Im Schatten des Leviathans - Schattenspiele II (Christian Vogt)

 Buchcover "Im Schatten des Leviathans": schwarz mit tentakelbewährtem Schattenwal und Sternbildern in violett und grüner Schrift

ohne ohren (Juli 2024)
Taschenbuch, 
130 Seiten, 8,49 EUR
ISBN: 978-3-903296-82-4

eBook 2,99 EUR, ISBN: 978-3-903296-83-1

Genre: Steamfantasy


Klappentext

Ich kann heute nicht gegen einen Wal kämpfen! Lasst mich sterben!

Ning ist angehender Sterndeuter ohne Ambitionen zum Heldendasein. Im Auftrag der geheimnisvollen Madame Feyola verschlägt es ihn unter der Flagge einer resoluten Kapitänin auf See. Er findet sich inmitten der waghalsigsten Waljagd der Geschichte wieder: Es gilt, den Leviathan, den legendären Kaiser der Schattenwale, zu harpunieren.

Aber warum scheinen so viele Seeleute an Bord nicht zu sein, was sie vorgeben? Und ahnen sie, mit welchen übernatürlichen Mächten sie sich anlegen?

Im Dunkel des Wassers spiegelt sich das Schicksal wie leuchtende Sterne.


Rezension

"Ich sehe ein Netz aus Absichten und Plänen, in dem sich die Kormoran verstrickt hat. Mächte ziehen an uns, wollen uns auf ihren Kurs oder von unserem Kurs abbringen, und ein Fehler könnte Verderbnis bedeuten. Und nicht nur unsere Verderbnis, sondern die von vielen, vielen Seelen." (Seite 27)

Ning ist Lehrling eines Sterndeuters und verbringt die meiste Zeit mit dem Beobachten von Sternen und Berechnungen. Unerwartet wird er Teil eines großen Abenteuers: Sein Meister und er sollen auf hoher See die Sterne deuten und den sagenumwobenen Kaiser der Schattenwale, den Leviathan, ausfindig machen. Die mysteriöse Madame Feyola stellt ihnen Ruhm und Reichtum in Aussicht und überzeugt die fähigsten Seeleute von ihrer gefährlichen Mission. Ning sieht in der Jagd auf das Monster die Chance, sich als Mann zu beweisen und außergewöhnliche Orte zu bereisen. Anfangs wird er von allen auf dem Schiff herumkommandiert, doch nach und nach erarbeitet er sich Respekt und findet in Matteo einen fähigen Lehrmeister, der aus Ning einen unerschrockenen Walfänger machen will. Doch als der erste Schattenwal erlegt ist, kommen Zweifel auf. Wie sollen sie gegen eine mächtige Kreatur wie den Leviathan bestehen? Wer steckt wirklich hinter ihrer Mission? Und ist es richtig, solch majestätische Wesen zu töten? 

Mit "Im Schatten des Leviathans" erhält die Welt der "13 Gezeichneten" eine weitere Novelle, die sich wie bereits "Mutterentität" ohne Vorkenntnisse lesen lässt - mit Vorkenntnissen dürfte sich das Wiedersehen mit Kumari, Li-Zah und Siebzehn jedoch spannender gestalteten. Sie sind dieses Mal nur Nebenfiguren, während sich die Handlung auf Nings Abenteuer konzentriert. Der junge Mann drohte, in die Kriminalität abzurutschen, und bekam von Li-Zah die Lehrstelle vermittelt. Ning hat eine Begabung für den Umgang mit Zahlen und das Deuten der Sterne bereitet ihm mehr Freude als schlichte Buchhaltung. Er ist eigentlich zufrieden, doch auf dem Schiff erwacht in ihm die Sehnsucht nach Abenteuern und der Wunsch mehr von der Welt zu sehen als ein Observatorium. Ning ist ein hagerer Kerl und bewundert die kräftigen Seeleute. Entsprechend freut er sich über Matteos Aufmerksamkeit und wünscht sich seine Anerkennung - und er lässt sich mitreißen vom Jagdfieber. Doch zugleich wachsen die Zweifel in ihm. 

Die Sterne zeigen Ning und seinem Meister früh, dass etwas Großes passiert, dass sie Lügen und Intrigen erwarten und die Jagd sich auf die ganze Welt auswirken könnte. An Bord der Kormoran spielen viele ihr eigenes Spiel, Spione haben sich unter die Seeleute gemischt und die Kapitänin weiht ausgerechnet Ning in ihre Sorgen ein. Auch er soll spionieren und er entdeckt Enttäuschendes und Unheimliches. Es gibt mehr als genug Warnungen davor, diese irrsinnige Jagd fortzuzführen, dennoch machen sie weiter. Die Kapitänin ist besessen davon, die größte Waljägerin aller Zeiten zu werden, ebenso wie Matteo, der sich bereits als Bezwinger des Kaisers der Schattenwale sieht. Madame Feyola lockt mit Reichtümern und will sich selbst dunkle Macht sichern. Und Ning ist längst zu weit gegangen, um umzukehren, zu groß ist sein Wunsch nach Anerkennung. Als sich die Jagd in einen Alptraum verwandelt, wird auch er immer fanatischer, doch die Zweifel bleiben und erweisen sich zunehmend als berechtigt. 

"Das Schicksal schien ein Gewebe mit komplizierter Fadenführung und unendlichen Möglichkeiten zu sein. Menschen, Sterne, Urgewalten, Schicksale, all das war verwoben. Das Knotenmuster der Verbindungen konnte man aber wie bei einer Stickerei nur verstehen, wenn man die Rückseite betrachtete. Und die Rückseite unserer Welt war die Welt der Schatten." (Seite 54)

"Im Schatten des Leviathans" führt zu rauen Häfen und magischen Orten, die man aus der Trilogie um die "13 Gezeichneten" noch nicht kennt. Die Fantasywelt steckt mitten im Kolonialismus und neue Technologien wie die Telegraphie, die hier mittels Licht und Magie funktioniert, erreichen selbst kleinste Inseln. Nachrichten nach Sygna werden jedoch mit der Postkutsche gebracht, denn die Handwerkerstadt hat mit Telegraphia gebrochen. Das Postgeheimnis wird offensichtlich nicht gewahrt und das Unternehmen ist auf bedrohliche Weise mit der Schattenwelt verwoben. Ähnlich wie in "Mutterentität" erfährt man nur wenig darüber, doch es fügen sich immerhin weitere Puzzleteile in das unheimliche Gesamtbild. Das Finale ist actionreich und ziemlich düster, hier spürt man deutlich den Horror der Schattenwelt, der oft nur im Hintergrund aufblitzt und sich wie ein schwarzer Faden durch die Fantasywelt zieht. 

Positiv fällt wieder die Diversität der Figuren auf, auch wenn es recht viele Männer an Bord der Kormoran gibt und Ning zunächst toxischen Vorstellungen von Männlichkeit folgt. Doch diese werden aufgebrochen im Verlauf der Handlung. Die Frauenfiguren sind sehr unterschiedlich, wobei insbesondere die Kapitänin sowie eine junge taubstumme Frau, die mittels Bildern kommuniziert, überzeugen. Und mit Li-Zah und Kumari mischt ein queeres Paar mit, das man gerne in weiteren Novellen wiedersehen würde. Ebenso wie Ning, der auf etwas mehr als 100 Seiten eine beachtliche Entwicklung durchmacht. Die Geschichte hätte gerne doppelt so lang sein dürfen, denn wie bereits bei "Mutterentität" ist das Finale etwas überhastet und die Novelle einfach zu kurz für die großartige Fantasywelt mit all ihren unterschiedlichen Reichen und Menschen. 

Optisch passt "Im Schatten des Leviathans" hervorragend zu "Mutterentität" - mit allen Vorzügen und Nachteilen. Die kleinen Hochglanztaschenbücher sind schön, aber beim Lesen stört die sehr feste Bindung sowie die doch recht kleine Schrift. Man kann sie noch gut lesen, aber ein größeres Format wäre besser gewesen. 


Fazit

"Im Schatten des Leviathans" ist ein ganz großes Abenteuer auf wenigen Seiten, atmosphärisch dicht und unterhaltsam geschrieben und mit einer erhofften, aber doch überraschenden Wendung. Die Jagd auf den Kasier der Schattenwale steigert sich zu einem Wahn, der die ganze Welt in den Abgrund reißen könnte. Auch wenn diese Novelle in sich abgeschlossen ist, öffnet sie Raum für weitere Erzählungen, die hoffentlich noch tiefere Einblicke in die Schattenwelt gewähren. 


Pro & Contra

+ großes, sehr unterhaltsames Abenteuer auf hoher See
+ Ning macht eine beachtliche Entwicklung durch
+ mehr Einblicke in die unheimliche Schattenwelt
+ Wiedersehen mit Kumari, Li-Zah und Siebzehn
+ spannend von der ersten bis zur letzten Seite
+ diverser Figurencast 
+ bietet wahnsinnig viel auf wenigen Seiten

o ohne Vorkenntnisse lesbar (mit Vorkenntnissen aber besser)

- wieder zu kurz geraten

Bewertungsterne4.5

Handlung: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5


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Tags: Christian Vogt, Steamfantasy, Novellen, queere Figuren, progressive Phantastik