Frankfurt Beats (Oliver Baier)

frankfurt beats

Verlag: Mainbook; (15. Mai 2025)
Taschenbuch: 303 Seiten; 15,00 €
ISBN-13: 978-3911008389

Genre: Thriller


Klappentext

Kalte Asche brennt ein Leben lang. Milan betäubt sich in Frankfurter Clubs mit Beats, Dates und Drugs – eine Flucht vor der Erinnerung an seinen Zwilling Leo, von dem nur kalte Asche übrigblieb. Ein Fall, der nie aufgeklärt wurde und dessen Rätsel Milan immer wieder in den Abgrund zieht. Als plötzlich eine fremde Frau auftaucht, die sich als seine Mutter vorstellt, gerät Milans Leben endgültig aus den Fugen. Sie sucht Schutz vor ihren Verfolgern und behauptet in tödlicher Gefahr zu sein. Doch mit ihrer Ankunft kommen neue Fragen ans Licht – über eine Familie, die Milan nie kannte, und eine Wahrheit, die alles zerstören könnte. Denn was Milan nicht ahnt: Seine Mutter hütet ein dunkles Geheimnis, das auch Milan in den Strudel ihrer Schuld und Gewalt zu reißen droht. Ein atemloser Thriller über Familie, Verrat und die tödlichen Schatten der Vergangenheit.


Rezension 

Ein pulsierendes Debüt zwischen Drogenrausch, Familiengeheimnissen und der dunklen Seite Frankfurts

Wenn ein Debütroman sich so kompromisslos, atmosphärisch dicht und emotional aufgeladen präsentiert wie Frankfurt Beats, dann ist das nicht nur mutig – es ist ein Statement. Oliver Baier liefert mit seinem ersten Roman ein urbanes Psychogramm, das tief in die Seele einer Stadt blickt, deren Herz unregelmäßig im Takt der Bässe schlägt. Und dieses Herz – dieser Beat – ist nicht nur Soundtrack, sondern Lebenslinie seiner Figuren.

Im Mittelpunkt steht Milan – ein junger Mann, dessen Leben von Trauer, Schuld und Selbstzerstörung durchzogen ist. Seit dem Tod seines Zwillingsbruders Leo, der unter mysteriösen Umständen ums Leben kam, ist Milan nur noch ein Schatten seiner selbst. Er flüchtet sich in Frankfurts Clubszene, verliert sich in Beats, Drogen und bedeutungslosen Begegnungen. Seine Zerrissenheit wirkt nie platt oder aufgesetzt, sondern erschütternd echt. Baier schafft es, Milans innere Leere greifbar zu machen, ohne ihn je auf ein bloßes Opfer zu reduzieren. Er ist schwach, ja. Aber auch zutiefst menschlich. Seine Suche nach Sinn, Halt und Wahrheit zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte – und sorgt dafür, dass wir ihm selbst dann folgen, wenn er sich in die dunkelsten Ecken verirrt.

Was Baier dabei besonders gut gelingt: Milan bleibt nie in einem klar definierten Licht. Mal ist er der verletzliche Bruder, mal der rücksichtslose Partygänger. Mal sympathisch, dann wieder egoistisch, abstoßend. Und genau darin liegt die Stärke der Figur – sie ist gezeichnet vom Leben, voller Brüche, aber auch voller Sehnsucht nach Aufrichtigkeit.

Frankfurt selbst ist mehr als Kulisse. Baier nutzt die Stadt, um Spannungen zu verdichten, Gegensätze auszuleuchten. Oben die Bankentürme, glänzend, sauber, international. Unten das Bahnhofsviertel, versifft, brutal, verloren. Zwischen diesen Polen bewegt sich die Handlung. Die Stadt wird zur Metapher für den inneren Zustand ihrer Figuren – laut, schmutzig, schnell. Der Beat der Clubs ist nicht bloß Soundtrack, sondern spürbarer Puls, treibende Kraft. Er hält Milan am Leben, gibt Struktur in einer Welt, die sonst auseinanderfällt. Gleichzeitig ist dieser Beat flüchtig, bedeutungslos – wie die Nächte, in denen Milan sich verliert.

Baier gelingt es, dieses Spannungsfeld glaubwürdig einzufangen, ohne in Klischees zu verfallen. Ja, er zeigt das Frankfurt der Gegensätze, der Extreme. Aber er romantisiert nichts. Auch wenn er poetische Bilder schafft, bleibt er stets realistisch – manchmal fast schmerzhaft direkt. Seine Stadtbeschreibung ist so konkret wie metaphorisch. Frankfurt ist hier nicht nur Ort, sondern Zustand.

Neben Milan ist es vor allem die Vielschichtigkeit der weiteren Figuren, die das Buch trägt. Besonders hervorzuheben ist Martina – eine Frau mit einer dunklen Vergangenheit. In ihr kulminieren Themen wie Auftragsmord, Schuld, Flucht, aber auch der Versuch von Reue und Veränderung. Ihre Geschichte ist beklemmend, bricht mit klassischen Thrillerrollen und bringt eine existenzielle Tiefe in den Roman. Man spürt: Auch sie kämpft mit sich, mit dem, was war, und dem, was nicht mehr sein darf. Auch sie ist – wie Milan – eine Figur, die man schwer greifen kann, aber genau deshalb nicht mehr loslässt.

Ein weiterer erzählerischer Coup ist die rechtsradikale Frau, die im Verlauf der Geschichte selbst zum Opfer ihrer Ideologie wird – gezwungen, Hilfe von jenen anzunehmen, die sie sonst mit Hass überschüttet hätte. Das ist kein plattes politisches Statement, sondern ein feinfühliger, aber konsequenter Blick auf die Mechanismen von Ausgrenzung, Angst und Menschlichkeit. Baier moralisiert nicht – er zeigt. Und das reicht.

Was bei allen Figuren auffällt: Sie sind nicht gut oder böse. Sie handeln, scheitern, lügen, lieben, töten – und bleiben dabei glaubwürdig. Baier erlaubt es seinen Leser:innen, ihre Meinung über die Figuren zu ändern. Oft. Und immer wieder. Genau das macht die emotionale Tiefe des Romans aus.

Baier schreibt in einem Stil, der präzise und gleichzeitig atmosphärisch dicht ist. Seine Sprache ist klar, pointiert, ohne Schnörkel. Er verliert sich nicht in literarischer Eitelkeit, sondern findet kraftvolle Bilder, wo sie nötig sind. Besonders stark gelingt ihm die Beschreibung von Milans innerer Zerrissenheit – nicht pathetisch, sondern roh. Baier vertraut darauf, dass seine Leser:innen verstehen, zwischen den Zeilen zu lesen. Und das tun sie. Müssen sie. Denn das, was nicht gesagt wird, hat oft das meiste Gewicht.

Auch die musikalische Ebene ist stark eingebaut. Der „Beat“ zieht sich wie ein Subtext durch den Roman – mal als tatsächliche Clubmusik, mal als Metapher für Milans innere Getriebenheit. Musik ist für Milan Überlebensmechanismus, Kommunikationsform, Droge. Baier integriert das nicht nur thematisch, sondern auch strukturell – mit einer rhythmischen, treibenden Erzählweise, die fast schon einem DJ-Set gleicht: Es gibt Höhen, Abstürze, Übergänge. Aber nie Stillstand.

Auch wenn der Plot auf dem Papier nach klassischem Thriller klingt – ungelöste Verbrechen, Familiengeheimnis, Verschwörung – ist Frankfurt Beats mehr als Genre-Literatur. Die eigentliche Spannung liegt nicht in der Auflösung irgendeines Falls, sondern im psychologischen Druck, der auf Milan und auch den anderen Figuren lastet. Der Thriller-Anteil sorgt für Drive, doch das Zentrum des Romans ist klar psychologisch und gesellschaftlich. Baier geht es nicht nur um das „Wer hat was getan“, sondern um das „Warum leben wir, wie wir leben?“. Mit dem Auftauchen der vermeintlichen Mutter, die sich in tödlicher Gefahr wähnt, nimmt die Geschichte noch einmal an Tempo auf. Die Dynamik zwischen ihr und Milan ist brisant – zwischen Misstrauen, Hoffnung und Angst. Dass sie ein dunkles Geheimnis in sich trägt, ist früh klar, doch wie tief es reicht und wen es mit in den Abgrund reißt, entfaltet sich schrittweise – geschickt, ohne Effekthascherei.

Baier gelingt ein Spagat, an dem viele Thriller scheitern: Er erzählt eine spannende Geschichte und verhandelt gleichzeitig relevante Themen – ohne moralischen Zeigefinger. Ob es um rechte Gewalt geht, um Drogensucht, um toxische Männlichkeit, familiäre Gewalt oder Identität – Baier bleibt differenziert. Seine Figuren sind Spiegelbilder einer Gesellschaft, die orientierungslos wirkt. Sie sind Täter:innen und Opfer zugleich. Und genau das macht diesen Roman so zeitgemäß.


Fazit

Frankfurt Beats ist mehr als ein Thriller. Es ist ein Abstieg in die Hölle der eigenen Vergangenheit, ein Streifzug durch die Abgründe einer Stadt, eine emotionale Achterbahnfahrt mit Figuren, die einem unter die Haut gehen. Baier schreibt mit einem Gespür für Atmosphäre, für Timing, für Brüche. Seine Sprache ist kraftvoll, seine Figuren echt, sein Blick auf die Welt unbestechlich.

Für ein Debüt ist das ein starkes, fast schon beängstigend souveränes Werk. Wer glaubt, die deutsche Thrillerlandschaft sei berechenbar geworden, der wird hier eines Besseren belehrt. Frankfurt Beats ist roh, relevant, rasant – ein echtes Highlight. Und ja: Pflichtlektüre für alle, die sich auch nur halbwegs Thriller Fans schimpfen.


Pro & Contra

+ Musikalisches Element als Stilmittel: Der „Beat“ gibt Struktur und Tiefe
+ Gesellschaftlich relevant: Themen wie Drogen, rechte Gewalt, familiäre Zerrissenheit
+ Vielschichtiger Hauptcharakter (Milan): Zwischen Selbstzerstörung und Hoffnung
+ Starke Atmosphäre: Die düstere Seite Frankfurts wird intensiv und bildhaft dargestellt

- Teilweise extreme Figuren: Einige Charaktere könnten als zu dramatisch empfunden werden
- Kein Feel-Good-Ende: Die Geschichte bleibt düster, auch in ihrer Auflösung

Bewertungsterne5

Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5