Eigenverlag (Februar 2025
Taschenbuch, 390 Seiten, 14,99 EUR
ISBN-13: 978-3759758859
Genre: Science Fiction / Fantasy
Klappentext
Wie tief kannst du in deinen eigenen Abgrund blicken? Als über dem Berliner Alexanderplatz eine schwarze Sphäre erscheint, hat dieses Phänomen drastische Konsequenzen für den seelisch geplagten Callcenteragenten Robert. Bizarre Horrorvisionen und eine unerklärliche Anziehungskraft zu der mysteriösen Kugel führen ihn auf eine leidvolle Suche nach Antworten. In einer fremden, mit Asche bedeckten Welt erwacht der von Schmerzen gezeichnete Ezra mit bruchstückhaften Erinnerungen an seine Identität. Begleitet von einem biomechanischen Wesen versucht er verzweifelt, einen Weg nach Hause zu finden. Während Robert und Ezra in ihren eigenen Kämpfen gefangen sind, ahnen sie noch nicht, dass ihre Schicksale untrennbar miteinander verknüpft sind. Begib dich auf eine melancholische Reise zwischen psychologischem Science-Fiction-Drama, Dark Fantasy und Queer Romance.
Rezension
Ein schwarzer Himmelskörper über dem Alexanderplatz, ein zerrissener Callcenteragent, ein mysteriöses Paralleluniversum aus Asche, ein biomechanisches Wesen und eine zarte queere Romanze – Sphäre über Berlin von Manuel Merk klingt auf dem Papier nach einer reichlich wilden Mischung. Und ja, das ist es auch. Aber was zunächst ungewöhnlich wirkt, entwickelt sich Seite für Seite zu einem atmosphärischen, eindringlichen und überraschend stimmigen Debütroman, der nicht nur Genregrenzen überquert, sondern diese neu sortiert.
Ein Genre-Mix, der funktioniert
Zugegeben: Ich war anfangs etwas unsicher, was mich hier genau erwartet. Science-Fiction, Dark Fantasy und Queer Romance – das klingt nach viel, vor allem, wenn ein Autor noch relativ neu auf dem literarischen Parkett ist. Doch genau hier liegt die Stärke von Merk: Er jongliert mit diesen Elementen nicht wahllos, sondern kombiniert sie zu einer Geschichte, die nie überladen, sondern stets zielgerichtet wirkt. Die Sphäre über Berlin ist nicht bloß ein Effektfeuerwerk, sondern Auftakt einer Reise in die innersten Abgründe zweier verlorener Figuren, die mehr verbindet, als zunächst erkennbar ist.
Zwei Protagonisten, zwei Welten
Im Zentrum stehen zwei Männer, deren Leben auf unterschiedlichen Ebenen auseinanderfallen. Robert, ein seelisch erschöpfter Callcenteragent in Berlin, wird durch die plötzliche Erscheinung der Sphäre aus seiner ohnehin schon brüchigen Realität geworfen. Die Auswirkungen sind nicht nur visuell und atmosphärisch bedrohlich – sie graben sich tief in sein Inneres. Horrorvisionen und eine kaum erklärbare Anziehung zur Sphäre lassen ihn taumeln. Merk beschreibt diesen Zustand mit einer erschreckenden Klarheit. Die Darstellung psychischer Belastungen ist so präzise wie feinfühlig, gleichzeitig aber auch ungeschönt. Robert ist keine Figur, die Antworten hat – er ist auf der Suche, nach Sinn, Zugehörigkeit, nach sich selbst. Das macht ihn greifbar und – für viele Leser:innen wohl auch – erschreckend nahbar.
Parallel dazu erleben wir Ezra, der in einer dystopisch anmutenden Welt voller Asche erwacht. An seiner Seite: ein biomechanisches Wesen, das ebenso fremdartig wie faszinierend wirkt. Ezra weiß nicht, wer er ist, wohin er gehört – und doch treibt ihn eine stille Hoffnung voran. Diese zweite Erzählebene ist erzählerisch mutig und visuell stark. Es ist eine Welt, die nach Endzeit klingt, nach zerfallener Zukunft – gleichzeitig ist sie Projektionsfläche für existenzielle Fragen. Wer bin ich, wenn ich niemanden kenne? Was bleibt, wenn man alles vergessen hat, außer einem diffusen Gefühl von Sehnsucht?
Düsternis, Atmosphäre und psychologische Tiefe
Was sich durch beide Erzählstränge zieht, ist eine konstante, melancholische Düsternis. Sie ist nie plakativ, nie kitschig. Vielmehr legt sie sich wie feiner Staub über jede Szene. Es ist diese Atmosphäre, die das Buch trägt. Es wird nicht durch Actionszenen angetrieben, sondern durch innere Kämpfe, durch Schmerz, durch Erinnerung und Hoffnung. Horror spielt eine Rolle, aber subtil. Es gibt Szenen mit Gore, aber diese werden dosiert eingesetzt, wirken nie reißerisch. Vielmehr dienen sie der Intensivierung einer ohnehin schon bedrückenden Stimmung.
Die queere Liebesgeschichte – natürlich, nicht erzwungen
Ein großes Plus: Die queere Romanze ist kein Fremdkörper in der Geschichte. Sie wirkt weder aufgesetzt noch klischeehaft. Stattdessen entwickelt sie sich leise, glaubhaft und vor allem: selbstverständlich. Merk schreibt mit einem Gespür für emotionale Zwischentöne. Es geht nicht um das große Liebesdrama, sondern um das stille Erkennen, das vorsichtige Öffnen – um Nähe in einer Welt, die auseinanderbricht. Dass die Liebe hier queer ist, ist kein erzählerischer Kniff, sondern Teil einer Normalität, wie sie im Literaturbetrieb viel häufiger vorkommen sollte.
Ein starker Fokus auf psychische Gesundheit
Besonders hervorzuheben ist der sensible Umgang mit psychischen Themen. Merk schreibt offen über Depression, Isolation, das Gefühl, nicht dazuzugehören – und tut das mit einer Ernsthaftigkeit, die berührt. Robert ist kein Held im klassischen Sinne. Er taumelt, zweifelt, leidet. Gerade dadurch wird er zur glaubwürdigen Hauptfigur. Der Autor scheut sich nicht davor, auch unangenehme Gefühle zu zeigen. Es gibt keinen billigen Trost, keine simplen Lösungen. Stattdessen begleitet man einen Mann, der versucht, in einer kaputten Welt heil zu bleiben – und das ist ehrlicher, als es viele Bücher versuchen.
Erzählerisch überzeugend – und mutig im Ende
Was das Buch außerdem auszeichnet, ist die Konsequenz in der Erzählung. Es gibt keine losen Enden, keine künstlich offen gehaltenen Fragen. Beide Handlungsstränge – Robert wie Ezra – werden zu einem runden Abschluss geführt. Dabei überrascht Merk mit einem Finale, das sich vom üblichen Happy-End-Schema verabschiedet. Es ist bittersüß, vielleicht sogar traurig – aber ehrlich. Und genau das macht es so stark.
Fazit
Sphäre über Berlin ist kein gewöhnliches Buch. Es erfordert Einfühlung und manchmal auch etwas Durchhaltevermögen – aber es belohnt dafür mit einer Geschichte, die tief geht. Wer sich auf die ungewöhnliche Mischung aus Science-Fiction, Fantasy und queerer Romanze einlässt, bekommt hier ein eindringliches Leseerlebnis. Manuel Merk legt mit seinem Debüt ein überraschend reifes, atmosphärisch dichtes und emotional starkes Buch vor. Ein Buch, das sich von Seite zu Seite entfaltet – und genau das ist seine größte Qualität.
Pro & Contra
+ Mutige, genreübergreifende Erzählweise
+ Authentische Figuren mit psychologischer Tiefe
+ Literarisch starkes Debüt mit eigenem Ton
- Erfordert emotionale Aufmerksamkeit
- Leser*innen mit wenig Interesse an melancholischen oder psychologischen Themen könnten schwer Zugang finden
Bewertung:
Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5