Sherlock Holmes und der Schrecken von Sumatra - Ein Bericht von Dr. John H. Watson (Jörg Kastner)

sherlock holmes und der schrecken von sumatra

Verlag Thomas Tilsner (Bad Tölz 1997)
240 Seiten, aktuell circa 13,00 EUR (antiquarisch)
ISBN: 978-3910079403
eBook: Amazon Kindle / hockebooks (2014), 3,99 EUR

Genre: Krimi 


Klappentext

London, Baker Street 221 B, die Adresse von Sherlock Holmes in London. An die Haustür des Meisterdetektivs Sherlock Holmes klopft eines Abends ein sterbenskranker Besucher. Er warnt den Detektiv und seinen Freund Dr. Watson vor einer schrecklichen Bedrohung für die Menschheit, die mit der Entführung eines französischen Wissenschaftlers in Verbindung steht. Holmes nimmt sofort die Ermittlungen auf, die Spur führt ihn und Watson in den Dschungel Sumatras, in dessen undurchdringlichem Dickicht der zwielichtige Baron Maupertuis dubiose Experimente durchführt. Der Dschungel stellt die beiden Freunde vor etliche Gefahren, bevor sie das Rätsel in den nebelverhangenen Straßen Londons lösen können – zusammen mit einem jungen, hoffnungsvollen Schriftsteller namens H.G. Wells …


Rezension

Die Baker Street 221b ist die Heimat des englischen Meisterdetektivs Sherlock Holmes und seinem Adlatus Dr. Watson. Eines Abends tauch ein unerwarteter Besuch auf. Der Mann ist offensichtlich todkrank. Der Unbekannte warnt vor einer schrecklichen Gefahr für die Menschheit, die mit einer Entführung eines französischen Wissenschaftlers in Verbindung zu stehen scheint. Die Spur führt das britische Ermittler-Duo in den Dschungel Sumatras, wo der mysteriöse Baron Maupetuis Tierexperimente (oder mehr?) durchführt. Angeblich geschehen sie zum Wohle der Menschheit.

Jörg Kastner war mir bis zur Lektüre dieses Buches völlig unbekannt. Daher seien an dieser Stelle ein paar Worte zu ihm erlaubt. Er wurde am 15. Dezember 1962 in Minden geboren. Nach dem Abitur und dem Wehrdienst studierte Kastner ab 1984 Rechtswissenschaften in Bielefeld. Während des Studiums begann er mit dem Schreiben von Zeitschriftenartikeln und Kurzgeschichten. Auch für Heftromane wie Jerry Cotton trug er zahlreiche Bände bei.[1991 erschien sein erstes Buch: Das große Raumschiff Orion Fanbuch.1993 legte Kastner das zweite Staatsexamen als Volljurist ab, entschied sich aber gegen eine juristische Karriere. Stattdessen verfolgte er eine berufliche Laufbahn als freischaffender Schriftsteller. Kastners bislang größter Bucherfolg sind die Vatikan-Thriller um den Engelspapst.

Jörg Kastner lebt als freier Schriftsteller mit seiner Frau Corinna in Hannover. Ob er seit 2010 noch schriftstellerisch – literarisch aktiv ist, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Bei den diesbezüglichen Recherchen habe ich jedenfalls keine Ergebnisse gefunden.

Und was ist von dem vorliegenden Buch zu halten? Es ist eine Mischung aus Kriminalhandlung, Reisebericht, Schauerroman sowie Abenteuergeschichte. Sherlock Holmes und Dr. Watson stehen im Mittelpunkt; Inspektor Lestrade, Mrs. Hudson sowie die Baker Street Irregulars sind Randfiguren aus dem bekannten Werks-Kanon. Die übrigen Figuren sind frei erfunden, wobei der Baron doch ein wenig an Prof. Moriarty erinnert. Am Anfang und am Ende spielt die Handlung in London; dazwischen gibt es einen Abstecher in den Dschungel von Sumatra (damals holländische Kolonie, heute ein Teil Indonesiens).

Das Buch ist gut lesbar. Es bietet Unterhaltung, die viele Anleihen beim Original erkennen läßt; der Charakter Holmes´ ist allerdings weicher und nicht so streng wie im Original gezeichnet. Ein Beispiel dafür: Holmes gibt immer wieder Zwischenstände über seine Ermittlungsarbeit preis, so dass der Leser nicht bis zum Ende durchhalten muß, um zu dem überraschenden Ergebnis des Meisterdetektivs und dessen Herleitung zu gelangen.

Nähern wir uns am Ende dieser Buchbesprechung der literaturwissenschaftlichen Einordnung. Das vorliegende und hier besprochene Buch ist eine Pastiche, also ein Nachahmerwerk, um einen deutschsprachigen Ausdruck zu gebrauchen. Kastner verquickt also einen eigenständige, selbst erfundene Geschichte mit Taschenspielertricks á la Edgar Wallace. Er läßt auch H(erbert) G(eorge) Wells mit in die Handlung einfließen, wodurch es auch zu einem Querverweis zu dessen Geschichte „Die Insel des Dr. Moreau“ kommt.

„In seinen „Erinnerungen“ erwähnt Watson weitere Abenteuer des berühmten Detektivs, die er noch nicht zu Papier gebracht habe. Diese Bemerkungen sind Grundlage einiger Pastiches, die sich um Sherlock Holmes bildeten. Viele der Nachschöpfungen werden als Watsons verlorengegangene und plötzlich, meist durch Zufälle, wiedergefundene Geschichten präsentiert.

In frei erdachten Pastiches begegnen Holmes und Watson mitunter anderen literarischen Figuren, beispielsweise dem Vampir Dracula. in einer oder auch realen Personen ihrer Zeit, von Königin Victoria, Bram Stoker oder Sigmund Freud. Holmes löst dabei sowohl echte Kriminalfälle, wie die Jack-the-Ripper-Morde, als auch Fälle, die die Fantasiewelten anderer Autoren wie H. G. Wells Der Krieg der Welten oder Das Phantom der Oper berühren.

Bis 1981, als 50 Jahre nach dem Tod von A. C. Doyle nach damaligem englischen Urheberrecht das literarische Werk Doyles und damit die Figur des Sherlock Holmes Allgemeingut wurden, hatten Doyle und seine Erben den Urheberrechtsschutz an den Figuren und ihren Namen. Daher mussten andere Autoren, soweit sie keine ausdrückliche Genehmigung erhielten, Umschreibungen benutzen.

Die zahlreichen Nachschöpfungen, darunter Pastiches durch bekannte Autoren wie Maurice Leblanc, Mark Twain, Isaac Asimov oder Ellery Queen, lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen:

Das erste Sherlock-Holmes-Pastiche

Das erste bekannte Sherlock-Holmes-Pastiche ist die Erzählung The case of the man who was wanted“ 1942 wurde die Geschichte in Doyles Nachlass entdeckt und als echte Sherlock-Holmes-Geschichte 1947 im The Strand -Magazin veröffentlicht. Doyles Biograph Hesketh Pearson und der Doyle-Estate wiesen in der Folge darauf hin, dass die Geschichte von Arthur Whitaker stammt und bereits um 1914 entstand. Whitaker sandte die Geschichte an Doyle, in der Hoffnung, dass der Autor die Idee für eine seiner eigenen Erzählungen verwenden könne. Doyle machte jedoch keinen Gebrauch von der Vorlage.[

1906 erschien im Simplicissimus eine Sherlock-Holmes-Erzählung von Ludwig Thoma mit dem Titel Der Münzdiebstahl oder Sherlock Holmes in München, welcher 1916 die anonym erschienene Erzählung Der vergiftete Museumsleiter oder der Schlag auf den Hinterkopf folgte.

„Verlorene Fälle“

„Verlorene Fälle“ sind in den Originalgeschichten von Doyle am Rande erwähnte Abenteuer, die Dr. Watson aufzeichnete, aber aus verschiedensten Gründen nicht veröffentlichte (aus Diskretion, um der Staatsräson willen, um eine Massenpanik zu vermeiden usw.), beispielsweise die Geschichten der Riesenratte von Sumatra (s. o.)  und eines der Wissenschaft völlig unbekannten Wurmes, der rätselhafte Tod des Bankiers Crosby, der wahnsinnig gewordene Journalist und Duellant Isadore Persano, das Verschwinden von Mr. James Philimore. Hier tritt das bekannte Zweigespann wie in Doyles Geschichten auf.

Geschichten aus der Jugendzeit

Des Weiteren gibt es Geschichten aus der Jugendzeit des großen Detektivs, als er Dr. Watson noch nicht begegnet war und der demnach (im Gegensatz zum Bruder Mycroft) nicht dabei ist. Hierzu zählen die acht Jugendromane von Andrew Lane.

Geschichten aus dem Exil

In den drei Jahren zwischen den Ereignissen an den Reichenbachfällen) und seiner Rückkehr nach London) lebte Holmes inkognito teilweise in Tibet, teilweise auf dem europäischen Kontinent. Die Erlebnisse in dieser Zeit, in der Holmes den Decknamen Sigerson trug, wurden u. a. von Jamyang Norbert in von Richard Wincoe und Franziska Franke umgesetzt.

Geschichten um den älteren Holmes

Diese Geschichten spielen in der Zeit, in der Sherlock Holmes sich laut Watson zum Bienenzüchter nach Sussex zurückgezogen hat,“ berichtet die] literaturwissenschaftliche Sekundärliteratur (hier: das elektronische Weltnetzwörterbuch Wikipedia).

Eine persönliche Bemerkung

Das Buch bietet sicherlich gute Unterhaltung. Genauso interessant ist es für mich persönlich aber auch, mich mit der dazugehörigen literaturwissenschaftlichen Theorie zu beschäftigen, allein schon deswegen, weil man als Außenstehender viel dazulernen kann.

Bei mir persönlich kommt aber auch noch ein weiterer Gedanke hinzu. Agatha Christie (mit ihren Romanfiguren Miss Marple und Hercule Poirot) ist 1976 verstorben. Ihr literarisches Werk wurde zwar schon mehrfach verfilmt (z. B. mit Peter Ustinov); Pastiches in gedruckter Form sind mir aber nicht bekannt. Ich bin gespannt, ob es dort auch zu so zahllosen Nachahmerwerken wie bei Sherlock Holmes kommen wird.


Dies ist eine Gastrezension von Felicia Rüdig, herzlichen Dank!

Rezension zu "Sherlock Holmes an der Saar"