Interview mit Victor Boden
Literatopia: Hallo, Victor! Im Sommer ist Dein SF-Roman „Triangulum“ bei p.machinery erschienen. Was erwartet das Forschungsschiff PROKORINOS in den Tiefen des Alls?
Victor Boden: Hallo Judith! Zunächst einmal wird das Raumschiff ganz unerwartet von Vertretern einer neuen totalitären Herrscherklasse der Erde gekapert. Die Mannschaft gerät in den Sklavenstatus. Für Jören ist das besonders dramatisch, weil er alles dafür gegeben hatte, dem heimatlichem Konzernimperium zu entkommen, dessen Eigentum er war. Als Gefangene werden sie herumschikaniert, der kosmischen Strahlung ausgesetzt und später auch als lebende Laborratten benutzt. Es geht also auch darum, die Unterdrücker loszuwerden, die eigene Freiheit wiederzuerlangen und überhaupt lebend davonzukommen.
Wie sich herausstellt, gibt es zwei Forschungsziele: Bei Arcturus wurde eine Anomalie mit unbekannten, transdimensionalen Effekten entdeckt und im Tau Bootis-System ein eindeutig künstliches Objekt im Orbit eines Gasriesen. Beide deuten eindeutig auf die Machenschaften einer außerirdischen Intelligenz hin, die sich bereits im heimatlichen Sonnensystem gezeigt hatte. Neben neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen besteht auch die Möglichkeit eines Erstkontakts.
Durch die Unterdrücker, die anfällige Technik und dem gefährlichen und unbekannten Terrain am Zielort gerät das Ganze zu einem Himmelfahrtskommando.
Literatopia: Dein Protagonist Jören Neelström ist ein Cyborg. Was wurde an seinem Körper technologisch verändert? Und wie geht er damit um, als einziger aus der Kryostase zu erwachen?
Victor Boden: Jören wurde unfreiwillig zum Cyborg. In Rückblenden erfährt der Leser, wie er bei einem kriegerischen Überraschungsangriff starb und sein Körper dabei ziemlich zertrümmert wurde. Die Überreste konnten jedoch wiederbelebt werden. Seine rechte Gehirnhälfte, die zerquetscht worden war, wurde beispielsweise nachgezüchtet. Jören besitzt daher keine Erinnerungen mehr an seine Kindheit. Auch fast alle anderen Teile seines Körpers bestehen aus einem Mix aus kunstbiologischen und technischen Elementen. Die Rippen sind verstärkt, der rechte Arm und der gesamte Unterleib bestehen aus Prothesen. Es gibt Verstärker in den Beinen. Die rechte Hand ist austauschbar, er hat hier von der Sensorhand bis zur schweren Werkzeugklaue mehrere zur Auswahl, die er je nach Einsatz verwendet. Im Kopf befinden sich natürlich diverse Chips, Steuerungsmodule für die verschiedenen Bereiche seines Körpers, Speicherplatinen und die dazugehörigen Steckplätze. Die künstlichen Augen verfügen über diverse Sichtmodi. Im Innenohr gibt es eine interne Commeinheit.
Einerseits verfügt Neelström also über diverse Verbesserungen, andererseits fühlt er sich aber gleichzeitig als ein mit Prothesen zusammengeflickter Behinderter. Manche bezeichnen ihn gar als "Zombie". Außerdem ist er über seine Software ziemlich angreifbar, wie er bald feststellen muss.
Als Jören aus der Kryostase erwacht, braucht er erst mal mehrere Tage, um seinen Körper überhaupt wieder in Gang und seine Systeme zum Laufen zu bringen. Natürlich wundert er sich, als einziger wiederbelebt worden zu sein und macht sich dementsprechend Gedanken. Seine erste Sorge gilt seiner Lebensgefährtin Luna, die in einem anderen Modul liegt (und ja - er kann auch Sex haben, aber keine Kinder zeugen). Er ist noch sehr schwach, aber er geht der Sache relativ ruhig und professional nach, schließlich ist er der "Hausmeister" an Bord. Für einen kurzen Moment genießt er es sogar, das einzige lebende Wesen im Umkreis von Lichtjahren zu sein. Aber er ahnt schon, dass sich das sehr schnell ändern wird.
Literatopia: Wer sind Jören Neelströms Verbündete und Gegenspieler?
Victor Boden: Er zieht mit fast allen aus der Mannschaft der PROKORINOS am selben Strang, nur bei seiner Vorgesetzten, einer ranghöheren Exsoldatin kann er sich nicht sicher sein. Sie sieht ihn wegen einer Geschichte aus seiner Vergangenheit als Verräter an. Die Gegenspieler sind ganz klar die neuen Herren. Jören bekommt es mit einem Erzfeind aus seiner Vergangenheit zu tun, ebenfalls ein Cyborg, der ihm jedoch in jeder Hinsicht überlegen ist.
Wie es sich mit dem fremden Objekt verhält, das sie am Ziel vorfinden, verrate ich hier natürlich nicht. Es ist zumindest erst mal ein lebensfeindlicher, gefährlich und rätselhafter Ort.
Literatopia: Auf der Erde herrscht eine neue und totalitäre Elite – wie sahen die Machtverhältnisse vorher aus? Und wie kam es zu dem gesellschaftspolitischen Umbruch?
Victor Boden: Konzerne haben die gängigen Staatsgebilde abgelöst, dementsprechend handelt es sich faktisch um Diktaturen. Ein Konzernstaat ist nicht territorial gebunden, sondern kann über das ganze Sonnensystem mit seinen Ablegern verstreut existieren. Wie auch heute schon, kaufen sich Konzerne gegenseitig auf, bilden Töchter u.s.w. Ein neuer Elitekonzern hat in einer Art fortgeschrittenem Aktienmarkt mit unüberschaubaren und sich ständig ändernden Regeln alle anderen Konzernreiche geschluckt und somit die Herrschaft über das gesamte Sonnensystem errungen.
Literatopia: Wie weit ist die Menschheit in „Triangulum“ bereits ins Universum vorgedrungen? Und wie sind interstellare Reisen möglich?
Victor Boden: Wir befinden uns am Beginn der interstellaren Raumfahrt, und das hat mich auch an der Geschichte gereizt. Ich wollte ein Gefühl für die unendlichen Weiten entwickeln, die uns von anderen Sonnensystemen trennen. Die Raumfahrer sind Pioniere ähnlich wie zu den Zeiten der großen Entdecker, die sich auf lebensgefährliche Reisen begeben.
Es gibt in „Triangulum“ nur eine Handvoll von Kolonie- und Forschungsschiffen, die in den interstellaren Raum aufgebrochen sind. Die Geschwindigkeiten der Schiffe liegen bei einem Drittel der Lichtgeschwindigkeit, von daher können nur die naheliegende Kandidaten angesteuert werden, und selbst dann sind die Schiffe jahrzehnte- oder sogar jahrhundertelang unterwegs. Bislang gibt es nur eine einzige Meldung über die erfolgreiche Gründung einer neuen Kolonie.
(In „Exodus“ u.a. wurden ein paar Kurzgeschichten veröffentlicht, die im selben Universum wie „Triangulum“ spielen und von der einen oder anderen Expedition erzählen.)
Einige Schiffe sind auch schlicht verschollen, wie z.B. das Kolonieschiff, in dem gerade ein paar Kinder aufwachsen.
Geflogen wird mit Fusionstriebwerken, die neueren Schiffe besitzen sogenannte Grubergondeln, die Gravitationsanomalien in den Raum schießen. Das Problem bei diesen frühen Raumfahrten ist das Gewicht des Treibstoffs, der die Hauptmasse bildet. Jedes Gramm mehr an Masse benötigt mehr Treibstoff und dieses mehr an Treibstoff braucht wiederum mehr Treibstoff, um sich selbst zu transportieren.
Deshalb müssen all diese Schiffe auf das Allernotwendigste reduziert sein. Die Menschen auf der Reise sind eingefroren und somit mausetot. So verbrauchen sie keinerlei Ressourcen. „Tot zu sein ist die einzige Möglichkeit, die lange Reise zwischen den Sternen zu überleben“, heißt die Devise. Am Ziel werden sie wiederbelebt, was allerdings auch enorme Risiken mit sich bringt. Der Initiator der PROKORINOS hat sich zudem noch etwas Besonderes ausgedacht, um Gewicht, Treibstoff und Kosten zu sparen.
Auf Kolonieschiffen reisen zukünftige Siedler als eingelagerte Stammzellen und werden erst am Ende der Reise in Brutkammern herangezogen.
Literatopia: In „Triangulum“ geht es auch um eine Gruppe von Kindern, die allein auf einem im All treibenden Kolonieschiff leben. Wie überleben sie dort ohne Erwachsene?
Victor Boden: Es handelt sich dabei um speziell für der Weltraum, bzw. in diesem Fall für eine Kolonisierung entwickelte Menschen. Sie wachsen (normalerweise erst kurz vor der Landung) in Brutkammern heran, und das mit einem beschleunigten Wachstum. Außerdem lernen sie in dieser Phase bereits ein paar überlebenswichtige Dinge. Wenn die Kinder aus der Brutkammer kommen, leben sie zunächst in einem "Krippenraum" mit gepolsterten Wänden, einer Schlaf- Dusch- und Toilettenecke. In der Schlafecke gibt es dann Saugstationen für die Nahrung. Es gibt eine pädagogische KI, quasi eine virtuelle Mutter. Sie leitet die Kinder an, vollzieht Lernprogramme, spielt auch mit ihnen, ist bei Bedarf aber auch streng und strafend. Mit Greifhänden kann sie die Kinder berühren, dirigieren oder auch Sportübungen vollziehen. Die Kinder wachsen weiterhin schnell und lernen auch wesentlich schneller als normale Kinder.
Literatopia: Wie bereits „Das blaue Ende der Zeit“ ist „Triangulum“ recht umfangreich. Wie behältst Du beim Schreiben den Überblick über die unterschiedlichen Handlungsteile und Figuren?
Victor Boden: Da gibt es Extradateien, die ich anlege. Eine über die Charaktere, eine über die Weltgeschichte, eine über all die technischen Neuerungen der Zukunft, sogar eine Exceltabelle über Sternenentfernungen mit den ganzen Beschleunigungs- und Bremsberechnungen. Es gibt auch ein paar Skizzen oder grafische Dateien, z.B. über den Aufbau der Schiffe.
Literatopia: Was fasziniert Dich persönlich an Science Fiction? Und was war Dein Erstkontakt mit der SF?
Victor Boden: Da wäre zum einen die SF im ursprünglichen Sinn, welche die zukünftige technische und auch menschliche Entwicklung weiterspinnt, mit all ihren Möglichkeiten und Gefahren. Gerne auch in satirischer Form. Zum anderen ist es ein Spielfeld, in dem der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind. Jemand hat mal gesagt, es gibt keine neuen Geschichten, alles wurde schon erzählt. Ich denke, die SF bildet hier eine Ausnahme. Hier ist auch absolut Neues denkbar. Fremdartige Planeten, auf denen fantastische und unmögliche Dinge passieren können. Veränderte Menschen mit ganz anderen Möglichkeiten und Problemen. Gesellschaftsmodelle fremder Völker, die auch mal ganz anders funktionieren. Besonders das Thema der (nicht kriegerischen) Erstkontakte und alternative Lebens- und Gesellschaftsformen interessieren mich. Themen, die leider nur selten behandelt werden, zumindest kenne ich außer den üblichen Invasions- und Kriegsszenarien recht wenig in dieser Richtung, (aber vielleicht werde ich ja auf Eurer Seite noch mal fündig).
Mein Erstkontakt war die Fernsehserie "UFO". Kein sonderlich intellektuelles Highlight, als Junge hatte mich aber die Technik fasziniert (und später die Girls von der Mondbasis). Das große Aha-Erlebnis, dass es auch ganz anders geht, kam dann mit "2001 Odyssee im Weltraum".
Literatopia: Du veröffentlichst auch Kurzgeschichten, unter anderem in der „Exodus“. Gehst Du an eine Kurzgeschichte grundsätzlich anders heran als an einen Roman? Und macht es die Kürze eher leichter oder schwerer?
Victor Boden: Grundsätzlich brauche ich bei beiden einen groben Plan und ein Ziel. Ich muss wissen, wohin ich will. Besonders beim Roman entstehen unterwegs noch unendlich viele Details und Änderungen. Bei einer Kurzgeschichte ist das naturgemäß natürlich alles wesentlich reduzierter und einfacher. Sie ist natürlich auch viel schneller fertig. Dennoch will man immer den großen Roman machen.
Literatopia: Du hast Dich autodidaktisch zum Grafiker weitergebildet und Comics in Magazinen veröffentlicht. Was schätzt Du besonders am Medium Comic?
Victor Boden: Es ist neben Schreiben, Film, Theater und Computerspiel nochmal eine eigene Erzähl- und Kunstform mit ganz eigenen Ausdrucksmöglichkeiten. Da ich mir Szenen immer sehr bildlich vorstelle, war das damals als (angehender) Grafiker das ideale Medium und ein Traum, den ich mir erfüllen konnte. Ich konnte viel experimentieren, sowohl grafisch als auch inhaltlich. Allerdings lese ich seit damals kaum noch Comics. Das Ganze hatte damals ziemlich frustrierend geendet. Gerade als das erste Album bei „Schwermetall“ herauskam, ging der Herausgeber Konkurs.
Literatopia: Kurzgeschichten und Romane veröffentlichst Du erst seit relativ kurzer Zeit. Hast Du zuvor schon literarische Texte produziert und nicht veröffentlicht? Oder hast Du tatsächlich erst vor einigen Jahren mit dem Schreiben von Geschichten angefangen?
Victor Boden: "Das blaue Ende der Zeit" war bei der Veröffentlichung bereits 20 Jahre alt. Damals hatte sich kein Verlag gefunden und dann hatte ich auch nicht weitergeschrieben.
Was mich dann vor ca. 10 Jahren gebissen hat, es nochmals mit so etwas Hoffnungslosem wie dem Schreiben zu versuchen, weiß ich nicht mehr.
Jedenfalls habe ich zunächst Kurzgeschichten geschrieben. Ich kannte inzwischen „Exodus“ und „Nova“, daneben es gab diverse andere Veröffentlichungsmöglichkeiten in Form von Wettbewerben (ganz nebenbei hatte ich mir dabei einen Preis bei einem Krimiwettbewerb eingehandelt). Außerdem habe ich das Ganze auch als Schreibschule gesehen.
Die Idee war, mir erst einmal einen Namen zu machen. Und die Rechnung ging auf: Ein Wettbewerb und eine Veröffentlichung in „Nova“ war meine Eintrittskarte zum p.machinery-Verlag. Michael Haitel hat sofort alle beide Romane genommen. Es hat jetzt nur nochmal zwei Jahre gedauert, bis auch der zweite draußen war.
Literatopia: Du bist gelernter Modellbauer, warst aber auch schon Tagelöhner, Barkeeper, Postfahrer und Geschäftsinhaber. Inwiefern spiegeln sich diese sehr unterschiedlichen Erfahrungen in Deinem Schreiben wider?
Victor Boden: Beim Modellbau hatte ich durch das Lesen von technischen Zeichnungen ein wunderbares dreidimensionales Vorstellungsvermögen entwickelt, dass mir beim Comiczeichnen sehr zugute kam. Auch beim Schreiben stelle ich mir Szenen und Räumlichkeiten immer sehr bildlich vor.
Bei der Post war ich Fahrer und habe unterwegs Details fürs "Blaue Ende" ausgetüftelt.
Das Illustrieren von Spielen hat dazu geführt, dass die Protagonisten in manchen meiner Geschichten auch gerne mal spielen.
Die anderen Tätigkeiten hatten mir eigentlich kaum nennenswerte Anregungen zum Schreiben gegeben. Aber menschliche Erfahrungen laufen einem immer ungeplant und überall über den Weg. Da kommt sicher sehr viel aus meinem Privatleben. Ich bin früher auch viel gereist und habe seit fast 20 Jahren eine thailändische Familie, bei der wir immer mal wieder für ein paar Monate wohnen. Da gab es beispielsweise ein Mädchen, die ich mir als Vorlage für Narae genommen habe, das Mädchen aus dem Kinderplot.
Literatopia: Würdest Du uns abschließend einen kleinen Ausblick geben, was wir in naher Zukunft von Dir erwarten können?
Victor Boden: Im Hinterkopf geistert immer noch die Idee einer Fortsetzung zu „Triangulum“. Doch die jahrelange Verlagssuche und die anschließenden Wartezeiten haben mich etwas demotiviert. Inzwischen bin ich alt und grau geworden. Zu diesem Projekt warte ich erst mal ab, wie „Triangulum“ ankommt. Er gilt jetzt erst mal als abgeschlossener Roman.
Doch mir fällt gerade ein, ich sollte p.machinery noch die letzte Version einer satirischen SF-Miniserie schicken. Die ist nebenbei im Lauf der letzten Jahre entstanden. Die Zusage dafür gibt es bereits (wird trotzdem dauern). Das wird zur Abwechslung mal ein ziemlich dünnes Buch! Es handelt von einer Teenagerin (mitsamt ihrem Allerwichtigstem - ihrem Handy), die mit einem Bus quer durchs Universum und darüber hinaus tingelt. Eine irrwitzige Odyssee im Stil von „Per Anhalter durch die Galaxis“.
Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!
Victor Boden: Hat mich sehr gefreut! Ebenfalls vielen Dank für Euer Interesse!
Autorenfoto: Copyright by Victor Boden
Autorenwebsite: http://www.pseudoraum.com
Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.