau und Handlung zu feilen. Aber das wäre auch wieder eine komplett andere Ausrichtung.

Fabienne Siegmund: Ich kann mich Alessandra nur anschließen. Wenn ein solches Projekt an die Tür klopft, bin ich immer gerne sofort dabei. Es ist toll, mit anderen zusammen Geschichten zu schreiben, das eigene Schreiben nach der Geschichte und der Gemeinschaft auszurichten und Ideen zusammen aufzubauen. Die Anzahl der Schreibenden ist da erstmal nur zweitrangig - auch wenn es das Arbeiten an der Geschichte natürlich verändert.

Bernhard Stäber: Ich hatte mir früher Gemeinschaftsprojekte von AutorInnen immer als sehr schwierig und kraftraubend vorgestellt. Aber die Zusammenarbeit mit allen bei “Königsgift” war so schön, dass ich mir ein ähnliches Projekt durchaus noch einmal vorstellen kann.

Vincent Voss: Ja, klar. Aber es braucht dann unbedingt so jemanden wie Bernhard. Oder am besten Bernhard!  Er hatte einen Plan, er hat das Projekt vorangetrieben und immer alle mit eingebunden. Ich glaube, ohne das würde am Ende nicht so ein schönes Buch entstehen. Dazu haben auch andere, so, wie es sehe, mehr geleistet als ich. Unter diesen Gegebenheiten ist es toll, aber ich kenne es auch anders. Dann ist es nicht so schön. 

Theresa Hannig: Ich bin auf jeden Fall dabei. Ich warte nur darauf, dass Bernhard endlich anruft!

Literatopia: Möchte jemand von Euch abschließend noch ein bisschen Werbung für kommende Veröffentlichungen machen? Worauf können wir uns in naher Zukunft freuen?

Swantje Niemann und Alessandra Reß auf dem BuCon 2023 bei der Vorstellung von "Königsgift"Vincent Voss: Also wer Lust hat, Horror zu lesen, kann gerne mal etwas von mir lesen. BUH!

Bernhard Stäber: Was Vincent sagt, denn mit gutem Horror macht man nie etwas verkehrt. Und lest überhaupt mehr von Theresa Hannig. Ich las von ihr nur eine einzige Kurzgeschichte, aber danach wusste ich: Ich will sie für dieses ganz besondere Ship of Fools an Bord haben.

Theresa Hannig: Das was Bernhard sagt! Aber im ernst: von mir gibt es 2024 ne ganze Menge, also passt gut auf, was ich auf Insta/BlueSky/LinkedIn poste: Alle 4 Wochen erscheint meine taz Kolumne “Übermorgen” in der mir mein zeitreisender Freund Felix was über die Zukunft verrät, am 8.3.24 kommt der Feministische Essayband “Heute ist ein guter Tag, das Patriarchat abschaffen" heraus, an dem ich beteiligt war und im Herbst erscheint mein 5. Roman - diesmal über Klima-Terrorismus!

Swantje Niemann: Wann die nächste große Veröffentlichung von mir kommt, kann ich nicht sagen, aber ich werde mich demnächst an eine Geschichte für eine Anthologie setzen. Und wenn alles klappt wie geplant, werde ich im nächsten Jahr wieder daran beteiligt sein, ein LARP zu entwickeln. Das konnte ich dieses Jahr zum ersten Mal ausprobieren und hatte eine Menge Spaß daran. Gemeinsames Schreiben wird mich also noch ein bisschen begleiten.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!


Fotos: Copyright by Judith Madera - alle Fotos stammen vom Buchmesse Convent 2023, zu sehen sind jeweils Bernhard Stäber und Theresa Hannig, Fabienne Siegmund und Bernhard Stäber, Alessandra Reß und Fabienne Siegmund sowie Swantje Niemann und Alessandra Reß

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Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.