Outpost - Der Posten (Dmitry Glukhovsky)

Heyne (2021)
Aus dem Russischen übersetzt von Jennie Seitz und Maria Rajer
Originaltitel: Пост (2017)
Hardcover, Pappband, 416 Seiten, 20,00 EUR
ISBN: 978-3-453-32177-9

Genre: Dystopie / Near Future


Klappentext

Russland in der nahen Zukunft. Nach dem Krieg sind ganze Landstriche verseucht, die Flüsse vergiftet. Die einzelnen Städte haben kaum noch Kontakt zur Regierung in Moskau. Schon seit Jahren harrt Jegor im Außenposten in Jaroslawl aus. Sein Stiefvater Polkan, der Kommandant des Postens, macht ihm das Leben schwer, und die schöne Michelle interessiert sich nicht für ihn. Jegor träumt von der Welt jenseits der Eisenbahnbrücke, auf der anderen Seite des Flusses. Doch schon seit Jahrzehnten ist niemand mehr über diese Brücke gekommen. Bis heute …


Rezension

Der russische Autor und ehemalige Kreml-Korrespondent Dmitry Glukhovsky ist mit seiner Metro-Trilogie weltweit bekannt geworden. Nun legt er den ersten Band einer Dilogie mit dem Titel Outpost vor. Der vorliegende Band ist 2017 erstmals erschienen und wurde 2021 von Jennie Seitz und Maria Rajer ins Deutsche übersetzt. Das Buch ist eine Dystopie über ein zerfallendes Russland der nahen Zukunft mit unverhohlener Kritik an der Diktatur Putins. Der zweite deutschsprachige Band der Reihe erschien 2023. Im Herbst 2024 erscheinen die beiden Bände von Outpost als Sammelband im Heyne-Verlag. Aus diesem Anlass sollen die beiden Bände noch einmal vorgestellt werden.

Eine Dystopie? Nein, viel viel schlimmer wird dieses Buch werden, wenn es die Wirklichkeit tatsächlich beschreiben soll, meint der Erzähler:

„Irgendein bescheuerter Roman, in dem es ums Überleben nach der Apokalypse geht. Mutter sagt, vor dem Zerfall hätte es die haufenweise gegeben … Aber in den Büchern ist irgendwie gar nichts wie im echten Leben. Das Leben ist tausendmal öder.“

Im Russland nach der Katastrophe eine Bürgerkrieges und den damit verbundenen Verwüstungen des Landes ist nichts mehr so, wie es einst war. Russland ist auf einen Reststaat geschrumpft, der nicht viel mehr als die europäischen Landstriche rund um Moskau bis an die Wolga umfasst. Moskowien wird es  sarkastisch genannt. In Moskau regiert wieder ein gottähnlicher Zar, umgeben von seinen Kosaken und willfährigen Untertanen. Einer der Außenposten Moskowiens befindet sich an der Wolga, er ist der Ort der Handlung. Er bewacht den einzigen, noch über den Fluss führenden Übergang, eine Eisenbahnbrücke.  Die Siedlung mit knapp zweihundert Einwohner*innen ist von der Außenwelt isoliert. Da gäbe es zwar das ferne Moskau, mit dem man aber nur mehr über Eisenbahnschienen und eine Telefonleitung verbunden ist. Gleichwohl kann man sich auf die Kommunikation mit der politischen Zentrale nicht verlassen: unberechenbar ist sie, durchsetzt mit ignoranten Verbindungsoffizieren. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist mehr als unzuverlässig. Andrerseits existiert ein unbekanntes, mythenumwobenes, wahrscheinlich feindlich gesinntes Territorium im Osten, in das die seit Jahren nicht benutzte Brücke über die vergiftete Wolga führt. Nach dem Einstellen der ursprünglichen Kampfhandlungen im Bürgerkrieg hat man jahrzehntelang keine Nachrichten von “Drüben“ erhalten: das Land jenseits des Flusses ist zur Terra Inkognito geworden, über die nur gemutmaßt werden kann.

So fristen die Bewohner*innen des Postens ein tristes und isoliertes Dasein, in dem die Vergangenheit als entrücktes Paradies erscheint. Die Lebensbedingungen sind schwer, doch scheint man sich an sie gewöhnt zu haben. Vom Fluss muss man sich fern halten, weil er giftige Dämpfe absondert, vor dem sauren Regen muss man sich schützen, weil er die eigene Haut aber auch die Felder verbrennt. Dementsprechend knapp sind die Nahrungsmittel. Man muss auf Nachschub aus Moskau warten oder bei einer benachbarten Kolchose chinesischer Immigranten zukaufen.

So ist die Stimmung der Bewohner abwartend, oft sentimental und manchmal bis zur Explosion gereizt. Dennoch lebt man sein Leben so gut man es nur kann. Ein wenig Optimismus und Zukunftsorientiertheit verbreiten der siebzehnjährige Jegor, der mit Skateboard, Kalaschnikov und Gasmaske die Gegend unsicher macht und sich gegen das autoritäre Verhalten seines Vaters, des Postenkommandanten, und die spirituellen Allüren seiner Mutter auflehnt. Er wirbt verzweifelt um die Gunst einer älteren Frau namens Michelle, die  bei ihren Großeltern wohnt, sich sehnsüchtig an ihr kaputtes iPhone klammert und davon träumt, ins sagenumwobene Moskau ziehen zu können, in dem sie ihre Eltern vermutet.

Mit einem Male beginnt sich aber das eintönige Leben des Postens zu wandeln. Unruhe zieht in die Siedlung. Ein verwirrter und tauber Priester schleppt sich aus dem Feindesland halbtot über die Brücke und beginnt über das Ende aller Tage zu predigen. Seine Aussagen über die von Russen begangenen Todsünden und die sich ausbreitende Macht des Satans bringen Unruhe unter die Bewohner*innen des Postens. Aufgescheucht über dessen Erscheinen aus dem geheimnisumwitterten Osten, entsendet die Militärführung in Moskau einen Trupp Kosaken, die unter der Leitung des Offiziers Sascha Krigow auf einem Drainage-Fahrzeug erscheinen. Sie haben vom Zaren den Auftrag erhalten, die Lage jenseits der Grenze zu sondieren. Mit ihrem Eintreffen steigert sich die Unruhe im Stützpunkt. Die von selbsternannten Prophet*innen angesprochene Angst vor der Zukunft wirbelt die kleine Siedlung durcheinander. Auch Jegor wird zunehmend verstörter: seine heimlichen Exkursionen auf die Eisenbahnbrücke und der gewaltsame Tod zweier Bekannter irritieren ihn sehr.

Das sind die besten Momente des Romans, dem es bis dahin gelingt, ohne Pathos und mit viel Sarkasmus über das postapokalyptische Leben einer intimen Gemeinde zu erzählen. Ein ständig betrunkener Postenkommandant, der mit seinen militärischen Aufgaben überfordert ist, ein Jugendlicher, der Gitarre spielend auf den Dächern der Gebäude Verse rezitiert und so seine Angebetete zu beeindrucken sucht, die Grossmutter, die krank im Bett liegend, verzückt den Versen des Dichterfürsten Sergej Jessenin lauscht. Das ist Glukhovsky, wie er schon in seinem vorhergehenden Buch namens Text (2017) erzählt hat. Ruhig, sarkastisch, mit dem ihm eigenen Humor, der sowohl die Lächerlichkeit als auch den Schrecken transportiert, welche sich hinter der Realität verbergen, führt uns der Erzähler durch die Versuche mit einer postapokalyptischen Welt zu Rande zu kommen. Die Bewohner*innen des Außenpostens beginnen uns vertraut zu werden, mit ihren Träumen, Unzulänglichkeiten und Eigenheiten. Eine Zukunft allerdings, die scheint es nicht zu geben.

Die Situation im Aussenposten wird immer angespannter. Angesichts einer drohenden Hungerkatastrophe und der Predigten des mittlerweile inhaftierten Priesters spalten sich die Bewohner*innen in zwei Gruppen: jenen, die weiterhin dem misslichen Leben mit Widerständigkeit und Zweckoptimismus gegenüberstehen und jenen, die sich an Untergangsphantasien erbauen und in einer Art religiösem Wahn fallen. Die Lage im Posten spitzt sich in weiterer Folge immer mehr zu, um unvermittelt und in einem vom Erzähler geschickt und stringent vorbereiteten (vorläufigen) Finale von mehr als 100 Seiten einzumünden. Die eintreffende Katastrophe sprengt die Vorstellungskraft der Bewohner*innen.

Man hat als Leser*in mit einer derart grausamen Zuspitzung der Handlung wohl nicht gerechnet. Die Erzählung von den kleinen Katastrophen des Alltags nach einem grausamen Bürgerkrieg war nur der Anfang vom Ende, der Erzähler skizziert von nun an eine Katastrophe epischen Ausmaßes. Er holt zu einer, wenn man so will, postapokalyptischen Apokalypse aus, die überrascht und verstört.


Fazit

Ein literarisch qualitätsvolle Satire über den Zerfall Russlands, die allerdings im Finale mit ihrer Subtilität bricht und zu Mitteln des Horrors greift. Ein sehr flüssig und spannend zu lesender Auftakt der Dilogie.


Pro & Contra

- Wieder ein Glukhovsky voller realpolitischer Parallelen und ätzendem Sarkasmus, meisterhaft erzählt.
- Weder ironisches Märchen noch finstere Dystopie: was denn dann?
- Zombies, nein danke! Dieses Klischee wäre in solcher Ausführlichkeit nicht nötig gewesen.

Wertungsterne4

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespass: 3/5
Preis/Leistung: 4/5

Dies ist eine Gastrezension von Tinderness, herzlichen Dank!

Rezension zu "Metro 2033"

Tags: Dystopie, Near Future, Postapokalypse