Die Dürre (J. G. Ballard)

Ballard Die Dürre

diaphanes, 21.09.2023
Originaltitel: The Drought (1965)
Aus dem Englischen von Helma Schleif
Paperback, 256 Seiten
€ 18,00 [D] | € 18,95 [A] | CHF 27,90
ISBN: 978-3-0358-0539-0

Genre: Climate Fiction


Klappentext

Auf der Erde breitet sich eine nie gekannte Dürre aus. Eine hauchdünne, widerständige Polymerschicht entstanden aus Industrieabfällen bedeckt die Ozeane und verhindert jedes Verdunsten des Meerwassers. Flüsse werden zu Rinnsalen, die Wälder stehen in Flammen und die unerträglich helle Sonne brennt auf die verdorrten Landschaften nieder. Während die meisten Menschen an die Küsten strömen, bleibt der Arzt Ransom mit wenigen anderen in der Stadt zurück. Das Klima verändert die zurückgebliebenen Bewohner und Gewalt und Verzweiflung breiten sich aus – während einige, in Einklang mit der apokalyptischen Wüstenlandschaft, ihre Erfüllung finden.


Rezension

In den 1960er Jahren hat James Graham Ballard ein Romanquartett über ökologische Katastrophen sowie deren gesellschaftliche und psychische Auswirkungen veröffentlicht. Nach The Wind from Nowhere (1961/1962) und The Drowned World (1962) ist The Drought der dritte Band. Den Zyklus beschließt The Crystal World (1966).

Die Dürre kehrt die Umweltsituation aus Die Flut um. Die Welt steht nicht unter Wasser, sondern wird seit Jahren von Dürreperioden heimgesucht. Die landwirtschaftlichen Flächen sind zu Staubwüsten geworden. Wälder brennen, es regnet nicht mehr. Verantwortlich hierfür sind Menschen. Seit Jahrzehnten haben sie die Regenerationsfähigkeit der Ökosysteme missachtet, rücksichtslos statt nachhaltig Ressourcen ausgebeutet und ihre Industrie- und Konsumabfälle in die Umwelt entsorgt. Polymerverbindungen (Plastik) haben sich in den Weltmeeren über fünfzig Jahre angereichert und zu Abfallteppichen verbunden, die die Meeresoberfläche bedecken und den Wasserkreislauf stören. Gewässer trocknen aus, Trinkwasser wird zunehmend knapp.

Die gegenwärtige Dürre währt bei Einsetzen der Handlung bereits um die fünf Monate. Am Ende des Romans besteht sie seit rund zehn Jahren. Tauchen tatsächlich einmal Regenwolken auf, äußert sich ein weiterer Aspekt von Heimsuchung darin, dass sie über dem Meer abregnen. Die Regierung hat vergeblich versucht, Wolken zu „impfen“, damit sie ihr Wasser über Land abgeben. Sie ruft die Menschen auf, sich aus dem Landesinneren an die Küsten zu begeben.

Die Bewohner von Mount Royal und der benachbarten an einem See gelegenen Kleinstadt Hamilton verlassen nach und nach die Gegend. Reverend Johnstone, Pfarrer der presbyterianischen Kirche von Hamilton, hat eine Bürgerwehr um sich geschart, um im sich verschärfenden Chaos Familien und Eigentum verteidigen zu können. Eine konkurrierende Gruppe besteht aus früheren Fischern auf der Suche nach Wasser.

Dr. Charles Ransom, ein Arzt, der seine Arbeit im Krankenhaus verloren hat, lebt seit der Trennung von seiner Frau Judith auf einem Hausboot. Ransom will Hamilton nicht verlassen, ändert jedoch seine Meinung nach einem Gespräch mit dem Architekten Richard Lomax, der den Ort niederbrennen will, um Freifläche für Wandel zu schaffen. Lomax will Ransom für sein Vorhaben gewinnen. Der erkennt aber nur, dass es keinen Sinn mehr hat, in Hamilton zu bleiben.

Mit Catherine Austen, die im Zoo von Mount Royal arbeitet, dem Teenager Philip Jordan, dessen Ziehvater Mr. Jordan und Mrs. Quilter macht sich Ransom auf den Weg zur Küste. Während der Reise wächst seine Verzweiflung. Er betrachtet bald die vertrocknete Landschaft als Spiegel seiner Selbstauflösung. An der Küste angekommen, müssen sie feststellen, dass die Menschen um Trinkwasser kämpfen und zunehmend verrohen. Das Militär soll die Wasserversorgung bei zunehmender Knappheit organisieren und die sich langsam wandelnde soziale Ordnung kontrollieren, verlässt den Ort aber nach blutigen Auseinandersetzungen mit vielen Toten. In den Folgejahren entwickelt sich eine neue Sozialstruktur, von Banden bestimmt, die den Zugang zum Meer kontrollieren und über die knappen Wasserressourcen herrschen.

Zehn Jahre später ist die zivilisatorische Hülle verschwunden. Viele Menschen an der Küste haben nicht überlebt. Sie wurden Opfer von Unwettern oder Gewalt; die verbliebenen haben gelernt, Meerwasser aufzubereiten, häufen dabei aber Unmengen Salz auf, das zum Problem wird. Der selbstgeschaffene Abgrund, in den die Menschheit blickt, wirft ihr Fragen entgegen, auf die sie lediglich mit weiterer Zerstörung antworten kann. Der ehemalige Reverend und weiterhin Gewalt predigende Johnstone ist Anführer einer neuen Gemeinde, sitzt halbblind auf einem Thron aus Schrott, hat aber die Macht an seine beiden bösartigen Töchter übergeben, nicht an die gute, worin Ballard an Shakespeares König Lear erinnert. Charles Ransom fühlt sich wie in der Vorhölle. Mit Catherine, Philip und Mrs. Quilter macht er sich zurück auf den Weg nach Hamilton, nachdem sie bemerkt haben, dass in der Nähe der Küste Säugetiere leben, die Zugang zu Trinkwasser haben müssen.

In seiner „Address delivered before the Agricultural society of Rutland County, Sept. 30, 1847“ thematisierte George Perkins Marsh bereits den Zusammenhang von menschlichem Handeln und Dürren. Im Jahr 1864 schrieb er in seinem Sachbuch Man and Nature: Or, Physical Geography as Modified by Human Action über die möglichen Auswirkungen ökonomischer Aktivitäten auf die Umwelt unter anderem Waldnutzung, Bodenerosion und Dürren.

Hundert Jahre später schreibt James Graham Ballard in seinem Roman Die Dürre über anthropogene Dürren und ihre ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen. Der Ausgangspunkt ist ein anderer als bei Marsh. In der Welt von Die Dürre ist Trinkwasser das vermutlich wertvollste Gut. Es ist derart wertvoll, dass Menschen im Wortsinn dafür töten. Die Flut enthält Sequenzen, die die Leserinnen einladen, eine Realität wahrzunehmen, die nur in den Figuren existiert. Beide Romane weisen Ähnlichkeiten auf, dazu gehören ein apokalyptisches Geschehen infolge einer Klimakatastrophe, ein Arzt als Hauptfigur, auch Gewalt als Beziehungen definierende Größe, dies allerdings intensiver ausgearbeitet in Die Dürre. In beiden Büchern haben die Menschen jeweils keine Kontrolle über die Natur, sie können nicht außerhalb ihrer existieren. Und beide arbeiten mit Spiegelungen und Symbolen, teils den gleichen, was sinnvoll erscheint, sind doch beide miteinander verwandt.

Und so ist Die Dürre zum Teil entlang ähnlicher Linien nachvollziehbar wie Die Flut. Es gibt aber auch auffällige Unterschiede. Während der natürliche Entwicklungspfad in Die Flut vorgegeben scheint, gibt es in Die Dürre Grund zur Hoffnung auf Regen. Es gibt auch mehr Frauenfiguren, bis hin zu Macht ausübenden. Die Katastrophe ist hier menschengemacht, die Erklärungen haben viel mit dem zu tun, was wir heute, rund sechzig Jahre später, als existenzielle Probleme diskutieren. Ballard schreibt auch über erfolglose Versuche, die Polymerschicht zu beseitigen.

In den 1970er Jahren gab es eine Reihe von Filmen, Öko-Thriller genannt, in denen die missbrauchte Natur zurückschlägt. Diese Möglichkeit des Zugriffs auf den Roman spricht Ballard verschiedentlich direkt an.

„Dieser ozeanische Vergeltungsschlag, so einfach wie gerecht, hatte Ransom stets beeindruckt.“

Wird Die Dürre als ein post-apokalyptischer Text gelesen, stellen sich nahezu automatisch Fragen, wie sie in heutigen Endzeitszenarien verhandelt werden: Hätte die Katastrophe verhindert werden können? Lässt sich die Gesellschaft wieder aufbauen, falls ja, sollte sie sich von der früheren unterscheiden? Was lernen die Menschen aus der Apokalypse? Ballard scheint sich für keine dieser Fragen zu interessieren. Er lotet aus, auf welche Weise Menschen mit der Katastrophe umgehen.

Mit Ausflügen in den Surrealismus entwickelt Ransom ein ambivalentes Verhältnis zu den Menschen in seinem unmittelbaren Umfeld, mehr noch aber zur Dürre. Ballard schafft geografisch abgezirkelte Räume und erkundet deren Auswirkungen auf die Psyche seiner Figuren. Oder anders ausgedrückt: Manche Figuren versuchen dies. Diese schaffen sich innere Räume, die in einem Wechselverhältnis zur äußeren Welt im Zusammenbruch stehen. Gewalt ist eine konstitutive Größe. Sie schafft eine menschliche Gemeinschaft mit Herrschaftsstrukturen und äußeren Feinden.

Während Die Flut ein komplexes Gefüge ist, ein Netzwerk aus Bedeutungen und ihren Beziehungen, dessen Reduktion ohne zu viel Verluste nicht möglich wäre, ist Die Dürre um einiges zugänglicher, zumindest auf der Handlungsebene, und kein Beitrag zur Weird Fiction. In Die Dürre gestaltet Ballard eine narrative Struktur, die als Blaupause für spätere Climate Fiction wie auch post-apokalyptische Texte wie The Road und The Walking Dead gesehen werden kann. Eine ältere Verwandte hat der Roman in John Wyndhams The Day of the Triffids (1951).


Fazit

Durch eine anthropogene Klimakatastrophe wird der globale Wasserkreislauf dramatisch gestört. Dürren zunehmender Intensität und eine wachsende Verknappung des Trinkwassers sind die Folge. Die soziale Ordnung bricht zusammen, es entstehen Gewaltregime. Die Dürre beschreibt, wie Menschen mit der Katastrophe umgehen, von ihren Versuchen der materiellen, vor allem aber psychischen Anpassung an eine sich radikal verändernde Umwelt.


Pro und Kontra

+ mehr aktive Frauenfiguren als in Die Flut
+ anthropogene Klimakatastrophe mit ausgearbeiteter Begründung
+ Klassiker der Climate Fiction
+ für die Gegenwart wichtiger Text aus der Vergangenheit

Wertungsterne4.5

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4,5/5


Rezension zu "Die Flut"

Tags: SF-Klassiker, Climate Fiction