Translation State (Ann Leckie)

translation state

Orbit (2023)
Gebundene Ausgabe, 432 Seiten
ISBN: 978-0356517919

Genre: Science Fiction


Klappentext

Qven was created to be a Presger translator. The pride of their Clade, they always had a clear path before them: learn human ways, and eventually, make a match and serve as an intermediary between the dangerous alien Presger and the human worlds. The realization that they might want something else isn't "optimal behavior". I's the type of behavior that results in elimination.

But Qven rebels. And in doing so, their path collides with those of two others. Enae, a reluctant diplomat whose dead grandmaman has left hir an impossible task as an inheritance: hunting down a fugitive who has been missing for over 200 years. And Reet, an adopted mechanic who is increasingly desperate to learn about his genetic roots - or anything that might explain why he operates so differently from those around him.

As a Conclave of the various species approaches - and the long-standing treaty between the humans and the Presger is on the line - the decisions of all three will have ripple effects across the stars.


Rezension

Ann Leckie wurde mit ihrer Imperial-Radch-Trilogie (dt.: Radchaii-Imperium-Trilogie, 2015 — 2017) bekannt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Nun legt sie mit Translation State aus dem Jahr 2023 erneut ein Buch vor, das in diesem Universum angesiedelt ist, aber auch als eigenständige Geschichte gelesen werden kann. Eine deutsche Übersetzung ist derzeit nicht verfügbar. Translation State wurde für den Hugo Award 2024 nominiert. Das Buch ist eine Auseinandersetzung um Identität und Zugehörigkeit in einem von unterschiedlichen Spezies bevölkerten Universum.

Drei Hauptcharaktere bestimmen die Gliederung des Buches. Ihnen ist abwechselnd ein Kapitel gewidmet: Qven, Reet und Enae. Während über Qven in der Ich-Form erzählt wird und somit eine sehr persönliche, manchmal auch rührselige Erzählperspektive erlaubt, berichtet ein personaler Erzähler distanzierter über die anderen Romanfiguren. So wird die durchwegs linear erzählte Handlung aus drei Perspektiven beleuchtet.

Der Band widmet sich der außerirdischen Spezies der Presger, die in ihrer ursprünglichen Form noch kein Mensch gesehen hat und die deshalb auch bewusst von Ann Leckie nie genau beschrieben werden. Aus Andeutungen kann man aber entnehmen, dass sie sich sehr stark von den Menschen unterscheiden: sie besitzen keine Familie, keine Identität oder Namen und können die Gesetze der Schwerkraft außer Kraft setzen. Sie nicht ausführlich zu beschreiben, ist ein erzählerischer Kunstgriff, um sie als Aliens in ihrer Fremdheit zu belassen. Trotzdem bleiben wir ihnen auf der Spur: Presgers bedienen sich eigener Übersetzer, die sie unter Verwendung menschlicher DNA erschaffen und ausbilden, damit diese mit Menschen kommunizieren können.

Qven ist ein heranwachsender Übersetzer und hat seine gesamte Kindheit und Jugend in Ausbildung verbracht. Würde man keine Übersetzer benötigen, wäre es überhaupt nicht am Leben. Es ist dabei einem sehr strikten und intensiven Training unterworfen, das von Lehrern und anderen Übersetzern angeleitet wird. Als es während dieser Ausbildung Opfer eines Missbrauchsversuchs wird, verändert sich der für Qven vorgesehene Lebensweg. Es wird von seinen Ausbildern mit einem speziellen Auftrag nach Zeosen entsandt und begleitet.

Reet Hluid ist ein Waise, lebt alleine und arbeitet als Mechaniker. Er führt ein etwas verlorenes Leben zwischen Arbeit und dem abendlichen Konsum einer Serie von billigen Abenteuergeschichten. Eines Tages wird er mit seiner möglichen biologischen Abstammung vom Volk der Hikipi konfrontiert und beginnt, deren Sprache und Kultur zu lernen. Zudem wird ihm zugeschrieben, ein Schan, d.h. Angehöriger ihrer Führungselite zu sein. Die Schwesternschaft der Hikipi unterstützt ihn auch bei seiner Suche nach einer befriedigenden Arbeit. Es gelingt, Reet eine Stelle als Verbindungsoffizier für Besucher des Unabhängigen Territoriums von Zeosen anzutreten. In dieser Funktion trifft er auf Enae.

Enae wiederum hat den Grossteil xieses Lebens bei der einflussreichen und unleidlichen Grossmutter verbracht. Um Enae nach ihrem Tod zu versorgen, wird xier von der neuen Matriarchin dem diplomatischen Dienst der Imperial Radch zugeteilt, um nach einem vor 200 Jahren verschwundenen Übersetzer der Presger zu suchen. Dies ist offenkundig eine zum Scheitern verurteilte aber lukrative Scheinbeschäftigung. Trotzdem beschliesst xier, die zugeteilte Aufgabe Ernst zu nehmen. Diese zunächst bequemen und von Annehmlichkeiten geprägten Reisen führen xier schon bald nach Zeosen, wo xier auf Reet und Qven trifft.

Ab nun entwickeln sich die Interaktionen der drei Charaktere vor dem Hintergrund eines Vertrages, die von den Imperial Radch zur Aufrechterhaltung eines prekären Friedens im Universum vor hunderten von Jahren ausgehandelt worden war. Um Fragen, die sich aus der Auslegung des Vertrages ergeben zu behandeln, wurde ein Büro, die „Treaty Administration Facility“ in Zeosen eingerichtet. In diesem sind Vertreter*innen aller Spezies versammelt. Die unterschiedlichen Interessen der Ethnien des Imperial-Radch-Universums spiegeln sich in den Petitionen und Verhandlungen des Gremiums wider. So werden auch Fälle von Individuen verhandelt, deren Status als Mensch als nicht gesichert erscheint.

Die Erzählerin nimmt sich zu Beginn des Romans viel Zeit, um den Charakter der drei Protagonistinnen herauszuarbeiten. Die Stärke des Buches liegt darin, dass behutsam, detailreich aber sehr stringent erzählt wird, um so das unverwechselbare Profil der Charaktere herauszuarbeiten. Das verlangsamt die Handlung, bereichert sie aber gleichzeitig auch mit Atmosphäre. Nicht so sehr um turbulente Handlung geht es in diesem Buch, als vielmehr um die Erörterung von Fragen der Identität und Zugehörigkeit seiner Protagonist*innen, die stark von politischen Verhältnissen beeinflusst werden. Die Los Angeles Review on Books betitelt deshalb ihre Rezension über dieses Buch mit „Your Genes Aren’t Your Destiny“. Die Protagonisten sind nicht genetisch determiniert, sondern entwickeln sich in einem gesellschaftlichen Kontext.

Ann Leckie wurde auch dafür bekannt, dass sie sich in ihren Romanen immer wieder mit Genderfragen beschäftigt. Sie ist fasziniert von der Möglichkeit, im beweglichen Genre der Science Fiction verfestigte binäre Gendervorstellungen aufzubrechen. Bereits in dem 2013 veröffentlichen Buch Ancilliary Justice (dt.: Die Maschinen, 2015) verwendet sie durchwegs das generische Femininum, was ihr auch Unverständnis und Kritik von Leser*innen einbrachte, die sich am klassischen binären Gendermodell orientierten. Im vorliegenden Buch geht sie weiter. Qven besitzt keine Vorstellung von Identität und Gender, wird sich aber im Laufe der Geschichte ein ihm angemessen erscheinendes Pronomen wählen; Reet ist ein sich als Mann definierender Mensch und Enae wird von der Kultur der Imperial Radch trotz existierender Reproduktionsbiologie als nichtbinär definiert. Geschlecht, Gender und Zugehörigkeit zu einer Spezies sind stark ausdifferenziert und eröffnen ein verwirrendes Potpourri an möglichen Rollenbildern.

Das Buch ist aber auch ein weltanschaulicher Diskurs der Fragen der Gruppenzugehörigkeit, biologischer und sozialer Herkunft und individuellen Lebensausrichtung: handwerklich brillant und ohne identitätspolitische Überheblichkeit geschrieben.

Das Universum der Imperial Radch ist zudem kein homogenes, sondern von Diversität, von Misstrauen und Konflikt geprägt. Der universelle Vertrag bindet sehr unterschiedliche Spezies aneinander: Menschen, Gek, Rrrtr, AI und Presger. Gerade letztere sind den Menschen besonders fremd und unverständlich. Eine Art magischer Kannibalismus beherrscht deren Leben, d.h. die Vorstellung, dass Eigenschaften eines verzehrten Opfers auf den Esser übergehen. Die Kultur der Presger ist von dieser Vorstellung stark geprägt, als extremste Form des Wechsels von Identität. Andere in einem intimen Akt zu essen oder selbst gegessen zu werden, oder auch mit ihnen zu verschmelzen gehört zur Normalität des Lebens von Übersetzern. Die dabei von der Erzählerin vermittelten sprachlichen Bilder sind mitunter provokant, arten aber nie in Effekthascherei aus.

Insgesamt strapaziert und bereichert das Buch die Vorstellungskraft der Leser*innen. Leckie gelingt mit Translation State ein Buch, in dem menschliche Befindlichkeit und die damit verbundenen Interessen nicht der alleinige Masstab im Universum ist. Das wird letztendlich auch zum politischen Problem, wie die wirkungsvoll inszenierte Verhandlung vor einem Tribunal der Vertragspartner zeigt.


Fazit

Ein empfehlenswertes, sehr routiniert erzähltes Buch, das sich mit dem Fremden und der Solidarität zwischen den Wesen in einer fernen Zukunft auseinandersetzt.


Pro & Contra

• Routiniert und sensibel erzähltes Buch über die Fragen von Identität und Zugehörigkeit in einem komplexen Universum.
• Leser*innen, die das Imperial Radch Universum von Ann Leckie noch nicht kennen, müssen sich geduldig in dieser Welt einfinden.
• Die exzessive Verwendung von Neopronomen ist gewöhnungsbedürftig aber wesentlicher Teil des Spiels mit Identitäten.
• Manchmal gleitet die Erzählung in Rührseligkeit ab, das Happy End des Buches wirkt seltsam konstruiert.
Translation State liegt derzeit nur in der englischen Originalfassung vor.

Wertungsterne4

Handlung: 4/5

Charaktere: 5/5

Lesespass: 4/5

Preis/Leistung: 4/5


Dies ist eine Gastrezension von Tinderness, herzlichen Dank!

Rezension zu "Die Maschinen"

Tags: Ann Leckie, SF-Autorinnen, queere Figuren, progressive Phantastik