Termination Shock (Neal Stephenson)

Goldmann (2023)
Aus dem Amerikanischen von Juliane Gräbener-Müller, Tobias Schnettler
Originaltitel: Termination Shock
Originalverlag: William Morrow
Hardcover mit Schutzumschlag, ca. 1.200 Seiten, 32,00 EUR
ISBN: 978-3-442-31681-6

Genre: Climate Fiction


Klappentext

Die Welt in Gefahr: ein brandaktueller Thriller um den Klimawandel - und unsere mögliche Rettung. In einer Welt der nahen Zukunft hat der Treibhauseffekt zu einer wirbelnden Troposphäre mit Superstürmen, Überschwemmungen und gnadenloser Hitze geführt. Der globale Kollaps scheint unausweichlich, der Anstieg des Meeresspiegels ist nicht mehr aufzuhalten. Doch dann stellt ein amerikanischer Milliardär die Mittel für ein spektakuläres Projekt bereit, das die globale Erwärmung stoppen könnte. Aber wird es funktionieren? Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, der über das Schicksal der gesamten Menschheit entscheiden wird. Ein mitreissender, apokalyptischer Roman, erzählt von einem der visionärsten Autoren unserer Zeit.


Rezension

Climate Fiction ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Zweig der Speculative Fiction geworden. Hat sich dieses Subgenre bislang noch den Vorwurf gefallen lassen müssen, belehrend, moralisierend und nicht verkäuflich zu sein, so haben jüngst erschienene Romane, etwa jene von Kim Stanley Robertson das Gegenteil bewiesen. Sie vermögen die gegenwärtigen Herausforderungen der Klimakrise ohne belehrenden Unterton in eine nahe Zukunft zu extrapolieren, waren mitunter Bestseller und schaffen eine differenzierte Darstellung. Wird Termination Shock den Qualitätsansprüchen dieser „new wave of climate fiction“ (Alessandra Ress, Tor Magazin) gerecht?

Neil Stephenson hat er mit seinem 1992 publizierten Bestseller Snow Crash und anderen Büchern bestimmte Begriffe zeitlich vorweggenommen (Metaverse, Avatar, Kryptowährung) und wird als einer der Begründer des Cyberpunk bezeichnet. Termination Shock sei, wie der Bucheinband anmerkt: „Genial und prophetisch“.

Rund um beide Begriffe „Termination Shock“ und „Geo-Engineering baut der Erzähler eine mitunter ausufernde Handlung auf. Wir befinden uns in der nahen Zukunft: immer wieder von neuen Covid - Epidemien heimgesucht, ist die USA ein „komplett wahnsinniges und aus dem Ruder gelaufenes Land, nicht imstande sich selbst zu kontrollieren“. Ein Milliardär aus Texas (mit unverwechselbaren Zügen von Elon Musk) nutzt dieses Vakuum. Er verfolgt angesichts der sich verschärfenden klimatischen Bedingungen (Hitzewellen, Überschwemmungen, Ansteigen des Meeresspiegels, Hurrikans) ein ambitioniertes Projekt. Mittels einer tief in Felsen eingelassenen Raketenbasis, die er in der Chihuahua-Wüste errichten lässt, wird Schwefel in der Atmosphäre verteilt. Das soll Sonnenstrahlen reflektieren und so zu einer Abkühlung des Klimas führen. Einen günstigen Nebeneffekt stellen die durch diese „Klimaregulierung“ wieder steigenden Grundstückspreise rund um Houston dar, von denen der Milliardär profitieren wird. Käme es aber zu einem abrupten Abbruch des Geo-Engineerings, befürchten Expert*innen eine dramatische Umkehr der erreichten Klimaeffekte: „Im Grunde geht es um die Frage, welche Konsequenzen es möglicherweise hat, wenn man das System abschaltet, nachdem es eine Weile gelaufen ist.“ Trotzdem wird das Projekt umgesetzt. Der Milliardär versucht, diskrete Allianzen mit Vertretern anderer Länder zu schmieden, um sie für sein Projekt zu gewinnen. Die Grundannahme bleibt dabei unwidersprochen: Für die „vorläufige“ Rettung der Welt komme nur kapitalintensives Geo-Engineering infrage, betrieben durch das Engagement kapitalkräftiger Einzelpersonen und mit Unterstützung durch die jeweiligen Regierungen.

Damit sind wir zum Kern des Buches gekommen: Eine kleine Gruppe politischer und ökonomischer Entscheidungsträger vereinbart sich zu diesem Projekt. Die langwierige, aber immerhin demokratisch legitimierte Entscheidungsfindung durch gewählte Institutionen wird dabei hintertrieben. Die Macher sind nun am Zuge, ihnen soll die Sympathie der Leser*innen gehören. Das ist aber nicht die Klimazukunft, von der man träumen möchte. Bald schon gerät das Vorhaben unter den Einfluss eines politischen Machtspiels, das von den Grossmächten Indien und China betrieben wird. Diese fürchten negative Konsequenzen für das Klima ihrer Länder. Was für die einen gut, mag der Schaden für die anderen sein. Eskalierende Gewalt ist die Folge.

Das eröffnet viel Platz für das Heldentum mancher Akteure: einer selbstbewussten Königin, einem einsamen Abenteurer mit First Nation Hintergrund, einer Martial-Arts-Legende und einem verschrobenen Milliardär, der seine Allmachtsphantasien verfolgt. Unterstützt werden sie von einer Entourage, die zur Erbauung der Protagonist*innen dient und ständig in endlose Gespräche verwickelt ist. Feindliche Agenten huschen durch die Szene und haben militärische Überraschungen im Gepäck. Jene Menschen, die unter den direkten Auswirkungen der Klimakatastrophe und des Geo-Engineerings leiden, bekommen vom Erzähler jedoch keine Rolle zugedacht. Sie verkommen zu Statisten der von einer politischen Elite veranstalteten Seifenoper. Es wird für sie gehandelt und gedacht.

Zu Erzählen gibt es aber viel. Hunderte von Seiten dieses nun doch sehr voluminösen Buches sind der Exposition der Handlung gewidmet. Da werden Biografien haarklein erzählt, technische Begriffe ausufernd erklärt, historische Kontexte ausgebreitet und vor allem mit skurrilen Einfällen geprahlt. In der Landschaft tummeln sich Methadon - süchtige Krokodile, menschenfressende Wildschweine, Klimaanlagen verstopfende Feuerameisen, Drohnen jagende Steinadler und überhebliche Protagonist*innen in Earthsuits. Zugegeben, manche Ausführungen mögen auf den ersten Blick originell erscheinen, doch je länger wir in diesen Kontexten verweilen, fragen wir uns: Wohin geht die Reise? Es ist der Fabulier- und Recherchier-Freudigkeit des Autors geschuldet, dass wir mit vielen unnötigen Nebenschauplätzen und blinden Motiven konfrontiert werden. Zu guter Letzt gibt es den unvermeidlichen High Noon, einen Shootout der Helden unter sengender Sonne, fast wie im Film orchestriert: Glitzernder Schwefel, mit Uran angereicherter Kobalt und glühende Hitze in einer abstrusen Gemengelage von Drohnen, Steinadlern, Klapperschlangen, Helden und Cyborgs. Erschöpft darf man sich fragen: War das nun eine „prophetische“ Climate Fiction?

Zugegeben, dieses Genre muss nicht tiefernst daherkommen, aber der schnoddrige und zynische Erzählton stört doch sehr, zumal er die Zukunft der Menschheit zu einer Kulisse für männlich dominierten Grössenwahn verformt: mit cool - lässigen Bemerkungen über den desaströsen Zustand der Welt. Es darf also (fahr-) lässig gescherzt werden, auch wenn das auf Kosten des Themas und der Ernsthaftigkeit eines Anliegens geht. Über den Sturm auf das Kapitol heisst es etwa: „Sie zogen einfach weiter, nachdem sie es der Demokratie gezeigt und sich ein paar Polizisten-Skalps gesichert hatten, und verschwanden wieder in ihren nomadischen Trailerpark - Lagern“. Das mag wohl an den Lagerfeuern im Cowboy - Land als cooler Gesprächsstil durchgehen, in der Literatur desavouiert der Erzähler damit aber sein eigentliches Vorhaben: ein konzises Stück Fiktion über die Zukunft zu erzählen. Wenn Zynismus schon die Haltung der meisten Protagonist*innen sein soll, dann sollte sich der Erzähler doch von ihnen distanzieren, anstatt ihren Launen völlig zu verfallen.


Fazit

Termination Shock ist ein barock erzählter Roman über die Auseinandersetzungen um ein Geo-Engineering Projekt der nahen Zukunft. Für Fans der Bücher von Neil Stephenson wohl ein Muss, für jene, die ein ernstes und konstruktives Stück Climate-Fiction ohne ständige Spötteleien erwarten, wahrscheinlich enttäuschend. Ob dieser Roman eine interessante Alternative zu bisher vorgelegten Klima-Narrativen sein kann, ist mehr als fraglich. Oder, wie Rebecca Evans 2022 in der Los Angeles Review on Books fragt: Sind es wirklich die Narrative von irregulären Großprojekten selbstverliebter Milliardäre, über die wir in einer Climate Fiction lesen wollen?


Pro & Contra

* interessante Ausführungen zu technischen, geografischen und historischen Themen, die einer Lexikon-Befragung standhalten
* oft spannend erzählte Handlungsfäden, aber auch enervierende, weil ungehemmte Erzählfreude
* technologiefixiert, desinteressiert am sozialen Narrativ
* zynischer und schnoddriger Stil

Wertungsterne3

Handlung: 3/5
Charaktere: 3/5
Lesespass: 3/5
Preis/Leistung: 3/5


Dies ist eine Gastrezension von Tinderness, herzlichen Dank!

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Tags: Climate Fiction