Anette Schaumlöffel (20.12.2023)

Interview mit Anette Schaumlöffel

Porträtfoto von Anette Schaumlöffel: Frau mir Brille und halblangem, graublondem Haar, sie trägt ein blauschwarz gemustertes ShirtLiteratopia: Hallo, Anette! In Deinem postapokalyptischen Roman „Eine zweite Chance“ ist die Erde eingefroren und zwei Raumschiffe verlassen sie. Was erwartet die Menschen außerhalb ihrer Heimat?

Anette Schaumlöffel: Hallo Judith! Tja, darauf gibt es für jedes Raumschiff eine andere Antwort. Die Long, die aus mehreren Raumschiffen besteht, gehört dem reichsten Mann der Welt. Der hat dafür gesorgt, dass um den Mars viele Vorräte kreisen. Mit denen will er seine Flotte zu Mehrgenerationenschiffen ausbauen, um damit einen bewohnbaren Planeten zu finden. Die Yoda haben sich ja nur ein paar Bastler aus einem Raumfrachter ausgebaut. Sie hoffen, dass die Long noch was übriglässt, falls sie es überhaupt bis zum Mars schaffen. Viel spannender ist aber die Frage, was haben die unterschiedlichen Besatzungen von ihrer Heimat mitgenommen, finde ich.

Literatopia: Wie kam es dazu, dass die Erde von Eis überzogen ist? Und könnte das tatsächlich so wie im Roman passieren?

Anette Schaumlöffel: Ausgangspunkt dieser bedauerlichen Entwicklung in meinem Roman ist eine Maßnahme, die wirklich seit Jahrzehnten immer mal wieder im Rahmen der Erderwärmung diskutiert wird. Man hat ja festgestellt, dass Vulkanausbrüche die Erde abgekühlt haben – so sind unsere letzten Eiszeiten entstanden. Wenn wir nun lichtreflektierende Partikel in die Atmosphäre befördern, würden sie einen Kühleffekt haben, weil sie das einfallende Sonnenlicht nach draußen abstrahlen. In meiner Geschichte lösen sich diese Partikel nicht auf und es entsteht eine Dynamik, in der die Oberfläche der Erde zunehmend vereist, dadurch noch mehr Licht reflektiert wird und die Temperatur weiter fällt. So sind irgendwann mal unsere Gletscher entstanden.

Literatopia: Würdest Du uns die wichtigsten Figuren aus „Eine zweite Chance“ kurz vorstellen?

Anette Schaumlöffel: Oh weh, das sind leider einige. Ich versuche, mich kurz zu fassen. Auf der Long folgen wir den POVs von Strange und Claire. Claire ist eine schöne, sehr pragmatische Biologin. Sie gehört zum hochqualifizierten Personal und pflegt den letzten Garten der Menschheit. Strange ist mindestens so seltsam, wie sein Name sagt. Er ist der Computerspezialist, der als einziger die KI Angelus warten kann, die den Kern der Long-Flotte bildet. Aber er hat ganz andere Pläne. Was Claire jedoch erst erfährt, nachdem sie sich in ihn verliebt hat.

Die Ereignisse auf der Yoda erleben wir aus Xenons Sicht. Er ist der Jüngste von drei Geschwistern. Tantal, die große Schwester, hat den Ausbau des Raumschiffs angeleiert und hält die Mannschaft zusammen. Bor, der große Bruder, ist handwerklich ungeschlagen, kämpft jedoch gegen massives PTBS aus seiner Vergangenheit als Söldner. Und Xenon ist das schräge Computergenie. Der Großvater war ein außerordentlicher Erfinder, er hatte die KI Angelus zum Wohl der Menschheit gebaut, bevor sie von den Reichen gekapert wurde. Von ihm hat Xenon auch die einzige Zeitmaschine der Welt und den Prototyp einer tragbaren KI: Beelzebub. Diese beiden Schätze nun schickt er zurück in die Vergangenheit, mit dem Auftrag, die Klimakatastrophe zu verhindern.

In unserer Zeit nun finden Jane und Jeremy die Zeitmaschine und Beelzebub. Jane ist eine vorbildliche Abiturientin, die sich ehrenamtlich engagiert und Nachhilfe gibt. Jeremy ist der böse Bube der Kleinstadt, in Prügeleien ungeschlagen, tut er sich zwar als Leistungsschwimmer hervor, ist schulisch aber auf der Hauptschule abgestellt. Die beiden Fundstücke aus der Zukunft bringen sie zusammen und sie begeben sich auf die Suche nach einer Lösung, sprunghaft beraten von der KI Beelzebub, die vermutlich ihre ganz eigene Idee verfolgt.

Cover von "Eine zweite Chance" in schwarz/weiß mit grünen Akzenten: zu sehen ist der Kopf einer Frau mit Raumfahrerhelm, die eine Kapsel hält, in der sich eine Pflanze befindetLiteratopia: „Eine zweite Chance“ ist auch ein Zeitreiseroman – wie bist Du mit temporalen Paradoxien umgegangen? Und wie kommt eine Künstliche Intelligenz zu einer Zeitmaschine?

Anette Schaumlöffel: Nun, ich würde sagen, ich habe die temporalen Paradoxien aufs Wunderbarste genutzt. Das hat schon einiges an Hirnschmalz gekostet und ich hoffe, dass niemand noch nachträglich einen Fehler findet. Im Ernst, ich habe mich für ein Zeitreisemodell entschieden: Jede Zeitreise spaltet eine neue Zeitlinie ab. Dabei bin ich geblieben und habe viel Freude an den Schleifen gehabt, die ich darin einbauen konnte.

Was diese unmöglichen Erfindungen angeht: Ich habe mich da der Trope des „genialen Erfinders“ bedient, der Großvater von Xenon. Auf seine Kappe (und auch die seiner genialen Praktikanten) gehen einige tolle, aber nicht mehr rekonstruierbare Erfindungen.

Literatopia: Wie sieht es auf dem Mars in Deiner Zukunftsvision aus? Wenn dort vielleicht Vorräte und Ersatzteile warten, ist er wohl besiedelt?

Anette Schaumlöffel: Er ist nur dünn besiedelt, weil das Aufrechterhalten von Lebensbedingungen für Menschen in einer so feindlichen Umgebung einfach zu aufwändig ist. Besonders wenn die Menschheit ganz andere Probleme in Form der dramatischen Folgen der Erderwärmung hat, was ja Anlass für die fatale Maßnahme war.

Die Vorräte und Ersatzteile kreisen alle im Mars-Orbit. So ist es auch viel einfacher für Raumschiffe, sie einzusammeln.

Literatopia: Auch „In einem Land nach unserer Zeit“ ist eine Postapokalypse – was reizt Dich an diesem Setting?

Anette Schaumlöffel: Oh, da gibt es vieles. Seit geraumer Zeit beschäftigt mich die Frage, ob die Art, wie wir zusammenleben, wirklich die bestmögliche ist, wie uns die Ökonomen gern erklären. Eine postapokalyptische Welt bietet da Gelegenheit, einfach mal andere Gesellschaftsformen in Gedanken auszuprobieren. Und dann fand ich noch den Robinson-Effekt reizvoll. Regina ist ja ein Kind der Zeit, in der die zweite Chance spielt. Sie erwacht fünfhundert Jahre später allein und muss sich ganz neu orientieren.

Im Schreiben habe ich festgestellt, dass die Postapokalypse einen sonderbar wohltuenden Effekt auf mich hat. Da ist die Katastrophe schon passiert, anstatt mit Karacho auf uns zuzurasen. Das fühlt sich auf schräge Art erleichternd an.

Foto vom Buch "Eine zweite Chance" mit getigerter Katze im HintergrundLiteratopia: Deine Protagonistin Regina erwacht zu Beginn der Handlung aus dem Kälteschlaf – allein. Wie findet sie die Erde vor?

Anette Schaumlöffel: Erfreulich belebt. Dank Regina und ihren Freunden. Die haben der Natur dabei geholfen, sich zu regenerieren. Obwohl – machen wir uns nichts vor – die Natur braucht uns nicht und selbst nach so einer klimatischen Katastrophe würden sich wieder Tiere und Pflanzen ausbreiten. Halt nicht die, die wir kennen und wir würden vermutlich nicht dazu gehören.

Reginas Team hat Teile der Natur gerettet, die wir kennen, auch um das Überleben von Menschen möglich zu machen.

Literatopia: Regina wird von einer Katze geweckt. Welche Rolle spielt diese im Roman?

Anette Schaumlöffel: Sie wird Reginas Gefährtin und hilft ihr durch ihre Gegenwart, sich langsam zurecht zu finden.

Literatopia: Du hast bereits als Jugendliche gerne Science Fiction gelesen. Welche Romane haben Dich damals beeindruckt? Und was fasziniert Dich an dem Genre?

Anette Schaumlöffel: Meine erste Zeitreisegeschichte war „Die Tür in den Sommer“ von Robert A. Heinlein. Da kommt übrigens auch eine Katze vor. Meine Eltern hatten viele Romane, die in Deutschland in den späten Fünfzigern, frühen Sechzigern publiziert wurden, also die ganze Golden Age der SF aus Amerika. Später habe ich mich dann aus Remittenden ernährt, es gab in einem Einkaufszentrum große Kästen mit Heyne- und Goldmann-Taschenbüchern. Mir hatten es Theodore Sturgeon angetan und Fritz Leiber, Arthur C. Clarke und Frederik Pohl. Leider bin ich damals noch nicht Ursula K. Le Guin begegnet.

Was ich an dem Genre toll finde, sind die vielen Fragen, die man damit in der Fantasie beantworten kann. Fritz Leiber hat zum Beispiel in einer Kurzgeschichte aus den Fünfzigern tragbare Kalender mit Injektionsnadeln erfunden, die eigentlich nur pünktlich Medizin verabreichen sollten, schließlich aber die Herrschaft übernehmen. Cory Doctorow und Neal Stephenson haben später aktuelle Entwicklungen weitergesponnen und sehr interessante Bücher geschrieben. Beelzebub ist zum Beispiel von Stephensons „The Diamond Age“ inspiriert. In der SF kannst du alles in Frage stellen und dann einfach gucken, wie andere Lebewesen sein könnten, andere Gesellschaftsformen, was irgendwelche Erfindungen bewirken können und welche Potentiale vielleicht in uns schlummern. Fantastisch, oder?

Literatopia: In Deinem „wahren Leben“ schreibst Du Bedienungsanleitungen – wie bist Du zum kreativen Schreiben gekommen?

Anette Schaumlöffel: Das kreative Schreiben war zuerst da. Ich schreibe „seit immer“ und habe schon in der Oberstufe und Anfang des Studiums mit Freunden Lesungen veranstaltet. Allerdings hat es eine Weile gebraucht, bis ich mich getraut habe, einen Roman zu schreiben, was sich als „meine“ Form herausgestellt hat. Nach meinem Studium tat sich dann die Frage auf, womit ich mein Geld verdiene. Und da hat sich diese Form des „nützlichen“ Schreibens aufgetan, von der ich vorher nie gehört hatte (inzwischen gibt es schon lange Studiengänge zum Technical Writing). Mir war klar, dass ich nicht ins Marketing will und ein Vorteil von Bedienungsanleitungen ist, dass du da immer ehrlich bleiben kannst – sogar musst. Außerdem schult der Beruf das Schreiben, gerade wenn man aus den Geisteswissenschaften kommt, wo ja verständliche Sprache als Zeichen von Trivialität gilt.

Literatopia: Du schreibst vor allem in den frühen Morgenstunden. Wie gehst Du vor? Plottest Du Deine Geschichten vorher durch oder fängst Du mit einer Idee an und baust diese während dem Schreiben aus?

Cover von "In einem Land nach unserer Zeit": zu sehen ist eine junge Frau in Tanktop und Cargohosen im Schneidersitz mit einer schwarzen KatzeAnette Schaumlöffel: Ich bin eine sehr intuitive Schreiberin. In der Regel habe ich ein wirklich grobes Plotgerüst und eine Grundidee der Thematik. Daran arbeite ich mich dann vor und es ist mein größtes Vergnügen beim Schreiben, die Geschichte währenddessen zu entdecken. Natürlich braucht das im Nachgang eine sehr gründliche Überarbeitung. Bei der „Eine zweite Chance“ habe ich einmal nach der Hälfte, ein weiteres Mal sogar nach Dreivierteln innegehalten, um alles nachzujustieren. Und dann natürlich ein drittes Mal, als alles fertig war. Wie gut, dass ich interessierte Testleser hatte! Ein bisschen blöd ist es, dass ich über meine Projekte nicht sprechen kann, während ich drinstecke. Als ob die Geschichte in mir fermentiert und wenn da zuviel Licht und Luft drankommen, wird der Prozess gestoppt.

Literatopia: Eine Frage, die zwar nichts mit dem Schreiben zu tun hat, uns aber dennoch brennend interessiert: Du züchtest Eichen auf deinem Balkon – was passiert mit den Pflanzen? Auf dem Balkon können sie ja nicht für immer bleiben?

Anette Schaumlöffel: Naja, eigentlich gieße ich die Eichen nur und dünge sie ein bisschen. Gepflanzt hat sie der Eichelhäher, der sich immer mal wieder in unserem Hinterhof aufhält. Zumindest habe ich das geschlossen, als ich bemerkt habe, dass in fast jedem Topf mindestens eine Mini-Eiche sprießt. Die Frage nach ihrer Zukunft ist berechtigt. Auch wenn sie bislang noch gut in die Kästen passen, schaue ich mich schon immer mal nach einem langfristigen Platz für sie um.

Literatopia: Würdest Du uns abschließend noch verraten, woran Du gerade arbeitest? Was erwartet uns im nächsten Jahr von Dir?

Anette Schaumlöffel: Ich habe ja das Experiment gewagt, mit „In einem Land nach unserer Zeit – Die Erwachte“ einen ersten Teil einer Trilogie rauszubringen. Darum stehe ich jetzt im Wort und arbeite aktuell an dem zweiten Band. Ich hoffe, alle drei Bände Ende nächsten Jahres publiziert zu haben. Zudem spukt mir aber noch ein weiteres Spin-Off von der zweiten Chance um Strange im Kopf herum, und auch für meinen Jugendfantasy „Die Essenz der Königin“ habe ich eine schöne Grundidee für eine Fortsetzung. Also an Ideen mangelt es nicht, nur an Zeit.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Anette Schaumlöffel: Ganz herzlichen Dank für die tollen Fragen! Hat Spaß gemacht, sie zu beantworten.


Fotos: Copyright bei Anette Schaumlöffel

Website: https://anetteschaumloeffel.de/


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.