Brodie's Law (David Bircham)

Cross Cult (Dezember 2007)
Hardcover, Seiten: 156, Preis: 19,80€
ISBN: 978-3936480870

Genre: Thriller


Klappentext

Welche Bedeutung hat das Gesetz, wenn du jeden Tag ein anderes Gesicht haben kannst?

Mir wurde die Gabe der Anonymität geschenkt, mit der ich selbst zum Gesetz wurde. Aber dieses Geschenk hat einen hohen Preis. Jede Reise in den Körper eines anderen trug mich tiefer in die düsteren Abgründe der menschlichen Seele. Ich bin nicht mehr allein – die Stimmen in mir werden lauter.
Jack Brodie


Rezension

Als Jack Brodie seinen Auftrag ausführt und eine Computer-Disk aus den P-Fact-Laboratorien stiehlt, kann er noch nicht ahnen, wo er reingeraten ist. Seine Frau wird das Opfer eines Auftragskillers und sein Sohn entführt. Blind vor Wut kidnappt Brodie eine Wissenschaftlerin, die Zugang zu den Daten der P-Fact-Einrichtung hat, und bringt sie dazu, die CD zu untersuchen.
Auf dieser befindet sich nichts Geringeres, als die Erfindung der Jahrhunderts: Eine Formel, die es dem Nutzer erlaubt, die Identität eines anderen anzunehmen. Wie sich Brodie diese Fähigkeit zu nutze machen kann, weiß er sofort. Seine Rache ist zum Greifen nahe.

„Ich fühle mich wie ein Maestro, dirigiere ein Orchester voller Trottel. Hier geht’s nur um Kontrolle. Verlier sie und du bist am Arsch. Behalte sie und du bist Gott.“ (Brodie)

Es ist unverkennbar, wo David Bircham seine Inspiration für sein Werk her hat. In jeder Seite, jeder Zeichnung und jedem Wort steckt Frank Miller, der bekanntermaßen mit Sin City enorme Erfolge verbuchen konnte. Die Story ist gespickt mit Noir-Elementen und finsteren Personen, die alle soviel Dreck am Stecken haben, dass es dem Leser nicht möglich ist, sich mit einer davon zu identifizieren. Aber das ist auch nicht nötig.
Allein die skurrilen Einfälle, wie der Bandenboss, der seine Kettensäge, Daisy, sehr lieb hat, und die zahlreichen Wendungen im futuristisch angehauchten London reichen schon für genügend Lesespaß. Die Geschichte wird von Brodie selbst erzählt. Insgesamt ist es nicht einfach den wie bei Terentino nicht zwingend in geordneter Reihenfolge angeordneten Geschichtssträngen zu folgen. Ein konzentriertes oder wiederholtes Lesen sind Voraussetzung, um die ganze Verschwörung um Jack Brodie zu durchschauen. Vor der Rache-Odyssee steht aber die Identitätskrise des Protagonisten im Vordergrund. Insgesamt schlüpft er in vier Rollen und mit jeder steigt seine geistige Verwirrung. Konfrontiert mit den Gefühlen der Mörder, muss er immer mehr darum kämpfen, seine eigene Identität nicht zu vergessen.
Das absolute Highlight und abgefahrenste Idee seit langem ist die Übernahme eines weiblichen Körpers. Der sexuelle Trieb der Frau bringt ihn fast dazu mit einem Widersacher zu kopulieren. Genial!

Zeichnerisch ist Brodie’s Law keinesfalls eine Frank Miller Kopie. Es wurde nicht versucht, den unvergleichbaren Schwarz-Weiß-Stil nachzuahmen.
Weitgehend finden sich neben Blau, Gelb und Rot keine weiteren Farben, was die finstere Atmosphäre sehr gut zur Geltung bringt. Die Bilder sind sehr Variantenreich, das reicht von ungemein detaillierten Nahaufnahmen bis hin zu schemenhaften Skizzen. Um der Monotonie entgegenzuwirken, wurde auch versucht Perspektivwechsel einzubauen, in denen z.B. die Hand sehr nah an einer „Kamera“ ist, und somit sehr groß erscheint, während der Kopf verhältnismäßig klein ist. Schade, dass gerade diese Bemühungen die Freude an diesem Werk drücken.
Birchams zeichnerische Fähigkeiten sind sicher nicht schlecht, aber besonders die experimentellen Ansichten gelingen ihm nicht immer. Unproportionierte Extremitäten und fast surreal erscheinende Verzerrungen der Charakter sind die Folge. Warum gelegentlich die realitätsnahen Gesichter zu kaum wiederzuerkennenden Karikaturen ihrer Selbst werden, bleibt schleierhaft. Aber auch die weniger komplexen Ansichten misslingen. Während die Frontansicht der Figuren – was gleichzeitig die Lieblingsansicht des Künstlers zu sein scheint – schön anzusehen sind, ist die Profilansicht kaum zu ertragen. Die Köpfe sind lang und Schmal und haben mit den anderen, sehr realistischen Bildern nur wenig am Hut.
Ausnahme von dieser Regel ist der Hauptprotagonist Brodie. Besonders die Metamorphose-Bilderreihen, in der er sich zu einer anderen Person verwandelt, sind perfekt. In diesen Charakter ist viel Liebe hineingeflossen und diese spiegelt sich in jeder Zeichnung wider. Dennoch schwächelt Brodie ein wenig an der metrosexuellen Frisur. Denn der Antiheld leidet an chronischem Rückenwind, wodurch ihm die blond(iert)en Haare konsequent ins Gesicht geweht werden, was einfach nicht zu seinem miesen, kantigen Gesicht passen will. Gleichzeitig hebt ihn die Frisur von der breiten Maße der Nebencharaktere ab, die sich zum Teil so vehement ähneln, dass Verwechslungen nicht ausgeschlossen sind.

Alles in allem ist Brodie’s Law ein vielversprechender Start in eine Noir-Comicreihe, mit einem tollen Grundgedanken: Was kann man mir anhaben, wenn ich ununterbrochen ein Anderer sein kann? Zeichnerisch, wenn man sich z.B. die Spawn-Comics ansieht, nicht auf dem höchsten Niveau, besonders durch die misslungenen Profilansichten. Einen Unvergleichbaren Stil kann man Bircham auch nicht nachsagen. Dennoch sind ihm einige wirklich bemerkenswerte Bilder gelungen und das Lesen bereitet ein großes Vergnügen.
Dass in der Zeit der Comicverfilmungen Brodie’s Law ebenso verfilmt wird, ist kein Wunder. Filmpotenzial hat dieser Comic allemal.

Cross Cult bleibt seinem eigenen Qualitätsanspruch wieder einmal treu. Stabiler und unverwüstlicher kann ein Comic nicht daherkommen, als im verlagstypischen Hardcover, das sich durch die einheitliche Größe neben anderen Comics perfekt einreiht. Die Seiten sind sehr dick, von hoher Qualität und schön bedruckt. Neben der aus sechs Einzelcomics bestehenden Gesamtausgabe befinden sich noch die Originalcover der Einzelbände darin. Bedauerlich, dass diese nicht wie bei „Freaks of the Heartland“ vor jedes Kapitel platziert wurden.


Fazit

Brodie’s Law ist ein saucooler und knallharter Comic, der sich stilistisch zwischen Sin City und Torpedo einreiht. Der Identitätswechsel Brodie’s ist ein interessanter Aspekt und lässt viel Spielraum für die im Comic angekündigten Fortsetzung. Über einige zeichnerische Ausläufer sieht man gerne hinweg.


Pro und Kontra

+ coole, komplexe Story
+ nette, skurrile Ideen
+ viele gute Zeichnungen
+ Farbgebung
+ hochwertige Aufmachung

o Sin City lässt grüßen
o ausschließlich negative Figuren

- zu viele mittelmäßige Zeichnungen
- Charaktere sind optisch oft zu ähnlich

Beurteilung:

Handlung 4/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4/5