p. machinery (Dezember 2024)
Taschenbuch, 340 Seiten, 21,90 EUR
ISBN 978-3957654335
Genre: Science Fiction
Klappentext
Der Mensch ist ein Seil geknüpft zwischen Tier und künstlicher Intelligenz. Ein Seil über einem Abgrund.
[Frei nach Friedrich Nietzsche, »Also sprach Zarathustra«.]
Nora lebt in einem idyllischen Dorf, behütet von Maschinen, frei von Krankheit – eine letzte Bastion der Menschheit, umgeben von Wildnis. Doch als sie die Grenzen ihrer Welt überschreitet, erkennt sie, dass ihr Leben Teil eines gigantischen Experiments ist. Der einzige Weg zu Freiheit und Selbstbestimmung führt durch die Flucht vor ihrem vermeintlichen Beschützer.
Rezension
“Der Olymp ist der Platz der Götter. Ich glaube, dass die Maschinen nun dort sitzen, doch niemand von uns weiß, worum es wirklich geht.“ (Seite 68)
Nora ist in einem kleinen Dorf in den Bergen aufgewachsen und träumt davon, hinaus in die Welt zu ziehen und irgendwann einmal die Weltraumaufzüge der Maschinen von Nahem zu sehen. Doch außerhalb herrscht die Wildnis und Rob, der Roboter, der ihr Dorf beschützt, würde niemals zulassen, dass Nora die Grenzen überschreitet. Rob hat sie ausgewählt, um sie Wissenschaft und Geschichte zu lehren. Er ist es auch, der den Menschen erzählt, dass ihre Vorfahren die Erde an einen Abgrund führten und sie die letzten Überlebenden sind. Ein kleines Dorf mit wenigen hundert Menschen, beschützt von einer Maschine, an deren Worten Nora immer mehr zweifelt. Zu vieles ergibt keinen Sinn und zu oft drückt sich Rob um eine Antwort. Nora ist fest entschlossen, das Dorf zu verlassen und Antworten auf ihre Fragen zu finden. Doch ihr Weg hält verstörende Wahrheiten bereit …
Das Cover und auch der Titel „Das zweigeteilte All“ lassen Science Fiction in Space vermuten, allerdings konzentriert sich die Handlung auf die zukünftige Erde, die sich dank intelligenter Maschinen von der Klimakrise erholt hat. Die Menschheit wurde dennoch stark dezimiert, es gibt offenbar nur noch kleine Dörfer, die alle von Robotern wie Rob beschützt werden und die jeweils von der Existenz anderer Dörfer nichts wissen. Die Maschinen belügen die Menschen und es genügt ein Befehl, um aus einem Beschützer einen Massenmörder zu machen. Bereits im Prolog zeigt Ralph Alexander Neumüller, wie erschreckend leicht ein Roboter zwischen der Rolle des fürsorglichen Beschützers und der eines eiskalten Vollstreckers wechselt. Entsprechend ahnt man Schlimmes für Noras Dorf, in dem Rob mit den Menschen zusammenlebt, mit ihnen arbeitet, sich um ihre Kinder kümmert und dabei jederzeit zu ihrem Mörder werden könnte.
Nora ist ausgesprochen willensstark und wissbegierig, sodass früh abzusehen ist, dass sie es nicht mehr lange im Dorf aushält. Gemeinsam mit ihrem ruhigen Freund Peter gelingt es ihr, beim Almauftrieb zu verschwinden und die Welt außerhalb zu erkunden. Was sie südlich ihrer Berge entdecken, wirft jede Menge neue Fragen auf, denn es gibt Menschen zwischen den Ruinen und die erzählen ihnen eine ganz andere Version der Geschichte. Nora erkennt, dass ihre Familie in Gefahr ist und kehrt zum Dorf zurück, von wo aus sie bald erneut die Flucht antreten muss. Dieses Mal begleitet sie eine größere Gruppe von Menschen Richtung Norden, allerdings bleiben diese Menschen eine mehr oder weniger gesichtslose Masse, aus der nur wenige Personen herausstechen. Überhaupt bleiben die Nebenfiguren meist blass, selbst Peter, der eine wichtige Bezugsperson für Nora ist, während sie als Protagonistin als vielschichtige junge Frau dargestellt wird, die all die Fragen stellt, die auch die Leserschaft beschäftigt.
Neben Noras Geschichte besteht der Roman aus mehreren Kurzgeschichten, die die Vergangenheit näher beleuchten und einige der offenen Fragen beantworten. Vor allem die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass die Menschheit so stark dezimiert wurde, wo doch die Klimakrise dank der Maschinen eingedämmt wurde und es weder Krieg noch andere verheerende Katastrophen gab. In Noras Geschichte fragt man sich, warum die Roboter ganze Dörfer auslöschen, ob es wirklich Maschinen sind, die die Dörfer als Experimente betreiben, ob es „gute“ und „böse“ Maschinen gibt und vor allem, ob es in einer vermeintlichen Menschenstadt wirklich freie Menschen gibt und wie diese zu den Dörfern und zu den Maschinen stehen. In den an die Romanhandlung anschließenden Kurzgeschichten geht es dann mehr darum, zu zeigen, wie die Menschheit von intelligenten Maschinen verdrängt wurde – durch einen schleichenden Prozess, der während dem Lesen erschreckend realistisch erscheint .
Ralph Alexander Neumüller widmet sich in „Das zweigeteilte All“ verschiedenen Arten Künstlicher Intelligenz, die in der Zukunft immer mehr Aufgaben von Menschen übernimmt, auch kreative, und in allem besser wird als ihre Schöpfer. Während die Menschen in einer evolutionären Sackgasse angekommen zu sein scheinen, entwickeln sich die Maschinen rasant weiter und schaffen schließlich den Sprung ins All, wo sie sich weiter ausbreiten. Die Menschen interagieren vor allem mit humanoiden Maschinen, doch es gibt sie in unterschiedlichsten Versionen, die im Roman jedoch nur erwähnt werden. Der Autor bietet eine Reihe interessanter Gedanken zum Thema Künstliche Intelligenz, die die Menschheit in erschreckendem Tempo überholt, sodass eine Koexistenz zunehmend schwieriger wird. Spannend sind insbesondere Tagebucheinträge, in denen ein Roboter von seinen Begegnungen mit einem Menschen erzählt, der vor Noras Zeit quasi als Anwalt der Menschheit mit den Maschinen verhandelt hat. Und dieser Roboter taucht wiederum in Noras Geschichte und in den folgenden Kurzgeschichten auf, wodurch sich am Ende quasi der Kreis schließt.
„Das zweigeteilte All“ ist ein komplexes Werk voll spannender Ideen, über die es sich lohnt, nachzudenken. Leider überzeugen neben Nora nur sehr wenige Figuren und die Handlung schreitet oftmals sprunghaft voran. Die Darstellung von Gewalt ist kalt und steril, das durch sie verursachte Leid betrachtet man entsprechend distanziert. Einzig durch Nora und später durch Peter werden die Konsequenzen der Gewalt erleb- und spürbar. Die Figuren in den Kurzgeschichten sind der Leserschaft näher als Noras Mitmenschen. Was sie erleben, zeichnet sich teilweise schon an unserem Horizont ab. Ralph Alexander Neumüller widmet sich unterschiedlichsten Problemen mit Künstlicher Intelligenz, beispielsweise beim Schaffen von Kunst oder durch die Manipulation von Menschen. Auch das System Kapitalismus, der menschliche Gier fördert, trägt zur fatalen Entwicklung hin zum Aussterben bei. Letztlich schickt der Autor einen Roboter auf Sinnsuche, wodurch ein Mensch erkennt, dass das Ende seiner Spezies gekommen ist. Doch "Das zweigeteilte All" ist keine reine Dystopie, sondern sucht auch nach Lösungen für eine friedliche Koexistenz.
“Die Menschheit ist auf die Künstliche Intelligenz zugetorkelt wie ein Betrunkener auf eine Schnellstraße in der Nacht …“ (Seite 225)
Fazit
„Das zweigeteilte All“ widmet sich dem aktuellen Thema Künstliche Intelligenz und zeigt eine postapokalyptische Zukunft, in der die Menschen von intelligenten Maschinen verdrängt wurden und nur noch als kleine, von Robotern überwachte Dorfgemeinschaften vorkommen. Ralph Alexander Neumüller bietet spannende Wendungen und ergänzt die Romanhandlung mit Kurzgeschichten, die Spotlights auf den Niedergang der Menschheit werfen.
Pro und Contra
+ postapokalyptisch anmutende Zukunftsvision
+ spannende Gedanken zum Verhältnis zwischen Menschen und intelligenten Maschinen
+ Nora ist eine willensstarke, wissbegierige und mutige junge Frau
+ spannende Suche nach Antworten mit Überraschungen
+ eingeschobene Tagebucheinträge, die viele Fragen beantworten
+ anschließende Kurzgeschichten, die die Zeit vor der Romanhandlung näher beleuchten
+ kleine lyrische Einschübe
+ cooles Cover, das erst andere Erwartungen weckt, aber letztlich doch sehr gut passt
- blasse Nebenfiguren in Noras Geschichte
- kalte, sterile Darstellung von Gewalt
Wertung:
Handlung: 4/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5