TorDotCom (2022)
Taschenbuch
340 Seiten, 17,97 EUR
ISBN: 978-1250210975
Genre: Science-Fiction
Klappentext
On a warm March night in 2083, Judy Wallach-Stevens wakes to a warning of unknown pollutants in the Chesapeake Bay. She heads out to check what she expects to be a false alarm—and stumbles upon the first alien visitors to Earth. These aliens have crossed the galaxy to save humanity, convinced that the people of Earth must leave their ecologically-ravaged planet behind and join them among the stars. And if humanity doesn't agree, they may need to be saved by force.
But the watershed networks that rose up to save the planet from corporate devastation aren't ready to give up on Earth. Decades ago, they reorganized humanity around the hope of keeping the world livable. By sharing the burden of decision-making, they've started to heal our wounded planet.
Now corporations, nation-states, and networks all vie to represent humanity to these powerful new beings, and if anyone accepts the aliens' offer, Earth may be lost. With everyone’s eyes turned skyward, the future hinges on Judy's effort to create understanding, both within and beyond her own species.
Rezension
Ruthanna Emrys‘ „A Half-Built Garden” ist ein First-Contact-Roman, der die Gegenwart mit vorsichtiger Hoffnung weiterdenkt. Die zukünftige Erde, die Emrys zeichnet, ist in drei Fraktionen gespalten: Die Watershed-Networks, die mithilfe von Threads und Algorithmen kollektiv Entscheidungen treffen und sich in besonderem Maße der Milderung von Umweltzerstörung und Klimafolgen verschrieben haben, die verbleibenden Regierungen und schließlich die Enklaven von Firmen, die dort im Rahmen ihrer Möglichkeiten an einem kapitalistisch-konsumeristischen Ethos festhalten. Diese wackelige Balance der Aktivitäten und Interessen wird erschüttert, als es zum Erstkontakt mit Außerirdischen kommt.
Protagonistin und Ich-Erzählerin Judy wird gegen ihren Willen zur Sprecherin der Watershed-Networks, als sie bei einer Routineaufgabe über ein Raumschiff stolpert. Dem Raumschiff entsteigen Vertreter*innen zweier Alien-Spezies. Sie enthüllen Judy, dass sie Pläne für die Menschheit haben: Weil so hoch entwickelte Spezies ihrer Erfahrung nach immer ihre Heimatplaneten zerstören würde, sei es nun an der Zeit, die Menschheit vor sich selbst zu retten und einer Zukunft im All zuzuführen.
Alle drei Fraktionen verbinden sehr verschiedene Ängste und Hoffnungen mit dieser Ankündigung und bemühen sich, vor den Aliens als Sprecher*innen der Menschheit fungieren zu können. Judy kämpft dafür, die Erde zu behalten – denn die Networks haben eine Lebensweise entwickelt, die deren langfristige Bewohnbarkeit garantieren soll, und Judy glaubt fest daran, dass die erst Menschheit lernen muss, mit ihrer Umwelt zu leben, bevor sie zu den Sternen aufbricht. Sonst würde sie im Weltraum nur die gleichen Fehler machen wie schon auf der Erde.
Die Fraktionen konkurrieren miteinander und schrecken nicht vor Sabotage zurück. Und auch im Inneren jeder einzelnen Fraktion brodelt es. Auch wenn ihre Angehörigen eine Philosophie teilen mögen, gibt es doch Konflikte über das richtige Vorgehen. Judy ist überfordert mit ihrer Rolle und bald noch isolierter, weil die Entscheidungsfindungswerkzeuge der Watershed-Networks plötzlich nicht mehr vertrauenswürdig sind. Sie muss schwierige Entscheidungen treffen und ihr Handeln und Zögern hat schwerwiegende Folgen, derer sie sich in jeder Minute bewusst ist. Sie trifft auch Entscheidungen, die sie bereut, und revidiert mehrfach ihre Meinungen über andere Personen.
Weil die Aliens Mutterschaft eine große Bedeutung zumessen, sind viele der menschlichen Diplomat*innen – auch Judy – Mütter. „A Half-Built Garden“ ist kein Science-Fiction-Roman, indem sich die Hauptfiguren mit uneingeschränkter Konzentration einer heroischen Aufgabe widmen, während der Alltag in weite Ferne rückt. Vielmehr ist er von der Erkenntnis durchzogen, dass sich auch beim Retten der Welt parallel um Kinder, Tomaten, Familie und das soziale Gefüge gekümmert werden muss, und dass sich das eigentlich nicht vom Retten der Welt trennen lässt. Judy ist viel mit ihrem Haushalt – einer Wohngemeinschaft aus zwei Paaren, die gemeinsam ihre Kinder großziehen und gerade noch dabei sind, einander wirklich kennenzulernen – und ihrem Status in der Watershed-Community beschäftigt.
Schließlich stellt sich sogar die Frage, wie eine Interspezies-Familie funktionieren kann. Tatsächlich zeigt „A Half-Built Garden“ anhand eines kleinen Subplots ausgezeichnet, was Alien-Romance jenseits blau oder grün gefärbter Sixpacks sein kann, und zeichnet eine erfrischende Geschichte von Anziehung, die zunächst in erster Linie emotional und intellektuell ist.
Geschlecht und verschiedene Entwürfe von Identität und Familie sind ein wiederkehrendes Thema. Nicht nur finden viele spannende anthropologische Austäusche zwischen Menschen verschiedener Fraktionen und Aliens statt, auch hier spiegeln sich die übergreifenden Themen des Buches von Selbstbestimmung, dem Aufbau von Kommunikation und Verständnis und sich auf Veränderungen einlassen.
Interplanetare Politik und zutiefst Persönliches vermengen sich, und am Ende hängt sehr viel von sehr wenigen Leuten ab, obwohl es um Fragen mit unzähligen Stakeholdern geht. Einerseits fühlt es sich fast an, als würde es sich Emrys mit dem Fokus auf so wenigen Figuren zu leicht machen, andererseits funktionieren sie gut als Mikrokosmos für das Problem von Verständigung und Kompromissfindung.
Das Buch setzt nicht auf Action oder Gewalt, um Spannung zu erzeugen. Es ist Neugier auf die Figuren, ihre Kulturen und ihre Lösungsansätze, und nicht zuletzt auf den Erfolg von Judys Mission, welche Interesse am jeweils nächsten Kapitel weckt. Ruthanna Emrys schreibt mit Wärme und Hoffnung und spannenden Ideen, wie ein Zusammenleben miteinander und mit der nichtmenschlichen Welt in der Zukunft aussehen kann. Auch Humor und Situationskomik fehlen nicht.
Soweit ich weiß, gibt es keine deutsche Übersetzung. Eine solche wäre jedoch wünschenswert.
Fazit
„A Half-Built Garden” ist ein Erstkontakt-Roman mit spannenden Ideen über technische und soziale Innovationen, die helfen können, ein Gleichgewicht mit einer beschädigten, aber noch nicht verlorenen Erde zu finden. Eine große Empfehlung, gerade für Fans der Science-Fiction von Ursula K. le Guin. Emrys setzt die Tradition fort, ein Erstkontakt-Szenario als Rahmen für Selbstreflektion zu nutzen: Wer sind wir Menschen und welche Kompromisse können wir mit der Welt um uns herum und einander eingehen?
Pro und Contra
+ Optimismus
+ Spannender Weltenbau von menschlichen und außerirdischen Kulturen
+ Spannende Ideen zur „Reparatur“ der Erde
+ Vielfältiges Figurenensemble
+ Repräsentation von Alltag
o sehr enger Fokus auf wenigen Figuren, es fühlt sich ein bisschen seltsam an, dass so viel davon abhängt, ob zwei Familien miteinander auskommen
Wertung:
Handlung: 4,5/5
Figuren: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis-Leistung: 3,5/5