Interview mit Steven Lee Anderson
Literatopia: Hallo, Steven! Deine Science-Fiction-Trilogie „Juno“ erzählt von der Besiedlung eines fernen, erdähnlichen Planeten. Im ersten Band „Aufbruch in eine neue Welt“ verlässt das Raumschiff Arcadia die von der Klimakrise und Pandemien gebeutelte Erde. Die Plätze dort sind rar – wie schaffen es Deine Protagonist*innen, Liu und Enyo, an Bord zu kommen?
Steven Lee Anderson: Oje, wie erkläre ich das, ohne zu spoilern?
Tatsächlich sind die Plätze auf der Arcadia streng limitiert – und längst vergeben. Liu und Enyo stehen auf keiner offiziellen Liste, sie haben eigentlich keine Chance, an Bord zu kommen. Wie sie es dennoch schaffen, entfaltet sich im Lauf des ersten Bandes. Deshalb kann ich nur so viel verraten: Ein glücklicher Zufall spielt Liu in die Hände – doch es ist ihr Scharfsinn, der ihr letztlich den Weg auf die Arcadia ebnet.
Enyo hingegen… nun ja, er ist kein Stratege, sondern eher ein Draufgänger mit Herz. Statt sich anzupassen, legt er sich lieber mit der Mafia an – und bringt sich dadurch gehörig in Schwierigkeiten. Es ist weniger Kalkül als Charme, der ihn am Ende rettet. Beide gehen ganz unterschiedliche Wege – aber genau das macht sie als Duo so spannend.
Literatopia: Erzähl uns mehr über Liu und Enyo – was sind sie für Menschen? Was liegt hinter ihnen? Und was erhoffen sie sich für die Zukunft?
Steven Lee Anderson: Liu und Enyo gehören zu den zentralen Figuren der Juno-Trilogie. Mit Liu beginnt die Geschichte – vom Prolog einmal abgesehen – und Enyo war tatsächlich die erste Figur, die ich überhaupt für das Projekt entwickelt habe. Beide tragen ihre ganz eigenen Geschichten mit sich – voller Brüche, Verluste und Überlebenswillen –, und dennoch haben sie sich ihren Humor bewahrt. Gerade durch die beiden entstehen viele witzige Momente.
Sie stammen aus völlig unterschiedlichen Welten – und genau das macht ihr Zusammenspiel so spannend. Liu wächst in den Slums einer chinesischen Megacity auf, wo es ums nackte Überleben geht. Sie stiehlt, schlägt sich durch und lebt von Tag zu Tag, weil niemand dort alt wird. Und doch bewahrt sie sich ihre Menschlichkeit – das ist letztlich ihr Schlüssel, um nicht nur auf die Arcadia zu gelangen, sondern später auch auf Juno zu bestehen.
Enyo ist da ganz anders: ein Draufgänger, der sich immer wieder selbst in Schwierigkeiten bringt. Seine größte „Leistung“ ist es wohl, dass ihm irgendwann die gefährlichste Mafiabande des Sonnensystems nach dem Leben trachtet. Aber er ist auch jemand, der sich nicht so leicht unterkriegen lässt – charmant, risikofreudig, mit einem erstaunlichen Talent, sich selbst aus ausweglosen Situationen zu befreien. Dass er es am Ende auf die Arcadia schafft, sorgt nicht nur für Überraschung – sondern auch für Schlagzeilen.
Liu und Enyo sehen in der Reise nach Juno vor allem eines: die Chance, ihren alten Ballast abzuwerfen. Sie hoffen auf einen echten Neuanfang. Damit stehen sie symbolisch für die gesamte Reise der Arcadia.
Literatopia: Wie verläuft die Reise der Arcadia? Und wer macht Liu und Enyo das Leben schwer?
Steven Lee Anderson: Zum Flug selbst möchte ich an dieser Stelle bewusst nichts verraten – einfach, weil die Gefahr von Spoilern zu groß ist. Am Ende von Band 1 hebt die Arcadia ja gerade erst ab, und ich habe von einigen Leser*innen gehört, dass sie danach sehr gespannt waren, ob der Flug reibungslos verläuft oder ob etwas Schlimmes passiert. Deshalb würde ich den Begriff „Reise“ hier gerne etwas weiter fassen – nämlich als die gesamte Entwicklung über alle drei Bände hinweg.
Auf dieser Reise stoßen Liu und Enyo auf viele Hindernisse – und das schon lange bevor sie überhaupt an Bord der Arcadia gehen.
Im weiteren Verlauf verschieben sich die Konflikte. Es geht nicht mehr nur ums Überleben oder den Platz an Bord – sondern um die größere Vision: Sol, der Architekt der Arcadia, träumt davon, auf Juno nicht nur einen neuen Planeten zu besiedeln, sondern eine friedliche, nachhaltige Zivilisation zu gründen. Dass das nicht sofort funktioniert, dürfte wenig überraschen.
Literatopia: Die Arcadia ist mit einem Anti-Materie-Triebwerk ausgestattet – wie realistisch ist diese Technologie? Und wie lange brauchen sie damit bis zum Planeten Juno?
Steven Lee Anderson: Theoretisch ist ein Antrieb mit Antimaterie absolut plausibel – praktisch ist diese Technologie aber noch weit von einer Umsetzung entfernt. Die größte Herausforderung liegt aktuell in der sicheren Speicherung: Antimaterie reagiert beim Kontakt mit normaler Materie sofort und setzt dabei enorme Mengen Energie frei. Weshalb Antimaterie nur schwer zu kontrollieren ist. Man bräuchte spezielle Magnetfallen, um sie in einem Vakuum zu halten, ohne dass sie mit der Umgebung in Berührung kommt. Hinzu kommen die extrem hohen Produktionskosten. Selbst kleinste Mengen – wir sprechen hier von wenigen Nanogramm – sind heute nur unter enormem Aufwand herstellbar.
In Juno wurde all das natürlich gelöst – dort gilt das Anti-Materie-Triebwerk als Meilenstein der Raumfahrtgeschichte. Die Arcadia legt mit dieser Technologie eine Strecke von 39 Lichtjahren zurück – zum Planeten Juno. Dafür benötigt sie 108 Jahre Flugzeit. Aufgrund der Zeitdilatation, die bei hohen Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit eintritt, vergehen an Bord allerdings nur rund 80 Jahre. Die Passagiere verbringen diese Zeit im Kryoschlaf, sodass sie bei ihrer Ankunft nur um wenige Stunden gealtert sind.
Literatopia: Im zweiten Band „In der neuen Welt“ lernen wir Juno besser kennen. Wie sieht es dort aus? Was ist ähnlich wie auf der Erde – und was ganz anders?
Steven Lee Anderson: Das Leben auf Juno ist in vielerlei Hinsicht dem auf der Erde sehr ähnlich – und das war ganz bewusst so gewählt. Mein Ziel war nicht, einen völlig fremdartigen Planeten zu entwerfen, der seine eigenen Probleme und Herausforderungen mit sich bringt. Die eigentliche Frage, die Juno stellt, lautet: Wenn wir noch einmal von vorne beginnen könnten – würden wir es besser machen? Würden wir im Einklang mit der Natur leben? Auf Ausbeutung, Krieg, Neid und Hass verzichten? Oder tragen wir diese Muster so tief in uns, dass sie auch in einer neuen Welt wieder auftauchen?
Deshalb ist Juno weitestgehend erdähnlich – nicht nur erzählerisch, sondern auch aus wissenschaftlicher Sicht. Die Astrobiologie geht davon aus, dass – für den Menschen – lebensfreundliche Planeten eine gewisse Ähnlichkeit zur Erde aufweisen müssten: eine stabile, sauerstoffreiche Atmosphäre, flüssiges Wasser, bestimmte Temperaturbereiche. Auch die Entwicklung von Chlorophyll – also grüner Photosynthese – wäre sehr wahrscheinlich, weil es chemisch schlichtweg die effizienteste Lösung ist, um Licht in Energie umzuwandeln. Es ist also kein Zufall, dass Juno Wälder, Ozeane und vertraute Vegetationszonen besitzt.
Natürlich mag es im Universum auch exotischere Welten geben – doch wenn es darum geht, eine neue Heimat für den Menschen zu finden, würden wir uns mit großer Wahrscheinlichkeit für einen Planeten entscheiden, der uns nicht völlig fremd ist. Und genau das ist Juno.
Literatopia: Mit Hailley und Nisha stehen zwei neue Figuren im Zentrum der Handlung. Welche Rollen spielen sie jeweils beim Versuch, Juno zu besiedeln?
Steven Lee Anderson: Nisha ist ja bereits im ersten Band eine wichtige Figur, aber du hast recht – Hailley rückt in Band 2 stärker ins Zentrum. Als wissenschaftliche Leiterin trägt Hailley eine enorme Verantwortung: Sie entscheidet darüber, ob und wann die Siedler überhaupt die Arcadia verlassen dürfen, um den Planeten Juno zu betreten. Wie der leitende Arzt Hago es treffend formuliert: „Man fliegt nicht zu einem fremden Planeten und steigt einfach aus.“ – das funktioniert vielleicht im Kino, aber nicht in der Realität. Schon in H.G. Wells’ Krieg der Welten wurde deutlich, wie gefährlich Mikroorganismen für fremde Lebensformen sein können. Unser Immunsystem muss sich erst an neue Umgebungen anpassen – und genau hier setzt Hailleys Arbeit an. Sie spielt daher eine Schlüsselrolle beim Übergang von der Raumfahrt zur tatsächlichen Besiedlung – und ist mir persönlich auch sehr ans Herz gewachsen, weshalb sie in Band 2 deutlich mehr Raum bekommt.
Nisha hingegen hat eine ganz andere, ebenso zentrale Aufgabe: Sie soll die Landung logistisch und politisch vorbereiten – und gleichzeitig verhindern, dass die Menschheit auf Juno dieselben Fehler macht wie auf der Erde. Ihr Ziel ist es, die schwelenden Konflikte, die die Siedler mit auf die Arcadia gebracht haben, nicht in größere Konflikte ausbrechen zu lassen. Während Hailley sich also um die biologischen Voraussetzungen kümmert, ist es Nishas Verantwortung, für sozialen Frieden zu sorgen – damit der Neuanfang, von dem Sol geträumt hat, überhaupt eine Chance hat.
Dass das nicht reibungslos verläuft, brauche ich wohl nicht erwähnen.
Literatopia: Ähnlich wie in „Die denkenden Wälder“ von Alan Dean Foster spielt das Verhältnis von Mensch und Natur eine zentrale Rolle in „In der neuen Welt“ – würdest Du das näher erläutern?
Steven Lee Anderson: Ja, das stimmt – das Verhältnis zwischen Mensch und Natur spielt in In der neuen Welt eine zentrale Rolle. Allerdings ist mein Ansatz ein anderer als der von Alan Dean Foster. In Die denkenden Wälder reisen die Menschen zu einem fremden Dschungelplaneten, um ihn auszubeuten – sie suchen nach Rohstoffen und Medikamenten. Die Natur wird dort als Ressource betrachtet, die man nutzen oder beherrschen will.
In Juno dagegen steht genau das Gegenteil im Mittelpunkt: Die Menschheit hat die Erde verlassen, weil sie ihre eigene Welt durch Klimakrisen, Kriege und Pandemien an den Rand des Kollapses gebracht hat. Die Reise nach Juno ist der Versuch eines radikalen Neuanfangs – nicht, um erneut auszubeuten, sondern um endlich im Einklang mit der Natur zu leben. Sol, der Architekt der Arcadia, träumt von einer neuen Zivilisation, die ihre destruktiven Muster überwindet: ohne Krieg, ohne Neid, ohne Gier.
Das ist für mich der entscheidende Unterschied. Foster zeigt, wie der Mensch scheitert, wenn er sich über die Natur stellt – und wie es anders gehen könnte, wenn er sich ein Beispiel an den indigenen Völkern des Planeten nimmt. Ich hingegen glaube – oder hoffe zumindest –, dass der Mensch noch fähig ist, sich zu ändern. Dass es möglich sein könnte, nicht erst auf einem anderen Planeten neu zu beginnen und das Schlechte hinter sich zu lassen.
Literatopia: Was glaubst Du: Werden Menschen tatsächlich irgendwann unser Sonnensystem verlassen und vielleicht zu neuen Planeten aufbrechen? Oder sind die Distanzen im Universum einfach zu groß?
Steven Lee Anderson: Ja, ich bin fest davon überzeugt, dass wir eines Tages unser Sonnensystem verlassen werden – vorausgesetzt, wir schaffen es, uns vorher nicht selbst auszulöschen.
Der Blick zu den Sternen ist tief in unserer Natur verankert. Wir sind Entdecker, Suchende, Wesen, die sich nie mit dem Status quo zufriedengeben. Schon heute träumen wir nicht mehr nur vom Mars – wir planen erste Schritte dorthin. Auch die Jupitermonde Ganymed und Europa könnten langfristig eine Rolle spielen. Ganymed nimmt ja auch in Juno eine wichtige Position ein. Technologisch stehen wir hier zwar noch am Anfang, aber die Raumfahrt hat in den letzten Jahren neue Impulse erhalten – bemannte Marsmissionen sind ebenso geplant wie eine dauerhafte Station auf dem Mond.
Deutlich schwieriger wird es bei sogenannten Exoplaneten, also Planeten außerhalb unseres Sonnensystems – wie Juno. Um diese zu erreichen, müssten wir das Sonnensystem verlassen und zu einem anderen Sternensystem reisen, was eine enorme Herausforderung darstellt. Selbst Alpha Centauri, unser nächster Nachbar, ist über vier Lichtjahre entfernt. Mit heutiger Technologie würde eine Reise dorthin Jahrtausende dauern. Ohne Technologien wie Kryoschlaf oder Mehrgenerationen-Raumschiffe wird das kaum möglich sein.
Aber: Was heute noch wie Science-Fiction klingt, kann in hundert oder zweihundert Jahren schon Realität sein. Der Mensch war immer ein Entdecker – ich glaube, dieser Drang wird uns irgendwann zu den Sternen führen.
Ich denke, die große Frage ist nicht, ob wir irgendwann aufbrechen – sondern, wer wir dann sein werden. Ob wir gelernt haben aus unseren Fehlern, oder ob wir sie mitnehmen zu den Sternen. Vielleicht ist genau das die wahre Reise: nicht nur hinaus ins All, sondern hin zu einem besseren Selbst.
Literatopia: Die Rezensionen zu „Aufbruch in eine neue Welt“ fallen sehr unterschiedlich aus. Was hast Du für Dich als Autor aus den bisherigen Rezensionen mitnehmen können?
Steven Lee Anderson: Mit Rezensionen ist es so eine Sache – ich bin für jede einzelne dankbar, selbst wenn sie nicht durchweg positiv ausfällt. Gerade die kritischen Stimmen nehme ich ernst, weil sie mir helfen, mich als Autor weiterzuentwickeln. Natürlich weiß ich, dass meine Geschichten nicht allen gefallen werden – und das ist auch völlig in Ordnung.
Die Juno-Trilogie ist bewusst vielschichtig erzählt: Rasante Action-Sequenzen wechseln sich mit ruhigeren, dialogreichen Passagen oder wissenschaftlichen Erläuterungen ab. Für mich liegt genau darin der Reiz – in der Abwechslung, der Tiefe und dem Mut zur Komplexität. Viele Leser*innen schätzen genau das.
Literatopia: „Alien“ hat Dich für Science Fiction begeistert und Du wolltest gerne etwas Ähnliches kreieren. Wie viel von diesen Ambitionen steckt noch in „Juno“?
Steven Lee Anderson: Tatsächlich war Aliens – also der zweite Teil der Reihe – der Beginn meiner Science-Fiction-Leidenschaft. James Cameron hat es geschafft, einen Science-Fiction-Horrorfilm zu erschaffen, der mich nachhaltig beeindruckt hat. Aber auch die gesamte Alien-Reihe hat mich tief fasziniert. Ich habe zuerst die Filme gesehen, dann die Romane gelesen – und bis heute lässt mich beides nicht mehr los.
Damals wollte ich selbst etwas schreiben, das eine ähnliche existenzielle Spannung erzeugt: dieses Gefühl von Fremdheit, von Isolation – und die Frage, was es bedeutet, Mensch zu sein, besonders in Extremsituationen. In Juno findet sich viel davon wieder, wenn auch auf subtilere Weise. Die Bedrohung kommt hier nicht von einem Xenomorph, sondern von innen: von Machtstrukturen, Gier, Angst und Neid – also von uns selbst.
Ich glaube, was geblieben ist, ist der Wunsch, nicht einfach nur Raumschiffe und fremde Welten zu zeigen, sondern das Innere der Figuren zu beleuchten – wie sie sich verändern, wenn sie mit unbekannten Herausforderungen konfrontiert werden.
Wenn man so will, ist Juno mein stilles Echo auf Alien – weniger Horror, mehr existenzielle Science-Fiction. Aber die ursprüngliche Faszination ist noch immer da.
Literatopia: Wie sahen Deine ersten Schreibversuche aus? Und wie viele Versuche hast Du gebraucht, bis Du mit „Juno“ endlich ein Projekt hattest, das reif zur Veröffentlichung war?
Steven Lee Anderson: Das lässt sich gar nicht so einfach in Zahlen fassen. Juno ist tatsächlich auch ein Produkt der Corona-Pandemie. Ich habe schon viele Jahre geschrieben, immer wieder Ideen entwickelt, Geschichten angefangen, einige davon sogar an Verlage und Agenturen geschickt – aber es kamen nur Absagen.
Erst durch Thariot, einen meiner liebsten deutschsprachigen Sci-Fi-Autoren, wurde ich auf das Selfpublishing aufmerksam. Plötzlich war da diese Möglichkeit, ein Buch zu veröffentlichen – ohne auf ein „Okay“ von außen warten zu müssen. Und dann kam der erste Lockdown. Viel freie Zeit, viel Nachdenken – und die Entscheidung, Juno zu schreiben.
Den ersten Band hatte ich innerhalb weniger Wochen runtergeschrieben. Band 2 hat durch den größeren Umfang etwas länger gedauert, und Band 3, mit all seinen Verknüpfungen und dem Finale der Trilogie, natürlich noch mehr. Aber mit Juno hatte ich endlich das Gefühl, ein Projekt gefunden zu haben, das reif für die Veröffentlichung war – und das auch andere Leser*innen erreichen könnte.
Literatopia: Schreibst Du bei einem neuen Projekt erst einmal drauf los oder gehörst Du eher zu denen, die vor dem Schreiben ausführlich plotten?
Steven Lee Anderson: Ich habe viele Jahre am NaNoWriMo teilgenommen, dem National Novel Writing Month. Dabei geht es darum, im November einen Roman mit mindestens 50.000 Wörtern zu schreiben – ohne vorher zu plotten, einfach drauflosschreiben. Das hat mir sehr geholfen, überhaupt Manuskripte zu beenden, und ich nehme auch heute noch gerne daran teil.
Aber wenn es um ernsthafte Projekte geht, arbeite ich deutlich strukturierter. Bei Juno war das der Fall – und auch bei meiner nächsten Trilogie plotte ich wieder sehr ausführlich, obwohl die Idee ursprünglich aus einem ungeplanten NaNoWriMo-Manuskript entstanden ist.
Ich schreibe besser, wenn ich vorher genau weiß, wohin die Reise geht. Deshalb entwickle ich vorab ein umfassendes Konzept, bis hinunter zur Kapitelstruktur. Das hilft mir beim täglichen Schreiben enorm: Ich kann mir gezielt ein oder zwei Kapitel vornehmen und sie konzentriert umsetzen, ohne mich im „Dickicht“ der Geschichte zu verlieren. Gerade an Tagen, an denen der innere Kritiker besonders laut ist, gibt mir diese Struktur Halt und Motivation.
Außerdem lassen sich durch ausführliches Plotten viel besser übergeordnete Bezüge innerhalb einer Trilogie herstellen – zum Beispiel, wenn ein scheinbar kleines Detail aus Band 1 in Band 3 plötzlich entscheidend wird. Solche Verbindungen liebe ich als Leser – und ich versuche, sie auch als Autor umzusetzen.
Literatopia: Zu Deinen literarischen Vorbildern zählen Stanisław Lem, Arthur C. Clarke, Michael Crichton und Isaac Asimov – welche Romane von ihnen haben Dich besonders begeistert?
Steven Lee Anderson: Da steht für mich Michael Crichton mit Jurassic Park an erster Stelle. Ein Park voller Dinos? Wo bitte kann ich ein Ticket kaufen? Sowohl das Buch als auch der Film haben mich tief beeindruckt. Besonders fasziniert hat mich, wie Crichton reale Wissenschaft – Gentechnik, Chaos-Theorie, Paläontologie – in einen spannenden Action-Thriller eingebettet hat. Diese Verbindung von Unterhaltung und Wissenschaft war für mich prägend. In Juno 2 habe ich ein paar Referenzen eingebaut und wer genau hinschaut, sieht auch eine Szene aus dem Film.
Auch Fiasko von Stanisław Lem hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Der Flug zu einem fremden Planeten mit einer dort bereits existierenden Zivilisation – das ist ein faszinierendes Szenario. Lem gelingt es, die Reise erstaunlich realistisch zu beschreiben, besonders was Flugbahnen und physikalische Rahmenbedingungen betrifft.
Von Arthur C. Clarke war mein erster Roman Fahrstuhl zu den Sternen, aber natürlich ist 2001: Odyssee im Weltraum das herausragende Werk. Hier hat mich vor allem die wissenschaftliche Präzision fasziniert, kombiniert mit der philosophischen Tiefe.
Und bei Isaac Asimov haben es mir besonders seine Sachbücher angetan. Extraterrestrische Zivilisationen war für mich ein Schlüsselerlebnis – darin berechnet Asimov, wie viele außerirdische Kulturen es in unserer Galaxie theoretisch geben könnte. Aber natürlich gehört auch seine Foundation-Trilogie zu den Klassikern, die mich als Autor geprägt haben.
Was mich an Science-Fiction am meisten begeistert, ist genau diese Schnittstelle: Wissenschaftlich fundierte Konzepte, die konsequent weitergedacht werden – und die Frage, die oft im Raum steht: Kann der Mensch mit dieser Technologie überhaupt umgehen?
Literatopia: Würdest Du uns abschließend einen Ausblick auf den finalen Band Deiner Trilogie geben? Und uns vielleicht etwas über die nächste Trilogie verraten, an der Du bereits schreibst?
Steven Lee Anderson: Sehr gerne. Der finale Band von Juno bringt alle Handlungsstränge zu einem Abschluss – genau deshalb hat er auch am längsten gebraucht. Ich wollte ein Ende schaffen, das berührt, überrascht und zum Nachdenken anregt. Aber bevor es soweit ist, liegen noch einmal über 500 Seiten vor den Leser*innen. Band 3 ist der umfangreichste Teil der Trilogie – und der dramatischste. Die gesamte Mission steht auf dem Spiel, und es bleibt lange unklar, ob das große Ziel überhaupt erreicht werden kann. Es geht um Verantwortung, um Verlust, aber auch um Hoffnung. Ich verspreche: Es wird emotional, spannend – und am Ende sehr menschlich.
Was meine nächste Trilogie betrifft: Ja, ich schreibe bereits daran. Der Arbeitstitel lautet Der Pleistozän Park und die Geschichte spielt in einer völlig anderen Welt – einer prähistorischen Umgebung voller Mammuts, Säbelzahntiger und anderer ausgestorbener Kreaturen. Drei Figuren stehen im Zentrum der Handlung, deren Leben durch rätselhafte Ereignisse plötzlich aus den Fugen gerät. Ihre scheinbar friedliche Welt beginnt zu bröckeln – und mit ihr alles, woran sie geglaubt haben.
Es geht hier um die Frage: Ist die Welt wirklich so, wie sie scheint?
Mehr möchte ich noch nicht verraten – nur so viel: Wer Juno mochte, wird auch hier wieder Figuren finden, die um mehr kämpfen als nur ihr Überleben. Um Würde, Wahrheit – und um die Frage, was uns als Menschen ausmacht.
Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!
Autorenfoto: Copyright by Steven Lee Anderson
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Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.