Heyne (2014)
Aus dem Amerikanischen von Heinz Nagel
eBook (epub), 5,99 EUR
ISBN: 978-3-641-12638-4
Genre: Science Fiction / Planetary Romance
Klappentext
Midworld ist eine Dschungelwelt, komplett bedeckt von endlosen Wäldern, deren Baumwipfel bis zu 700 Meter hoch aufragen. Als ein interstellarer Konzern das große Geld wittert und mit dem rücksichtslosen Abholzen beginnt, erwacht Midworld - und lehrt seinen Feinen das Fürchten ...
Rezension
„Es gab keine Frage, ob der Planet Leben tragen konnte. Die Frage war eher, ob er zuviel Leben trug, es zu gut trug.“ (Seite 9)
Jäger Born kehrt mit großer Beute zum Heimbaum zurück und erwartet Bewunderung, doch nur die Jüngsten gewähren sie ihm. Die anderen Stammesmitglieder gehen unbeeindruckt ihrem Alltag nach. Born ist wieder einmal frustriert. Er träumt von Anerkennung und der Liebe der schönen Geh Hell. Doch im Stamm gilt er als „verrückt“, aufgrund seiner großen Risikobereitschaft und seinen ungewöhnlichen Ideen. Sein Pelziger Ruumahum schätzt gerade das an Born und freut sich, dass es mit seinem Menschen niemals langweilig wird. Als eines Tages ein metallisch schimmerndes, riesiges Objekt durch das Blätterdach des Dschungels kracht, ist Born der Einzige, der den Mut aufbringt, es sich genauer anzusehen. Mit diesem Mut rettet er zwei Menschen das Leben – Menschen, die ihm ähneln und zugleich ganz anders sind. Born bringt sie zum Heimbaum und entscheidet, sie zu ihrer Forschungsstation zu bringen – um die Wunder zu sehen, von denen diese Menschen berichten, und um zu sehen, ob sie eine Gefahr sind …
Der Wald Midworlds erinnert stark an den Dschungel Pandoras aus James Camerons „Avatar“ und „Die denkenden Wälder“ dürfte eine der literarischen Vorlagen gewesen sein. Hier ist der Wald jedoch gewaltiger und seine Bäume so hoch, dass sich sieben unterscheidbare Etagen herausgebildet haben mit jeweils eigenen Tier- und Pflanzenarten. Alan Dean Foster beschreibt hier ein komplexes Ökosystem, in dem Tiere und Pflanzen sich gegenseitig verschlingen und zugleich voneinander abhängig sind. Die unterste und oberste Etage des Waldes sehen die hier lebenden Menschen als Höllen an, denn hier leben riesige, sehr gefährliche Kreaturen, die sie als Dämonen bezeichnen. Auch die Pflanzenwelt ist alles andere als harmlos, viele Pflanzen sind giftig und so manche verspeist gar größere Tiere.
Die „Eingeborenen“ dieser Welt sind die Nachfahren menschlicher Kolonisten, die auf Midworld gestrandet sind. Sehr viele sind gestorben und die wenigen Überlebenden haben sich dem Wald angepasst – und wissen nichts mehr von ihrer Herkunft. Die Menschen leben jeweils in Symbiose mit sogenannten Pelzigern: intelligenten Wesen, halb Tier, halb Pflanze, die an riesige, grüne Faultiere erinnern und die Photosynthese betreiben. Protagonist Born teilt sein Leben mit Pelziger Ruumahum, der über große Körperkraft verfügt und bei jeder sich bietenden Gelegenheit schläft. Für die Pelziger sind Menschen spannend und sie profitieren von deren Kreativität und Aktivität. Wird ein Mensch geboren, wird zugleich ein Pelziger geboren. Ebenfalls eine Art Symbiose besteht zwischen einem Heimbaum und seinen Menschen: der Baum gewährt Schutz und Nahrung, während die Menschen ihn pflegen und mit ihren Hinterlassenschaften düngen. Der Heimbaum lässt nur seine eigenen Bewohner in sein schützendes Inneres und erkennt diese anhand von Molekülen in ihrer Spucke.
„Es war ein grünes Universum, grün durch und durch; aber seine Sterne und Nebel waren strahlend bunt.“ (Seite 24)
Davon, dass Menschen eine Forschungsstation mitten im Wald errichten, bekommen Born und sein Stamm zunächst nichts mit. Erst als zwei Forscher nahe ihres Heimbaumes abstürzen, erkennen sie, dass sich andere Menschen auf Midworld aufhalten. Einerseits wollen sie ihnen helfen, weil die Hilfe unter Menschen für sie etwas Selbstverständliches ist, andererseits aber auch, um abschätzen zu können, ob die neuen Menschen eine Gefahr für sie und den Wald sind. Diese Menschen verfügen zwar über Fluggeräte und andere technische Wunder, doch sie bewegen sich unbeholfener als Kinder durch den Wald und wissen nichts über dessen Tiere und Pflanzen. Würde Born sie nicht begleiten, wären die Forscher längst gefressen oder vergiftet worden. Bald wird Born klar, dass diese Menschen nicht „emfatieren“: sie können das Leben, das sie umgibt, nicht fühlen, nicht mit ihm kommunizieren und sie schätzen es nicht. Born erkennt die Menschen als Gefahr für Midworld und nachdem er sie zuerst gerettet hat, bekämpft er sie.
In der ersten Romanhälfte nimmt sich Alan Dean Foster Zeit, Midworld und seine Besonderheiten vorzustellen und zeichnet das Bild eines wuchernden, sehr lebendigen und gleichermaßen schönen wie tödlichen Waldes. Pflanzen bedecken nahezu den gesamten Planeten, selbst die Meere und Ozeane schimmern grün. Alles Leben verschlingt sich gegenseitig. So gefährlich dieses Ökosystem für Menschen ist, Born und seine Leute sind perfekt an diese Umgebung angepasst. Sie verfügen über viel Wissen, beispielsweise welche Pflanzen und Tiere essbar und welche giftig sind, über welche Äste sie gehen können oder wo sie Schutz abseits des Heimbaums finden. Der Wald bietet ihnen alles, was sie brauchen, und sie leben in einer Art ewiger Gegenwart, im Gleichgewicht mit der sie umgebenden Natur. Wenn sie sterben, werden Mensch und Pelziger gemeinsam in sogenannten Bewahrer-Bäumen beerdigt, wo ihre Körper aufgelöst werden und ihr Bewusstsein Teil des Bewusstseins des Waldes wird. Diesen überaus spannenden Aspekt schneidet Alan Dean Foster am Ende nur kurz an und wer bis dahin die tiefe Verbindung zwischen den hier lebenden Menschen und dem Wald nicht verstanden hat, wird es spätestens jetzt tun.
„Die denkenden Wälder“ gehört zur Homanx-Reihe, lässt sich jedoch wunderbar als Einzelroman lesen. Im Anhang des eBooks finden sich weiterführende Informationen zur Reihe und zum Homanx-Commonwealth, von dem die Bewohner Midworlds nichts wissen. Born ist anfangs neugierig und will von den beiden Forschern mehr über die Welten außerhalb Midworlds wissen, doch je mehr er erfährt, desto weniger kann er sich dafür begeistern. Als er erkennt, dass die Menschen eine Bedrohung sind, beschließt er, sie zu vertreiben – und zu töten. Es gibt keinen Kompromiss und keinen Handel, die Menschen der Station sind auch nicht nur zur Erforschung da, sondern vor allem zur Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Insbesondere eine besondere Knolle ist interessant für sie, da sich aus dieser eine lebensverlängernde Substanz gewinnen und entsprecht sehr viel Geld damit verdienen lässt. Borns Entscheidung, die Menschen der Station zu eliminieren, erscheint drastisch, ist er doch damit ebenso ein Mörder wie sie. Doch als klar wird, aus was die Knollen bestehen, wird seine heftige Reaktion verständlich.
Oberflächlich betrachtet ist „Die denkenden Wälder“ eine Geschichte über den Zusammenprall einer (vermeintlich) indigenen Kultur mit technologisch überlegenden Kolonisten. Die Indigenen leben im Gleichgewicht mit der Natur, die Kolonisten sind kapitalistische Ausbeuter, die für Geld die Natur zerstören. Es kommt zu einem Kampf „Gut gegen Böse“, doch ganz so simpel ist dieser Roman dann doch nicht gestrickt. Alan Dean Foster arbeitet gut heraus, dass der Konflikt letztlich am Nicht-Verstehen entbrennt und daher auch nicht beizulegen ist: für die Menschen Midworlds hat jedes Leben einen Wert, von ihrem eigenen bis hin zu dem einer kleinen Pflanze. Sie leben vom Wald, sie nehmen und geben stets etwas zurück. Sie sind empathisch und auf eine Art mit dem Wald und seinen Wesen verbunden, die den Kolonisten nicht zugänglich ist. Für sie ist der Wald „nur“ Natur, deren Ressourcen für Gewinne genutzt werden können. Sie haben keinen Respekt vor dem Leben, sie betrachten Tiere und Pflanzen als minderwertige Existenzen und die Menschen Midworlds sehen als primitiv, als eine Art „Rückentwicklung“. Dabei haben sich diese Menschen weiterentwickelt und ihrem Lebensraum perfekt angepasst. Born versucht, den Menschen der Station klarzumachen, dass sie keine Zukunft auf Midworld haben, weil sie nicht emfatieren. Sie können nicht verstehen und deswegen müssen sie gehen – und weil sie nicht freiwillig gehen, muss Born alles tun, um seine Heimat zu schützen.
„Man kann nicht mit einer Welt leben, wenn man dann nimmt, wenn es nur einem selbst passt, sonst stirbt am Ende die Welt und man selbst mit ihr. (…) Diese Welt ist kein guter Ort für euch. Ihr emfatiert sie nicht, und sie emfatiert euch nicht.“ (Seite 319)
Fazit
Alan Dean Fosters „Die denkenden Wälder“ beeindruckt mit seinem außerirdischen Wald, in dem das Leben auf vielfältige Weise miteinander verbunden ist und in der Menschen Teil eines komplexen Ökosystems geworden sind. Midworld ist ein phantastisches Beispiel für Koevolution und Symbiosen und zeigt eine menschliche Stammeskultur, die an indigene Völker erinnert. Während neu ankommende Kolonisten diese Menschen als Rückentwicklung sehen, erkennen Leser*innen eher Weiterentwicklung, Anpassung und artübergreifende Empathie.
Pro und Contra
+ der Wald Midworlds als komplexes Ökosystem voll faszinierender Lebewesen
+ die Symbiose zwischen Menschen und Pelzigern
+ gelungene Darstellung von (Ko-)Evolution
+ regt zum Nachdenken über menschliche Lebensweisen an
+ arbeitet gut das gegenseitige Nicht-Verstehen heraus
+ viele Informationen zur Homanx-Reihe im Anhang
Wertung:
Handlung: 5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5