ohne ohren (2024)
Taschenbuch, 250 Seiten, 13,49 EUR
ISBN: 978-3-903296-70-1
Genre: Krimi / Detektivroman / Steampunk
Klappentext
Ein Anwesen, ein geheimnisumwitterter Gönner und ein Wettstreit zwischen Koryphäen der Kriminalliteratur um einen Preis – was kann da schon schiefgehen?
Wenn Schreibende, die sich eigentlich verabscheuen, in völliger Finsternis in einem Keller feststecken, vermischen sich Wortgefechte, Animositäten und unglaubliche Tascheninhalte zu einem düsteren Gemälde in Steampink.
„Dieses Buch verkennt völlig die Großartigkeit meines Schaffens. 3 Sterne für die Mühe.“
- Bartholomew Magoove
„An Brenach hat ein Werk geschaffen, dessen Ideen mir eine einzelne Träne entlockt haben. Brillant!“
- Christine Agmate
„Ich hatte Angst bei den Erlebnissen, ich fürchte mich noch mehr beim Lesen der Nacherzählung.“
- Mick van Luch
Rezension
Der wohlhabende Krimiautor Bartholomew Magoove spart sich die Schreibarbeit und diktiert seine Bücher seinem Assistenten Mick van Luch. Wenn es spannend wird, wird dieser oft so nervös, dass er vergisst, weiterzuschreiben, worüber Magoove großzügig hinwegsieht. Die beiden stecken mitten in der Arbeit, als ein Brief eintrifft: Sir Tilo Tass lädt die besten Krimiautor*innen des Landes auf sein Anwesen ein und zwar zur Verleihung der Goldenen Kanone. Diese soll noch am gleichen Abend stattfinden und Magoove wünscht, dass van Luch ihn begleitet. Gemeinsam brechen sie zum Anwesen von Sir Tilo Tass auf und treffen dort auf einen unheimlichen Butler sowie die Koryphäen der englischen Kriminalliteratur, die sich bereits beim ersten Getränk verbal an die Gurgel gehen. Während van Luch zutiefst eingeschüchtert ist und kaum unterscheiden kann, was ein Scherz und was eine Beleidigung ist, hat Magoove seine Freude an den Wortgefechten, die auch dann noch weitergehen, als die Autor*innen unverhofft im stockdunklen Keller des Anwesens landen, wo sie gemeinsam einen Weg hinaus finden müssen ...
"Die goldene Kanone" trägt den Zusatztitel "(K)ein Detektivroman", denn An Brenach legt hier einen Text vor, der durchaus als Detektivroman gelesen werden kann, zugleich aber eine unterhaltsame Satire sowie ein phantastisches Abenetuer in einem Closed-Room-Setting ist. Magoove erinnert an Sherlock Holmes, der hier mit van Luch einen sehr unsicheren, schüchternen jungen Mann an seiner Seite hat, den er nur zu gerne aus dem Konzept bringt. Während van Luch im Keller des Anwesens immer wieder in Panik gerät, hat Magoove großen Spaß an der Herausforderung und scheint nichts wirklich ernst zu nehmen. Der Damenwelt gegenüber gibt er sich charmant und höflich, kann sich den ein oder anderen Seitenhieb jedoch nicht verkneifen. Auch wenn Magoove van Luch allzugern verunsichert, ist er nie respektlos ihm gegenüber und man bemerkt bald die Zuneigung, die er für seinen Assistenten empfindet. Dieser hingegen ist in Magooves Köchin verliebt, würde sich jedoch niemals trauen, ihr das zu gestehen. Der Text ist überwiegend aus van Luchs aufgeregter Perspektive verfasst, teilweise auch aus Magooves, wenn van Luch in Ohnmacht fällt oder alkoholisiert ist. Die beiden Protagonisten ergänzen einander perfekt, wobei Magoove mehr über alles zu wissen scheint und van Luch völlig überrumpelt ist.
Auch bei den anderen Krimiautor*innen entdeckt man literische Anspielungen, so erkennt man in der fiktiven Autorin Christine Agmate die reale Autorin Agatha Christie. Sie ist die älteste der Koryphäen und versteht sich gut mit Magoove, der ihr immer wieder seinen stützenden Arm anbietet, da sie am Bein verletzt ist. Christine Agmate bekriegt sich mit der jungen Autorin Dolly K. Attus, die aus ihrer Sicht nichts als billigen Schund fabriziert. Hinzu kommt ein gewisser Havard Gis, der dem Essen mehr als seinen Kolleg*innen zugeneigt ist, sich oft versöhnlich gibt, aber auch mal mit Magoove aneinander gerät. Gemeinsam müsen sich diese höchst unterschiedlichen Charaktere der Finsternis im Keller stellen und einen Weg durch ein Labyrinth voller Fallen und phantastischer Wesen wie leuchtenden Spinnen finden. In den Taschen von Magooves Kleidung, die auch van Luch in Ermangelung eines geeigneten Anzuges trägt, verbirgt sich dabei so manch nützliches Utensil und man fragt sich bald, was sich da eigentlich alles in den Taschen verbirgt und wie das alles dort hineinpasst. Man könnte die Taschen und ihre Inhalte als magisches Element betrachten.
Das stimmungsvolle Setting im 19. Jahrhundert wird ergänzt durch Steampunkelemente wie dampfbetriebene Kutschen und ein Gruselflair wie aus einer Gothic Novel. Das Anwesen von Sir Tilo Tass ist von einem weitläufigen, dunklen Garten umgeben, der van Luch eine Heidenangst einjagt. Der Butler wirkt dazu wie eine Horrorgestalt und man spürt schnell, dass irgendetwas nicht stimmt. Die Auflösung ist überraschend und stellt die Handlung nochmal auf den Kopf. Es lohnt sich ein zweites Lesen, da man mit dem Wissen vom Ende so manchen Dialog anders verstehen wird. Überhaupt sind die Dialoge voller Anspielungen und Mehrdeutigkeiten, die nicht nur van Luch, sondern auch der Leserschaft zu schaffen machen. Über vieles, was angedeutet wird, würde man gerne mehr wissen, aber man muss mit den wenigen Informationen arbeiten, die die Autor*innen preisgeben - und kann so intensiv mit dem überforderten van Luch mitfühlen.
Fazit
"Die goldene Kanone: (K)ein Detektivroman" ist ein kriminalistisches und humoristisches Abenteuer in einem Closed-Room-Setting, garniert mit bissigen Wortgefechten, vielen Anspielungen und Steampunkelementen. An Brenach hat hier etwas ganz Eigenes, sehr Unterhaltsames geschaffen und begeistert mit zwei auf ganz unterschiedliche Art charmanten Protagonisten, die sich in ihren Gegensätzen perfekt ergänzen.
Pro & Contra
+ Setting im historischen England mit Steampunkelementen
+ skurrile Figuren und zwei sehr charmante Protagonisten
+ bissige Wortgefechte unter den Autor*innen
+ unterhaltsam und voller Anspielungen
+ ein bisschen casual queerness
+ überraschende Auflösung, die die Handlung auf den Kopf stellt
- Finale etwas überhastet
Wertung:
Handlung: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5
Interview mit An Brenach (2024)