Interview mit Katharina Maier
Literatopia: Hallo, Katharina! Bisher sind von Deinem Zukunftsepos „Die Erste Tochter“ drei Bände erschienen. Was erwartet die Leser*innen auf dem Planeten Singis?
Katharina Maier: Eine Welt voller eigensinniger, verbohrter und kaffeesüchtiger Wesen! Die Singisen leben in einer Gesellschaft irgendwo zwischen europäischem Mittelalter, römischer Republik und Weltraumzeitalter. Am liebsten wäre es ihnen, wenn immer alles so bleiben würde, wie es ist. Gleichzeitig sind sie gierig auf alles Neue und haben zum Beispiel Kaffee von der Erde.
Und ich hoffe, dass die Leser*innen auf Singis Freunde finden und dass sie meine Figuren gern bei ihrem Kampf für eine bessere Welt begleiten.
Literatopia: Erzähl uns mehr über Deine Protagonistin Myn. Wie wandelt sie sich von einer behüteten Adelstochter zu einer Rebellin?
Katharina Maier: Durch die Umstände. Myn Neoly ist die „Erste Tochter“, also das ranghöchste Mädchen, einer eher freiheitlich gesinnten Adelsfamilie. Es macht eigentlich nicht so viel aus, dass sie lieber ein Buch als einen Stickrahmen in der Hand hält, solange keiner der Männer in ihrem Umfeld etwas dagegen hat. Würde alles so bleiben, wie es ist, hätte Myn keinen persönlichen Grund zu rebellieren. Um die Welt zu verändern, einfach weil sie ungerecht ist – dafür ist sie nicht selbstlos genug. Aber die Vergangenheit holt ihre Familie ein und die politische Lage auf Singis verändert sich zum Schlechteren. Myn kommt unter die Räder dieser Entwicklung, und in einer Gesellschaft, in der Frauen nichts zu sagen haben, kann sie dem nichts entgegensetzen. Diese Erkenntnis zieht ihr erst mal den Boden unter den Füßen weg. Es dauert eine ganze Weile, bis sie wütend genug wird, um sich aufzulehnen.
Literatopia: Welche gesellschaftliche Stellung haben Frauen auf Singis? Und inwiefern wehren sie sich gegen das Patriarchat?
Katharina Maier: Am besten lässt es sich wohl so beschreiben, dass Frauen als den Männern zugehörig betrachtet werden. Frauen sind Mütter, Töchter, Schwestern, Ehefrauen. Sie werden nicht als Individuen in unserem Sinne begriffen, sondern als Rolle. Das heißt nicht, dass Frauen nicht als „wertvoll“ betrachtet werden. In manchen Positionen wie als Adlige, Geistliche oder Sexarbeiterin beim Militär werden sie sogar sehr hochgehalten. Aber sie haben keine Eigenständigkeit.
Zu Beginn der Geschichte hat sich auf Singis bereits eine starke Frauenrechtsbewegung gebildet, die für gesellschaftliche und politische Mitbestimmung demonstriert. Vom „Mainstream“ werden diese Frauen noch abgelehnt, aber Myns Generation denkt viel liberaler. Das hat mit der Begegnungen der Singisen mit den Fremden an ihren Grenzen zu tun – also unter anderem mit den Menschen. Zusammen mit dem Kaffee finden „seltsame“ Ideen ihren Weg ins Singisische Reich.
Literatopia: Für „Die Erste Tochter“ sind sieben Bände geplant. Wie behältst Du den Überblick über die vielen Figuren? Und würdest Du uns die wichtigsten kurz vorstellen?
Katharina Maier: Das „Wer ist wer“, das ich für die veröffentlichten Romane entworfen habe, hilft auch mir! Und dann gibt es da noch meine altbewährten handschriftlichen Notizbücher. Aber seltsamerweise ist es mir noch nie schwergefallen, den Überblick über meine Figuren zu behalten, egal wie viele es sind. Dafür sind sie mir viel zu vertraut.
Über Myn haben wir ja schon gesprochen. Sie ist eine von diesen Heldinnen, die immer nur können, was Mädchen nicht können sollen. Am liebsten würde sie Raumschiffpilotin werden. Ihre unsingisischen Vorstellungen hat sie aus terranischen Büchern und von ihrem großen Bruder. Würde man ihr ein Element zuordnen, wäre es Feuer.
Vairrynn ist Myns älterer, adoptierter Bruder. Er hat eine große Einfühlungsgabe, ist aber auch sehr gut darin, andere Leute zu manipulieren. Warum, verrate ich hier nicht. Für Myn würde er alles tun. Sein Element ist die Luft.
Ftonim Sar ist der beste Freund der Geschwister. Er ist loyal, liebevoll und ausgesprochen hübsch anzusehen. Wo Vairrynn die Luft ist, ist er die Erde; wo Myn das Feuer ist, ist er das Licht.
Der Oberste Priester Ktorram Asnuor ist der große Antagonist meiner Geschichte. Er ist schlicht und ergreifend davon überzeugt, dass niemand das Singisische Reich besser führen könnte als er selbst. Leider ist er ein begnadeter Redner und Politiker. Er ist wie ein Sog, der alles in sich hineinzieht.
Ich hoffe, das war jetzt nicht zu lang. Es ist etwas riskant, mich nach meinen Figuren zu fragen!
Literatopia: Singis kreist um einen Gelben Zwerg der Klasse V. Inwiefern unterscheidet sich der Planet damit von unserer Erde? Wo auf Singis können Menschen leben?
Katharina Maier: Singis unterscheidet sich nur sehr geringfügig von der Erde; seine Sonne ist ein wenig lichtschwacher als unsere, die ebenfalls ein Gelber Zwerg der Leuchtkraftklasse V ist. Der Planet selbst ist etwas größer als die Erde. Das heißt, Menschen könnten überall auf Singis gut leben; sie hätten nur ein wenig mit der höheren Schwerkraft zu kämpfen und müssten sich an das schwächere Tageslicht gewöhnen.
Ich wollte mit Singis eine Welt schaffen, die sich sehr echt anfühlt. Das bedeutete für mich, den Planeten sehr erdähnlich zu gestalten, weil ich mich in der Geschichte nicht damit auseinandersetzen wollte, was es realistischerweise bedeuten würde, wenn Singis zwei oder keinen Mond hätte statt einen. Ein paar Freiheiten habe ich mir aber genommen, damit es nicht zu langweilig wird.
Literatopia: „Die Erste Tochter“ ist Science Fantasy bzw. Future Fantasy. Was sind die Fantasyelemente in Deiner Geschichte?
Katharina Maier: Ich ordne meine Geschichten in dieses Genre ein, weil ich mich stark an Fantasy-Handlungselementen bediene und mein Fokus nicht auf Technik und Wissenschaft liegt. In meinen Geschichten muss man immer mit übermenschlichen Fähigkeiten und Drachen rechnen!
Im Fall der „Ersten Tochter“ überwiegen in meinen eigenen Augen allerdings die Science-Fiction-Aspekte. Das einzige wahre fantastische Element ist die Dame Tod. Sie ist eine Beinah-Göttin, die über dem Geschehen schwebt, und ist neben Myn die zweite Erzählerin der Geschichte. Ab und zu greift sie auch in die Handlung ein. Zum Beispiel hat sie Vairrynn bei seiner Geburt das Leben gerettet. Die handelnden Figuren sind sich aber nicht bewusst, dass sie da ist.
Literatopia: Wie bist Du beim Worldbuilding vorgegangen? Was war zuerst da? Und was hast Du relativ spät in die Story eingebaut?
Katharina Maier: Die Grundidee war das Gesellschaftssystem: eine Welt, über der Raumschiffe fliegen und auf der die Väter das letzte Wort haben. Singis selbst ist dann Schritt für Schritt aus dieser Kernidee gewachsen. Ich habe mich immer wieder gefragt: Wie muss dieser Planet beschaffen sein, damit diese Gesellschaft daraus entstand? Oder: Wie würde diese Gesellschaft auf neue Entwicklungen wie die Begegnung mit Aliens reagieren?
Vor allem habe ich die Singisen ernstgenommen. Nicht alles an ihrer Lebensart ist schlecht. Sie bewahren die Dinge gern, wie etwa Kunsthandwerk, trotz technologischem Fortschritt und die Natur. Das ist etwas, was ich durch dieses Worldbuilding gelernt habe: Jede Gesellschaftsform hat mehr als eine Seite.
Erst beim Überarbeitungsprozess kam die Art der Singisen, sich auszudrücken. Irgendwann ist mir aufgegangen, dass es eigentlich wenig Sinn ergibt, wenn Singisen irdische bzw. deutsche Redensarten verwenden. Es macht mir großen Spaß, mir Sprichwörter auszudenken, die zur singisischen Kultur passen, aber für die Leser*innnen – hoffentlich – verständlich sind. Zum Beispiel hängen Singisen Fische auf die Leine, anstatt Karten auf den Tisch zu legen.
Literatopia: Du veröffentlichst „Die Erste Tochter“ im Selfpublishing. Hast Du es zuvor bei Verlagen versucht oder war für Dich von Anfang an klar, dass Du selbst alles in der Hand haben möchtest?
Katharina Maier: Ganz am Anfang habe ich es mal mit ein paar Verlagsbewerbungen versucht. Ich habe eine Reihe von Sachbüchern über Verlage veröffentlicht und dachte mir, vielleicht macht sich für meine Erste Tochter dadurch eine Tür auf. Aber ich habe schnell gemerkt, dass Genreliteratur mit mehreren tausend Seiten als Erstlingswerk einfach keine Chance hat. Dieses Risiko geht in Deutschland niemand ein. Verstehe ich auch. Und je mehr ich über das Selfpublishing in Erfahrung brachte, desto reizvoller war es für mich. Ich glaube nicht, dass mir ein Verlag meine Geschichte so hätte „durchgehen lassen“, wie sie ist. Ob das gut oder schlecht ist, müssen die Leser*innen entscheiden.
Literatopia: Du gehörst zu den Stammautor*innen der Anthologie-Reihe „Sternenglut“. Wie fasst man sich bei einer Space Opera kurz?
Katharina Maier: Am wichtigsten ist, alles zu verdichten und einfach zu halten: ein Konflikt, ein Ort, eine Handvoll Figuren, eine kurze Zeitspanne, ein Handlungsstrang, eine Perspektive. Bei einem dieser Aspekte darf man pro Geschichte komplexer werden, aber mehr sprengt meiner Erfahrung nach einfach den Rahmen. Und unbedingt sollte man sich beim Worldbuilding auf zentrale Details konzentrieren. Das kann vor allem schwierig sein, wenn die Story in einem der Roman-Universen der Autor*innen spielt.
Literatopia: Was fasziniert Dich persönlich an Phantastik, insbesondere Science Fiction und Fantasy?
Katharina Maier: Die Unendlichkeit der Möglichkeiten. SF und Fantasy sind ein einziger großer Spielplatz, und man kann die verschiedensten Konflikte und Fragestellungen auf so viele unterschiedliche Weise darstellen und ausloten. Für mich persönlich erschließt sich durch die Phantastik auch eine ganz andere Bildsprache als beim realistischen Schreiben. Ich habe mich immer wieder mal an Geschichten ohne imaginative Elemente versucht, aber sie langweilen mich nach wenigen Seiten.
Literatopia: Du arbeitest unter anderem auch als Lektorin und Dozentin für Kreatives Schreiben. Inwiefern hilft es Dir beim Schreiben eigener Geschichten, Dich intensiv mit Texten anderer zu beschäftigen?
Katharina Maier: Das hilft mir ungemein. Ich kann jetzt schlecht mit den Finger auf ein konkretes Beispiel zeigen, aber der Austausch mit anderen Autor*innen ist ungeheuer wertvoll und inspirierend. Ach doch, etwas fällt mir ein: Früher habe ich selbst nie irgendwelche Plot-Werkzeuge verwendet. Aber durch die Kurse habe ich gesehen, wie kreativ andere damit umgehen. Ich bin immer noch keine ausgeprägte Plotterin, aber sich zum Beispiel die Wendepunkte einer Story zu überlegen, finde ich enorm hilfreich. Der Umgang mit anderen Texten schärft den Blick für das eigene Schreiben!
Literatopia: Welche typischen Fehler machen angehende Autor*innen Deiner Erfahrung nach besonders häufig? Und hast Du Dich selbst schon dabei ertappt?
Katharina Maier: Gute Frage. Ich glaube, Anfänger*innen fehlt oft das Bewusstsein für den Raum, in dem eine Szene spielt. Oft beginnen Szenen und vor allem Dialoge einfach, ohne dass klargestellt wird, wie der Raum in etwa beschaffen ist oder wie viele Personen überhaupt anwesend sind. Dinge und Figuren spielen erst eine Rolle, wenn sie für die Handlung oder das Gespräch relevant werden, und dann hast du als Leser*in das Gefühl, dass sie aus dem Nichts aufgepoppt sind. Und du kannst dir keine Vorstellung davon machen, wie der Raum außerhalb der Bubble der Figuren beschaffen ist.
Damit meine ich jetzt nicht, dass man jede Szene mit einer halben Seite Beschreibung einleiten muss, ganz und gar nicht. Aber man muss in den ersten paar Absätzen der Szene genug Informationen unterbringen, damit die Leser*innen sich im Handlungsraum orientieren können. Im Film geht das oft mit einer einzigen Totale zu Beginn der Szene, aber beim Schreiben muss man andere Wege finden. Das ist schwer, und viele Neulinge wissen gar nicht, dass es nötig ist. Und ja: Auch ich muss mich immer wieder daran erinnern, weil mein Fokus erst einmal sehr eng auf die Figuren und ihr Handeln gerichtet ist, wenn ich beginne, eine Szene zu schreiben.
Literatopia: Deine erste Geschichte war ein Märchen über eine Taube und eine weiße Hirschkuh, die sich ineinander verliebten – wie viele weitere Geschichten hast Du geschrieben, ehe für Dich klar war, dass Du nicht nur schreiben, sondern auch veröffentlichen und mit Texten arbeiten willst? Und wie bist Du vorgegangen, um Deinen Traum zu verwirklichen?
Katharina Maier: „Die Taube und die weiße Hirschkuh“ habe ich im Grundschulalter geschrieben, und von da an wurden die Geschichten immer länger. Wann genau der Traum angefangen hat, vom Schreiben zu leben, kann ich gar nicht sagen. Meinen ersten Roman hatte ich mit 17 fertig. Damals habe ich das schon mit der Verlagssuche probiert, aber ohne Erfolg. Vielleicht hat mich das geprägt, denn die Vorstellung von der Schriftstellerei als Hauptberuf habe ich sehr schnell beiseitegeschoben. Also habe ich erst einmal Literaturwissenschaft studiert – und bin so etwas naiv von der „brotlosen Kunst“ zur „brotlosen Wissenschaft“ gewechselt. Aber ich wollte einfach das tun, was mir Spaß macht: mit Texten umgehen, egal ob meinen eigenen oder die anderer.
Das Studium hat mich über die dort geknüpften Beziehungen erst mal zum Schreiben von Sachbüchern geführt – alles Auftragsarbeiten. Unverhofft habe ich doch vom Schreiben gelebt. Nur habe ich nicht immer das geschrieben, was ich eigentlich wollte, und es war hart verdientes Geld. Das Lektorat und die Schreibkurse habe ich mir dann als zwei weitere Säulen meiner beruflichen Tätigkeit aufgebaut. Das war nicht einfach und hatte lange Zeit Priorität über mein eigenes Schreiben. Erst als ich mich in meinen „Brotjob“ etabliert hatte, habe ich wieder ans Veröffentlichen meiner eigenen Geschichten gedacht. Ich glaube, inzwischen habe ich eine ganz gute Balance gefunden, aber es bleibt eine Herausforderung, beides unter einen Hut zu bringen.
Literatopia: Würdest Du uns abschließend verraten, welche Romane und Autor*innen Dich und Dein Schreiben geprägt haben?
Katharina Maier: Da sind erst einmal drei große Meister*innen der Fantasy: Tolkien natürlich, Tad Williams und Robin Hobb mit ihren Weitseher-Chroniken. Mit ihr würde ich mich auch am ehesten vergleichen; es geht bei ihr sehr viel um Zwischenmenschliches und soziale Zusammenhänge vor dem Hintergrund einer fantastischen Welt.
Vor ein paar Jahren habe ich, teils aus nostalgischen Gründen, ein Buch über die Frauenfiguren bei Karl May geschrieben. Und da habe ich erst gemerkt, wie sehr mich diese Kindheits- und Jugendlektüre geprägt hat: die epische Breite, die reine Freude am Erzählen, die Liebe für tiefe Männerfreundschaften und die Faszination am kulturell Anderen – die ich natürlich gut hinterfragen muss.
Und seit Neuestem begeistern mich die Romane der chinesischen Schriftstellerin Mo Xiang Tong Xiu, die es schafft, einen Teppich aus Romance (zwischen Männern), Phantastik und Gesellschaftskritik zu weben. Das ist mal ein Erzähltalent! Und die Inspiration durch andere Autor*innen hört ja nie auf.
Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!
Katharina Maier: Ich bedanke mich für die scharfsinnigen Fragen! Sie haben mich dazu gebracht, gewisse Aspekte meines Schreiben neu zu beleuchten. Danke, Judith.
Website: https://katharina-maier.de/
Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.