Tod der Autorin (Birgit Rabisch)

duotincta (Dezember 2024)
Taschenbuch, 384 Seiten, 20,00 EUR
ISBN: 978-39460867722

Genre: Belletristik / Autofiktion


Klappentext

Die Autorin lädt anlässlich ihres siebzigsten Geburtstags die Hauptfiguren ihrer elf Romane zum feierlichen Dinner ein.

Während der Tischgespräche lotet sie aus, was ihr Leben und Schreiben geprägt hat. Natürlich spielt die Liebe die Hauptrolle: die erotische Liebe, die Elternliebe, die Kindesliebe – im Gelingen wie im Scheitern. Aber auch ihre Auseinandersetzung mit Feminismus und Mutterschaft, der Gentechnologie und optimierter Fortpflanzung, der Gewalt im Politischen und mit ihrer mörderischen Familienvergangenheit hat sie ihren Romanfiguren eingeschrieben. Jetzt versucht sie, aus ihren Texten ihr Leben zu entziffern und erschreibt sich mit Hilfe ihrer literarischen Fiktionen eine höchst lebendige Version ihrer Biografie.

Die zwar persönlichen, aber dennoch universellen Fragen, die in Tod der Autorin behandelt werden, machen eine Lektüre nicht nur für Fans von Rabischs Werk zu einem kurzweiligen und bereichernden Leseerlebnis.


Rezension

„Welche Autorin ist ein unbeschriebenes Blatt, das beschriebene Blätter produziert? Heißt es nicht immer: Literatur braucht einen Glutkern, eine innere Dringlichkeit, einen unwiderstehlichen Antrieb, sonst ist alles nur Oberfläche und Kunsthandwerk?“ (Seite 73)

In ihrem neusten Werk „Tod der Autorin“ widmet sich Birgit Rabisch der Metaebene ihres Schaffens und greift das literarische Konzept vom sogenannten „Tod des Autors“ auf, das die Kontrolle über das eigene Werk und hier insbesondere über die eigenen Figuren in Zweifel zieht. In elf Romanen hat Rabisch eine ganze Reihe außergewöhnlicher Romanfiguren erschaffen, insbesondere auch starke und facettenreiche Frauenfiguren, die nun mit ihr gemeinsam bzw. mit ihrem literarischen Alter Ego auf ihre Geschichten zurückblicken – und auf das Leben der Autorin. Man muss übrigens Rabíschs Bücher nicht gelesen haben, um an diesem Werk seine Freude zu haben, doch je nachdem wird man einen anderen Zugang zu „Tod der Autorin“ finden.

Die (fiktive) Autorin hat die Idee, eine Auswahl ihrer Romanfiguren, die Protagonist*innen sowie wichtige Nebenfiguren, zu einem „Dinner 70“ einzuladen und mit ihnen ihren Geburtstag zu feiern. Als Autorin gestaltet sie die Party ganz nach ihren Vorstellungen und legt eine Sitzordnung fest, die ganz unterschiedliche Romanfiguren zusammenbringt. Und so kann die Autorin während ihrer fiktiven Feier von Tisch zu Tisch schreiten und gemeinsam mit ihren Figuren auf deren Leben zurückblicken. Dabei werden auch Details verraten, die es nicht in die Bücher geschafft haben, die aber im Kopf der Autorin existieren. Doch auch, wenn die Autorin viel mehr über ihre Figuren weiß als die Leser*innen, so wird auch sie von ihnen überrascht – und in diesem Werk auch angeklagt, schließlich hat sie ihren Figuren jede Menge Schicksalsschläge oder gar die Existenz in Dystopien aufgebürdet.

„Das autobiographische Schreiben – kann es wahr sein? Kann es natürlich nicht. Selbst wenn ich um die Wahrheit bemüht über mein Leben schreiben würde, wäre es nur die Fiktion, die sich in meinem Erinnerungsprozess verfestigt hat.“(Seite 134)

„Tod der Autorin“ zeigt eindrucksvoll, wie Rabisch ihre Figuren gestaltet hat, vor allem welche Ereignisse und Begegnungen in ihrem Leben sie zu ihren Figuren inspiriert haben, in denen viel von jenen Menschen steckt, die der Autorin nahe stehen/standen. Natürlich stecken auch Teile ihres Selbst in unterschiedlichen Figuren. Doch auch wenn Rabisch hier viel Persönliches preisgibt, so kann man sich an keiner Stelle sicher sein, was real und was fiktiv ist – und ob es wirklich einen so großen Unterschied macht. Biographie und Fiktion verschwimmen in den Gesprächen mit ihren Figuren, überlagern sich mit deren Geschichten und zeigen so, wie die Bücher entstanden sind, wie aus Ideen Handlungselemente und Charaktere wurden.

In Rabischs Werk spielen vor allem Frauen wichtige Rollen. Sie lässt sie als Wissenschaftlerinnen an weltbewegenden Entwicklungen teilhaben, erzählt von komplizierten Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern und widmet sich gerne den als banal verunglimpften und dabei so elementaren Emotionen wie der Liebe. Die Autorin selbst ist eine bemerkenswerte Frau, die hier unter anderem die Geburten ihrer Kinder beschreibt, die eine traumatisch, die andere fast schon kitschig schön. Und so, wie es sie in ihrem Leben beschäftigt hat, unter welchen Bedingungen Frauen Kinder gebären, so widmet sich Rabisch auch in Romanen wie „Duplik Jonas 7“ und „Unter Markenmenschen“ dem Thema Reproduktion, jeweils in Dystopien, in denen es um Entmenschlichung und das Streben nach Gesundheit – auf Kosten anderer – geht.

„Ich sollte mir mein Mitleiden für reale Menschen aufsparen. Oder? Aber meine Empathie speist die Lebensader meiner Romane. Wenn die nicht pulst, nützt die kunstvollste Wortakrobatik nichts.“ (Seite 331)

In ihren Werken blickt die Autorin nicht nur in eine unheilvolle Zukunft, sondern wirft auch den Blick zurück in düstere Zeiten der deutschen Geschichte, betrachtet die Weltkriege und die Rolle ihrer Großmutter in der Weimarer Republik. Rabisch sieht sich nicht als SF-Autorin, doch sie hat wichtige Dystopien verfasst und widmet sich auch in ihren zeitgenössischen Romanen der (Natur-)Wissenschaft sowie ihren Auswirkungen auf Menschen. Gentechnologie ist eines der Themen, die sie lebenslang besonders beschäftigt haben, aber auch die Atombombe. Entsprechend nimmt ihre Beteiligung an der Anti-Atomkraft-Bewegung Raum in diesem Werk ein. „Tod der Autorin“ ist somit vor allem auch für junge Menschen, die sich politisch links verorten, eine spannende Lektüre – und man fühlt sich verbunden mit dieser Frau, die ihr ganzes Leben für das eintrat, was auch heute noch viele junge Menschen, vor allem Frauen, beschäftigt. Dieses ist Buch ist zugleich ermutigend und entmutigend, scheint der Kampf um eine bessere Welt doch niemals zu enden.

Spannend ist auch die Figur Giferto, der Geist des verstorbenen Mannes der Autorin (der Mann der realen Autorin lebt zur Zeit der Veröffentlichung dieses Romans noch). Giferto erscheint immer wieder mal, vor allem dann, wenn die Autorin ins Grübeln gerät und ihre Gedanken abschweifen. Über seine Kommentare kann man schön schmunzeln, kennt er doch die Autorin besser als jeder andere Mensch. Die beiden sind verwandte Seelen und in ihren Dialogen steckt viel Humor und vor allem viel Liebe. Überhaupt erscheint dieser Roman als echtes Herzblutwerk, in dem man der Autorin sehr nah kommt und viel über ihre Art zu denken und die Welt zu sehen erfährt. Rabisch ist es gelungen, ein ganzes Autorinnenleben voller Höhen und Tiefen in unter vierhundert Seiten zu erzählen. Man erfährt viel über den Schreibprozess, über die Verflechtungen von Realen und Fiktivem, über die inneren Konflikte, die Autorinnen austragen, und vor allem bekommt man Lust auf die Romane, die man noch nicht gelesen hat.

„Die Literatur kann die Wunden der Realität nicht heilen. Im Gegenteil: Sie reißt sie immer wieder auf.“ (Seite 195)


Fazit

In „Tod der Autorin“ verschmelzen biographische und fiktive Elemente zu einer einzigartigen Rückschau auf ein literarisches Werk, das sich insbesondere mit Feminismus und (Natur-)Wissenschaft auseinandersetzt. Birgit Rabisch gewährt tiefe Einblicke in den Schreibprozess und in die Gestaltung ihrer Figuren, die sie als Autorin zwar erschaffen hat, aber die sich mit der Veröffentlichung ihrer Kontrolle entziehen. Zugleich gewährt sie sehr persönliche Einblicke in ihr Leben, das sich in ihren Romanen spiegelt, und man ist tief beeindruckt von dieser Autorin und ihrem Werk.


Pro und Contra

+ autofiktiver Rückblick auf ein Autorinnenleben
+ spannende Verflechtung von Biographischem, Historik und Fiktion
+ tiefe Einblicke in den Schreibprozess und insbesondere die Figurengestaltung
+ große Themenvielfalt, schwerpunkmäßig Feminismus und Wissenschaft
+ Rabischs Figuren sind allesamt Menschen mit Ecken und Kanten
+ zeigt auch die Schattenseiten eines Autorinnenlebens
+ ein Buch voller Liebe, Hoffnung, Schmerz und Menschlichkeit

o enthält der Form entsprechend Spoiler für die vorangegangenen Romane

Wertungsterne5

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5


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