ohne ohren (2024)
Taschenbuch, 390 Seiten, 15,49 EUR
ISBN: 978-3-903296-74-9
eBook 5,99 EUR, ISBN: 978-3-903296-75-6
Genre: Steampunk / Steamfantasy / Abenteuer / Kurzgeschichten
Klappentext
Jeder Verlust ein Gewinn!
Pina Parasol ist professionelle Verliererin. Aufregende Abenteuer warten, wann immer sie für ihre Kundschaft etwas verschwinden lassen soll. Quer über die Kontinente führen Pinas Reisen – von Paris aus in die flirrende Hitze der ägyptischen Wüste, an eisige Plätze in der Antarktis und in geheimnisvolle Meerestiefen. Und noch unentdeckte Orte warten am Ende des 19. Jahrhunderts.
Nehmt Platz am Lagerfeuer und begleitet die legendäre Abenteurerin in der fliegenden Lokomotive. In vierzehn Kurzgeschichten entdeckt Pina die Welt, ihre schönen Seiten und die bedrohlichen Schatten eines nahenden Übels.
Rezension
„Ich habe meine Familie verloren, bevor ich alt genug war, sie zu vermissen. Ich habe meine linke Hand verloren, bevor ich alt genug war, sie jemandem zum Geleit anzubieten. Ich habe mehr verloren als die meisten anderen Menschen in ganz Frankreich, also habe ich beschlossen, aus dem Verlieren eine Kunst zu machen. Aber stell dir vor – ich bin komplex und habe mehr als ein Hobby.“ (Seite 366)
Das eine oder andere Abenteuer der legendären Verliererin Pina Parasol haben manche Leser*innen vielleicht in den Anthologien „Aeronautica – Logbuch der Lüfte“ und „Das Dampfbein schwingen“ oder im Groschenheft „Die grüne Fee“ gelesen. Zumindest hat die Abenteurerin eine gewisse Bekanntheit in der deutschsprachigen Phantastikszene. In „Die Abenteuer von Pina Parasol“ finden sich alle bisher veröffentlichten Kurzgeschichten sowie diverse weitere Abenteuer, die dennoch nur einen Bruchteil der unglaublichen Erlebnisse Pina Parasols abbilden. Um die junge Frau ranken sich viele Mythen, vieles von dem, was man sich über sie erzählt, ist übertrieben, doch ebenso ist vieles untertrieben. Die Wahrheit kennen nur die, die dabei waren – und der, die oder xier Erzählende dieser hier versammelten Geschichten, genannt W., der, die oder xier am Lagerfeuer von Pina Parasols phantastischen Abenteuern erzählt.
Pina Parasol wird nachgesagt, aus dem Verlieren eine Kunst zu machen, was bedeutet, dass sie verdammt gut darin ist, Dinge verschwinden zu lassen. Etwas absichtlich zu verlieren, was für Streit oder anderen Ärger sorgt. Oder Menschen zu verlieren, also Verfolger abzuschütteln. Pina ist eigentlich eine Kurierin, die recht alltägliche Botengänge in Paris erledigt und jede Abkürzung in der Stadt kennt. Zugleich ist sie eine Abenteurerin, die mit ihrer fliegenden Lokomotive die Welt bereist und anderen Abenteurern hilft, ferne Länder zu entdecken oder vermisste Gegenstände zu finden. Sie rettet Menschenleben und Freundschaften, baut lieber Brücken statt welche einzureißen und bemüht sich stets, anderen zu helfen. Pina ist unerschrocken und übermütig, hat oft viel Glück, aber auch einen scharfen Verstand – und vor allem eine großartige Found Family, die ihr stets Heimat ist und sie unterstützt. Sie ist auch eine Art Superheldin, die von der Polizei argwöhnisch beobachtet wird.
Pina kennt ihre Eltern nicht und ist in einem Waisenhaus aufgewachsen, wo sie Freunde fürs Leben gefunden hat wie das mechanische Mädchen Marble, die sie als Sängerin auf einem Kreuzfahrtschiff in der Antarktis wiedertrifft. Bereits im Waisenhaus hat Pina Abenteuer erlebt und war Gehilfin eines Alchemisten. Als junge Erwachsene lebte sie eine Zeit lang in einer WG und ihre ehemaligen Mitbewohner*innen sind noch immer ihre Wahlfamilie, zu der sie regelmäßig zurückkehrt, um über ihre Erlebnisse zu sprechen und Waffeln zu essen. Diese drei Personen sind auch auf dem Cover zu sehen: die Plakatkleberin und Chemikerin Sabine, der Schriftsteller Cédille und der Erfinder MassiMo. Alle drei unterstützen Pina tatkräftig und mischen in unterschiedlichen Geschichten mit, mal nur eine Person, mal alle drei. Oft sind sie auch einfach für Pina da und geben ihr die Sicherheit, stets eine Heimat zu haben bei Menschen, die sie lieben.
Die Welt, in der Pina Parasol ihre Abenteuer erlebt, verbindet Fantasy- und Steampunkelemente und stellt eine alternative Version des späten 19. Jahrhunderts dar, in dem die Dampftechnologie Phantastisches hervorgebracht hat. Es gibt tierische und humanoide Automatons, allerhand fliegende Objekte, viel Dampfkraft und Mechanik, Alchemie und ein wenig Magie. Die Kurzgeschichten sind oft „cozy“ und stellen Freundschaften und Solidarität in den Mittelpunkt. Es gibt jedoch auch Widersacher, wie eine spanische Abenteurerin oder den finsteren Pestdoktor Dante, der nicht nur Paris, sondern auch Pina persönlich terrorisiert. Meist haben die Geschichten ein Happy End, doch manchmal geht auch etwas schief, womit die Figuren dann aber recht gut umgehen können. Was die Abenteuer von Pina Parasol auszeichnet, ist der leichte Humor, der sich mal in witzigen Dialogen, mal in phantastischen Übertreibungen zeigt, und die Menschlichkeit.
Zu den besten Geschichten dieser Sammlung gehören die, die an die Phantastik des 19. Jahrhunderts erinnern wie beispielsweise „Pina Parasol und das versunkene Wespennest“, das an „20.000 Meilen unter dem Meer“ von Jules Verne erinnert, oder auch „Pina Parasol und das Ende der Welt“, das in einer mystischen Tempelanlage spielt und Pinas Widersacher zusammenbringt. Zu den Highlights zählen außerdem „Pina Parasol und der Knochenrausch“, als Pina einen genialen Plan zur Rettung einer Farm im Wilden Westen entwickelt, und „Pina Parasol und der Ruf der Geweihten“ mit düsteren Legenden im Schwarzwald. Die Geschichten sind thematisch sehr unterschiedlich, mal klassische Abenteuer mit exotischen Schauplätzen, mal Rückblicke in Pinas Vergangenheit, mal Urban Fantasy in einem bunten Steampunk-Paris. Handwerklich sind sie alle toll geschrieben und man würde gerne mehr von Pinas Abenteuern lesen, zum Beispiel das, als sie gezwungen war, in einem Vulkan im Pazifischen Feuerring zu leben oder das, als sie die Kalte Stadt unter dem Himalaya durchquerte.
„Die Abenteuer von Pina Parasol“ sind wahnsinnig kreativ und manchmal ist alles ein bisschen viel: zu viele ungewöhnliche Ideen, zu viele Anspielungen auf andere Werke, zu viel Freundlichkeit, die fast traurig stimmt, weil die echte Welt nicht so ist. Pina ist eine so lebendige, lebensfrohe Figur, die die Leser*innen mit ihrem Tatendrang fordert und manchmal überfordert. Ihre Geschichten eignen sich vor allem für Fans von Genremixen und progressiver Phantastik. Das Buch wurde vom Verlag ohne ohren gewohnt liebevoll gestaltet. So sieht man am unteren Seitenrand eine kleine Zuggraphik, die sich mit jeder Geschichte ein Stückchen weiter bewegt – quasi ein kleines Daumenkino. Leider wurde bei einer Geschichte der Titel nicht vollständig abgedruckt und man muss im Inhaltsverzeichnis nachschauen, wie sie heißt.
Fazit
„Die Abenteuer von Pina Parasol“ sind wahrhaft phantastisch und lassen sich gut als cozy Steamfantasy beschreiben. Tino Falke verbindet in seinen Geschichten den Charme der Phantastik des 19. Jahrhunderts mit einer humorvollen, modernen Erzählweise und selbstverständlicher Diversität. Was Pina Parasol hier alles erlebt, ist erstaunlich, geht oft ans Herz und lässt manchmal den Atem stocken.
Pro und Contra
+ spannende und humorvolle Steampunk-Abenteuer
+ cozy Fantasy mit Diversity
+ Pina Parasol als sehr vielseitige, taffe, stets hilfsbereite Protagonistin
+ Pinas Found Family
+ sehr unterschiedliche, facettenreiche Nebenfiguren
+ Abenteuer im Stil des 19. Jahrhunderts modern erzählt
+ liebevolle Gestaltung des Buches
- manche Geschichten sind etwas überladen
Wertung:
Geschichten: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4/5
Interview mit Tino Falke (2021)