E. V. Ring (17.04.2024)

Interview mit E. V. Ring

Porträtfoto von E. V. Ring: vii steht vor einer dunkelgrünen, alten Tür, schaut lächelnd in die Kamera, hat schwarzblaue, halblange Haare und trägt ein schwarzes T-ShirtLiteratopia: Hallo, Ivi! Kürzlich ist der zweite Band Deiner „Maschinenmacht“-Reihe erschienen. Der erste Band, „Cyan Zane Veil“, wurde kürzlich mit dem Selfpublishing-Buchpreis ausgezeichnet. Wie hast Du die Leipziger Buchmesse und die Preisverleihung erlebt?

E. V. Ring: Hallo Judith, danke für die Einladung! Ich bin erst kurz vor der Preisverleihung bei der LBM angekommen und habe von der Messe selbst kaum etwas gesehen, aber die Veranstaltung rund um den Selfpublishing-Buchpreis war ein richtig schönes Erlebnis: eine großartige Organisation, wunderbare Mitnominierte und viel Support von allen Seiten. Dass „Maschinenmacht“ den Preis geholt hat, ist eine unglaubliche Ehre, und ich kann es noch immer nicht ganz glauben.

Literatopia: Dein Protagonist Chris alias Zane gelangte als Kind in die Welt der KI MaschinenMacht, kurz MaMa. Was hat er dort erlebt?

E. V. Ring: Zane folgte seiner Freundin Jenesis in ein Portal, das in den Badener Weinbergen erschien, und landete so in MaMas Welt. Statt Jen dort wiederzusehen, empfing ihn allerdings Aarin Cirrus, der Mann mit der Aschestimme – der ihn kurzerhand in Testzonen verfrachtete, in denen er monatelang extremen Umweltbedingungen ausgesetzt war. Dank Jen gelang ihm schließlich die Flucht, doch sie selbst konnte nicht entkommen. Sechzehn Jahre ist das nun her, und obwohl Zane es geschafft hat, sich einen Alltag als Musiker in Wien zurechtzulegen, ist er unterbewusst ständig in Bereitschaft. Denn irgendwann könnte sich erneut ein Portal vor ihm auftun – und er endlich zurückkehren, um Jen zu helfen, wie sie einst ihm.

Literatopia: Große Teile der Geschichte spielen im Kern, einer metallenen Festung, in der MaMa Menschen in verschiedenen Zonen angesiedelt hat. Wie sieht es dort aus? Was genau ist dieser Kern?

E. V. Ring: Der Kern ist ein riesiges Maschinenkonstrukt mit rund 600 Kilometern im Durchmesser, das aus mehreren Ebenen besteht. Ganz außen befindet sich die Verschalung, die die Antriebsmaschinerie beinhaltet und dem Schutz des Kerns dient. An der Innenseite dieser Hülle liegt die flächengrößte aller Zonen, die Außenzone, die in vier durch Grenzwände voneinander abgeschottete Gebiete unterteilt ist. In der Kernmitte, umgeben von Hohlraum, sitzt der (verhältnismäßig kleine) Operative Kern, das Rechenzentrum der Maschinenmacht. Und um den Operativen Kern rotiert, durch Speichen und Transportkanäle mit der Außenzone verbunden, der Zonenring, der sämtliche Testzonen und Untersuchungskuppeln beinhaltet. Einmal im Kern gefangen, gibt es kaum Hoffnung auf ein Entkommen – hinaus führt nur das Portal im Zentrum des Operativen Kerns, das ohne maschinelle Hilfe nicht zu erreichen ist.

Literatopia: Als Erwachsener ist Zane von dieser Erfahrung gezeichnet, er leidet nach wie vor unter dem Verlust seiner Freundin und seine Wahrnehmung ist verändert. Was hat es mit dem „weißen Rauschen“ auf sich? Und wie geht er mit den Folgen des Traumas um?

E. V. Ring: Das weiße Rauschen ist eine Auswirkung der Injektion, die Aarin ihm kurz vor seiner Flucht gesetzt hat. Zanes Sinne sind von Geburt an miteinander verknüpft, was zu sehr intensiven Wahrnehmungen führt; meistens kann er gut damit umgehen und genießt das besonders in Bezug auf Musik. Seit da aber das weiße Rauschen in seinem Kopf ist, empfängt er zusätzlich Unmengen harter Umgebungsdaten, und die Kombination aus all den ungefilterten Eindrücken sorgt für eine paralysierende Reizüberflutung. Um wieder funktionieren zu können, musste er also einen Weg finden, das Rauschen auszublenden. Und während er darin erste Erfolge erzielte und die Handhabe in jahrelanger Übung perfektionierte, verhalfen ihm seine Therapeutin Coralie und deren Lebenspartnerin Lynn (eine leidenschaftliche Schlagzeugerin) zu einem stemmbaren Alltag – genau wie die imaginären Gespräche mit Jen, die er in Erinnerung an sie seit seiner Flucht tagtäglich führt.

Literatopia: Aarin Cirrus lernen wir bereits in „Cyan Zane Veil“ kennen als Widersacher des jungen Zane. Inwiefern wandelt sich das Bild des grausamen Verbündeten von MaMa im zweiten Band?

E. V. Ring: Ich bin mir gar nicht so sicher, ob es sich wandelt, aber es erhält eine Menge ergänzender Nuancen. Aarin hat Dinge getan, die sich nicht schönreden lassen. Mir ging es beim Erzählen seiner Geschichte nicht darum, irgendetwas davon zu legitimieren, sondern zu zeigen, wie es dazu kam. Aarin ist, wie alle in diesem System, ein gebrochener Mensch – er hat bloß als Erster (und lange Zeit Einziger) Zugang zu MaMa. Damit beschreitet er einen Weg, den niemand vor ihm gegangen ist, und geht dabei All-in.

Literatopia: Würdest Du uns die wichtigsten Nebenfiguren in „Maschinenmacht“ kurz vorstellen? Wer unterstützt Zane? Und hat auch Aarin Verbündete?

E. V. Ring: In den ersten beiden Bänden sind wohl Ruben und Enver die wichtigsten Verbündeten. Ruben ist etwas jünger als Zane, ein Rebell, der darum kämpft, einen Ausweg aus MaMas System zu finden und bei allem strategischen Vorgehen auch gern mal mit dem Kopf durch die Wand will. Enver ist in Aarins Alter, erfindet und konstruiert seit jeher Maschinen und Hilfsmittel, hat für niven Geschmack schon zu viel erlebt, kann aber dennoch nicht aufhören, für die Menschen, die nin brauchen, da zu sein. Sowohl Ruben als auch Enver sind Verbündete für Zane, aber Enver war es einst auch für Aarin, in einer Zeit, die Band 2 ausgiebig beleuchtet.

Literatopia: „Maschinenmacht“ bezeichnest Du auch als „Queer SF“. Wie bist Du die Repräsentation queerer Menschen angegangen? Und sind eigene Erfahrungen/Hoffnungen eingeflossen?

E. V. Ring: Die Basis bildet klar meine eigene Erfahrung. Ich bin u. a. nichtbinär und pan; es war mir ein Bedürfnis, inmitten MaMas feindlicher Welt zumindest eine kleine Zuflucht in Form einer queerfreundlichen Umgebung aufzubauen. Der letzte Feinschliff kam durchs Sensitivity Reading (ganz viel Liebe an dieser Stelle für skalabyrinth).

Literatopia: „Maschinenmacht 2 – Aarin Cirrus“ ist eine „Villain Origin Story“, führt aber auch die Ereignisse aus dem ersten Band fort. Wie viel kannst Du uns darüber verraten?

E. V. Ring: Die Geschichte ist chronologisch erzählt. Es gibt im Gegensatz zu Band 1 keine eingestreuten Rückblenden, das Buch setzt direkt in der Vergangenheit an. „Maschinenmacht 2“ beginnt mit dem zwölfjährigen Aarin und begleitet ihn über zwei Drittel des Buches bis zu seinem sechzigsten Lebensjahr, wo der Handlungsstrang dann an das Ende von Band 1 anknüpft. Ab da gibt es einige Perspektivwechsel – wir kehren regelmäßig zu Zane zurück und erleben bis zum Showdown auch einige Szenen aus Envers Sicht.

Literatopia: Der Genrecake zu „Aarin Cirrus“ verrät uns, dass eine gute Portion Biopunk drinsteckt. Verrätst Du uns mehr darüber?

E. V. Ring: Aarins Perspektive wirft für die Optimierung von Körpern – dem eigenen wie anderen – einen intensiven Blick auf die Möglichkeiten und deren Umsetzung(sversuche). Was in Band 1 eher im Hintergrund mitschwingt, wird in Band 2 klar gezeigt, und so kam es zu der Biopunk-Angabe im Genrecake.

Literatopia: Du hast viele Jahre an „Maschinenmacht“ gearbeitet und die Story diverse Male umgeschrieben. Wie sehr hat sich die Geschichte von der ersten Version bis zur veröffentlichten verändert?

E. V. Ring: Sehr. Gleich geblieben sind nur einige Namen, die Verhältnisse der Figuren zueinander und manche Themen, wie z. B. dass Zane therapeutischen Beistand hat. Vom Worldbuilding bis zum Plot hat sich seit der Urversion fast alles geändert – was vor allem daran liegt, dass ich anfangs noch gar nicht den Anspruch hatte, eine runde Geschichte hervorzubringen; ich wollte bloß nach all den Jahren überhaupt mal wieder schreiben und bin planlos den Vibes meiner alten Geschichten gefolgt.

Literatopia: War für Dich von Anfang an klar, dass Du „Maschinenmacht“ selbst veröffentlichen und alles vom Text bis zum Cover in der Hand haben willst? Und was sind für Dich die größten Herausforderungen beim Selfpublishing?

E. V. Ring: Tatsächlich hatte ich anfangs kurz überlegt, es bei Agenturen zu versuchen, habe den Gedanken aber schon beim Googeln nach den Bewerbungsprozessen wieder verworfen. Das hat mich alles viel zu sehr an die Auditions in meiner Bühnenzeit erinnert und da wollte ich auf keinen Fall wieder hin. [lacht] Am Ende war Selfpublishing eine ganz bewusste Entscheidung, weil ich so den größten Spielraum punkto Umsetzung habe und damit am besten klarkomme.

Die größte Herausforderung beim SP ist für mich ganz klar, dass alles bei mir zusammenläuft. Das ist einerseits genau das, was ich will, aber es nimmt natürlich Zeit, die sonst fürs Schreiben genutzt werden könnte. Mittlerweile organisiere ich mehr als ich schreibe, was mich dann doch wiederum ins Strudeln bringt, weil ich ja auch im SP Deadlines habe.

Literatopia: Wer hat Dich alles bei der Entstehung von „Maschinenmacht“ unterstützt?

E. V. Ring: So viele fantastische Wesen! Von meinem privaten und familiären Umfeld angefangen über meine Schreibgruppen bis hin zu meinem wundervollen Publishing-Team – allen voran meine fabelhafte Lektorin Marieke Kühne, ohne die MaMa nicht dasselbe wäre; Gregor Pfingstl, der mit mir regelmäßig Worldbuilding-Diskussionen deluxe führt und die großartigen Illustrationen beisteuert; Theodora Höger für jede Frage rund um Biologie; skalabyrinth, meine Anlaufstelle für Sensitivity Reading in Bezug auf (u. a.) Consent Culture, Ableismus und trans- und nichtbinärfreundlichen Weltenbau; Catherine Strefford, die für den gigantischen Buchsatz verantwortlich ist; Nadine Wahl, Coverkünstler*in und geduldige Hilfe in medizinischen Fragen und Tino Falke, der sich um das Korrektorat gekümmert hat.

Literatopia: Wie bist Du zum Schreiben gekommen? Und sind viele Texte in der Schublade verschwunden, ehe Du Dich „Maschinenmacht“ gewidmet hast?

E. V. Ring: Schreiben hat mich durch die Schulzeit getragen. Ich bin in meinen Geschichten versunken, wann immer ich konnte, was nicht unbedingt förderlich war; jedenfalls nicht für einen Schulerfolg. Nach Schulabbruch folgte Lehrzeit, nach der Gesell*innenprüfung das Musicalstudium, und irgendwann im Berufsleben habe ich ganz aufgehört zu schreiben. Erst 2016, nachdem ich die Bühne auch als Bandmusiker*in verlassen hatte und da nichts mehr war, was mich kreativ forderte, habe ich mich gefragt, was es ist, was mir fehlt, wenn es nicht das Musizieren bzw. die Bühne ist. Und da war plötzlich klar: Es war das Schreiben. Ich habe also 2016 wieder damit begonnen, und das gleich mit dem Rohentwurf zu „Maschinenmacht“, ohne zu wissen, was einmal daraus werden würde.

Porträtfoto von E. V. Ring: vii trägt ein schwarzes T-Shirt, schaut zur Seite und die schwarzblauen Haare fliegen vii ins Gesicht, sodass man dieses bis auf den Mund nicht siehtLiteratopia: Gibt es Bücher, bei denen Du während dem Lesen gedacht hast: „Verdammt, so gut will ich auch schreiben können!“? Welche Autor*innen / Romane haben Dein Schreiben beeinflusst?

E. V. Ring: Bei Büchern, die mich einsaugen, versinke ich viel zu sehr in der Geschichte, um überhaupt etwas nebenbei zu denken. [lacht] Mein Einstieg in die Phantastik kam jedenfalls durch die Schulbibliothek zustande, mit Büchern von Wolfgang und Heike Hohlbein, und weil das mein erster Berührungspunkt mit dem Genre war, war es bestimmt auf eine gewisse Weise prägend. Später habe ich so gut wie alles von Dean Koontz und Ann Leckie verschlungen, und dann hat da noch die Romanreihe rund um das Spiel „Myst“ Eindruck hinterlassen, vor allem in Bezug auf die erschaffene Atmosphäre. Zuletzt auf allen Ebenen gepackt haben mich „Sanguen Daemonis“ von Anna Zabini, „Babel“ von R. F. Kuang und „Iron Widow“ von Xiran Jay Zhao – und da ist noch so viel, was ich zu meiner Schande bislang nicht gelesen habe, weil mir nun schon länger der Headspace dazu fehlt. (Aber irgendwann. IRGENDWANN.)

Literatopia: Würdest Du uns abschließend noch einen kleinen Ausblick auf den dritten Band von „Maschinenmacht“ geben? Und planst Du vielleicht bereits etwas völlig Neues?

E. V. Ring: Band 3 erscheint im Herbst 2025 und ist aus der Sicht von Jenesis geschrieben, die damit endlich ihre eigene Stimme bekommt. 2027 wird die Reihe mit Band 4 – und MaMa als Leitperspektive – ihr Ende finden.

Es sind nebenbei/danach auch schon zwei weitere Projekte in Planung, aber Genaueres dazu kann ich noch nicht sagen. Und weil ich das MaMa-Universum wahrscheinlich nicht werde loslassen können, schreibe ich bestimmt noch das eine oder andere Spin-Off. [pfeifend ab]

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

E. V. Ring: Herzlichen Dank für die schönen Fragen, es hat mich sehr gefreut!


Autor*innenfotos: Copyright by Marie Menz

Rezension zu "Cyan Zane Veil - Maschinenmacht I"


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.