Ethem Çay (01.02.2025)

Interview mit Ethem Çay

ethem cay2025Literatopia: Hallo, Ethem! Du hast im vergangenen Jahr Dein Debüt neuveröffentlicht. „Erzählt es Gott und dem Teufel“ ist ein außergewöhnlicher SF-Roman über das „ewige Spiel um Leben und Tod“. Um was für ein Spiel geht es konkret im Roman?

Ethem Çay: Es handelt sich um einen Wettkampf. Hierbei stehen sich zwei Kämpfer*innen gegenüber, aus unterschiedlichen Zeiten kommend, nachdem sie ihr Leben auf ihrer eigenen Zeitlinie verwirkt haben, und kämpfen. Sieger ist, wer nicht tot umgefallen ist.

Dieses illustre Spiel wurde eigens dazu erdacht denjenigen, die dies und alles sehen und hören mögen, ihre Langeweile zu vertreiben.

Wer wiederum die sogenannten Weisen sind, die mit solchen und anderen Ideen aufwarten, um sich die Zeit in ihrer Zeit zu vertreiben – darüber möchte ich mich gerne ausschweigen.

Literatopia: Deine Protagonist*innen Paul und Maria hoffen jeweils auf ein neues Leben in Bangkok. Was führt sie dorthin? Und was erwartet sie dort?

Ethem Çay: Was sie nach Bangkok führt, ist weniger die Hoffnung auf ein neues Leben, als viel mehr nur die nächste Runde im Spiel. In einer Reihe von Kämpfen, die sie zur Lust und Laune derer, die dies sehen und hören mögen, ausgefochten haben, hat der Zufall sie einander zugeführt und in das Bangkok aus dem Jahr 2016 verfrachtet.

Literatopia: Erzähl uns mehr über Paul und Maria. Was sind sie für Menschen?

Ethem Çay: Paul und Maria sind zwei aus der Zeit Gefallene, die von den Weisen auserwählt wurden, um zu kämpfen, bis der Tod ihrem zweiten Leben ein Ende bereitet. Während Paul sich nun – am Ende eines langen Weges angekommen, über etliche Leichen steigend – volllaufen und eine Bandbreite von charakterlichen Baustellen erahnen lässt, hat Maria, die in ihrer Tarnung wie stets ganz gut aufgeht, im Grunde nichts anderes im Sinn, als ihr Gegenüber zu finden und zu töten.

Das Buch erzählt aber nicht nur von der blutigen Begegnung der beiden in Bangkok, auch wenn dies die Rahmen gebende Handlung des Buches ist. Die Erzählinstanz berichtet auch ausführlich von deren ersten Leben und schildert, wie Paul und Maria selbst den Grundstein dafür legen, um von den Weisen und ihren Schergen für ihr Spiel auserkoren zu sein.

erzaehlt es gott und dem teufelLiteratopia: Auf Deiner Website beschreibst Du Deinen Roman unter anderem so: „viel Krach und Bäng, eine Menge Blut“ – klingt ein wenig nach Quentin Tarantino? Wie brutal ist der Roman wirklich? Und bleibt zwischendurch Zeit zum Durchatmen?

Ethem Çay: Den Vergleich mit Tarantino haben recht viele meiner Rezensent*innen gezogen. Mir selbst wurden die Parallelen erst im Nachgang – lange nachdem der Roman beendet und das zweite Mal veröffentlicht worden war –  bewusst. Tatsächlich bin ich selbst ein großer Fan und finde die stilistische Überzeichnung von Kampf und Action unfassbar spannend und ansprechend. Ebenfalls kann ich hierbei – vor allem in Hinblick auf das letzte Kapitel, in dem alle Figuren und Handlungsstränge zusammenlaufen und mit einem letzten Knall von der Bühne gehen – auf die John Wick-Filme hinweisen. Diese sind in ihrer Kampforchestrierung und -choreographie, in all ihrer herrlichen Ungeschliffenheit und Rohheit, aber auch ihrer Schnelligkeit stille Vorbilder gewesen. Ebenfalls möchte ich auf die Eleganz von Andrzej Sapkowksis Kampfszenen in den Hexer-Büchern hinweisen. Die Inspiration für all die Drehungen und Streiche und die Flüssigkeit der Kampfhandlungen habe ich von dort.

Nichtsdestoweniger bilden diese blutigen und kraftvollen Momente nur einzelne von vielen erzählerischen Aspekten des Buchs ab. Sie wechseln mit ruhigen Passagen, emotionalen, ja liebevollen Zwischenschüben. Wir erfahren viel über das Leben von Maria, wovor sie geflohen ist und bei wem sie Zuflucht gefunden hat und welche Geister der Vergangenheit sie einzuholen versuchen.

Während dieser ruhigeren Passagen holt die Leserschaft zwar Luft, spürt jedoch, wie sich im Hintergrund etwas auflädt, ja bis zum Zerreißen anspannt.

Literatopia: Die Handlung von „Erzählt es Gott und dem Teufel“ erstreckt sich über unterschiedliche Zeiten und Leser*innen vergleichen das Buch mit „Cloud Atlas“ – inwiefern passt dieser Vergleich?

Ethem Çay: Insbesondere dieser Vergleich hat mich unendlich glücklich gemacht. David Mitchell ist neben Stephen King mein absoluter Lieblingsautor. In seinem Roman „Cloud Atlas“ zeichnet er sechs Lebenswege. Diese könnten unterschiedlicher nicht sein. Sie sind zwar über mehrere Jahrhunderte voneinander getrennt,  jedoch auf kunstvolle Art miteinander verwoben. Alles hängt zusammen.

Sowohl erzählerisch als auch thematisch bricht „Cloud Atlas“ mit den Konventionen und bildet nichts anderes als die Welt als solche ab. In den Lebensgeschichten spiegelt sich die Menschheitsgeschichte wieder.

Die Verbundenheit über Kontinente und Zeiten hinweg, der Sprung ins Wasser der Zeit und das Baden darin, aber auch das Rühren an das Große und Ganze, das Menschliche an sich, das, was meine Figuren über all die Jahre und Jahrhunderte hinweg verbindet und wie sie – sowohl im Guten als auch im Bösen – durch Eros und Thanatos, Liebe und Tod, das Sterben und das Leben miteinander verwoben und verbunden sind: Hierin kann man einige Parallelen zu Mitchells „Cloud Atlas" erkennen.

Ebenso was die zarten und feinen Nuancen in der Figurenkonzeption angeht: Da bin ich klar ein Kind David Mitchells, aber auch eines von Stephen King. Der versucht ja meist nicht nur seinen Hauptfiguren, sondern auch in epischer Breite all seinen Nebenfiguren gerecht zu werden und ihnen die notwendige Tiefe zu verleihen. Dem Credo habe ich mich ebenfalls verpflichtet gefühlt, sodass ich sogar einer Nebenfigur das gesamte Kapitel X gewidmet habe.

Wenn man sich die sprachliche Bandbreite von „Erzählt es Gott und dem Teufel“ zu Gemüte führt, so reicht die Palette von den blumigsten Fluchtiraden und Ausfällen der Figuren bis hin zu sanften, lyrischen Tönen des Erzählers. Auch hier kann man einige Parallelen zu Mitchells Roman vermuten, in die jemand eine Prise King beigemischt hat.

Abschließendes zur Form meines Romans: Auch hier beschreite ich einen eher unkonventionellen Weg. Der Roman ist zwei Mal zweigeteilt. Damit ich nicht Gefahr laufe, Inhaltliches preis zu geben, schweige ich nun an dieser Stelle.

Literatopia: Du hast „Erzählt es Gott und dem Teufel“ schon einmal veröffentlicht, das Buch aber wieder vom Markt genommen – warum? Und wie bist Du dann zum Selfpublishing gekommen?

Ethem Çay: Das ist schnell abgehandelt. Ich hatte, nachdem ich dem Buch einige Monate Zeit beim alten Verlag gegeben habe, anderes im Sinn. Also habe ich kurzerhand den Vertrag aufgelöst und mich erneut umgesehen. Auf das Selfpublishing bin ich dann gekommen, als mir Verlage und Agenturen mehrmals spiegelten, das Buch sei zwar gut, jedoch als Crossover-Ding, bestehend aus Science Fiction, Thriller, Entwicklungsgeschichte und weiß der Teufel was noch drin steckt, erst einmal nicht so klar und gut zu vermarkten.

Da hat sich mir das Selfpublishing geradezu aufgedrängt.

ethem cay lucyLiteratopia: Hinter Selfpublishing steckt oft jede Menge Arbeit. Welches Fazit ziehst Du für Dich? Ist Selfpublishing der richtige Weg für die Zukunft?

Ethem Çay: Eine Menge Arbeit ist es mit Sicherheit: Man kümmert sich nicht nur um das Schriftstellerische, das Schreiben – das für sich genommen ja schon ein weites Feld ist – sondern übernimmt alles, was im Anschluss mit dem fertigen Manuskript zu tun ist. Vom ansprechenden Buchsatz bis hin zur Frage nach der richtigen Veröffentlichungsplattform, von der Covergestaltung bis hin zum Marketing. Da gilt es etliches zu klären. Was gibt man ab – es gibt fantastische Coverdesigner*innen und Setzer*innen, ebenso die Frage nach dem Lektorat kommt auf, was bei mir zum Glück nicht mehr nötig war, da ich mein fertig lektoriertes Buch noch von der Zusammenarbeit mit dem Altverlag mitgenommen habe.

Am Ende des Tages, glaube ich, war es das Richtige für mein Debüt. Ob daraus jedoch für mich folgt, dass ich auch in Zukunft kommende Werke über das Selfpublishing veröffentlichen möchte, kann ich noch nicht sagen.

Ich arbeite ja auch grade wieder mit einem Verlag zusammen, wo eine Novelle erscheinen soll und habe eine weitere Kurzgeschichte bei einem Herausgeber, der seinen Sammelband ebenfalls bei einem Verlag herausbringt; von daher bin ich weiterhin für alles offen.

Literatopia: Du hast eine Playlist zu Deinem Roman erstellt. Was findet sich unter anderem darauf? Und hörst Du Musik beim Schreiben?

Ethem Çay: In der Liste findet man einen ziemlich wüsten und wilden Mix aus allem, was ich so mag: Klassische Musik, Folksounds, Singer-Songwriter-Zeug, guter Rap sowie grelle und laute Rock- und Gittarenstücke. Im Grunde genommen passt jeder Track auf der Playlist in irgendeiner Weise zu dem, was man im Roman zu lesen bekommt. Eine Erläuterung hierzu findet man auf meiner Website.

Ich persönlich schreibe nie ohne Musik. Dabei variiert das, was ich höre, stark. Mal laut und krachend, mal still und eher minimalistisch; in letzter Zeit höre ich beim Schreiben oft meine liebste Filmmusik, meist zu Serien wie "Stargate", "Lost" oder aber auch die Musik aus Filmen wie "Cloud Atlas", "Secret Window" oder den "Star Wars"-Filmen. Ich höre vieles.

Literatopia: Du hast Dich kreativ in vielen Bereichen ausprobiert, unter anderem in der Fotografie, aber das Schreiben hat Dich am meisten gefesselt. Wann und wie hast Du angefangen mit dem Schreiben?

Ethem Çay: Ich habe in jungen Jahren super gerne gezeichnet und fotografiert, weil ich schon immer fasziniert war von Bildern und dem, was sie transportieren und mit den Betrachtern so alles anstellen können. Irgendwann jedoch, auch wenn mir das Fotografieren als Hobby geblieben ist (und sich das Zeichnen im Laufe der Jahre von mir verabschiedet hat), habe ich das Schreiben für mich als die ultimative Kunstform entdeckt, mit der man Bilder und damit verbunden Welten erschaffen kann. Das Wort als solches ist der allumfassende Pinsel und zugleich die Linse, die am Tiefsten reicht.

Mit dem Schreiben habe ich angefangen, als ich inmitten von Kings Saga über den Dunklen Turm dachte: Das will ich auch. Da war ich keine 19, saß an meinem Schreibtisch, den ich bald für ein Studium der Germanistik und Geschichte in Heidelberg verlassen sollte, und tippte die ersten Worte einer Story in die Tasten.

Seitdem mache ich das, auch wenn ich erst im Jahr 2021 zu veröffentlichen begonnen habe.

Literatopia: Du sagst, wenn Du schreibst, bist Du Dir selbst am nächsten – kannst Du das näher erläutern?

Ethem Çay: Wenn ich schreibe, schreibe ich und alle andere ist alles andere. In dem Moment, wo Arbeit und Alltag zurückfallen und ich im Umfeld meiner kleinen Familie an einer Story sitze und arbeite, bin ich voll und ganz bei mir. Ich lote Abgründe aus, kreiere Welten, die es vorher nicht gab, verwebe Schicksale miteinander und reise durch Zeiten, die ich nur aus Büchern kenne und doch bin ich – je weiter ich mich von mir und meinem Schreibtisch entferne – so nah bei mir und dem, was mich umtreibt und antreibt, wie sonst zu keinem Zeitpunkt.

Literatopia: Was fasziniert Dich persönlich an Science Fiction beziehungsweise Phantastik?

Ethem Çay: An Science Fiction im Speziellen fasziniert mich u.a. der Griff in die Zukunft. Man kann in diesem Genre das, was um uns herum passiert, in die Zukunft weiter denken und durchdeklinieren. Das hatte schon immer, seit ich dem Genre lesend und schauend begegnet bin, einen irrsinnigen Reiz auf mich ausgeübt. Ebenso ist man in der Lage mit phantastischen Erzählmitteln die Figuren in Settings zu versetzen, die nicht nur aufregend und spannend, abenteuerlich oder zauberhaft, utopisch oder dystopisch, sondern auch in der ein oder anderen Form relevant sind. Relevant deshalb, weil wir zutiefst menschliche Regungen wie Liebe und Hass, Freude und Trauer, aber auch Kategorien wie Gut und Böse mit all den Graustufen dazwischen, oder aber auch Rache und Vergeltung, Nächstenliebe und Tugendhaftigkeit und noch vieles mehr – all das –  in einem neuen Gewand präsentieren und ansprechend für die Leserschaft durchspielen können.

Ebenso kann man bspw. in der Science Fiction relevante Problemfelder unserer heutigen Gesellschaft in Zukunftsszenarien versetzen und Themen durchspielen wie beispielsweise die Klimakrise und damit einhergehende Migrationsbewegungen, die in naher Zukunft wohl kommen werden, damit verbunden aber auch Migrationsgeschichten an sich und daran gekoppelt die erschreckenden –  leider wieder tagesaktuellen – Eskalationen innerhalb der politischen Landschaft.

Ohne zu viel verraten zu dürfen, habe ich an einer Story gearbeitet, in der u.a. das Thema Migration behandelt wird, ich frage hierbei indirekt nach dem, was als fremd wahrgenommen und wie in welchen gesellschaftlichen Schichten damit umgegangen wird. Diese Themenbandbreite wird jedoch in eine völlig andersartiges Zukunft verfrachtet und erzählt.

Man kann in der Phantastik aktuelle, relevante Themen durchspielen, ohne in der Ausgangszeit verhaften zu sein.

homo homini virusLiteratopia: Hast Du literarische Vorbilder? Welche Autor*innen und Werke haben Dein Schreiben beeinflusst?

Ethem Çay: Etliche; um jedoch einige wenige zu nennen, über die ich auch schon sprach: Stephen King, mit all seinem Schaffen und Erzählen und der Tiefe, die er seinen Romanen und Figuren verleiht, ist er mein absoluter Lieblingsautor, von dem ich alles gelesen habe. David Mitchell folgt auf ihn, mit seinem Griff nach dem Großen und der Welt, die bei ihm in jeder kleinsten Begebenheit aufkommt und in den kleinen, scheinbar nichtigen Begegnungen von Menschen hervor scheint, damit hat er sich seit jeher in mein Herz geschrieben. Ich liebe an ihm auch, wie flüssig und zugleich in die Tiefe reichend seine Sprache ist.

Literatopia: Auf Social Media teaserst Du Deinen Roman „Kay’ra“ an, den Du in diesem Jahr beenden möchtest. Kannst Du uns abschließend etwas mehr darüber verraten? Das Cover sieht nach Cyberpunk aus?

Ethem Çay: Absolut. Wir tauchen ein in eine Zukunft, in der die Milchstraße erschlossen ist. Auf der Story liegt eine Patina aus Rost und Schmutz. Dunkle Straßen, grelle Lichter mit Namen von Bars und Clubs, die sich in bonbonfarbener Lichtreklame anpreisen, in ihrer Entsprechung mit ebenso dunklen Weiten des Alls, die durch kosmisches Leuchten und Anomalien unterbrochen werden.

Gangster und Piraten, Räuber und Banditen, Kopfgeldjäger und Syndikatsbosse, die auf einsamen Asteroiden zusammenfinden, sich unter vor Schmutz starr gewordenen Kuppeln verstecken. Selbsternannt Gute, die wirklich alles sind, außer das, was der Firmenname verspricht und mittendrin:

Kay’ra, die Hauptfigur des Romans begegnet uns als Gejagte und Eingesperrte, die sich zwar befreit, jedoch auf der Liste einiger Kopfgeldjäger auftaucht, die der Leserschaft von „Erzählt es Gott und dem Teufel“ bekannt sein sollten.

Mehr möchte ich noch nicht darüber verraten. Nur so viel: Man bekommt das, was man von meinem ersten Roman kennt und noch ein wenig mehr ;)

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!


Autotenfoto: Copyright by Ethem Çay

Website: https://ethemcay.com


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.